Das Liebes-Poetische Manuskript N° 6

Amor persönlich
Gedichte über Amor

Denis-Antoine Chaudet (1763-1810) - Cupido

 


Martin Opitz
(1597-1639)

Die Jagt deß Cupido.

IN der schönesten der Zeiten /
Wenn verjüngt wirdt alle Welt /
Wann die Flora Blumen spreiten
Thut / durch Wisen / Wald vnd Feldt /
Kam der Venus Sohn gegangen /
Eh sich Lucifer eräugt /
Eh Aurora jhre Wangen
Vnd goltgelbes Haare zeigt /
Venus lag ohn sorg vnd zagen
Gantz deß sanfften Schlaffes voll /
Mutter / sagte er / ich geh jagen /
Vnder deß gehabt euch wohl /
Da erwachte die Göttinne /
Sprach: Cupido liebes Kindt /
Weil du dieses hast im Sinne /
Sey es gerne dir gegünt /
Vnd ich wünsche daß dein Bogen /
Richtig schiesse für vnd für.
Wann du dann diß Werck vollzogen /
Komm auch wieder her zu mir.
Diß derhalben zu vollführen /
War er baldt zur Jagt bereit /
Nicht zur Jagd nach wilden Thieren /
Wie Adonis vor der Zeit /
Sondern daß er möchte zwingen /
Diese grosse weite Welt /
Vnd in seine Netze bringen /
Was der Himmel in sich helt.
Als der Zephyrus vernommen /
Was das Kind gesonnen wer /
Ist er mit der Aura kommen /
Zu verkünden diese Mähr /
Doch thät er sich plötzlich nähen /
Eh man für jhm fliehen kundt:
Eh man seiner sich versehen /
Hat er schon sehr viel verwundt.
Also wirdt sehr offt betrogen
Die gelehrte Nachtigall /
Eh sie kaum hinzu geflogen /
Ist sie kommen schon zu fall /
Juppiter / der Donnerkeile
Nur für Spiel vnd schertze helt /
Wardt durch dieses Kindes Pfeile /
In der Buhler zahl gestellt /
Phoebus hatte Kunst vnd Witzen /
Pluto war an Golde reich /
Es kont jhnen doch nicht nützen /
Es war Amor alles gleich /
Mars der sonst sich außzurüsten
Vnd zu streitten war bedacht /
Sauget an der Venus Brüsten /
Vnd vergaß der Kriegesmacht /
Bacchus wuste nichts von Trauben /
Gantz entzündt in süsser Pein /
Muste Liebes Speise klauben /
Thränen giessen vor den Wein /
Eolus ließ Nort vnd Osten /
Pan ließ Schaf vnd Hirten stehn /
Götter vnd Göttinnen musten
Nach des Kindes Willen gehn /
Alle Menschen wurden innen /
Wie Cupido sehr geschwindt /
Wie er jhren Muth vnd Sinnen
Mit dem Pfeil regieren künt.
Alles wurde gantz verheeret /
Alles war mit Leyd erfüllt /
Biß sich hat der Tag gekehret /
Vnd die Sonn jhr Haupt verhüllt /
Da flog Amor heim zur stunden /
Zeigte seiner Mutter an /
Wie er alles vberwunden /
Wie jhm alles vnderthan.
Bald hat sie jhn angenommen /
Vnd am Nectar voll gemacht /
Biß der süsse Schlaff ist kommen /
Vnd jhn hat zu Ruh gebracht.


Gedicht aus: Martin Opitz, Gesammelte Werke
Kritische Ausgabe, Hrsg. George Schulz-Behrend, Anton Hiersemann Stuttgart 1989

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