Das Liebes-Poetische Manuskript N° 6

Amor persönlich
Gedichte über Amor

Denis-Antoine Chaudet (1763-1810) - Cupido

 


Anonymer Barock-Dichter

Der flüchtige Cupido /

Die Venus ruffte nechst auff allen ecken aus:
Hat niemand meinen sohn / die liebe / wo gesehen?
Wer's weiß / der sag' es mir / ja kan es gar geschehen /
So bring' er ihn mir doch bald wiederum ins hauß /
Ich will ihm jederzeit davor zu diensten leben /
Und zeigt er mir bloß an /
Wo ich ihn wieder finden kan /
So soll er dieses wissen /
Daß ich / ich Göttin / ihn zur danckbarkeit will küssen;
Ja führet er ihn gar zu mir /
So will ich ihm aus danck-begier /
Noch gar weit bessre sachen geben.
Ich will ihm itzt allhier des knabens zeichen nennen /
An welchen man ihn kan vor hunderten erkennen.
Sein leib sieht feurig aus / und nicht ein bißgen weiß:
Scharffsichtig ist sein aug' und helle wie ein feuer:
Die tücken sind bey ihm dem schalck' auch niemals theuer:
Durch süsse Worte lockt er alle welt auf‘s eis:
Er meint's nicht / wie er's redt: ja hat er sich entrüst /
So sieht man wie er sich vor zorn und rachgier brüst:
Er spielt manch trauer-spiel /
Und hilfft dazu ihm seine schalckheit viel.
Die lockichten und wolgefärbten haare /
Die ist an ihm fast noch die beste wahre /
Die hände sind zwar klein / doch sehr geschickt zum schiessen /
Daß sich der höllen-fürst selbst vor ihm fürchten müssen.
Ganz nackend ist er zwar am leibe /
Doch sein gemütt' ist eingehüllt.
Bald flieget er herum / da's denn ihm gleiche gilt /
Zu wem ihn seine wollust treibe /
Es sey zum mann' es sey zum Weibe:
Da schleicht er sich sehr heimlich ein /
Und muß sein ritter-sitz das eingeweyde seyn.
Er führt auch einen kleinen bogen /
Auff den ein kleiner pfeil gelegt /
Doch welcher / wenn er auffgezogen /
Biß in des himmels-felder trägt.
Der güldne köcher / den er an der schulter trägt /
Der ist mit bitterm rohr biß oben vollgelegt /
Von diesem hab ich selbst offt wunden /
Durch meines sohnes tück empfunden.
Ja alles ist an ihm zur grausamkeit gericht:
Die fackel die er hat / brennt selbst der sonnen licht.
Wer ihn erhaschen wird / der muß ihn ja wol binden /
Und so führ' er ihn her; und wenn er thränen zeigt /
Laß' er bey leibe sich dadurch nicht überwinden /
Weil dieses wasser nur aus list zum auge steigt.
Lacht er / so zieh ihn fort: ja wenn er dich will küssen /
So ziehe dich zurück / es ist ein falscher Kuß /
Die lippen lassen nichts als gifft und wermuth flüssen /
Vor welchen sich gar wohl ein führer hüten muß.
Spricht er: nimm diese waffen hin /
Die ich hier an- und um mich habe /
Weil ich itzt dein gefangner bin /
So nimm auch deren übergabe.
Da rühre ja nichts an /
Weil er damit am meisten schaden kan /
Er sagt es mit bedacht /
Weil er sie alle hat mit feuer angemacht.

 


Gedicht aus: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen
auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte:
Benjamin Neukirchs Anthologie
Tübingen : Niemeyer, 1961 (Neudrucke deutscher Literaturwerke)
 

zurück

zurück zur Startseite