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Wilhelm
Müller
(1794-1827)
Amor in der Vigne
Jüngst
fand in einer Vigne
Ich Amorn mit den Andern,
Die zu den losen Streichen
Ihm nimmer fehlen dürfen.
Die Kinder spielten Schaukel,
Auf Weinguirlanden sitzend,
Die hoch von Baum zu Baume
Der Winzer pflegt zu ziehen.
Flugs riß die beste Schaukel,
Und Amor lag am Boden,
Umsonst nach Hülfe schreiend;
Denn die Gespielen flohen
Und riefen: Diebe! Diebe!
Aus vollem Halse lachend.
Ich hob den armen Kleinen
Vom Boden auf, befühlte
Die umgeknickten Federn
Und stäubt' ihm ab die Locken.
Da rafft' er sich zusammen,
Und ohne mir zu danken,
Ging's fort, husch in die Lüfte!
Noch stand ich, fast betroffen,
Und sah ihm nach, dem Schalke,
Da rief ein süßes Stimmchen
Gar drohend mir entgegen:
Seid ihr der Dieb der Trauben?
Es war das Winzermädchen,
Und hinter ihr ganz leise
Hört' ich den Kleinen flüstern:
Halt fest den losen Buben!
Und sie hat's gut verstanden.
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