Gottfried von Straßburg (um 1170-1215) - Tristan und Isolde


John William Waterhouse (1849-1917)
Tristan und Isolde




 




Gottfried von Straßburg (um 1170-1215)

Tristan und Isolde
(Ausschnitte)

Die Minne   Die Minnegrotte
 



Die Minne

Und wieder fuhren vom Gestad
Die Kiele fröhlich ihren Pfad.
Zwei Herzen nur darinne
Die waren durch die Minne
Vom Weg gekommen und verirrt,
Und in Gedanken tief verwirrt
Quälten sie sich beide
Mit jenem lieben Leide,
Das uns mit Wundern überhäuft,
Aus dessen Honig Galle träuft,
Dessen Süße säuert,
Dessen Tau befeuert,
Und dessen Schmeicheln schmerzet,
Das jedes Herz entherzet
Und alle Welt verkehret:
Das hatte sie versehret,
Beide, Tristan und Isot.
Sie drängte eine stete Not
In wundersamer Weise:
Sie hatten auf der Reise
Nicht Ruhe mehr, nicht hier noch da,
Bis eins das andre wieder sah;
Doch sahen sich die beiden,
Das war ein neues Leiden:
Sie durften Wunsch und Willen
Nicht eins am andern stillen.
Das schuf die Fremdheit und die Scham,
Die ihnen ihre Wonne nahm.
Wenn heimlich Blick den Blick beschlich,
So färbten ihre Wangen sich
Mit gleicher Glut wie Herz und Sinn.
Minne war die Färberin:
Die deucht' es nicht damit genug,
Daß man sie nur verstohlen trug
Tief in des Herzens stillen Gründen;
Nein, auch das Antlitz sollte künden
Von ihrer siegenden Gewalt.
Die war an beiden mannigfalt:
Nicht lange blieb ihr Antlitz gleich;
Sie wurden rot und wieder bleich;
Bald glühten, bald erstarben
Der Minne flüchtge Farben.

So wurden sie es inne,
Daß etwas wie die Minne
Sie zu einander triebe.
Sie huben an, voll Liebe
Auf Schritt und Tritt sich nachzugehn,
Und ließ sich Zeit und Fug erspähn,
So standen sie sich flüstern nah.
Der Minne Jäger stellten da
Einander Netz und Stricke
Mit manchem holden Blicke,
Indes mit schlauen Fragen
Sie auf der Lauer lagen.

Isot begann nach Mädchenweise:
Sie schlich den Herzgeliebten leise
Auf einem weiten Umweg an.
Sie mahnte ihn zuerst daran,
Wie er dereinst in Todesnot
Allein in einem kleinen Boot
Geschwommen kam gen Develin,
Und wie dort ihre Mutter ihn
In Pflege nahm, bis er genas;
Und ferner, wie sie bei ihm saß
Und er die junge Schülerin
Belehrte in der Schriften Sinn,
Auch in Latein und Saitenspiel;
Dann wußte sie behutsam viel
Von seinem Heldenmut zu sagen,
Vom Drachen, den sein Arm erschlagen,
Und wie sie zweimal ihn erkannt,
Zuerst, als sie im Moor ihn fand,
Und noch einmal im Bade dort.
So gab sich Wort und Gegenwort.
Sie sprach mit weichem Munde:
Ach, da die günstge Stunde
Mir damals bot Gewalt und Fug,
Daß ich im Bad Euch nicht erschlug!
Was raubt' ich mir der Rache Lust?
Traun, hätt' ich damals auch gewußt,
Was heut ich weiß, Ihr wäret tot. -
Was quält Euch, schöne Maid Isot?
Was wisset Ihr? so fragt er leis. -
Ach, alles quält mich, was ich weiß;
Was ich nur seh', das thut mir weh:
Mich plagt der Himmel und die See;
Leib und Leben ängsten mich. -
Da stützte sie und lehnte sich
Mit einem Arme an ihn hin;
Das war der Kühnheit Anbeginn.
Der Augen helle Leuchte
Erlosch in Thränenfeuchte;
Ihr Herz begann zu quellen,
Ihr süßer Mund zu schwellen;
Ihr Haupt, das sank hernieder.
Nun wagt ihr Freund auch wieder,
Sie mit den Armen zu umfahn,
Doch ohne kecker sich zu nahn,
Als einem Fremden ist erlaubt.
Er neigt sich flüsternd auf ihr Haupt:
Ei, schöne Süße, saget mir,
Was quält Euch denn? Was klaget Ihr? -

Der Minne Federspiel Isot,
Sie sprach: Lamer ist meine Not;
Lamer beschwert mir so den Mut;
Lamer ist, was mir wehe thut. -
Sie sprach so viel das Wort Lamer,
Und Tristan forschte hin und her
Und sann mit Acht und Fleiße,
Was dieses Wörtchen heiße.
Wohl konnt' er sich entsinnen,
Amer, das heiße minnen,
Amer sei herb, la mer das Meer,
Der Deutungen ein ganzes Heer.
Da ließ er eines von den drein
Und fragte nach den andern zwein:
Er ließ beiseit' mit seinem Sinn
Die Minne, ihre Königin,
Ihren Trost und ihr Begehr,
Und sprach von bitter nur und Meer.
Versteh' ich recht, sprach er, Isot,
So schafft das Meer Euch bittre Not:
Es macht der Dunst von Meer und Wind,
Daß sie Euch beide bitter sind. -
Nein doch! Was sagt Ihr, Herr? Ach nein,
Keins von den beiden schafft mir Pein.
Mich kümmert weder Luft noch See:
Lamer alleine thut mir weh. -

Als er des Wortes Deutung fand
Und Minne klar darin erkannt,
Sprach heiß und heimlich er zu ihr:
Traun, schöne Maid, so ist auch mir;
Lamer und Ihr seid meine Not,
Ja, Herzenskönigin Isot,
Nur Ihr und Eure Minne,
Ihr habt mir meine Sinne
Verkehret und benommen.
Ich bin vom Weg gekommen
Und irre pfadlos nun umher,
Die ganze Welt ist mir zur Qual,
Und alles dünkt mich arm und schal,
Was immer mir ins Auge fällt,
Und nichts in dieser weiten Welt
Ist meinem Herzen lieb als Ihr. -
Isot sprach: Herr, so seid Ihr mir. -

Als Tristan und die Königin
Sich einig sahn in Herz und Sinn,
Da ward gestillt ihr heimlich Leid
Und offenbar zu gleicher Zeit,
Indem es nun die Fesseln brach:
Ein jedes schaute, jedes sprach
Das andre frei und kühnlich an,
Der Mann die Magd, die Magd den Mann,
Und Scheu und Bangen mußten fliehn:
Er küßte sie, sie küßte ihn
Süß und heiß von Herzensgrund.
So tauschten sie von Mund zu Mund
Der Minne ersten Trost und Dank;
Denn jedes schenkte, jedes trank
Die Süße, die vom Herzen kam,
Und wo kein Lauscher sie vernahm,
Da schlich der Tausch wie von Beginn
Sich zwischen beiden her und hin.
Das ward so heimlich angestellt,
So fein, daß niemand in der Welt
Ihrer beider Sinn durchschaute
Als sie, die einzige Vertraute,
Brangäne nur, die Weise.

Die warf die Blicke leise
Und ungesehen nach dem Paar;
Sie nahm ihr heimlich Treiben wahr
Und dachte oft beklommen:
O weh, nun seh' ich's kommen!
Bei denen hebt die Minne an. -
Nicht lange mehr, und sie begann
Den Ernst an beiden klar zu sehn
Und ihnen außen abzuspähn
Die innerlichen Schmerzen
Der liebeswunden Herzen,
Und ihre Marter that ihr leid,
Da sie die beiden allezeit
Nur träumen sah und trachten,
Nur seufzen und nur schmachten,
Erglühen und erbleichen
Und in Gedanken schleichen.
Sie dachten, ganz von Sehnsucht krank,
Nicht an Speise mehr noch Trank,
Bis so der Mangel und er Gram
Ihnen alle Kraft benahm
Und mehr und mehr Brangäne dann
Die Angst zu peinigen begann,
Es würd' ihr Ende sicherlich.
Sie dachte: Nun ermann dich,
Geh und erforsche diesen Jammer! -

Sie saß bei ihnen in der Kammer
Eines Tages still und traut.
Da hub sie an mit sanftem Laut:
Seht, hier ist niemand als wir drei.
Nun sagt mir, was habt ihr zwei?
Ich seh' zu allen Stunden
Mit Trauer euch gebunden,
Hör' Seufzer nur und Klagen. -
Ach Gute, dürft' ich's sagen,
Ich sagt's Euch gerne, sprach Tristan. -
Ja, Herr, das dürft Ihr; hebet an!
Sei's, was es wolle, sagt es mir! -
Holdselge, sprach er drauf zu ihr,
Noch wag' ich nicht zu sagen mehr,
Versichert Ihr uns nicht vorher
Mit Treuen und mit Eiden,
Daß Ihr uns Armen beiden
Gütig wollt und gnädig sein.
Wir wissen sonst nicht aus noch ein. -

Brangäne, die getreue Maid,
Gelobte da mit Wort und Eid
In Tristand Hand, ihr ganzes Leben
Nur ihrem Dienste zu ergeben.
Getreue, Gute, sprach Tristan,
Nun sehet Gott als Zeugen an
Und folget ihm und Eurem Herzen:
Bedenket unser beider Schmerzen
Und unsre angstvoll bittre Not!
Wir armen zwei, ich und Isot,
Ich weiß nicht, wie's gegangen ist,
Wir sind seit einer kurzen Frist
Von Sinne alle beide
In wundersamem Leide:
Wir lieben uns zum Sterben
Und können's nicht erwerben,
Nur einmal ganz uns zu gehören.
Denn immer kommt Ihr, uns zu stören,
Und bald, das wisset, sterben wir:
Daran ist niemand schuld als Ihr.
Unser Tod und unser Leben
Ist ganz in Eure Hand gegeben.
Hiemit ist Euch genug gesagt.
Wohlan, Brangäne, selge Magd,
Nun helfet und genadet hier
Eurer Herrin und auch mir! -

Brangäne zu Isolden sprach:
Frau, kommt Euer Ungemach,
Wie er mir sagt, von solcher Not? -
Ja, Herzensmühmchen, sprach Isot. -
Brangäne drauf: Erbarm' es Gott,
Daß so der Teufel seinen Spott
Mit uns dreien hat getrieben!
Ich seh's, kein Ausweg ist geblieben,
Und drum aus Liebe für euch beide
Muß ich thun, was mir zum Leide
Und euch zur Schande wird geschehn.
Doch eh' ich euch will sterben sehn,
Sei lieber euch der Wunsch gewährt,
Der euch so heiß am Herzen zehrt.
Um meinetwillen lasset nicht,
Was ihr um eure Ehr und Pflicht
Nicht gerne wollet lassen.
Könnt ihr euch aber fassen
Und euch enthalten dieser That,
Enthaltet euch, das ist mein Rat.
Laßt, was ihr thut, verschwiegen sein;
Die Schande bleibe bei uns drein;
Verbreitet ihr die Märe,
So geht's euch an die Ehre.
Kommt sie zu andrer Menschen Ohren,
So sind wir alle drei verloren.
Nun, schöne Herzensfrau Isot,
Ist Euer Leben, Euer Tod
Euch selbst anheimgegeben:
So lenket Tod und Leben
Nach Eurem Willen und begehr.
Ich stör' Euch fortan nimmermehr.
Laßt alle Furcht und Sorgen ruhn:
Was Euch beliebt, das mögt Ihr thun! -

Nachts, da die Schöne lag und sann
Schmachtend nach dem teuren Mann,
Da schlichen in ihr Kämmerlein
Ihr Freund und ihre Aerztin ein,
Tristan und die Minne;
Die führt mit gütgem Sinne
Ihren Kranken an der Hand
Hin, wo sie ihre Kranke fand,
Und gab sodann die kranken zwei
Eins dem andern zur Arznei.
Was konnte auch die beiden
Von ihren Leiden scheiden,
Von der gemeinsam harten Pein,
Als nur der innigste Verein
Von Leib und Seele, Herz und Sinn?
Minne, die Verstrickerin,
Die verstrickte da und wand
Zwei Herzen in ihr süßes Band
Mit also großer Meisterschaft,
Mit also wundersamer Kraft,
Daß sie in allen ihren Jahren
Nimmermehr zu lösen waren.

Wie wenig auch in meinen Tagen
Des lieben Leids ich hab' getragen,
Das uns so wohlig wehe thut,
So sagt mir ahnend doch der Mut,
Daß nun dem liebeskranken Paar
Wohl und sanft im Herzen war,
Da sie die Hut, die Pest der Minne,
Die Feindin der verliebten Sinne,
Aus ihrem Wege fortgebracht.
Ich hab' der beiden viel gedacht,
Denk' ihrer heut und alle Tage,
Und wo auf Lieb' und Liebesklage
Ich mag im Herzen achten,
Da wächst mein eignes Trachten
Und stürmt mein Heergesell, der Sinn,
Als wollt' er nach den Wolken hin.
Doch wenn ich erst ihr Glück bedenke
Und in das Wunder mich versenke,
Wie Liebe kann erfreuen,
Ist sie gepaart mit Treuen,
Denk' ich daran, so schwillt mein Herz
Berghoch und höher himmelwärts.
Doch jammert mich zur Stunde
Die Lieb' im Herzensgrunde,
Daß alles fast, was lebt und webt,
An ihr, der Minne, hängt und klebt,
Und selten doch, wer sie begehrt,
Ihr Recht, die Treue, ihr gewährt.
Wir pflegen tollen Ackerbaus:
Wir säen Bilsensamen aus
Und wollen, daß am Erntetage
Er Lilien uns und Rosen trage.
Doch wahrlich, was wir säen,
Das müssen wir auch mähen.
Wir baun die süße Minne
Mit gallenbittrem Sinne,
Mit Trug und Falschheit in der Brust
Und fordern dann von ihr die Lust
Und aller Sinne Seligkeit:
Sie aber bringt uns Herzeleid.
Wie's von uns selber ward bestellt,
Trägt Unkraut nur der Minne Feld.
Dann, wenn uns späte Reue plagt
Und uns das Gift im Herzen nagt
Und tötet uns darinne,
Dann zeihen wir's die Minne
Und säumen nicht, sie anzuklagen
Der Schuld, die wir doch selber tragen.

Wohl ist es Wahrheit, wenn man sagt:
Die edle Minne ist verjagt,
Vertrieben bis zum fernsten Ort.
Wir haben nichts mehr als das Wort;
Der Name nur ist uns geblieben,
Und der ward auch zu Tod getrieben,
So abgenutzt und abgehetzt:
Drum mußte sie vor Scham zuletzt
Des Namens müde werden.
Die Arme ist auf Erden
Sich selbst zuwider und zur Last.
Ein ehrlos ungebetner Gast,
So schleicht sie nun auf Bettel aus
Und schleppt mit sich von Haus zu Haus
Ihren buntgeflickten Pack,
Den schnöden Diebs- und Bettelsack,
Um dann für die erdarbten Brocken
Am Wege Käufer anzulocken.
O weh, so markten wir mit ihr,
Solch Unerhörtes treiben wir
Und haben gar gerechten Sinn.
Minne, die freie Königin,
Die sonst nur einem sich gesellt,
Ist käuflich jetzt für alle Welt.
So ist zur Zinsbarkeit verdammt,
Die uns als Herrin abgestammt.
Wir, die mit falschem Sinne
Verfälschen reine Minne,
Wie schwinden unsre Tage,
Daß wir der Not und Klage,
So selten liebes Ende  geben!
Wie vergeuden wir das Leben
Ungeliebt und unbeglückt!
Und doch wird unser Herz entzückt
Von längst entschwunden Liebestagen:
Vernehmen wir die holden Sagen
Von treuen Herzen, die da waren
Einst vor vielen hundert Jahren,
Wie stehn wir inniglich erfreut!
Uns blühte solches Glück noch heut,
Wär' Treue nicht von uns vertrieben,
Daß niemand weiß, wo sie geblieben,
Da sie so reichlich lohnte,
Wo sie bei Liebe wohnte,
Warum dann lieben wir sie nicht?
Ein Blick aus treuer Augen Licht
Löscht hunderttausend Schmerzen
Am Leibe und im Herzen;
Ein einzger Kuß auf lieben Mund,
Der uns so recht aus tiefstem Grund,
Aus treuem Herzen käme,
Ach, was uns der benähme
Viel Sorgenpein und Herzensnot!

Ich weiß, auch Tristan und Isot,
Die ungestümen beiden,
Benahmen sich der Leiden,
Der Sehnsucht und der Trauer viel,
Da sie nun an des Wunsches Ziel
Einmütig hielten sich umfangen.
Hin war das schmachtende Verlangen,
Das die Gedanken engt und zwängt.
Wonach es die Verliebten drängt,
Das hatten beide nun genug.
Gewährt' es ihnen Zeit und Fug,
Daß sie zusammen kamen,
So gaben sie und nahmen
Mit willig treuem Sinne
Sich selber und der Minne
Holden Zins und süßen Zoll.
Solch inniglicher Freuden voll
Vertrieben sie der Reise Stunden
Und lebten, seit die Scheu entschwunden,
Ihre wonnereichste Zeit
In seliger Vertraulichkeit.
Mit Fug: Denn macht ein liebend Paar
Sich seine Liebe offenbar
Und will doch schämig und bescheiden
Sich noch verhüllen und sich meiden
Und schüchtern fremd thun in der Liebe, -
Die werden an sich selbst zum Diebe,
Da sie sich selber stehlen,
Was sie einander hehlen,
Und mischen Lieb mit Leide.
Diese Treuen beide
Verhehlten nichts mehr sich hinfort;
Sie waren stets mit That und Wort
Einander völlig hingegeben.

In solchem wonniglichen Leben
Verbrachten sie die Wasserfahrt.
Doch eins blieb ihnen nicht erspart:
Sie sahn die Zukunft finster drohn
Und fürchteten von ferne schon
Das Leid, das nachmals auch gekommen,
Das ihnen Freude viel benommen
Und sie gejagt in Schmach und Not,
Das herbe Leid, daß nun Isot
Dem Manne werden sollte,
Dem sie nicht werden wollte.
Noch andres ging durch ihren Sinn:
Isoldens Magdtum war dahin.
Doch waren diese Klagen
Vorerst noch leicht zu tragen,
Da sie noch Wunsch und Willen
So sicher konnten stillen
Nach freiestem Gelüste.

Als aber Kornwalls Küste
Dem Schiff begann zu nahen,
Und sie das Land ersahen,
Da freuten alle sich an Bord,
Und unerfreut blieb niemand dort
Als einzig Tristan und Isot:
Die beiden schuf es Angst und Not.
Wär' es nach ihrem Sinn geschehn,
Sie hätten nie mehr Land gesehn.
In Furcht um ihrer beider Ehren
Begann ihr Herz sich zu verzehren.
Sie sannen sorglich früh und spat,
Und wußten sich doch keinen Rat,
Wie an Isot der Raub der Liebe
Dem König nun verborgen bliebe.
Doch ob auch, die da minnen,
Mit kindlich blinden Sinnen
Nicht eben gut zum Raten sind,
Hier fand den besten Rat das Kind.
(S. 255-268)
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Die Minnegrotte

So ritt mit den Gefährten beiden
Tristan über Wald und Heiden
Von dannen in die Einsamkeit
Wohl fast zwei Tagereisen weit.
Er wußte schon seit manchem Tag,
Daß eine Felsenhöhle lag
Im wilden Berge tief versteckt,
Die er von ungefähr entdeckt,
Da ihn dereinst beim Jagen
Sein Weg dahin getragen.
Die Riesen, die vor grauen Jahren
Zur Heidenzeit hier Herren waren,
Eh Korinäus nahm das Land,
Das nach ihm Kornwall ist genannt,
Die ließen sich die Halle baun,
Und in den wilden Felsen haun
Und bargen sich darin zu Zeiten
In ihren Liebesheimlichkeiten.
Wo solch ein Haus gefunden ward,
Da war's mit ehrnem Thor verwahrt,
Und nach der Minne war's benannt
La fossiur' a la gent amant:
Das Minnehaus im hohlen Stein,
Das mag der rechte Name sein.

Auch kündet uns die Märe,
Die Minnegrotte wäre
Weit und rund nach allen Enden,
Schneeweiß mit hohen glatten Wänden,
Und in der Höhe fügte sich
Die weite Wölbung meisterlich,
Und wo der Kuppel Krone war,
Da sah man schön und wunderbar
Kunstreichen Zierat schimmern
Und Edelsteine flimmern.
Der Estrich unten spiegelrein
Von glattem grünem Marmelstein.
Ein Bette stand inmitten
Schön aus Krystall geschnitten,
Auf schlanken Säulen, hoch und breit;
Der Göttin Minne war's geweiht,
Wie ringsherum am schmucken Rand
Mit Zeichen eingegraben stand.
Es fiel durch kleine Fensterlein
Das Tageslicht von oben ein;
So war es hell im ganzen Haus,
Und wo man einging oder aus,
Da war ein festes ehrnes Thor,
Und draußen standen hart davor
Aestereicher Linder drei
Und oben keine mehr dabei;
Doch längs dem Abhang bis ins Thal,
Da standen Bäume sonder Zahl,
Die rings den Berg erfüllten.
Und ihn in Schatten hüllten.
Waldeinwärts von dem Felsenbau
Lag eine grüne Wiesenau;
Da floß ein frischer kühler Quell
Durchleuchtend klar und sonnenhell.
Auch diesen hielten überdacht
Drei Linden, die mit voller Pracht
Die Aeste schirmend ausgespannt
Vor Regen und vor Sonnenbrand.
Bunte Blumen, grünes Gras,
Wie sich eins am andern maß
Auf dieser lichten Stätte!
Sie glänzten um die Wette
Einander an in holdem Streit.
Auch fand man da zu seiner Zeit
Der Sommervögel süß Getön,
Und dies Getöne war so schön
Und schöner dort als irgendwo.
Aug' und Ohren hatten so
Weid' und Wonne beide:
Die Augen ihre Weide,
Die Ohren ihre Wonne.
Der Schatten und die Sonne,
Die Lüfte und die Winde,
Die waren sanft und linde.
Und rings in tiefster Einsamkeit,
Wohl eine Tagereise weit,
War alles öde, wüst und wild,
Nur kahle Felsen, kein Gefild;
Wie weit das Auge mochte spähn,
Nicht Weg noch Steg war hier zu sehn.
Doch vor den wüsten Strecken
Ließ Tristan sich nicht schrecken
Noch seine Herzenskönigin:
Sie ritten durch die Wildnis hin
Und zogen in den hohlen Stein
Als ihren neuen Wohnsitz ein.

Zum Ziel gelangt, entließen dann
Die beiden ihren treuen Mann
Und hießen ihn am Hofe sagen,
Und wo man sonst ihn sollte fragen,
Daß beide, Tristan und Isot,
Mit Jammer und mit mancher Not
Wieder hin gen Irland wären,
Dort ihre Unschuld zu bewähren
Vor Land und Leuten öffentlich.
Auch war ihr Wille, daß er sich
Am Hofe niederließe,
Wie's ihn Brangäne hieße,
Und meldete mit treuem Sinn,
Daß sie der treuen Helferin,
Erprobt in allen Nöten,
Lieb und Huld entböten.
Auch sollt' er dort im stillen
Erforschen Markes Willen,
Ob er nicht einen argen Rat
Zu irgend einer argen That
Wider ihr Leben richte;
Daß er das gleich berichte.
Und scheidend mahnte ihn das Paar,
Daß er sie sorglich immerdar
In seine Obhut nähme
Und her zu ihnen käme
Mit solchen neuen Mären,
Die für sie nützlich wären,
Einmal je in zwanzig Tagen.
Was brauch' ich weiter euch zu sagen?
Er folgte treulich dem Gebot.
So waren Tristan und Isot
Beisammen nun zu Hause
In dieser wilden Klause.

Hier mag der Fürwitz manchen plagen,
Daß er mich wird verwundert fragen,
Wie sich die zwei Gefährten
In dieser Wüste nährten.
Dem bin ich gleich zu Willen,
Den Fürwitz ihm zu stillen:
Die beiden sahn einander an,
Und davon lebten Weib und Mann.
Die Ernte, die das Auge trug,
Bot ihnen Speis und Trank genug;
Da schlürften alle Sinne
Nur hohen Mut und Minne.
Die Hausgenossenschaft im Wald,
Die war um ihren Unterhalt
In gar geringen Sorgen.
Sie trugen ja verborgen
Zu allen Stunden im Gewand
Die beste Speise gleich zur Hand,
Die man auf Erden haben kann;
Die bot von selbst sich ihnen an
Und immer frisch aufs neue:
Das war die reine Treue,
Die balsamkräftge Minne,
Dem Leibe und dem Sinne
Ein innig Glück, ein guter Geist,
Die Herz und Mut mit Freuden speist;
Die war ihr bestes Labsal dort.
Ja, selten nahmen sie hinfort
Sonst einer Speise wahr als der,
Woran das Herze sein Begehr,
Das Auge seine Wonne sah
Und auch dem Leib sein Recht geschah.
So hatten beide denn genug.
Die Liebe zog mit ihrem Pflug
Vor ihnen her auf allen Schritten
Als Baumann durch der Wildnis Mitten,
Um ihnen stets aus vollen Händen
Des Lebens Ueberfluß zu spenden.

Auch schuf es ihnen wenig Pein,
Daß sie im Walde so allein
Und ohne Leute sollten leben.
Nun sagt, wen brauchten sie daneben?
Was sollt' ein dritter dort fürwahr?
Sie hatten eine grade Schar:
Sie waren eins und eins; jedoch
Hätten sie den dritten noch
In ihre grade Schar erlesen,
So wären ungrad sie gewesen
Und mit dem Ungeraden
Belästigt und beladen.
Es hatte an sich selbst das Paar
Gesellschaft eine ganze Schar,
Daß Artus, der glückselge Mann,
In seinem Hause nie gewann
Solch Festgewühl zur Freudenzeit,
Da ihnen größre Lustbarkeit
Und Wonne wär' erstanden.
Es ist in allen Landen
Nicht eine Freude zu erjagen,
Darum die zwei in jenen Tagen
Gegeben hätten im Verein
Auch nur ein gläsern Ringelein.

Was man als höchsten Wunsch im Leben
Sich mag ersinnen und erstreben
Sonst in der Erde Landen,
Das hatten sie zuhanden.
Sie hatten Hof und reiches Gut,
Darauf des Lebens Freude ruht.
Ihr stetes Ingesinde,
Das war die grüne Linde,
Der Schatten und die Sonne,
Die Wiese und der Bronne,
Gras und Blumen, Laub und Blüt,
Was Augen tröstet und Gemüt.
Ihr Hofdienst war der Vogelschall:
Die zarte reine Nachtigall,
Drossel, Amsel obendrein
Und andere Waldvögelein,
Der Zeisig, der Galander,
Die sangen miteinander
Im Wettstreit um der Herrschaft Gunst.
So freut ihr Dienst mit süßer Kunst
Die Ohren und die Sinne.
Ihr Hoffest war die Minne
In ihrer Freuden goldner Pracht;
Die führte huldvoll Tag und Nacht
Den zwein zu jeder Stunde
Artusens Tafelrunde
Mit allen Festgenossen her.
Was wünschten sie noch Nahrung mehr
Der Seele und dem Leibe?
Da war doch Mann bei Weibe,
Das liebe Weib beim lieben Mann.
Was brauchten sie? Was focht sie an?
Sie hatten, was sie sollten,
Und waren, wo sie wollten.

Nun aber bringt mit Ungebühr
Wohl mancher die Behauptung für,
Der ich nicht folge, daß hiebei
Noch andre Speise nötig sei,
Die niemand könne missen.
Je nun, ich kann's nicht wissen:
Mich dünkt es ganz genug hieran.
Erfuhr jedoch ein andrer Mann,
Daß es in diesem Leben
Soll bessre Nahrung geben,
Der sage, was er wissen mag.
Ich lebte selbst doch manchen Tag
Nach Tristans und Isoldens Weise
Und brauchte weiter keine Speise.

Nun laßt euch aber nicht verdrießen,
Wenn ich den Sinn euch will erschließen,
Mit welchem, wie ich meine,
Die Grotte im Gesteine
Entworfen war nach weisem Plan.
Sie war, wie ich euch kund gethan,
Weit und rund nach allen Enden,
Schneeweiß mit hohen, glatten Wänden.
Der Wände Rundung innen
Ist Einfalt in dem Minnen:
Die Einfalt ist der Minne eigen;
Die soll ja keinen Winkel zeigen.
Der Winkel, der im Minnen ist,
Das ist Verrat und Hinterlist.
Die Weite ist der Minne Kraft,
Die ohne Schranken wirkt und schafft.
Die Höhe ist der hohe Mut,
Der aufwärts strebt und nimmer ruht,
Bis wo der Tugenden Verein
Sich schließt und wölbt wie Stein an Stein.
Nie fehlt dort Schmuck und Schimmer:
Die Tugenden sind immer
Verherrlicht mit des Ruhmes Kranz
Und leuchten mit Juwelenglanz.
Weiß, glatt und eben war die Wand:
Daran wird Redlichkeit erkannt.
Ihr schlichtes Weiß, ihr gleicher Schein
Soll niemals bunt noch schillernd sein;
Auch soll Verdacht trotz allem Spähn
Daran nicht Thal noch Hügel sehn.
Der Estrich, der von Marmor war,
Der gleicht der Treue ganz und gar
An Grüne und an Feste;
So deut' ich ihn aufs beste:
Die sei von Farbe grün wie Gras,
Von Fläche glatt und blank wie Glas.
Und der krystallnen Minne
Prachtbette mitten inne
War so mit Recht und Fug genannt.
Dem war ihr Recht gar wohl bekannt,
Der ihr aus lauterem Krystalle
Ihr Lager schnitt in dieser Halle:
Denn Minne soll krystallenrein,
Durchsichtig und durchlauter sein.

Innen an der ehrnen Thür,
Da gingen auch zwei Riegel für,
Und eine Klinke war von innen
Mit feinen meisterlichen Sinnen
Hinausgeleitet durch die Wand,
Wo sie der kundge Tristan fand.
Die lenkte ein verborgner Knauf:
Ein Druck nur, und das Thor ging auf.
Kein Schloß, kein Schlüssel war zu sehn.
Vernehmt, wie solches zu verstehn:
Das Zeug, womit von außen her
Man eine Thüre nach Begehr
Sich öffnen oder schließen kann,
Das deutet nichts als Falschheit an.
Willst du der Minne Haus gewinnen,
Wo dir nicht Einlaß wird von innen,
Traun, das ist nicht der Minne Fug,
Das ist Gewaltthat oder Trug.
Drum legt sich auch der Minne Thor
Die ehrne Thüre schirmend vor,
Daß niemand sie gewinne
Als nur mit Huld und Minne.
Sie ist von Erze stark und fest,
Daß sich kein Werkzeug finden läßt,
Das, sei es durch Gewalt und Kraft,
Sei es durch Kunst und Meisterschaft,
Sei es durch Falschheit oder Lüge,
Sie aufzusprengen je genüge.
Auch waren die zwei Riegel,
Die beiden Minnesiegel,
Einander innen zugewandt
Zu beiden Seiten an der Wand;
Von Zedernholze war der eine,
Der andere von Elfenbeine.
Beim Zedernholz hab' ich im Sinne
Bedacht und Weisheit in der Minne
Und bei dem Elfenbeine
Die Scham, die keusche, reine,
Und diese beiden Siegel,
Der Minne reine Riegel,
Die schließen von der Minne Haus
Das Rohe, das Gemeine aus.

Der kleine Drücker war von Zinn,
Von Gold jedoch die Klinke drin.
Das Zinn, das ist der Wille,
Der trachtet in der Stille;
Das Gold zeigt die Erfüllung an.
Sein Trachten mag ein jeder Mann
Nach seinem Willen leiten,
Schmälern oder breiten,
Kürzen oder längen,
Lockern und zwängen
In jeder Weise her und hin
Mühelos wie weiches Zinn;
Das richtet keinen Schaden an.
Doch wer mit rechter Güte kann
Auf Minne wenden Sinn und Streben,
Dem öffnet sich ein selges Leben.
Fürwahr, von Zinn ein wertlos Stück,
Das führt ihn ein zu goldnem Glück.

Oben durch den ganzen Stein,
Da waren nur drei Fensterlein
Schön und heimlich eingehauen,
Dadurch die Sonne konnte schauen:
Die heißen im Gemüte
Die Demut und die Güte,
Das dritte Zucht. Zu diesen drein,
Da lacht herein der süße Schein,
Der Augen reinste Wonne:
Ehre, des Lebens Sonne;
Die gießt ihr Licht in dieses Haus
Der Erdenlust verklärend aus.

Auch das dünkt sinnig mich und fein,
Daß diese Grotte so allein
In weiter wüster Wildnis lag,
Was damit man vergleichen mag,
Daß Minne nicht mit ihren Gaben
Auf offner Straße ist zu haben,
Noch auf dem Felde liegt bereit:
Sie lauscht in wilder Einsamkeit.
Es ist ein mühevoller Pfad,
Auf dem man ihrer Klause naht.
Die Berge liegen um sie her,
In mancher Krümmung kreuz und quer
Verschlungen hin und wieder;
Die Steige auf und nieder
Sind mit Gestein uns Duldern allen
So wirr verschüttet und zerfallen,
Daß, wenn im Pfad, auf dem wir gehn,
Wir's nur mit einem Tritt versehn,
Wir aus den Irrgewinden
Uns nimmer heimwärts finden.
Doch wem sein Glück es mag verleihn,
Daß er zur Wildnis kommt hinein,
Dem wird aus seinen Mühen
Ein selger Lohn erblühen;
Der findet seines Herzens Spiel,
Und was den Ohren je gefiel,
Und was das Aug erfreuen soll,
Von all dem ist die Wildnis voll,
Und niemals möcht' er wieder fort.

Das weiß ich wohl; denn ich war dort,
Hab' auch durch wildes Waldrevier
Gespürt nach Vogel und Getier
Und Hirsch und Hinde nachgejagt,
Blieb mir auch Weidmannsheil versagt.
Ich kam zur Grotte, fand den Knauf
Und hob die goldne Klinke auf,
Trat zum krystallnen Bette hin;
Doch ruht' ich leider nie darin.
Oft haben mir ins Herz hinein
Die sonnigen frei Fensterlein
Ihren reinen Glanz gesandt.
Mir ist die Grotte wohlbekannt,
Und schon seit meinem elften Jahr,
Wenn ich auch nie in Kornwall war.

Die Hausgenossen treu und hold,
Tristan und sein Lieb Isold,
Die hatten dort in Wald und Feld
Ihre Zeit sich wohl bestellt:
Da folgte stets die holde Muße
Der holden Arbeit auf dem Fuße.
Sie waren alle Zeiten
Eins an des andern Seiten.
Sie gingen Morgens durch den Tau
Gemachsam nach der Waldesaus,
Wo sich der Blumen bunt Gewühle
Erquickte an der feuchten Kühle.
Da war in seiner frischen Zier
Der Wiesengrund ihr Lustrevier.
Dort wandelten sie her und hin
Und plauderten mit heitrem Sinn
Und lauschten auf dem Gange
Dem süßen Vogelsange.
Dann schweiften sie die Flur entlang
Hin, wo der kühle Brunnen sprang,
Und standen, zu belauschen
Sein Rieseln und sein Rauschen,
Und wo er an der Wiese Rand
Sich helle durch die Blumen wand,
Da saßen sie und sahn in Ruh
Dem Spiele seiner Wellen zu,
Und war das wieder ihre Wonne.

Wenn aber dann die lichte Sonne
Sich höher hob im Himmelsblau
Und heißer ward die Luft der Au,
So suchten sie die Linden
Mit ihren linden Winden,
Daß ihnen dort die sanfte Kühle
Wohlig Brust und Herz umspüle.
Da wurden Aug' und Sinn gestillt.
Wie war der Schatten süß und mild
Von Lindengrün und Lindenduft;
Wie hauchte die erfrischte Luft
In diesen Schatten so gelinde!
Auch war der Ruhesitz der Linde
Von Gras und Blumen weich und kühl,
Der bestgewirkte Rasenpfühl,
Den eine Linde je gewann.

Dort saßen sie und sahn sich an
Und sprachen liebverbunden
Von fernen Liebeskunden,
Von Herzen, die vor alter Zeit
Vergingen in der Liebe Leid.
Sie redeten und sagten,
Sie trauerten und klagten
Um Phyllis und ihr sehnend Weh,
Und was die arme Kanace
Ward einst von Qualen inne
Und Byblis, die aus Minne
Zu ihrem Bruder schwand dahin,
Und was der schönen Königin
Von Tyrus und Sidone,
Der sehnenden Didone,
Im Liebesjammer einst geschah.
Mit solchen Mären kürzten da
Die beiden manche Stunde.

Wenn sie mit solcher Kunde
Ersättigt hatten Herz und Sinn,
So gingen sie zur Klause hin
Und setzten dort sich wieder
Zu neuer Kurzweil nieder:
Sie ließen hell erklingen
Ihr Harfen und ihr Singen
Mit sehnlich süßer Melodie.
In holdem Wechsel mühten sie
Hand und Mund mit Spiel und Wort.
Sie harften und sie sangen dort
Klang und Sang der Minne
Und wandelten darinne
Ihr Wonnespiel, wie's eben kam.
Wenn eines da die Harfe nahm,
So war dann stets des andern Brauch,
Daß es mit sehnend sanftem Hauch
Die süße Liebesweise sang.
Da stimmte Sang und Harfenklang,
Wenn beide sich verschlangen
Und ineinander klangen,
So süß im Felsenhause,
Daß es mit Fug die Klause
Der süßen Minne war genannt,
La fossiur' a la gent amant.

Doch was in alten Mären
Man von des Hauses Ehren
Und seinen Freuden hörte sagen,
Ward erst bewährt in diesen Tagen.
Die Herrin, der es längst geweiht,
Die hat es erst in dieser Zeit
Zum wahren Lusthaus sich ersehn,
Und was zuvor darin geschehn
Von Kurzweil oder Liebesspiel,
Das reichte nicht an dieses Ziel;
Das kam fürwahr von Anbeginn
Nicht aus so reinem lautrem Sinn,
Als ihrer Freuden Quelle war.
Nie lebte je ein liebend Paar
Mit Minne schönre Stunden.
Sie übten ungebunden,
Wozu des Herzens Wunsch sie trug.

Noch gab es Zeitvertreib genug,
Den sie am Tag begannen:
Oft ritten sie von dannen
Mit ihrer Armbrust, nach Geflügel
Zu birschen über Thal und Hügel.
Sie freuten sich zu Zeiten,
Dem Rotwild nachzureiten
Mit Hudan, ihrem treuen Hund.
Dem war bis da nichts andres kund
Als laute Jagd in Feld und Wald;
Nun aber hatte Tristan bald
Ihm eingelernt, beim Birschen
Nach Rehen und nach Hirschen
Und aller Art von Wilde
Durch Wald und durch Gefilde
Zu spüren und zu jagen
Und doch nicht anzuschlagen.
So ging manch froher Tag dahin;
Doch nicht nach Beute stand ihr Sinn:
Zur Kurzweil ritt das Paar von Haus.
Mit Hund und Armbrust zog es aus
Viel mehr aus Lust am grünen Wald
Als zu des Leibes Unterhalt;
Um freudig sich zu regen,
Und nicht der Speise wegen.
Ihr ganzes Thun in dieser Zeit
War nur des Herzens Wunsch geweiht,
Und alles, was sie trieben,
Was freiestes Belieben.
(S. 362-377)
_____

Aus: Tristan und Isolde von Gottfried von Straßburg
Neu bearbeitet von Wilhelm Hertz [1835-1902]
Dritte Auflage Stuttgart und Berlin 1901
J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger


 

 


 

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