Orientalischer Liebesgarten
(Ausgewählte Gedichte)
 

(c) Karin Jung pixelio.de
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Mir Muhammad Husain


Abschied in der Nacht

Nimmer werd' ich sie vergessen
Die geliebte holde Maid,
Die zu mir in's Zelt gekommen,
Mit umsicht'ger Schüchternheit.

Schwer auf ihren Augenlidern
Hat der Schlaf sich ausgestreckt,
Und es klopft ihr Herz im Busen,
Von der bangen Furcht erschreckt.

Ihres Stammes Drachen sehend,
Hat sie leise sich bewegt,
Und behend' vorüberschlüpfend,
Alles Zagen abgelegt.

Auch die Ringe, die ihr Füsschen
Zierten, hat sie abgestreift,
Dass, von ihrem Klang verrathen,
Nicht das Unglück sie ergreift.

Sie beklagte tief das Dunkel
Ihres Weges in der Nacht,
Das vor ihrem Blick verhüllte
Holden Morgensternes Pracht.

Denn des Mondes Augenlider
Hat in dieser finstren Nacht
Ganz und gar des Dunkels Pulver
Unauslöschlich schwarz gemacht.

Eine Nacht, in der die Wolken,
Gleich Kameelen, auf der Bahn
Mit weit aufgeriss'nen Augen
Ängstlich nach den Sternen sah'n:

Während rings des Himmels Augen,
Durch den ganzen, weiten Raum,
Ausgegossen bitt're Thränen
An des Horizontes Saum.

Seine glänzend weissen Zähne
Hat der rasche Blitz gezeigt,
Vor Erstaunen ob dem Wechsel,
Der das Firmament erreicht.

Und des Donners wildes Rollen,
Das sich um die Klippen drängt,
Hat der tauben Felsen Ohren
Fast mit seiner Kraft gesprengt.

Sehnsuchtsvoll mich zu umfangen
In der Gegenliebe Glück,
Drängte sie doch, sanft erröthend,
Mich aus ihrem Arm zurück.

Ihrer Seufzer schweres Athmen,
Als sie liebend mit mir sprach,
Rief in meinem tiefsten Herzen
Längst erlosch'ne Flammen wach.

Unversieglich quoll der Worte
Strom hervor aus ihrer Brust,
Denn sie tadelte voll Liebe
Meine ew'ge Reiselust.

"Du hast mich mit Leid erfüllet,"
- Redet sie in ihrem Schmerz -
"Und es ist durch dich geschmolzen
Mir in meiner Brust das Herz.

Die dich liebt, hast du verrathen,
Und du liebst, wer dich verrieth,
Da dein Fuss von Land zu Lande
Irrt und festen Wohnsitz flieht.

Oftmals tragen dich die Wogen
Auf dem weiten, wilden Meer,
Und dann wieder musst du streifen
Rastlos am Gestad umher.

Welch and're Frucht, als Mühe,
Welcher Lohn, als Unbestand.
Kann dir werden von dem Ziehen
Durch das ferne fremde Land?

Hast du dich der Antilope
In der Wüste zugetheilt
Und dein zahmes Reh vergessen,
Das in deiner Heimath weilt?

Bist du uns'rer Nähe müde,
Dass es dich zur Fremde zieht?
Wehe dem, der vor den Seinen,
Die so treu ihn lieben, flieht! -

Willst du nimmer Mitleid fühlen
Mit dem armen Herzen mein,
Das sich stets nach Troste sehnet
Und stets ohne Trost muss sein?"

(übersetzt von Oskar Ludwig Bernard Wolff 1799-1851)


 

 

Gedicht aus: Der poetische Orient
in metrischen Übersetzungen deutscher Dichter
mit Einleitungen und Anmerkungen
herausgegeben von Heinrich Jolowicz [1816-1875]
Zweite veränderte Ausgabe Leipzig
Verlag von Otto Wigand 1856 (S. 427-428)

 

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