Odilon Redon (1840-1916)
Geburt der Venus |
Oswald Marbach
(1810-1890)
Die Liebe hat die Welt geboren
Die Liebe hat die Welt geboren,
Und sie gebiert sie täglich neu;
Sie hat aus Nichts das All' beschworen
Und hält's in Armen stet und treu.
Sie spendet Licht und spendet Leben,
Sie hat die Nacht zu Tag erhellt;
Sie lohnet jedes edle Streben
Und segnet die beglückte Welt. -
Jungfräulich reine Himmelsblüte,
Des Weltalls holde Schöpferin!
Barmherzig, mild und voller Güte,
Bist Mutter du und Königin!
Was krank, das machest du genesen,
Was todt, das machst du auferstehn.
Wer dich erwählt, wen du erlesen,
Wird nicht in Ewigkeit vergehn.
Der Sehnsucht Weh ergreift die Herzen,
Die fühlend du erschaffen hast;
Zur Rettung werden herbe Schmerzen,
Zu lauter Lust wird Kummers Last.
Vom Auge fällt der Täuschung Binde,
Der Wahn des Todes und der Zeit,
Und um sich schaut geheilt der Blinde,
Im lautern Licht der Ewigkeit.
Da steht ringsum vor seinen Blicken
Die Welt in voller Blütenpracht -
Er ist - o seliges Entzücken -
In ew'ger Liebe Lenz erwacht!
Aus: Fünfzig Jahre
Deutscher Dichtung
Mit biographisch-kritischen Einleitungen
herausgegeben von Adolf Stern
Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage
Leipzig Verlag von Ed. Wartig 1877 (S. 478)
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