Romantischer Garten

unbekannte bzw. vergessene
deutsche Dichter und Dichterinnen des 19. Jh.s
 


George Bellows (1882-1925)
Lucie



Carl Benoni Justinus Hunnius
(1856-1931)


Liebesfrühling

O ihr Tage der Wonne!
Es blüht geheimnißvoll der Wald,
Die Vögel jubeln und singen. -
Auf weiten, sammetgrünen Wiesen
Glänzen Millionen Blumen, -
So schön, so wunderlieblich ist die Welt!
Laß uns, Geliebte meiner Seele,
Hier im abendlich dunklen Fichtendome,
Träumend im Rausch des Glücks, die bunte
Bilderschrift des Lebens vergessen.
Denn nur einmal, einmal nur
Küßt der Lenz der Liebe
Brennende Thränen der Schwermuth
Vom Menschenauge! -
O nur einmal
Schließt sich in wonniger Liebesumarmung
Golden der Ring des Lebens!

Einmal nur berührt die Tochter des Himmels,
Flammende Morgenröthe, unser
Trunknes Haupt -
Laß uns leben und lieben!
Fern vom Gewühle des sausenden Tages
Lebt die Seele vom feuchten Thauglanz
Seliger Augen
Und vom Liebesgeflüster
Berauschter Lippen.
O Geliebte, wie ist das Leben schön,
Traumhaft schön!
Unsere Liebe selber ist Gott,
Neugebärend aus ihrem reichen Schooße
Schafft sie die neue Welt,
Das tausendjährige Wunderreich der Liebe
Lebt strahlend auf in unsern Herzen -
Laß uns leben und - lieben!
(S. 266)
_____


Flammen

Ein seelenvolles Auge war es,
Das mich mit scheuem Glanz gestreift,
Die Stromfluth eines goldnen Haares,
Das nun durch meine Nächte schweift:
Was Wunder, wenn mein Arm im Traume
Nach eines Kleides flücht'gem Saume
Nun fiebernd wie ein Trunkner greift!
O Liebessehnen, wunderbares! -
Ein seelenvolles Auge war es,
Das mich mit scheuem Glanz gestreift!
(S. 266)
_____


Campanula patula

Auf der blühenden Wiese
Unter den anderen Blumen
Bist du die lieblichste doch,
Blaue Campanula!

In dem strahlenden Morgen,
Welcher mit hellen Tropfen,
Leise den Kelch dir benetzt,
Wiegst Du dein zartes Haupt.

Längst geschwundene Zeiten
Rufst du mir in's Gedächtniß,
Wo ich in Wolken von Duft
Einsam im Grase lag.

Ueber mir blauender Himmel,
Jubelnde Lerchentöne,
Träumendes Bienengesumm
Rings in dem warmen Kraut.

Wie auf Schmetterlingsschwingen
Naht dem geschlossenen Lide
Unbezwingbar und sacht
Selige Müdigkeit.

Und im Traume da schau ich
Augen so blau, wie Blumen,
Wie ein Geheimniß so still
Und auch so räthseltief.

Doch erwacht aus dem Schlummer
Seh' ich nur dich im Winde
Leise bewegen das Haupt
Blaue Campanula!
(S. 267)
_____

Aus: Das Baltische Dichterbuch
Eine Auswahl deutscher Dichtungen
aus den Baltischen Provinzen Rußlands
herausgegeben von Jeannot Emil Freiherrn von Grotthuß
Zweite durchgesehene und bearbeitete Auflage
Reval Verlag von Franz Kluge 1895




 

zurück zur Übersicht

zurück zur Startseite