Jan Styka (1858-1925)
An der Quelle |
Ludwig von Osten (Ludwig von Jessen)
(1828-1888)
Frauenschmuck
Aus des Meeres lockender Tiefe empor,
Aus des Berges geheimem Geklüfte,
Aus der Pflanzenwelt, aus der Thiere Chor,
Aus dem klangvollen Reiche der Lüfte -
Heischt der Mann mit Künsten, mit List und Gewalt
Zur Zierde holdseliger Frauen
Die Schätze der Erde: die schöne Gestalt
Verherrlicht im Schmucke zu schauen! ...
Doch was ihr der Himmel an Reizen verlieh,
Das hatte schon Eva zu eigen,
Und schmucklos ließ auch der Grieche sie
Als Venus den Fluthen entsteigen.
(S. 303)
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Die Lehre der Sufi
Sag' mir, was wahrt dem Körper die gestalt,
Daß er nicht in Atome neu zerstiebe?
Wie trotzt er der zerstörenden Gewalt?
- Ihn bildete und unterhält die Liebe! -
Sag', was den Mond die Erd' umfliegen heißt,
Was giebt dem Sonnenreiche sein Getriebe,
Daß jeder Ball die Leuchte treu umkreißt?
- Das ist der unsichtbare Zug der Liebe! -
Die Menschen sind so schlecht. Doch lieber todt,
Als daß ich fern von ihnen einsam bliebe!
Was ist dies mächtig zwingende Gebot?
- Es ist das heilige der Menschenliebe! -
Und dennoch trennt ein ungemess'ner Raum
Die Stern' und Sonnen, und wir Menschen fliehen
Einander doch! ... Ein nie erfüllter Traum
Nur spricht von liebesel'gen Harmonien.
- Ja, wenn allein die Liebe thätig wär',
Dann stürzten aus den gottgesetzten Wegen
Die Sonnen alle und der Sterne Heer
Zerstörend und vernichtend sich entgegen.
Gott ist die Liebe, die Vernunft zugleich;
In beiden ruht der große Weltgedanken: -
Die Liebe schafft und schafft im ew'gen Reich,
Und dem Geschaff'nen setzt Vernunft die Schranke! -
(S. 303-304)
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Aus: Das Baltische Dichterbuch
Eine Auswahl deutscher Dichtungen
aus den Baltischen Provinzen Rußlands
herausgegeben von Jeannot Emil Freiherrn von Grotthuß
Zweite durchgesehene und bearbeitete Auflage
Reval Verlag von Franz Kluge 1895
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