Romantischer Garten

unbekannte bzw. vergessene
deutsche Dichter und Dichterinnen des 19. Jh.s
 


George Frederic Watts (1817-1904)
Eveleen Tennant



Karl Ludwig Blum
(1796-1869)


Der Spatz in den Schoten

Jeder Mensch hat seine Moden,
Jedes Thier hat seinen Brauch,
Spatzen lieben sich die Schoten,
Schoten lieb' ich eben auch.

Steht mein Lieb' doch mitten drinnen,
Ihre Schürze knapp gefaßt,
Und sie wiegt mit klugem Sinnen
Die gebroch'ne reiche Last.

Leise schleich' ich und verstohlen
Loser Vogel mich hinein,
Möchte gern mir selbst was holen,
Sollt' es auch ein Blick nur sein.

Und mein Liebchen pflückt, ich pflücke,
Nah' und näher ihr gewandt,
Ach! statt Schoten aber drücke,
Preß' ich ihr die zarte Hand!

Schreie nicht! dies ist die Schote,
Die der Liebe Zauber hält;
Und dein Blick wird mir ein Bote,
Daß der Scherz dir wohlgefällt!

Halt ihn fest, den Vogel, Süße,
Der in deine Schoten schleicht;
Bann' ihn hin vor deine Füße,
Bis ein Kuß dir Lösung reicht.
(S. 271-272)
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Himmelsfriede

Hast du's vermocht je, ganz dich hinzugeben?
Dein Selbst der Lieb' als Opfer darzubringen?
Hast du's empfunden das geheime Weben,
Mit dem zwei Seelen sich zu fesseln ringen?

Hast du's gefühlt, wie zwei Gemüther streben,
Mit heil'ger Gluth einander zu durchdringen?
Hat dich's durchzuckt der Liebe Wonnebeben,
Mit dem zwei Herzen an einander klingen?

Ich hab's erkannt, und auf die Seele nieder
Senkt Himmelsfriede lächelnd sein Gefieder.
(S. 272-273)
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Liebe, die Königin der Welt

Kommt Leid, so glaubt kein Mensch es zu ertragen,
Er trägt's, doch stößt es aus in bittern Klagen.
Es giebt ein Leid, das trüg' ich freudig immer,
Doch welch' ein Leid? das möge Keiner fragen.
Es ist nicht Durst - den könnte Wein mir stillen;
Doch durst' ich bei den reichlichsten Gelagen.
Nicht Hunger ist's - doch möcht' ich schier verhungern,
Beut auch ein voller Tisch mir voll Behagen.
Es ist nicht Fieber, doch, durchglüht's die Glieder,
So fühl' ich doppelt schnell den Pulsschlag jagen.
O Durst! versengtest du mir nicht die Adern,
Wie sollt' ich Nektartrank zu schlürfen wagen?
Und Hunger, ras'test du nicht im Gebeine,
Was sollte sonst nach Himmelskost mich tragen?
Und brannte Fieber mir nicht tief im Herzen,
Das Herz, wie würd' es frieren, würde zagen!
Durst, Fieber, Hunger, heißt, wie Jeder wolle!
Ich will dafür euch bess're Worte sagen.
Was will Pein, Jammer, Gram, der Seele Schatten,
Wo Himmelsstrahlen in die Flucht sie schlagen?
Zwei Augen sind die Strahlen! wo die scheinen,
Da muß es gleich zum Paradiese tagen;
Das Herz das Paradies, das Licht die Liebe,
Die durch die Welt zieht auf dem Liebeswagen;
Das Licht der Liebe, die zu Lust und Wonnen
Auf Erden umschafft alle Pein und Plagen.
(S. 273-274)
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Aus: Deutsche Dichter in Rußland
Studien zur Literaturgeschichte
Von Jegor von Sivers
Berlin Verlag von E. H. Schroeder 1855



 

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