Romantischer Garten

unbekannte bzw. vergessene
deutsche Dichter und Dichterinnen des 19. Jh.s
 


George Bellows (1882-1925)
Geraldine Lee No. 2



Carl von Stern
(1819-1874)


Wenn ich's nur wüßte!

Mein schönes Lieb am Fenster stand,
Neigt sich hinaus in Nacht;
Ich lehnt' im Dunkel an der Wand
Und hab' sie still bewacht.

Da draußen in dem Garten
Die Blumen steh'n in Ruh',
Der Tannen dunkle Warten
Streben dem Himmel zu.

Am Himmel die hellen Sterne,
Die halten stille Rast:
O Lieb, mein Lieb wie gerne
Hätt' ich dich da umfaßt! -

Ein sehnsüchtiges Hauchen
Geht durch den Erdenraum,
Wohl aus der Liebsten tauchen
Gebete jetzt, wie Traum.

O mögen die Gedanken,
Die tief in mir erglüh'n,
Sich in die Träume ranken,
Die leise dich umblüh'n! -

Ich that mich zu ihr neigen
Und lauschte still und lang
In's ahnungvolle Schweigen:
Da ward zu heiß der Drang!

Wenn ich bestimmt nur wüßte,
Ob sie nicht ward gewahr,
Wie ich sie leise küßte
Auf's dunkellockige Haar! -
(S. 514-515)
_____


Auf der Reise

In Nacht Gewitterwolken geh'n,
Die schnellen, dunklen, fernen;
Der Mond sieht von den stillen Höh'n
Mit Liebchens Augensternen.

Im Walde rauscht's, wie Märchenpracht,
Durch dunkelgrüne Hallen,
Da singen durch die ganze Nacht
Träum'risch die Nachtigallen.

Ein leiser Regenschauer fällt
In einzeln großen Tropfen:
Fast hörst du jetzt das Herz der Welt
In stiller Mainacht klopfen! -

Jenseit der Berge, in dem Thal,
Zuckt fernes Wetterleuchten;
So flüchtig manchmal in dem Strahl
Die tiefen Gründe leuchten.

Ich rausche fröhlich durch die Nacht,
Eine junge, feurige Welle!
Es leuchtet tief in mir voll Pracht
Ihr liebes Bild, so helle! -

So mag wohl aus dem klaren See
Bei Wind und Waldesrauschen
Und Mondenschein die schöne Fee
Empor vom Grunde lauschen. -
(S. 515-516)
_____


Ständchen aus der Ferne

Feld und Wald und Berge ruh'n,
Gottes Frieden waltet nun;
Schlummersegen streut auf's Land
Unsichtbare Geisterhand. -

Droben steht ein heller Stern,
Ach, wie du, so lieb und fern,
Und sein reines, weißes Licht
Auch in deine Kammer bricht! -

Du in deinem Kämmerlein
Faltest jetzt die Hände klein,
Und dein kindliches Gebet
Grade in den Himmel geht.

Stern am Himmel, gieb nur Acht
Auf mein Lieb die ganze Nacht!
Will ein Unglück finster dräu'n,
Send' ihr gleich die Engelein. -

Gott, sei du recht hold und lind,
Nimm in deine Hut mein Kind;
Halt es recht im eig'nen Arm,
Jede andre Kraft ist arm!

Und soll ja ein Unglück sein,
Ich stell mich als Träger ein;
Sie ist gar zu fein und zart,
Rauhgewohnt ist meine Art! -

Bäumchen regt im Wind die Aest',
Vöglein sitzt im warmen Nest,
Vöglein regt sich kaum, und singt,
Daß es wie ein Märchen klingt.

Wachtel lockt mit hellem Laut
Ihre Kindlein in dem Kraut,
Liebe Gottes sorgt und wacht:
Schlaf, o Lieb, in finst'rer Nacht! -

Und was ich jetzt hab' gedacht
Schwebe durch die stille Nacht
Als ein feiner, reiner Traum
Bis an ihres Bettleins Saum! -
(S. 516-518)
_____

Aus: Deutsche Dichter in Rußland
Studien zur Literaturgeschichte
Von Jegor von Sivers
Berlin Verlag von E. H. Schroeder 1855




 

zurück zur Übersicht

zurück zur Startseite