Romantischer Garten

unbekannte bzw. vergessene
deutsche Dichter und Dichterinnen des 19. Jh.s
 


Luis Ricardo Falero (1851-1896)
Eine orientalische Schönheit



Ludolf Gottfried Schley
(1798-1859)


Liebes-Zauber

Wer von den Lippen der Camönen
Des Bundes Weihekuß empfing,
Und froh geweiht dem Dienst des Schönen
Betritt der Dichtung Zauberring,
An dem die siebenfarb'ge Brücke
Der Phantasie vorüberstreift,
Und, sichtbar jedem Seherblicke,
Die Frucht der Hesperide reift:

Der darf nicht wieder sich beklagen,
Daß ihn das Leben von sich stieß,
Nicht trauern in der Blüthe Tagen
Um sein verlor'nes Paradies.
Ihm blieb, sein Dasein zu verschönen,
Des Liedes ungetrübte Lust,
Denn Edens Nachtigallen tönen
Noch heute rein aus seiner Brust.

Befreit vom Zwange ird'scher Dinge
Hebt er sich über Meer und Land,
Er nimmt das Morgenroth zur Schwinge,
Die Frühlingswolke zum Gewand.
Des Daseins enggezog'ne Schranken,
Er überfliegt sie leicht und weit,
Und frei im Reiche der Gedanken
Herrscht er mit sich'rer Mündigkeit.

Und unter ihm erblüht das Leben,
Wie in der Liebe Arm die Braut,
Denn sein Gefühl, sein Hang, sein Streben
Wird Leben selbst durch Bild und Laut.
Der Frühlingshauch in seiner Seele
Zieht Rosen auf der ärmsten Flur,
Und seiner Lieder Philomele
Belebt die ödeste Natur.

Fern ist darum ihm auch die Klage
Der Sehnsucht, die sich nie erfüllt,
Fremd ewig ihm die dunkle Sage
Von Thränen, die ein Lied nicht stillt.
Sein Sehnen gleicht dem mächt'gen Strome,
Der Lasten trägt und zielwärts strebt,
Sein Klagen - Orgelklang im Dome,
Der über theure Gräber schwebt.

Rinnt ihm auf seinen Erdenwegen
Doch ein geweihter Quell voran,
Aus dessen Flut er Licht und Segen
Und Jugendfrische schöpfen kann!
Für jeden Schmerz, für jedes Sehnen
Schließt er den Labetrank ihm ein,
Denn nicht die Welt mit ihren Thränen
Des Himmels Thau nährt ihn allein.

So schöpft denn froh aus dieser Welle
Ihr, die des Trankes würdig seid,
Und mit des Geistes klarer Helle
Erleuchtet unsre trübe Zeit:
Bewahrt in heitern Phantasieen
Euch ungestört ein schuldlos Glück,
Und wenn einst Lenz und Liebe fliehen,
So führt im Liede sie zurück.

Aus: Deutsche Dichter in Rußland
Studien zur Literaturgeschichte
Von Jegor von Sivers
Berlin Verlag von E. H. Schroeder 1855 (S. 670-672)
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