Romantischer Garten

unbekannte bzw. vergessene
deutsche Dichter und Dichterinnen des 19. Jh.s
 


Alice Pike Barney (1857-1931)
Lunar



Max Gregor Cambecq
(1828-1856)


Die Erlenmaid

I.
Die Blumen duften, der Waldbach rauscht,
Es tönet lockende Melodei;
Der Ritter hält am Quell und lauscht
Dem Lied der schönen Erlenfei.

Er lauscht von süßem Weh erfüllt
Den Tönen lockend wunderbar.
Sie reicht, von Blüthen bunt umhüllt,
Die Muschel ihm zum Trunke dar.

"Du schöne Maid, Dein Sang entzückt,
Noch nie Vernommnes thust Du kund -
Den Mund, der mir mein Ohr berückt,
Laß küssen mich den lieben Mund!"

Er zieht die Maid an seine Brust -
Ihr Auge flammt, ihre Wangen glüh'n,
Sie schaut ihn an mit wilder Lust -
Es lockt das dunkle Waldesgrün.

"Du hast geküßt mich auf den Mund,
Nun muß mich tragen Dein wildes Roß;
Schaust Du dort fern den Erlengrund,
Dort ist mein Land, da ragt mein Schloß!"


II.
Der Abend ist kalt, die Luft ist schwer,
Im Thale schwanket Nebelgebild,
Die Wolken ziehen langsam einher
Wie Grabesgeister in Trauer gehüllt.

"Mein Lieb, wo ist Dein Ahnenschloß?
Ja schau' nur Erlen und alt Gestein -
Geliebter schon naht der Dienertroß,
Siehst Du dort ferne Fackelschein? -

"Ich schau nur Erlen, der Nebel schwankt -
Nur Irrlichtschimmer, Du bleiche Maid -
Mein Roß ist müde, der Boden wankt,
Die Nacht ist kalt, Dein Schloß ist weit.

"Mein Schloß ist nahe, d'rum schwankt der Grund,
Siehst Du dort ferne den Runenstein?
Du hast mich geküßt auf den bleichen Mund,
Du mußt nun mit, Du bist nun mein!"

Der Waldbach rauscht, die Wolken zieh'n,
Den Ritter graut es vor der Maid.
Aus ihren Armen ist kein Entflieh'n,
Die Nacht ist kalt, der Weg ist weit.

Ihr Auge flammt, ihre Wang' ist erblaßt -
Ihr Lachen schallt durch den stillen Hain.
Sie hat ihn mit wildem Verlangen umfaßt:
"Du mußt nun mit, Du bist nun mein!"
(S. 33-35)
_____


Lang geträumt

Spät noch sitz' ich mit dem Liebchen
An dem Fenster, niedrig klein,
In das alte traute Stübchen
Dringt des Mondes Silberschein;

Irrlicht hüpft zur Geisterstunde,
Wo die Erle einsam steht -
Nebelbild schwankt in dem Grunde,
Wo das Mühlrad rauschend geht.

Liebchen fürchtet die Gespenster,
Birke rauscht im Abendwind -
Klopfet an das lose Fenster,
Schreckt das liebe bange Kind.

Bunte schöne Bilder ziehen
Durch der Liebe süßen Traum.
Jahre kommen, Jahre fliehen
Und wir merken's beide kaum.

Maiennacht im Rosenschimmer
Locket in den kühlen Hain -
Blumenduft und Sterngeflimmer
Zieh'n in uns're Hütte ein.

Wieder sitz' ich in dem Stübchen
An dem Fenster niedrig klein.
Vor mir sitzt mein treues Liebchen -
Nun ein altes Mütterlein.

Ist die Zeit so rasch entwichen?
Mich erfaßt ein eigen Weh -
Liebchens Wangen sind erblichen,
Liebchens Haar ist weiß wie Schnee.

Ist es denn so spät mein Liebchen,
Haben wir so lang gesäumt?
In dem kleinen trauten Stübchen
Haben wir so lang geträumt?
(S. 35-36)
_____

Aus: Literarisches Taschenbuch der Deutschen in Rußland
Herausgegeben von Jegor von Sivers
Riga Verlag von N. Kymmel 1858



 

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