Alfred Chalon (1780-1860)
Mädchen einen Brief lesend |
Martin Anton Niendorf
(1826-1878)
Die müssen beide für einander sein
Wo ich zwei Bäume sah, mit ihren Zweigen
So hold verschränkt und still vertraut und nah',
Wo ich zwei Wölkchen mit des Tages Neigen
Am Abendhimmel rot erglühen sah,
Wo ich zwei Glocken hört' harmonisch klingen,
Zwei Vöglein locken hört' im stillen Hain;
Da mußt' ich stets mit Meister Goethe singen:
Die müssen beide für einander sein.
Und wir, wir wandelten zum Lindenpaare -
Zwei Wölkchen glühten über'm Laubengang,
Zwei Glocken summten durch die Luft, die klare,
Zwei Finken schmetterten im Wechselsang.
Du warest still zur Rasenbank gesunken
Und ich umschlang so kühn den Nacken Dein -
Wie zornig warst Du! Doch ich jauchzte trunken:
Wir müssen beide für einander sein!
(S. 587-588)
_____
Ein Lied, ein Lied!
Zu diesen Liedern nun voll Qual
Ein Lied im Lerchenschlage!
Ein Tropfen Tau, ein Sonnenstrahl
Und eine süße Frage!
Ein Lied, ein Lied, ein Lächelhauch
Und eine Thrän' im hellen Aug'!
Das wär' ein Lied, zu senden Dir
An diesem Frühlingstage.
Denn Du bist mein und ich bin Dein!
O Gott, wie alte Klänge!
Und dennoch für der Liebe Pein
Der schönste der Refraine!
O Du bist mein und ich bin Dein!
Wo will dies Lied zu Ende sein,
So lang die Sehnsucht, ach, so gern
Um Deinen Hals sich schlänge?
So fliege, wie Du bist, für mich,
Mein Lied, zu ihr mit Grüßen,
Auf ihren Nähtisch lege Dich,
Oder zu ihren Füßen
Und sing' und sag' ihr süß, statt mein:
O Du bist mein und ich bin Dein!
Und küss' ihr Aug' und Mund - fürwahr,
Ich wollt's für Dich genießen.
(S. 588-589)
_____
Aus: Deutsche Lyriker seit 1850
Mit einer litterar-historischen Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen
Herausgegeben von Dr. Emil Kneschke
Siebente Auflage Leipzig Verlag von Th. Knaur 1887
|