Romantischer Garten

unbekannte bzw. vergessene
deutsche Dichter und Dichterinnen des 19. Jh.s
 


Jules Joseph Levebvre (1836-1911)
Lia
 



Friedrich Spielhagen
(1829-1911)


Nie, seit der wunderbaren heil'gen Stunde

Nie, seit der wunderbaren heil'gen Stunde,
Die Milton's hoher Genius besang,
Als von des ersten Menschen reinem Munde
Das erste süße Wort der Liebe klang, -
Und alle Vöglein sangens in der Runde,
Und jedes Blümlein aus der Knospe sprang -
Nie ist ein Weib auf Erden je erschienen,
Dem, so wie Dir, die Engel sichtbar dienen.

O, Du bist lieb! lieb, wie der Gott der Träume,
Der uns Vergessenheit der Schmerzen bringt,
So hold, wie Mondschein, der durch Blüthenbäume
In unser lauschig dunkles Zimmer dringt -
Süß, wie Dein Sang, der durch die stillen Räume
In tiefer Nacht zu mir herüberklingt -
Du bist so schön, daß man wie sie Dich nannte,
Für die der Krieg um Troja einst entbrannte.

Geheimnißvolle hehre Macht des Schönen!
Als unser Heiland bist Du uns gesandt.
Du sollst uns wieder mit uns selbst versöhnen,
Die wir zu stürmisch durch die Welt gerannt;
Und wie mit seiner Harfe gold'nen Tönen,
Isai's Sohn des Saulus Weh gebannt,
So wird aus Deinen liebetiefen Augen
Manch' düstrer Blick sich Licht und Hoffnung saugen.

Aus Deinen holden Augen! wo sie strahlen
In ihrer dunklen, märchenhaften Pracht,
Da sind vergessen alle Erdenqualen,
Da wird es hell in tiefster Leidensnacht,
Wo sie erglänzen, wird in kummerfahlen,
Gesenkten Stirnen Leben neu entfacht -
In müden Pilgern, die in allen Landen
Die blaue Blume suchten und nicht fanden.

O Blume, Mädchen! nie leg ab die Krone,
Die jetzt auf Deinem jungen Haupte ruht,
Gieb nimmer Raum dem frevelhaften Hohne,
Daß, was so engelschön, nicht engelgut!
Wie heute stets, in heil'ger Unschuld, wohne,
In aller guten Geister treuer Hut,
Auf daß getrost in trüber Erdenferne
Verirrte Wand'rer folgen Deinem Sterne ...
(S. 922-923)
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Allmächtige Liebe

Am Meeresstrande bin ich heut gestanden
Und sah' im Sturme nah berghohe Wogen,
Die weißen Kämme gierig vorgebogen,
Als wollten diesmal sie für immer landen.

Und wie sie donnernd an das Ufer branden,
Da ist die Kraft, da ist der Muth verflogen;
Von Allmachtsarmen heimatwärts gezogen,
Ruhn sie gesänftigt in den alten Banden.

So trieb es mich von dir in diese Ferne,
Als hielte sie im Zauberring umschlossen,
Ein traumerschautes, heiß ersehntes Glück.

Doch ohne Dich, was sind mir andre Sterne!
Ich wende mich von ihnen ab verdrossen,
Und all' mein Sehnen strömt zu dir zurück.
(S. 923)
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Des Lebens Mai

"Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder",
So sprachst auch du in thränenreicher Stunde,
Doch heilt von selbst des Hirsches tiefe Wunde
Nach langer Dürre träuft der Regen nieder.

In jedem Lenz erschallen neue Lieder,
Es lauschen froh der wonnevollen Kunde
Die Felder und die Wälder in der Runde,
Die Veilchen sprießen, köstlich prangt der Flieder.

Und wenn in der Natur ein ewig Streben,
Zu überwinden Noth und Tod und Schmerzen,
Wähnst du, daß es mit dir ein andres sei?

O nimmermehr! Ein tausendfältig Leben
Regt glühend sich in deinem edlen Herzen,
Und jede Liebe ist "des Lebens Mai".
(S. 923)
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Noch diesen Kuß

Noch diesen Kuß, das letzte Liebeszeichen,
Dann sei's geschieden, kühn und ohne Wanken!
Das Weinen laß den Schwachen und den Kranken,
Wir wollen nicht, die Starken, uns erweichen.

Und was heißt Trennung, wenn hinüberreichen
Durch alle Fernen müh'los die Gedanken?
Und wenn statt süßen Weins wir Nektar tranken,
So dürfen wir uns kühn den Göttern gleichen.

Leb' wohl, Geliebte! Was die Ew'gen senden,
Wir müssen's ja mit festem Mut ertragen;
Es stirbt sich gut von ihren heil'gen Händen.

Wir aber wollen leben und nicht klagen;
Kann unsre Liebe ja doch nimmer enden
Und heißt der Menschen Schicksal doch: Entsagen!
(S. 924)
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Aus: Fünfzig Jahre Deutscher Dichtung
Mit biographisch-kritischen Einleitungen
herausgegeben von Adolf Stern
Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage
Leipzig Verlag von Ed. Wartig 1877



 

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