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Charlotte Otth geb.
Wiedemann
(1774-1845)
Am Morgen
Im Osten glüht der Tag, der Blumen süße Düfte,
Sie loben Gott; hoch in des Himmels blaue Lüfte
Entführt die Lerche kühn ihr freudig wirbelnd Lied,
Zum Preise deß, der mild auf fromme Opfer sieht.
Der Morgenwind' erwachte Flügel frisch bewegen
Die Zweige, nieder wallt ein diamant'ner Regen;
Zum Tempel wird der Wald, der Bäume schlanke Schaar
Zu Säulen, laubumkränzt, die Erde zum Altar.
Und du, o Menschenkind! du wärest kalt geblieben,
Wenn sich das Lebenlose fühlt zum Dank getrieben?
O nein! du beugst dein Knie vor dem der alles schafft,
Du hebst dein staunend Aug' empor zum Thron der Kraft.
Der Andacht Thräne, die in deinen Blicken schimmert,
Glänzt freudiger als Thau, der von den Zweigen flimmert;
Der fromme Seufzer, der auf deiner Lippe glüht,
Gilt mehr als Blumenopferduft und Lerchenlied.
Zu Gottes Tempel hast du froh dein Herz bereitet,
Von Liebe, Dank und hoher Andachtsgluth geleitet:
Da wohnt sein heilig Bild, nicht Menschenhand entrückt,
Nein liebend von ihm selbst dir ewig eingedrückt.
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