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Karoline Rudolphi
(1754-1811)
Des Redlichen Gebet
Der junge Tag schwingt seine Rosenflügel
Um die Natur: die purpurrothen Hügel
Beglänzt der Morgensonne Strahl.
Ein leichter Neben deckt die hohen Eichen;
Lobsingend steigt aus niedrigen Gesträuchen
Die Lerche dort im Thal.
Auch ich lobsinge; frei von eiteln Sorgen,
Sing' ich dem Gott, der auch an jedem Morgen
Allgütig auf mich niedersieht.
O du, mein Schöpfer, sieh' die Freudenzähre
In meinem Blick; sie fließt zu deiner Ehre,
Und wird zum Wonnelied.
Gib mir ein Herz, in dem der stille Friede
Der Unschuld wohnt, und laß mich niemals müd
Zur Uebung meiner Pflichten sein!
Mein redliches Bemüh'n um wahre Tugend
Siehst du, o Gott! Dir will ich meine Jugend,
Mein ganzes Leben weih'n!
Verlaß mich nicht, wenn auch der Prüfung Leiden
Mich treffen; halte mir die bessern Freuden
Der aufgehellten Zukunft vor:
Getrost blickt dann mein Geist aus Labyrinthen,
Durch die sich traurig meine Schritte winden,
Zu deinem Thron empor.
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