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Julie Schuhardt
(1851-?)
Abendgedanken
Nun steigt im gold'nen Mondesnachen
Geheimnißvoll die Nacht herauf,
Die klaren Sterne, sie erwachen
Zum ewig abgemess'nen Lauf;
Und längst verklung'ne Sagen schweben
Empor vom Urgrund alles Seins, –
Der Traum vermählt sich mit dem Leben,
Die Wahrheit mit dem Reich des Scheins.
O, welch ein räthselvolles Fluthen
Im All und in der Seele Grund!
Des Tag's gedämpfte Farbengluthen
Sie spiegeln sich in Träumen bunt;
Und wie im Hain die Wipfel schwanken,
Wie geisterhaft die Wolken zieh'n,
So wandern fernhin die Gedanken,
So wogt das Meer der Phantasie'n.
Woher ich kam? – Wohin ich gehe? –
Wer gab dies Sehnen meiner Brust,
Das jetzt zur Erde sinkt voll Wehe,
Jetzt aufwärts schwebt in Himmelslust?
Woher zu jenen Sternenweiten,
Zum höchsten Ziel der heiße Drang?
Erreich' ich's je? – Wer wird mich leiten?
Wer lenkt der irren Seele Gang?
O, suche nur, mein Geist, und ringe
Nach Aufschluß in des Lebens Nacht!
O tauch' hinab zum Quell der Dinge,
Zu dunkler Räthsel tiefstem Schacht!
Doch lies in lichten Sternenzügen,
Was Balsam tief in's Herz dir flößt:
Dereinst wird sel'ge Klarheit siegen,
Und jeder Zweifel wird gelöst!
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