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Annette von
Droste-Hülshoff
(1797-1848)
Gute Meinung am Morgen
Der Morgenstrahl steht auf dem Thal,
Die Nebel ziehen drunter her,
Und auf der Au liegt still der Thau,
Wie Perlen in dem weißen Meer.
Wie ich nun Alles recht beschaut,
Da wird es klar mir im Gemüthe,
Daß Alles nur ein Wort, ein Laut,
O Gott, von deiner Lieb' und Güte!
Der Erde Pracht hast du gemacht,
Für mich, dein ungetreues Kind,
Und den Azur, die Abendflur,
Für mich den sanften Morgenwind.
Ach, alle Worte sind zu schwach,
Um deine Liebe zu verkünden,
Und dennoch läßt mein Streben nach
Und jeder Tag sieht mich in Sünden.
Herr, steh' mir bei, da du auf's Neu
Mir wieder einen Tag verlieh'n;
Der Geist ist wach, das Fleisch ist schwach
Und ohne Frucht ist mein Bemüh'n.
Doch deine Hand ist stark und fest,
Will ich nur willig sie umfassen.
Ach, wer dich, Herr, nicht selber läßt,
Den hast du nimmermehr verlassen.
O Herr, wenn oft und unverhofft
Mich kleine Kränkungen bedroh'n,
Sei mein Gesicht zu dir gericht',
Und mein Gedanke sei dein Sohn!
Ach, manches Leiden groß und schwer
Gabst du mir Gnade zu besiegen,
Und vor der kleinen Sorgen Heer
Soll meine Stärke unterliegen?
Herr, mich befrei', von falscher Scheu,
Von Hoffart und von Ungeduld;
Und all mein Sinn sich wende hin
Zu deinem Kreuz und deiner Huld.
Wer diesen Tag mich schmäht und kränkt,
Dem laß mich gern und treu verzeihen,
Und ihn laß, eh' der Tag sich senkt,
Vor dir sein Unrecht still bereuen.
Zu deinem Preis, auf dein Geheiß
Will ich an meine Pflichten geh'n;
Wenn sich die Welt entgegenstellt,
Ich will auf deinen Willen seh'n.
Mein Wirken über Haus und Kind,
Das ruht in treuen, weisen Händen,
Und was mit deinem Preis beginnt,
Das muß zu deinem Ruhm sich enden.
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