Else Lasker-Schüler
(1869-1945)
Abschied |
Deutsche
Liebeslieder (Volkslieder)
Sammlung Franz
Ludwig Mittler (1865)
Lied 22
Tagelied
1. Ich sach den liechten morgen
Darzu sein werden schein,
Ich weck si mit gesange
Die allerliebste mein.
2. Ja wer ist dann der singer
Der mir kain ru will lon?
Der soll sein singen laßen,
Das sei im undersait.
3. Das bin ich, zart schöne frawe,
Sprecht ain gut wort zu mir
Auß euren rosenvarben munde,
Ob ir wolt lonen mir.
4. So kom, du held, herwider
Wann der tag ain ende hat.
Ich will dir, held, schon lonen,
Ich lonen dir ob ich mag.
5. Der held der kam herwider,
Er kam ains tails zu fru:
Sagt mir, mein schöne frawe,
Wa ich mein pfert hin tu.
6. Dein pfert bind an ain linden,
Da stät es, helde, bei.
Leg dich an meinen arme,
Ru, held, ain klaine weil.
7. Nain ich, zart schöne frawe,
Ich mag nit haben ru,
Ich bin so ser verhawen,
Rat, schöne fraw, wie ich im tu.
8. Nun muß es gott erbarmen
Daß ich nit bin der schilte dein.
So wären dir held deine wunden
Nit so groß und nit so weit.
9. Nain ich, zart schöne frawe!
Das muest ich immer klagen;
Ich will si noch vil lieber
In meinem leib selbs tragen.
10. Was zoch si ab irem haubet?
Ain guldin umbehang;
Si band dem held seine wunden,
Wie pald er ru empfand.
11. Was zoch er ab seiner hende?
Von gold ain vingerlein:
Nemt hin, mein schöne frawe,
Tragts durch den willen mein.
12. Was soll mir das rote gold,
So ichs nit tragen soll
Vor rittern und vor knechten?
Mein herz ist traurens voll.
13. Er nam das selbig vingerlein,
Warfs in des möres grund:
Als wenig du wirst gefunden
So wenig wirt mein herz gesund.
14. Was zoch si auß irer schaide?
Ain meßer von gold so rot;
Si stach irs durch ir hertze,
Auß großer lieb tet si ir selbs den Tod.
15. Nun fleuß, nun fleuß, du plut so rot,
Fleuß in des möres grund!
Es leben nimmermere
Zwen rosenvarbe mund.
16. Gott tet sich ir erbarmen
In sölcher großen not,
Er tet die zwai erquicken,
Er weckt sie balde von dem tod.
17. Der uns die tageweis new gesang,
Von newem hat gemacht,
Das hat geton ain helde,
Schöne fraw, mit tausent guter nacht!
Aus: Deutsche Volkslieder
Sammlung von Franz Ludwig Mittler
Zweite, mit einem Quellenverzeichnis vermehrte wohlfeile Ausgabe
Frankfurt am Main Verlag von Karl Theodor Völcker 1865 (S. 23-24)
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