Else Lasker-Schüler
(1869-1945)
Abschied |
Unbekannter Dichter
Der Wächter sang von Minne wohl.
"Ich warne, wie von Recht ich soll:
wohl auf nun, Ritter, es ist Tag!
Ein Scheiden rath' ich, Herre, Dir,
erhalte Dich und folge mir,
nicht länger Dein ich hüten mag.
Du weck' ihn, Frau, schon nahet es dem Morgen,
so wach' ich hier für ihn in also großen Sorgen."
Ihr war leid,
daß so lange schlief der Held gemeit.
Die Reine, Süße sehr erschrak,
sie sprach: "Dir Weh geschehe, Tag,
mein Leid - ich hab' es nur von Dir.
Der Freuden viel Du mir benahmst,
bevor Du solltest, her Du kamst;
gar selten tagst erwünscht Du mir.
O weh dir, Tag! Doch hielt' ich ihn verborgen,
so müßt' ich nochmals um den Werthen, Süßen sorgen."
Ihr war leid,
daß so lange schlief der Held gemeit.
Von dannen schied der kühne Mann.
Die Fraue segnen ihn begann
hinnach mit ihrer weißen Hand.
Sie sprach: "Herr und Geselle mein,
Du müssest Gott befohlen sein:
bei sei von mir für Dich gemahnt,
Daß er Dich Lieben mir behüten müße."
So sprach aus rothem Mund die Minnigliche, Süße;
Ihr war leid,
daß er von dannen schied der Held gemeint.
Übersetzt von Ludwig Ettmüller (1802-1877)
Aus: Herbstabend und Winternächte
Gespräche über Deutsche Dichtungen und Dichter
von Ludwig Ettmüller
Dritter Band: Die höfischen Minnesinger und Meister
des 13. Jahrhunderts, das Volkslied und das Schauspiel
des 14.-16. Jahrhunderts
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1867 (S. 203-204)
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