Else Lasker-Schüler
(1869-1945)
Abschied |
Wolfram von Eschenbach
(um 1170 - 1220)
Taglied
Tag ist es nun,
Daß längres Ruhn
Bei dir, mein Lieb, fürwahr nicht ziemen kann.
Die finstre Nacht
Entwich, und sacht
Bricht mir zum Leide schon der Morgen an.
"Weh, mußt du scheiden nun von hier,
Zu früh kommt, Freund, die Sorge mir,
Und dir, ich weiß es, auch zu früh,
Den gern ich bergen möcht in meinen Augen,
Wenn dich ich so mir könnt behalten.
Das muß mir Gram bereiten.
O weh, wie kann ich lassen dich?
Des Höchsten Friede mög
Dich neu in meinen Arm geleiten."
Das gute Weib
Des Freundes Leib
Herzlich umfing: da sank er süß in Schlaf.
Doch es geschah,
Daß bald er sah
Den grauen Tag – was hart ins Herz ihm traf.
An seinen Busen drückt er sie,
Und sprach zu ihr: "Mir kam noch nie
Ein traurig Scheiden, ach, so schnell;
Es floh die Nacht uns allzubald von hinnen.
Wer hat sie nur so kurz gemessen?
Der Tag will nicht verschwinden.
Und wenn die Liebe Glück verschafft,
So helfe sie, daß ich dich darf
Mit Freuden wieder finden."
Sie küßten sich,
Herzinniglich,
Den Tag verwünschend, daß er nicht erlischt.
Gefluchet ward dem Tage.
Urlaub nimmt er,
Wirds ihm auch schwer.
Nun merket, wie sich Lust und Klage mischt.
Sie hatten beide gleichen Mut,
Daß sie so nahe sich geruht,
Als Liebe heischt zu ihrem Preis.
Und stünden drei der Sonnen selbst am Himmel,
Sie doch nicht zwischen beide schienen.
Er sprach: "Nun muß ich reiten.
Erhalte deine Liebe mir;
Sie soll als Schild mir hin und her,
Heut und für ewig dienen."
Ihr Aug so klar
Voll Tränen war,
Und ihm auch fiel die Trennung schwer von ihr.
Sie sprach: "Nun zieht
Davon und flieht
Mich alle Freude, wo du gehst von mir;
Weil nun versagt mir ist dein Kuß,
Und deinen Mund ich meiden muß,
Der manchen lieben Gruß mir bot,
Wie er entsprang aus deines Herzens Güte
Und der Gesellindeiner Treue.
Wem willst du nun mich lassen?
Kehr mir zum Troste bald zurück,
O weh, wie sollt ich anders mich
Bei solchem Herzleid fassen?"
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 52-54)
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