Umarmen


in ausgewählten Gedichten deutscher Dichter und Dichterinnen

 



 


Rudolf G. Binding
(1867-1938)


Schon wird was eng uns umzirkt
heilig in schweigendem Gruß;
schon immortellendurchwirkt
küßt ihr die Wiese den Fuß.

Ich aber küßte ihr Herz
geradwegs von Lippe zum Grund
und von der sonnigen Brust
kehrte ich aufwärts zum Mund.

Tiere im letzten Gebusch
regten nicht Wimper noch Lid
und keines Vogels Gehusch
heilig Umarmen verriet.

Tief von der Liebe verschönt
steiget die Göttin zum Meer
daß sie sich sühnend versöhnt -
Rosen des Lichts um sie her.

Aus: Rudolf G. Binding Die Gedichte Gesamtausgabe
Rütten & Loening Verlag Potsdam 1937 (S. 240)
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Friederike Brun
(1765-1835)


Die Umarmung

Es rauschet das Meer ans Gestad' heran,
Hoch wandelt der Mond auf der Aetherbahn!
Still funkelt der Sternlein sanftzitternder Glanz,
Auf purpurner Wogen harmonischem Tanz!

O himmlische Nacht mit dem Sternenkranz,
Mit des Urlichts ewigströmenden Glanz!
Hoch hebst du das Herz aus dem Staub empor
Zu schweben in seliger Geister Chor!

Der zackigte Fels gegürtet mit Schaum,
Ist bebenden Seelen geweihter Raum;
In deinem Arm und an deiner Brust
Hoch schweb' ich empor zu der Götter Lust!

Und wenn sie verrinnet und wenn sie versiegt,
Die selige Stunde der Liebe,
Wenn der himmelentflammete Hauch verfliegt,
Wer ist's der im Leben noch bliebe?

Und tränke die Hefen des Lebens hinab,
Und wanket' entgeistert ans späte Grab?
O lebet und sterbet im seligen Traum,
Im seligen Traume der Liebe!

Aus: Neue Gedichte von Friederike Brun geb. Münter
Darmstadt 1812 (S. 86-87)
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Gottfried August Bürger
(1747-1794)


Die Umarmung

Wie um ihren Stab die Rebe
Brünstig ihre Ranke strickt;
Wie der Epheu sein Gewebe
An der Ulme Busen drückt;

Wie ein Taubenpaar sich schnäbelt
Und auf ausgeforschtem Nest,
Von der Liebe Rausch umnebelt,
Haschen sich und würgen läßt:

Dürft‘ ich so dich rund umfangen!
Dürftest du, Geliebte, mich!
Dürften so zusammenhangen
Unsre Lippen ewiglich! –

Denn von keines Fürsten Mahle,
Nicht von seines Gartens Frucht,
Noch des Rebengottes Schale
Würde dann mein Gaum versucht.

Sterben wollt‘ ich im Genusse,
Wie ihn deine Lippe beut,
Sterben in dem langen Kusse
Wollustvoller Trunkenheit! –

Komm‘, o komm‘ und laß uns sterben!
Mir entlodert schon der Geist.
Fluch vermachet sei dem Erben,
Der uns von einander reißt!

Unter Myrten, wo wir fallen,
Bleib‘ uns Eine Gruft bevor!
Unsre Seelen aber wallen
In vereintem Hauch empor

In die seligen Gefilde
Voller Wohlgeruch und Pracht,
Denen stete Frühlingsmilde
Vom entwölkten Himmel lacht;

Wo die Bäume schöner blühen,
Wo die Quellen, wo der Wind
Und der Vögel Melodieen
Lieblicher und reiner sind;

Wo das Auge des Betrübten
Seine Thränen ausgeweint,
Und Geliebte mit Geliebten
Ewig das Geschick vereint;

Wo nun Phaon voll Bedauren
Seiner Sappho sich erbarmt,
Wo Petrarca ruhig Lauren
An der reinsten Quell' umarmt;

Und auf rund umschirmten Wiesen,
Nicht von Argwohn mehr gestört,
Glücklicher bei Heloisen
Abälard die Liebe lehrt. –

O des Himmels voller Freuden,
Den ich da schon offen sah!
Komm'! von hinnen laß uns scheiden:
Eia! wären wir schon da!

Aus: Bürgers Gedichte.
Herausgegeben von Arnold G. Berger.
Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe
Leipzig und Wien 1891. Bibliographisches Institut (S. 106-108)
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Georg Friedrich Daumer
(1800-1875)

Aus: Heliodora

I.
Dies Angesicht, die Strahlen dieser Augen,
Die möcht' ich ewig, ewig in mich saugen,
Mein ganzes Sein ein einziges Umarmen,
An dieser Brust ein ewiges Erwarmen.


Aus: Frauenbilder und Huldigungen
Von G. Fr. Daumer
Erstes Bändchen
Leipzig Verlag von Otto Wigand 1853 (S. 89)
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Ludwig Eichrodt
(1827-1892)


Zur Laute

Laß uns plaudern, liebes Schätzchen,
Sitz an meiner Seite nieder!
Hier an dem gewohnten Plätzchen,
In der trauten Dämmrung wieder.

Laß dir aus dem lieben süßen
Angesicht die Locken streichen,
Lasse dir die Wange küssen
Und den schönen Mund desgleichen.

Wenn ich jemals dich betrübte,
So verzeihe mir du Gute,
Unbedachtsam ja, Geliebte,
Spricht man oft mit jungem Blute.

Schau mich an, laß dich umarmen,
An die Brust voll Inbrunst pressen,
An dem treuen lebenswarmen
Busen alle Qual vergessen!

Lächelnd schläft der Geist der Wonne
In der Wange süßen Grübchen,
Süßres unter dieser Sonne
Gibt es nicht als süß ein Liebchen.

Schönres als die heilge Treue,
Holdes Hoffen, lustge Thränen,
Kühnes Fodern, zarte Scheue,
Und ein unergründlich Sehnen.


Aus: Leben und Liebe Gedichte von Ludwig Eichrodt
Frankfurt a. M. Verlag Heinrich Keller 1856 (S. 18-19)
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Johann Georg Fischer
(1816-1897)


Was wär's auf Erden?

Warum Jedem auf Erden
Sein Lieb muß sein?
Was wär's auf Erden
Ohne die selige Pein?
Nicht inne zu werden
Die süßen Weh'n,
Wie's in deinem Umarmen
Unter deinem Kuß
Sich selig vergeh'n
Und versinken muß -
Und wiederersteh'n
Zur seligen Erden
Unter deinem Kuß!
Ohne dein Umarmen,
Darein ich versinken muß,
Was wär's auf Erden
Ohne deinen Kuß?

Aus: Neue Gedichte von J. G. Fischer
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen
Buchhandlung 1865 (S. 24)
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Else Galen-Gube
(1869-1922)


Semele

In leuchtenden Wettern komm zu mir,
mein Sehnen ist ungestillt;
wenn aus Wolkenfetzen der Sturmgott lacht,
seines Auges Blitze durchlodern die Nacht,
dann will ich dich lieben wild!

Dann will ich dich küssen ungestüm
wie Keine zuvor dich geküßt!
Wie kein Weib dich nach mir mehr umarmen soll,
so wahnsinnig rasend, so liebestoll …….
und wenn ich dann sterben müßt!

Sag, ahnst du denn meine Liebeskraft,
und was ich zu geben vermag?
Wenn die Sonne sich neigte in purpurner Glut,
dann erst wallt und wogt mein Mänadenblut,
und du küßtest mich doch nur am Tag. -

Mit Donnern und Blitzen komm zu mir
im zündenden Wetterstrahl!
Schwing die lohende Fackel in deiner Hand,
reiß als Sieger vom Leibe mir das Gewand -
mein König, mein Herr, mein Gemahl!

Aus: Aus dem Leben und den Träumen eines Weibes
Gedichte von Else Galen-Gube
Leipzig 1903 Verlag von Hermann Seemann Nachflg. (S. 12)
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Robert Hamerling
(1830-1889)


Küsse

Leidenschaftlich, feurig, glühend,
Ist der Kuß der schönen Frau;
Doch von Lippen, magdlich blühend,
Labt er mild wie Himmelstau.

Zu umspannen, zu umarmen,
Locken Reize, voll und rund;
Doch im Kusse zu erwarmen,
Dient zumeist ein zarter Mund.

Aus: Hamerlings Werke Volksausgabe in vier Bänden
Ausgewählt und herausgegeben
von Dr. Michael Maria Rabenlechner
Mit einem Geleitwort von Peter Rosegger Zweite Auflage
Dritter Band Hamburg Verlagsanstalt
und Druckerei A.- G. (vorm. J. F. Richter) (o. J.) (S. 296)
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Max Herrmann-Neiße
(1886-1941)


Nach Regentagen pfingstlich Glück

Die Gebirge sind verhangen,
die geliebte Frau ist krank.
Alle Zeit ist längst vergangen,
da uns noch ein Glück gelang.

Öde sind die Regengassen,
leer die Hallen der Hotels,
auch das Strandbad friert verlassen,
und man sehnt sich nach dem Pelz.

Seh ich Sommerdampfer fahren,
wird mir Leib und Seele kalt.
Fröhlich war ich hier vor Jahren,
grämlich bin ich heut und alt.

Alles scheint mir jetzt verkommen,
was mir einst so wohl gefiel,
mit der Flut davongeschwommen
Jahrmarktsfest und Ringelspiel.

Wo sind alle die besonnten
Aun und Lichtungen von einst,
wo wir harmlos feiern konnten?
Heut liegst du hier krank und weinst.

Womit still ich Deine Tränen?
Ein Stück Himmel strahlt schon schwach.
Bei den weißen Uferschwänen
wird die Liebe wieder wach.

Unaufhörlich dreht sich wieder
bunt geputzt das Karussell,
pfingstlich klingen Kinderlieder
und die Berge werden hell.

Lächelst Du in Deinen Kissen,
spürst das Blühn in Deinem Blut?
Wir umarmen uns und wissen:
nun wird alles wieder gut.

Auf der Wiese kannst Du pflücken
Akelei und Zittergras,
pfingstlich unsern Tisch zu schmücken,
weil das Glück uns nicht vergaß.

Aus: Max Herrmann-Neiße Gesammelte Werke
Herausgegeben von Klaus Völker
bei Zweitausendeins 1986/87
Band 1: Gedichte 1 Im Stern des Schmerzes
Band 2: Gedichte 2 Um uns die Fremde
Band 3: Gedichte 3 Schattenhafte Lockung
Band 4: Gedichte 4 Mir bleibt mein Lied (Band 2 S. 274-275)
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Ricarda Huch
(1864-1947)


Märchen

Sprach die alte Meeresschlange,
Aus dem feuchten Schlamm sich windend:
Habe wieder ein Jahrhundert
Ignoriert, indem ich schlief.
Während ringsumher das Leben
Wichtigtuerisch sich spreizte,
Dampfte, pfiff und schaufelte,
Schlief ich kühl und unbehelligt;
Schlaf ist vornehm.

Was hast du indes getrieben,
Stolzer Wiking, edler Jarl,
Kamerade meiner Urzeit,
Sturmverschlagener Genosse?
Sieh, du sitzest träumerisch
In der Laube von Korallen,
Spielst mit perlenfarbnen Händen
Auf der goldbespannten Harfe
Den unsterblichen Gesang
Deiner Liebe.

Längst zerfiel zu Knochenerde
Vieler Sterblichen Gerippe,
Die der tolle Sturmwind einst
Mir herabwarf zum Vergnügen.
Doch ihr Lieben war wie Glas,
War ein Spielzeug wie sie selber,
Die zermalmt von meinen Küssen
Bleichten, schauerten und starben.

Du allein, mein edler Wiking,
Fürchtest nicht die starke Glut
Deiner alten Meeresschlange,
Die sich, schimmernd und geschmeidig,
Fromm um deine Füße ringelt,
Ihrer Augen goldnen Becher
Ganz von dir erfüllt.

Wenn wir beiden uns umarmen,
So erglüht das träge Meer,
Kocht, daß seine grünen Mähnen
Ihren Schaum gen Himmel spritzen,
Und des schweren Kauffahrteischiffs
Hölzernes Gebein zerbricht,
Ans verborgne Riff geworfen.

Aus: Ricarda Huch Gesammelte Werke
Fünfter Band: Gedichte, Dramen, Reden,
Aufsätze und andere Schriften
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Kiepenheuer & Witsch 1966-1970 (S. 180-181)

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Else Lasker-Schüler
(1869-1945)


Am fernen Abend

Du bist so weit von mir entfernt
Am Abend zwischen deinen Freunden;
Meist ist das Dunkel über uns entsternt . . .
Dann leide ich wie unter Feinden.
Doch glühen die Lichte in den Wolkenzweigen,
So sind sie alle unser Eigen.

Und manchmal kommt ganz weich die Luft
Und streichelt meine und dann deine Wange.
Und deine Stimme ist es, die mich ruft,
Aus allen Stimmen gleitend, in der Halle.
- Und mich umarmen viele Himmel in dem Schalle.

Ich finde aber auch in deinen Augen keine Rast
Und keinen Trost im stummen Zuspruch deiner Reden -
Ich fiel der Liebe und sie mir zur Last.
Mein letzter Schimmer leuchtet heim den Gast,
Ein stilles Kleinod für jedweden.

Und weiss, dass du alleine lieb mich hast . . .  ganz alleine.
Und bin ich dir auch unbegreiflich fast,
So sagen all die weichen Worte, dass ich weine.

Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe
Band 1: Gedichte Kritische Ausgabe
Erste Auflage 1996
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1996 (S. 257)

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Heinrich von Levitschnigg
(1810-1862)


Aus: Liebesghaseln

8.
Mir brannte Herz und Lippen wund dein Kuß,
Als Siegel schloß den Liebesbund dein Kuß.
Des Mondes Wirkung auf des Meeres Flut
Erklärte mir, und gab mir kund dein Kuß.
In meinen Adern siedend schwoll das Blut,
Als zärtlich drückte meinen Mund dein Kuß.
Gefühle weckte heiß, wie Sonnenglut,
Den Keim, im tiefsten Herzensgrund dein Kuß.
Rasch brachte süßen Glückes Perlengut
Als Taucher aus der Lippen Sund dein Kuß;
Wie Wüstendurst des Baumes Fruchttribut,
So labte mich der Dattelfund: dein Kuß.
Wie Palmenwein hob meines Geistes Muth,
Und machte mich von Harm gesund dein Kuß.
Gleich einer Zauberformel des Marut
Entrückte mich dem Erdenrund dein Kuß;
Wie süß am Busen der Huri sichs ruht,
Mich lehrt' es dein Umarmen und dein Kuß.

Aus: Gedichte von Heinrich Ritter von Levitschnigg
Wien Verlag von Pfautsch & Compagnie 1842 (S. 141-142)
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Hermann Löns
(1866-1914)


Aus: Margrete

III.
Ich lieb’ dich nicht, so wie ich liebte
Ein andres Mädchen, wahr und treu,
Ich lieb’ dich mit zerstörungssüchtiger
Wahnwitzig wilder Raserei.

Ich lieb’ dich, wie der Tod das Leben,
Der Blitz den Baum, den er zerstiebt,
Ich liebe dich, so wie der Teufel
Die unschuldsvollen Seelen liebt.

Nur einmal möcht’ ich dich umarmen,
Nur einmal liebend weich dich sehn,
Nur einmal meine Kraft dir zeigen,
Dann höhnischlachend von dir gehn.

Aus: Hermann Löns Sämtliche Werke
in acht Bänden. Hrsg. von Friedrich Castelle 
Hesse & Becker Verlag Leipzig 1923
(Band 1 S. 104-105)

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Johann Martin Miller
(1750-1814)


Liebestaumel

Was geht die ganze Welt mich an,
Wenn ich die Holde sehen kann?
Herab zu mir, herabgebracht
Ist Paradies durch Liebesmacht!

Lach mir, du blaues Auge, du!
Raub meinem Herzen alle Ruh!
Ich schwimm' im Liebesmeer dahin;
Und doch ist mir so wohl im Sinn!

Laß küssen, laß umarmen dich!
O Paradieseswonn' um mich!
Laß leben ewig mich bey dir!
Sonst gib den Tod, du Holde mir!


Aus: Johann Martin Millers Gedichte
Ulm bey Johann Konrad Wohler 1783 (S. 373)

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Friedrich Rückert
(1788-1866)


Ich träumt, ich wär' ein Vögelein und flöge
Hinaus zu ihr mit einer Schar von Ammern,
Die draußen jetzt vor ihrem Fenster jammern,
Bis sie mit Lächeln ihnen füllt die Tröge.

Und wenn der Schwarm gesättigt weiterzöge,
Blieb' ich, um an ihr Kleid mich anzuklammern,
Bis sie, sich mein erbarmend, in die Kammern
Mich mit sich nähme und mich drinnen pflöge.

Dann tät' ich so erfroren und erstarret,
Daß sie aus Mitleid in den Busen nieder
Mit Haut und Haar mich schöb‘, um zu erwarmen.

Dann, wenn ich erst ein Weilchen so verharret,
Besänn' ich mich auf meine Menschenglieder,
Um sie, statt zu umflügeln, zu umarmen.

Aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 1 (S. 288)
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Johann Ferdinand Schlez
(1759-1839)


Adam's erstes Erwachen

Wo der Phrat am Blumenufer hallte,
Gieng einst Vater Adam auf und ab;
Lauschte, wenn im Hain das Echo schallte,
Dem sein Ruf die Täuscher-Stimme gab;
Spähte, wo ein West in Büschen rauschte,
Einem Bilde nach, dem seinen gleich;
Denn, was er im Paradies belauschte,
Sah er, Paar und Paar, durch Liebe reich.

Sah den Löwen mit der Löwinn irren,
Die ihm sanft die goldne Mähne strich,
Hört' ein Taubenpaar auf Palmen girren,
Sah, wie treu sich jedes Pärchen glich,
Wie sogar das Haideblümchen seine
Buntgeschmückte Freundinn um sich fand,
Und nur Er, der Arme! war alleine;
Denn kein Weibchen bot ihm Kuss und Hand.

Alle Schöpfung, die zur Lust und Wonne
Gott dem Wurm und Elephanten schuf,
Tönt dem Ersten unter Mond und Sonne,
Tönt dem Menschen keinen Freudenruf.
Müd und trauernd sank er endlich nieder
In den Arm der ersten süssen Ruh;
Euphrats Wogen rauschten Schlummerlieder
Ihm und holde Traumgesichte zu.

Sieh! ein Weib, schön wie die Morgenröthe,
Die den ersten Gruss der Schöpfung bot,
Fand ihn hier. Die seidne Locke wehte
Um ihr Haupt, beglänzt vom Abendroth.
Grosse, himmelsblaue Augen rollten
Ihr im rosig blühenden Gesicht;
Wuchs und Bildung waren unbescholten,
Und Gewand barg ihre Reitze nicht.

Adam träumt indess: der Rippen eine
Würd' von ihm gelöst; aus ihr erbaut
Stand ein Weib, wie unser Blick itzt keine
Tochter Evens unterm Monde schaut.
Träumt's; erwacht; - mit hüpfendem Entzücken
Sieht er lebend das geträumte Weib.
"Ha! was zeigt sich meinen trunknen Blicken?
Bein von mir, und Fleisch von meinem Leib!"

Wer verräth das feurige Umarmen,
Wie das Paar sich Brust an Busen schlang?
Wer das strömende Gefühl, den warmen
Kuss der Huldigung, mir im Gesang?
O, die süssen Erstlings-Schäferstunden
Wollen nicht, wie Minnetändeleyn,
Nachgeleyert, wollen nachempfunden,
Selbstgefeyert, nicht geschildert seyn!

Lottchen! Lottchen, mit den Rosenwangen,
Mit dem himmelblauen Augenpaar,
Mit dem Liljenbusen, mit dem langen
Götter-Wuchs und blonden Lockenhaar,
Mit der Männerseele, mit dem Mädchenherzen,
Mit dem süssen Nachtigallenton,
Mit der milden Thräne, mit den leichten Scherzen,
Sey mein Evchen! . . . Ach! . . . ich träume schon.

Aus: Vermischte grösstentheils lyrische
Gedichte von Johann Ferdinand Schlez
Zweyte, verbesserte, vermehrte Auflage
Nürnberg bey Ernst Christopg Grattenauer 1793 (S. 109-112)
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Franz Stelzhamer
(1802-1874)


Maiwandel

II.
Und wie wir durch die Felder gingen,
Da war um uns ein Lieberingen,
Dazu ein Singen und ein Klingen,
Dabei ein Klettern und ein Springen,
Ein Senken, Schwenken, Wirbeln, Schwingen,
Ach, ein unendliches!

Und wie wir durch die Auen zogen,
Da war um uns ein Blumenwogen,
Und über uns ein Blüthenbogen,
Da ward gerastet und geflogen,
Geliebkos't ward da und gesogen
Ach, so unendlich süß! -

(Arie I.)
Laß dich lieben, o Holde!
Und liebe mich auch,
Es ist ja im Maien
So Weltenbrauch.

Laß dich küssen, o Traute!
Und küsse auch mich,
Liebkoset ja Alles
In Maien sich.

Laß dich umarmen, o Herz!
Und umarme mich fest,
Weil ja Keines vom Andern
Im Maien läßt.

Laßet uns lieben, lieben,
Ja lieben mit Kraft,
Weil der milde Gebieter,
Der Mai es schafft! -

Und wie wir dann den Wald betraten,
Da gab's in seinem braunen Schatten
Nur Freier rings und sel'ge Gatten;
Und Jeglich ging so gut von statten:
Die Väter fanden Kinderpathen,
Die Mütter weiches Moos und Matten,
Und all die Waldgeschöpfe thaten
Ach, so unendlich lieb! -

Und wie wir bald am See ankamen,
Da war ein Blitzen und ein Flammen,
Süß liebgepaart und eng beisammen,
Um Angel unbesorgt und Hamen,
Die tausend Fisch' und Fischlein schwammen,
Es spielten ihre Liebesdramen
Die Bräute hold mit Bräutigamen -
Ach, so unendlich schön! -

Aus: Gedichte von Franz Stelzhamer
Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1855 (S. 142-145)
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Carl Sternheim
(1878-1942)


Ehenächte

Ich träume so: Ehenächte,
Du und ich, und einer dächte
Wie der andre. Stille Finger,
Nur ein mäßiges Erwarmen
Keine sich Zutoderinger,
Ein verzichtendes Umarmen.

Tiefer Schlaf.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag
Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 29)

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Francisca Stoecklin
(1894-1931)


Geliebter

Laß dich wieder, und immer wieder
mit meinen Worten umarmen.
Laß sie um dich legen,
wie du um mich hüllst
den Mantel,
wenn wir an kühlen Herbstabenden
über die Felder gehn,
wo sich die Nebel
silbern schon senken,
und der Wind die Gräser bewegt.

Ziellos irrte ich
auf der großen Erde,
bedrängt und verführt
von Dunklem
und schillernden Sünden.
Da gingst du auf
meines Schicksals Sonne.
Dein Licht milderte
alles Harte und Schwere,
verinnigte jede Lebensstunde,
alle Wesen und Dinge,
Schmerzen und Seligkeit.
Denn du einst
die Zartheit der Freundin
mit des Jünglings
beschützender Kraft.
Lächelnde Blume bist du
und weisende Fackel.
- Und dein Mund sagt,
daß auch ich Schwache
dir schön bin.

Aus: Francisca Stoecklin: Lyrik und Prosa.
Herausgegeben von Beatrice Mall-Grob.
Verlag Paul Haupt Bern Stuttgart Wien 1994 (S. 62)
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Josef Sutner
(1784-1835)


Die Umarmung

Wie sich am Feigenbaum' die Rebe schlinget,
Und ihre Last zart seine Zweige drücket,
Die harte Frucht die weichliche umstricket,
Und nah' die Traube zu der Feige bringet:

So eines um die Huld des andern ringet,
Wenn Mira und den Skalden man erblicket;
Umarmt sie beide Plato's Traum beglücket,
Und laut Petrarka seinen Hymnus singet.

Ein reiner Geist, der Sinnenwelt entrissen,
Vereinet sie zu himmlischen Genüssen,
Daß sie entkörpert ihren Leib vermissen.

Im keuschen Aug' umarmen sich die Seelen,
Und zur Vollendung, welche fromm sie wählen,
Nur zwei beflorte Leichensärge fehlen.

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 30)

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Josef Sutner
(1784-1835)


Aphroditens Umarmung

Weichlich sich spannende Muskeln umschlingen die Nerven des Eros,
Eine Geberde und Sprach' zeigt sich in zweifacher Form.
Also des Jünglings seligstes Loos - der Körper begeistert
Durch der Liebe Gefühl, selig der Geist im Genuß'.

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 171)

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Josef Sutner
(1784-1835)


Seligkeit

Entfernt von Dir, umarmt Dich meine Seele!
Am Tage wachend, und bei Nacht im Traume
Mit Deinem Geist' ich mein Gemüth vermähle,
Entschwingend mich der Sinnwelt dunkelm Raume.

Die Frucht genießend von dem Lebensbaume,
Umglänzet uns der Sonne milde Helle:
Dort auf des Morgensternes lichtem Saume
Erreichen wir des Lohnes Ruhestelle.

Des Schöpfers Ruf entbindet unsre Zungen,
Und zeigt Genuß! Bald ist das Ziel errungen -
Zur Einheit sind die Seelen schon verschlungen.

Zum Licht' wird unser Geist vereint erhoben,
Um ewig dort, wo keine Stürme toben,
Den Schöpfer unsrer Seligkeit zu loben!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 27)

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Carl Bernhard Trinius
(1778-1844)


Erinnerung
1807. Wangen in Curland

Ich denke Dein im Lindengange,
Du fernes Weib der treuen Liebe,
Mir ist so weh, mir ist so bange,
Mich zieht's mit unnennbarem Triebe!

Dort sucht und irrt mein trüber Blick,
Dort ist der Himmel und die Ruh',
Hier ist der Kummer, dort das Glück,
Hier ist die Sehnsucht, dort bist Du.

Und blickt'st Du zärtlich, blickt'st Du gern
In meines Auges Sehnsucht her?
Es strahlte Ruh' der schöne Stern
In meiner Brust bewegtes Meer.

Und dürft' ich Deine Hand berühren,
Und sie mit langem Kusse küssen,
Und selig mich in Dir verlieren,
Und nichts von dieser Erde wissen!

Und sänke, wie von Gott bewegt
Dein Mund an meiner Lippen Glut,
Und hauchte, was Dein Herz Dir schlägt,
Dein süßer Mund: ich bin Dir gut! -

O leeres Träumen! eitles Wähnen!
Kein Gott will meiner sich erbarmen,
Ich muß Dich seh'n in meinen Thränen -
Und nun Dein Schattenbild umarmen.

Vielleicht da oben, wo die Pracht
Der Sonne strahlt, umarm' ich Dich,
Vielleicht da unten, wann die Nacht
Mein Grab umdämmert, suchst Du mich.

Aus: Gedichte von Dr. Carl Bernhard Trinius
Mit der Biographie des Verfassers
nach seinem Tode herausgegeben von
zweien seiner Freunde
Berlin 1848 Verlag von G. Reimer (S. 187-188)

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Johann Peter Uz
(1720-1796)


An Chloen

Ich merke, wann sich Chloe zeiget,
Daß nun mein Auge nicht mehr schweiget;
Daß Suada nach den Lippen flieget
Und glühend roth im Antlitz sieget;
Daß alles sich an mir verjüngt,
Wie Blumen, die der Thau durchdringt.

Ich seh auf sie mit bangem Sehnen,
Und kann den Blick nicht weggewöhnen:
Die Anmuth, die im Auge wachet
Und um die jungen Wangen lachet,
Zieht meinen weggewichnen Blick
Mit güldnen Banden stets zurück.

Da strömt mein Blut mit schnellen Güssen;
Ich brenn', ich zittre, sie zu küssen;
Die Glut verstirbt in meinen Blicken
Und Ungedult will mich ersticken,
Indem ich immer Sehnsucht voll
Sie sehn und nicht umarmen soll.


Aus: Johann Peter Uz, Sämtliche Poetische Werke
Hrsg. von August Sauer, Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Darmstadt, 1964 (Unveränderter reprografischer Nachdruck
der Ausgabe Stuttgart 1890; Deutsche Literaturdenkmale
des 18. und 19. Jahrhunderts Nr. 33-38) (S. 21)
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August Wolf
(1816-1861)


Liebesgedicht

An Deine Seite möcht' ich jetzt mich schmiegen
Und meines Busens Lieb' in Deine gießen,
Wie nun des Abends süße Dämmerschatten
Sanft in der Nacht verschwieg'nes Dunkel fließen.

So hat die Blume nicht nach Thau geschmachtet,
Den reichlich ihr der Abend nun gespendet,
Als ich nach einem Kuß von Deinen Lippen
All' meines Herzens Sehnsucht hingewendet.

Wie dort der Epheu um die Pappel ranket,
Vom Fuße bis zum Gipfel zärtlich steigend,
So möcht' ich, Süße, Dich umschlungen halten,
Mein ganzes Sein in Liebe zu Dir neigend.

So sehr verlangt der Müde nicht nach Schlummer,
Und nahend würd' er nie ihn so beglücken,
Als an der Hüften reizend schöne Wölbung
Ich innig glücklich jetzt mich möchte drücken.

All' Deine schönen Glieder möcht' ich küssen,
Dich überall auf einmal heiß umarmen,
Daß Du in meiner Liebe ruhen müßtest
Wie nun der Erdball in der Luft, der warmen. -

Den Schwan hört' ich im Teiche liebend girren,
Die Nachtigall im Fliederbusche singen,
Die Nachtluft scherzend mit den Blättern kosen;
Da hab' ich sinnend Dir dieß Lied gesungen.


Aus: August Wolf's gesammelte
und nachgelassene Schriften
Dresden Verlagsbuchhandlung
von Rudolf Kuntze 1864 (S. 10-11)

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