Umgaukeln
in ausgewählten Gedichten deutscher Dichter und Dichterinnen
Wilhelm Arent
(1864-?)
Maria
III.
Oft bin ich so vermessen
In süßen Dämmerstunden,
Und wähne zu vergessen,
Und wähne zu gesunden.
Der Liebe Seligkeiten,
Die längst ich todt geglaubt,
Sie heben wie vor Zeiten
Ihr träumerisches Haupt.
Verklung'ne Märchenlieder
umgaukeln meine Sinne .....
Ich fühl' mich glücklich wieder
Im Himmel holder Minne.
Aus: Wilhelm Arent Aus tiefster Seele
Mit Geleitswort von Hermann Conradi
Berlin 1885
Verlag von Georg Rauck (S. 30-31)
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Peter von Bohlen
(1796-1840)
Ich finde dich
Im Schatten kühler Linden hingegossen
Und eingewiegt in Morpheus Rosenarmen,
umgaukelt mich der Traum von dir, Geliebte:
Ich finde dich.
In öder Wildniß, wo die Schöpfung trauert,
Bist du mir nah', im Rosengarten lächelt
Aus jeder Knospe mir dein süßes Bildniß:
Ich finde dich!
Wenn einsam ich in meiner stillen Klause
Der grauen Vorwelt heil'ge Barden grüße,
Umschlingt in jeder Zeile sich dein Name:
Ich finde dich!
Wenn meiner Laute klagende Accorde
Sich mit des Herzens Melodie verschmelzen;
Wenn stille Mitternacht die Flur umschleiert:
Ich finde dich!
Und stieg' ich zum Gefilde sel'ger Engel,
Und taucht' ich in des Meeres dunkle Fluthen:
Als Engel strahltest du, als reine Perle:
Ich fände dich.
Aus: Vermischte Gedichte und Übersetzungen von P. von Bohlen
Königsberg Im Verlage der Gebrüder Bornträger 1826 (S. 60-61)
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Gerhart Hauptmann
(1862-1946)
Anna
Solch schönes Gefäß, solch süßer Wein
soll zerfallen und ungetrunken sein?
Ein Auge, so rein wie Sternenlicht,
nicht soll es erleuchten und wärmen nicht?
Und irren doch rings in der Welt umher
viel Seelen so licht- und so wärmeleer,
die sich sehnen so sehr nach der Liebe Strahl,
der sich nie durch die Nacht ihres Lebens stahl.
Solch süßer Leib, solch schwellende Brust
soll nie erblühen in Liebeslust?
Solch wilde Kraft austoben nie
als in kranken Phantomen der Phantasie?
Solch stolzer Bau auf ewig vergehn,
nicht im Erben einmal wieder auferstehn?
Tauschönes Bild, ich sog deinen Duft,
so leicht wie der gleitende Atem der Luft,
umgaukelte dich, ein Falter blau,
doch strich ich dir ab kein Tröpflein Tau.
Du duftest und stehest noch taufrisch im Hain,
doch der Winter bricht mit den Frösten herein.
Der Frühling gefriert, der Dufthauch erstirbt,
und der Tod um die liebliche Blume wirbt.
Aus: Gerhart Hauptmann
Sämtliche Werke
Herausgegeben von Hans-Egon Hass
Band IV: Lyrik und Versepik
Propyläen Verlag 1962-1974 (S. 28-29)
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Heinrich Heine
(1797-1856)
Waldeinsamkeit
(...) O, schöne Zeit! wo voller Geigen
Der Himmel hing, wo Elfenreigen
Und Nixentanz und Koboldscherz
umgaukelt mein märchentrunkenes Herz!
O, schöne Zeit! wo sich zu grünen
Triumphespforten zu wölben schienen
Die Bäume des Waldes - ich ging einher,
Bekränzt, als ob ich der Sieger wär!
Die schöne Zeit, sie ist verschlendert,
Und alles hat sich seitdem verändert,
Und ach! mir ist der Kranz geraubt,
Den ich getragen auf meinem Haupt.
Der Kranz ist mir vom Haupt genommen,
Ich weiß es nicht, wie es gekommen;
Doch seit der schöne Kranz mir fehlt,
Ist meine Seele wie entseelt.
Aus: Heinrich Heine.
Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge.
Hrsg. von Klaus Briegleb. Insel Taschenbuch Verlag 1997
(S. 591-597)
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Max Herrmann-Neiße
(1886-1941)
Mit Blüten wollte ich Dich überschütten,
Mit weißen, flatternden, duftigen Flocken,
Die Dich wie Amoretten
umgaukelt,
Tändelnd um Nacken und Brüstchen geschaukelt,
Und zärtlich gestreichelt die goldigen Locken ...
Ich ging durch ein Dorf, auf dessen Hütten
Die Sommersonne versengend brannte;
Wo vor verhängten Fenstern in Scherben
Kranke Blumen fiebernd versterben - - -
Der ich Dein jauchzendes Lachen kannte!
Ein Teich träumt da, ein totes Auge.
Umsäumt von dürren, verwelkten Kressen,
Ein ausgestorbener Saal, ohne Zecher.
Bienen umsummen die leeren Becher - -
Könnt ich Dein jauchzendes Lachen vergessen!
Aus: Max Herrmann-Neiße
Gesammelte Werke
Herausgegeben von Klaus Völker
bei Zweitausendeins 1986/87
Band 1: Gedichte 1 Im Stern des Schmerzes (S. 66)
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Angelika von Hörmann
(1843-1921)
Du gehst, nun löschen aus die Farben,
Nun gibt's für mich kein Himmelsblau,
Kein Wiesengrün, die Blumen starben,
Wohin ich seh', ist Aschengrau.
Doch meine Geister werd' ich zwingen,
Die sonst zu Diensten mir bereit,
Damit sie nah'n auf schnellen Schwingen
Und mir entrücken Welt und Zeit.
Daß süße Lieder mich
umgaukeln,
Bis ich für andres taub und blind,
Daß sie umfingen mich und schaukeln
Und trösten gleich dem Wiegenkind.
Noch nie gelang's mir zu besiegen,
Was so viel Not mir schuf und Pein,
Den heißen Drang, mich anzuschmiegen
Wann werd' ich lernen einsam sein?
Aus: Auf stillen Wegen Neue
Gedichte
von Angelika von Hörmann München 1907.
J. Lindauersche Buchhandlung (Schöpping) München (S. 20)
Ella Hruschka
(1851-1912)
Alles oder nichts
Du möchtest auf dem Strom des Lebens schaukeln
In stetem, ungetrübtem Sonnenschein;
Du kehrst bald hier, bald drüben fröhlich ein
Und kommst dann wieder strahlend mich
umgaukeln.
Ich aber möchte in die Tiefen steigen,
Mein Herz nimmt mit so wenig nicht vorlieb,
Es schreit verschmachtend: gib mir mehr, o gib
Dich ganz mir und für immerdar zu eigen.
Das süße Spiel, o glaub' mir! - macht mich leiden.
Ich brauch' ein Herz, das ganz und immer mein,
Und kannst und willst du mir nicht alles sein,
Dann sei mir nichts! Dann laß uns lieber scheiden!
Aus: Im goldenen Licht
Gedichte von Ella Hruschka
Leipzig Verlag für Literatur, Kunst und Musik 1910 (S. 114)
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Robert Prutz
(1816-1872)
Frage nicht!
O frage nicht,
Was auf des Auges stillem Grunde
Mir oft wie eine Thräne bebt,
Was schüchtern oft von meinem Munde
Wie ein verstohlner Seufzer schwebt!
Es ist ein Wort, unausgesprochen,
Ein selig goldnes Traumgesicht,
Und nur mein Blick, mein Herzenspochen
Verräth es dir – o frage nicht!
O frage nicht,
Was ruhelos in deine Nähe
Mich wie ein Zauber mächtig bannt,
Warum ich dennoch seitwärts stehe,
Wenn du mich lächelnd kaum erkannt!
Von Schmetterlingen rings
umgaukelt,
Genährt vom ersten Sonnenlicht,
Ein Röschen du, vom West geschaukelt,
Entblättert ich – o frage nicht!
O frage nicht,
Zu welcher frühen Sonnenwende
Mein kurzes Leben sich gesenkt,
Zu welchem Abgrund, welchem Ende
Mein milder Fuß hinunterlenkt!
Dir sei die Welt ein ew'ger Morgen
Voll Maienglanz und Duft und Licht,
Was Schmerzen sind, dir sei's verborgen,
Leb' wohl, vergiß – und frage nicht!
Aus: Robert Prutz Buch der Liebe
Leipzig Verlag von Ernst Keil 1869 (S. 60-61)
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Emil
Rittershaus
(1834-1897)
Warum nicht ich?
Nur hie und da noch Lampenschein
In einem Schlafgemach;
Nur hier und da noch schleicht zum Frei'n
Ein Kätzlein über's Dach.
Im West statt rother Abendgluth
Erglänzt ein falber Strich;
Die Nacht ist still und alles ruht.
Warum nicht ich?
Auch Dir, mein Lieb, auf's Augenpaar
Des Traumes Schleier sinkt;
Auf Deines Fensters Scheiben klar
Der Schein des Mondes blinkt.
Der Mondschein und der Sternenschein
umgaukeln kosend Dich;
Sie sind bei Dir im Kämmerlein.
Warum nicht ich?
Doch dürft' ich schleichen, liebes Kind,
Zu Dir nun ungesehn,
Ich fürchte fast, es wär' geschwind
Um Deine Ruh' gescheh'n!
Und dennoch gern, ach, gar zu gern
Zu Dir ich heute schlich.
Dich küßt der Mond, Dich küßt der Stern,
Warum nicht ich?
Aus: Gedichte von Emil Rittershaus
Sechste Auflage Breslau 1880
(S. 404-405)
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Julius Rodenberg
(1831-1914)
Ballkönigin
Dir bring' ich nicht die duft'ge Rose,
Die schönste Rose bist ja Du!
In diesem frölichen Getose
Stehst Du in tiefer Blumenruh'.
Die leichte Schaar der Schmetterlinge
umgaukelt Dich bei Kerzenschein;
Ja, in der Freude goldnem Ringe
Bist Du der schönste Edelstein.
O Edelstein der Schönheit, strale!
Zaubrische Rose, hauche Duft!
Was mir erfreulich scheint im Saale,
Weht aus von Dir wie Frühlingsluft.
Ich will Dich nur von ferne schauen,
Perle der Wehmut im lustigen Reih'n:
Du bist die Königin der Frauen,
O laß mich Deinen Diener sein!
Aus: Lieder von Julius
Rodenberg
Neue wohlfeile Ausgabe
Hannover Carl Rümpler 1862 (S. 14)
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Eduard Schulz (Ps. Eduard
Ferrand)
(1813-1842)
Der Liebenbach bei Spangenberg
Ich stand am hellen Bache,
Und kühlte der Stirne Gluth,
Vom langen Wandern müde,
Mit seiner kalten Fluth;
Ich starrte mit nassen Augen
Auf seinen Spiegel hin,
Und liebe, alte Träume
umgaukelten meinen Sinn. (...)
Die Sonne war gesunken,
Ihr letzter Purpurstrahl
Hing glühend noch am Himmel,
Und schweigend lag das Thal.
Still durch das Dunkel goß sich
Der Bach, vernehmlich kaum -
Ihm langsam folgend, kam ich
Zum Städtchen wie im Traum.
Aus: Gedichte von E. Ferrand [Eduard Schulz]
Berlin im Verlage der Stuhr'schen Buchhandlung 1834 (S. 229-232)
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Frank Wedekind
(1864-1918)
Stille Befürchtung
Seit ich dir mein ganzes Herz entladen,
Peinigt mich geheimnisvolles Weh:
Morgens drängt's mich seltsam, mich zu baden;
Abends treibt's mich mächtig ins Cafe;
Nachts
umgaukeln mich verrückte Träume
Daß die Seele bang um Hilfe schreit;
Eng bedrücken mich des Himmels Räume,
Die Gewänder werden mir zu weit;
Vor den Augen schwirrt ein schwarzer Falter -
Sprich, o sprich, wie soll ich das verstehn!
's ist ein heimlich zartes Knospenalter;
Doch nicht Liebe scheint mir aufzugehn.
Aus: Frank Wedekind Werke
Band I
Mit einem Nachwort und Anmerkungen
herausgegeben von Erhard Weidl
DTV 1996 (S. 78)
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Christian Martin Winterling
(1800-1884)
Ein schöner Wahn
umgaukelt mein Gemüth.
So gäbst du, Holde, durch dein frühes Sterben
Mir Freiheit, dort aufs neu um dich zu werben,
Ob feindlich schon uns hier das Leben schied!
Wer hätte wohl ein größres Recht an dich,
Wenn nun die Seele sich ins Jenseits flüchtet,
Und von der Spreu die Körner sind gesichtet,
Als der dich treu im Tod geliebt, als ich?
Doch wie die Tropfen in dem Meer verrinnen,
So könnt' es sein, daß durch den Parzenschnitt
Dem Weltgeist sich der Einzelgeist vermähle.
Wird auch dabei mein Lieben wohl gewinnen? -
Sei's, wie es sei; ich tröste mich damit:
Lebst du, so lebst du nur für meine Seele.
Aus: Poetische
Mittheilungen in vier Büchern
von C. M. Winterling
Nürnberg Druck und Verlag von Friedrich Campe 1837 (S. 27)
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Vincenz Zusner
(1803-1874)
Fragen
Erblickt mein sehnend Auge Dich,
Da pocht mein Herz so wunderlich,
Als rührt' es leis' ein Zauberhauch.
- Pocht Deines auch?
Wenn dann mein Blick in Dich versinkt
Und stille Lust aus Deinem trinkt,
Da werd' ich stets so sanft und froh.
- Wirst Du auch so?
Ein Händedruck von Dir allein
Dringt schon in's tiefste Leben ein,
Mir ist's, als kocht' das Blut in mir.
- Wie ist's denn Dir?
Und wenn Dich dann mein Arm umschließt,
Und Mund an Mund gefesselt ist,
Denk' ich, ich flieg' dem Himmel zu.
- Was denkst denn Du?
Und scheiden wir,
umgaukelt mild
Mich fern von Dir Dein liebes Bild,
Mit Sehnsucht denk' ich immer Dein.
- Denkst Du auch mein?
Schließt endlich zur ersehnten Ruh'
der Schlummer mir die Augen zu,
dann seh' ich Dich im Traumgesicht.
- Siehst Du mich nicht?
Aus: Gedichte von Vincenz Zusner
Zweite Auflage Schaffhausen
Verlag der Fr. Hurter'schen Buchhandlung 1858 (S. 7-8)
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