Umschweben
 

in ausgewählten Gedichten deutscher Dichter und Dichterinnen

 










Max Bruns
(1876-1945)


Nachtlied für die Geliebte

Die Blütenkelche beben, wenn es nachtet.
Wie scheu wird alles Leben, wenn es nachtet!
Den Vogel, der im Glanz die Brust gewiegt,
siehst Du zum Neste streben, wenn es nachtet.

Nun sänftigt sich in mir der laute Tag:
Die Flut wird glatt und eben, wenn es nachtet.
Mich trägt es mondhinaus: Es kann der Geist
am Wust der Welt nicht kleben, wenn es nachtet.

Schon hüllt sich fern das Land in weißen Traum.
Welch wunderbares Weben, wenn es nachtet!
Wohin verlockt mich's? O Geliebte, laß
zu Dir das Herz mich heben, wenn es nachtet.

Dir weih ich gläubig jedes Tags Beginn:
Dir will ich mich ergeben, wenn es nachtet.
Das Dunkel droht: Schick Deine Liebe aus,
mich schimmernd zu
umschweben, wenn es nachtet!

Aus: Max Bruns Garten der Ghaselen
Verlegt bei J. C. Bruns in Minden (Westfalen) 1925 (S. 97)

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Helmina von Chézy
(1783-1856)


Wünsche der Liebe

In einsam grüner Wildniß,
Da laßt mich immer seyn,
Ein holdes, liebes Bildniß
Ist dort mit mir allein.
Der Blätter dicht Gewebe
Spielt kindlich froh im West
Und treulich schlingt die Rebe
Sich um des Vogels Nest.

Die goldnen Wolken ziehen
Weit weit im stillen Zug -
O, möcht' ich auch so fliehen
Mit rascher Sehnsucht Flug!
O, trügen laue Winde
Vom Blüthen-Hauch beseelt,
Der Liebe Seufzer linde
Zu ihm, der stets mir fehlt!

Hätt' ich der Lerche Töne,
Beim Frühroth weckt' ich ihn.
Hätt' ich der Rose Schöne,
Für ihn nur wollt' ich blühn.
Als Veilchen haucht' Entzücken
Ich ihm verstohlen zu;
Mit Lunens sanften Blicken
Winkt' ich dem Müden Ruh.

Dann wollt' ich ihn
umschweben,
So dämmernd still und dicht;
Mit Blüthen ihn umweben,
Ein lächelnd Traumgesicht.
Dann schüchtern wollt' ich scheiden,
Beim ersten Morgenschein:
"Gern will ich einsam leiden,
Ade, Gedenke mein!"

Aus: Helmina von Chézy Gedichte der Enkelin der Karschin
Zweiter Band Aschaffenburg 1812 (S. 24-25)
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Otto Ernst
(eigentl. Otto Ernst Schmidt)
(1862-1926)


Freundliche Nähe

Geliebter Menschen traute Nähe
Ist wie der Quelle ferner Sang,
Der leis herüberklingt vom Garten
Den schönen Sommertag entlang,

Ist wie ein frischer Duft vom Walde,
Den laue Winde hergeweht
Und der von früh bis spät uns labend
Und läuternd durch die Seele geht. -

Oft hör' ich dich im Hause schalten,
Geliebtes Weib; durch Thür und Wand
Vernehm ich fernes Lachen, Singen
Und hör' ich rauschen dein Gewand;

Mir ist, als fühlt' ich deine Lippen
Wie Tau auf meiner Wange ruhn:
Mein Haupt
umschwebt ein selig Glänzen,
Und Segen ruht auf meinem Thun. -


Aus: Gedichte von Otto Ernst
Der "Neuen Gedichte" zweite, der "Gedichte" dritte,
gesichtete und revidierte Auflage
Leipzig Verlag von L. Staackmann 1902 (S. 38)

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August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
(1798-1874)


Aus den »Heideliedern«
Bothfeld 11. September 1849

1.
Du Mädchen von der Heide
In deinem dunklen Haar,
In deinem blauen Kleide
So schön, so wunderbar!

Ich möcht am Wege stehen
Als Glockenblümelein,
Dich fröhlich wandeln sehen
Im Tau und Sonnenschein!

Ich möcht als Falter leben
In Wiese, Feld und Hag,
Ich möchte dich
umschweben
Den langen Sommertag!

Ich möcht als Vogel fliegen
Um dich, wohin du gehst,
Auf Zweig und Ast mich wiegen
Da, wo du stille stehst!

Du Mädchen von der Heide,
Du kannst wohl fröhlich sein,
Und ich in meinem Leide,
Ich wandle hier allein.

Aus: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben Gedichte und Lieder
Im Auftrag der Hoffmann von Fallersleben-Gesellschaft
von Hermann Wendebourg und Anneliese Gerbert
Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 1974 (S. 109)
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Ludwig Foglar
(1819-1889)


Nachsommer

6.
Belauschend deinen Schlummer möcht' ich gern
Dein Bett
umschweben als getreuer Stern:
Beleuchten deinen Traum möcht' ich geheim,
Ins Herz dir legen künft'gen Glückes Keim;
Unsichtbar dir, dich sehen möcht' ich stets,
Dir folgen bis ins Amen des Gebets
Und erst wenn du begehrtest: Lieb' erschein!
Dir naht' ich bittend: laß mich bei dir sein!

Aus: Freudvoll & Leidvoll Neue Gedichte
von Ludwig Foglar
Leipzig Verlag von Heinrich Matthes 1867 (S. 232-237)
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Johann Diederich Gries
(1775-1842)


XII.

Die Ruhe hofft' ich wieder zu gewinnen,
Die meiner Brust, seit ich dich sah, entwunden;
Und ach! nun bist auch du mit ihr verschwunden.
Dir zu entfliehn - o thörichtes Beginnen!

Und eilt' ich bis an's fernste Meer von hinnen,
Am fernsten Meere würdst auch du gefunden.
An jedem Ort
umschwebt, zu allen Stunden,
Dein Bildniss mich - ihm kann ich nicht entrinnen.

Und wenn ihr doch dem sehnenden Verlangen,
Ihr Sterne, nur dies einz'ge Labsal liesset!
Doch alles raubt ihr, was mich glücklich machte.

Wenn vor der Arme glühendem Umfangen
In leere Luft das theure Bild zerfliesset,
Dann fühl' ich zehnfach, dass ich einsam schmachte.

Aus: Gedichte und Poetische Übersetzungen
von J. D. Gries Erstes Bändchen
Stuttgart Löfflund 1829   (S. 180)

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Robert Hamerling
(1830-1889)


Besorgnis

Was dieses Herz als höchste Wonne spüret,
Dein holdes Bild, ich schau' es oft mit Beben:
Wird es so rein mich immerdar
umschweben,
Wenn auch dem Blick, doch nicht dem Sinn entführet?

Es stirbt die Flamme, noch so heiß geschüret,
Und Liebe selbst lebt oft ein flüchtig Leben:
Dem Sinn entschwindet wieder, was ihn eben
Gleichwie mit ew'ger Zaubermacht gerühret.

Ich hob manch holdes Bild auf lichtem Schilde,
Und mußte doch nur allzubald verneinen
Der jüngst gepries'nen Züge Reiz und Milde.

Weh' mir, wenn jemals mählig auch die deinen
In mir erblassen gleich dem Nebelbilde,
Und selbst im Traume mir nicht mehr erscheinen!

Aus: Hamerlings Werke Volksausgabe in vier Bänden
Ausgewählt und herausgegeben
von Dr. Michael Maria Rabenlechner
Mit einem Geleitwort von Peter Rosegger Zweite Auflage
Dritter Band Hamburg Verlagsanstalt
und Druckerei A.- G. (vorm. J. F. Richter) (o. J.) (S. 165-166)
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Johann Christoph Friedrich Haug
(1761-1829)


Minneglück

Solch ein göttliches Vergnügen
Füllte meinen Busen nie.
Ich
umschweb', als könnt' ich fliegen,
Ewig in Gedanken Sie,
Seit, wie Harfenmelodie
Der Geliebten süsse Stimme
Meinem Herzen Trost verlieh.

Was ich wonnigliches schaue,
Ist nur meiner Wonne Schein.
Luft und Erde! Wald und Aue!
Ihr sollt meine Zeugen seyn!
Ja! die gold'ne Zeit ist mein,
Und zu Paradiesesfreuden
Weihte mich die Göttin ein.

O des Zaubertons voll Güte,
Der so himmlisch mir erklang,
Und im staunenden Gemüthe
Flugs den alten Kummer zwang,
Dass mir Wonne draus entsprang,
Und, wie Thau, vor zarter Liebe
Hell aus beiden Augen drang.

Selig sey die Minnestunde,
Selig sey der erste Tag,
Als ein Ja von ihrem Munde
Schloss den lieblichsten Vertrag!
Heil mir, der ich froh erschrack,
Und noch immer mein Entzücken
Auszusprechen nicht vermag!

Aus: Epigrammen und vermischte Gedichte
von Johann Christoph Friedrich Haug
Zweiter Band
Berlin Bei Johann Friedrich Unger 1805 (S. 169-170)

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Ricarda Huch
(1864-1947)


Gebet

Meinen Liebsten zu behüten,
Bitt' ich dich, o Herr der Welt,
Der du aller Stürme Wüten
Ein gewisses Ziel gestellt.
Einen Engel wolle senden,
Daß er immer ihn
umschwebe
Und mit seinen Himmelshänden
Über jeden Abgrund hebe.


Aus: Ricarda Huch Gesammelte Werke
Fünfter Band: Gedichte, Dramen, Reden,
Aufsätze und andere Schriften
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Kiepenheuer & Witsch 1966-1970 (S. 33)

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Salomon Hermann Mosenthal
(1821-1877)


Andenken

Ich denk an Dich! Orion lächelt milde
Herab auf mich.
Dein Auge strahlet mir aus seinem Bilde
Wie es beim Abschied war, das lieberfüllte.
Ich denk' an Dich!

Ich denk' an Dich! Ein Abendlüftchen fächelt
So sanft um mich.
Dein Athem ist's, ich fühle Deine Nähe,
Du bist mir nah', auch wenn ich Dich nicht sehe.
Ich denk' an Dich!

Nun gute Nacht! Dein holdes Bild
umschwebe
Im Traume mich.
Blick' zum Orion auf, dem stillen Zeugen,
Ich bin bei Dir, wenn auch die Worte schweigen -
Ich denk' an Dich!

Aus: Gesammelte Gedichte von S. H. Mosenthal
Wien Druck und Verlag von Carl Gerold's Sohn 1866  (S. 12)

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Novalis (Friedrich von Hardenberg)
(1772-1801)


[Vergiß mein nicht!]

Vergiß mein nicht, wenn lockre kühle Erde
Dies Herz einst deckt, das zärtlich für dich schlug.
Denk, daß es dort vollkommner lieben werde,
Als da voll Schwachheit ichs vielleicht voll Fehler trug.

Dann soll mein freier Geist oft segnend dich
umschweben
Und deinem Geiste Trost und süße Ahndung geben.
Denk, daß ichs sei, wenns sanft in deiner Seele spricht;
Vergiß mein nicht! Vergiß mein nicht!


Aus: Novalis. Werke in einem Band
Herausgegeben von Hans-Joachim Mähl
und Richard Samuel
Deutscher Taschenbuch Verlag  München 1995 (S. 107)
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Ludwig Pfau
(1821-1894)


Ständchen

Mein Lieb! all ihre Grüße
Schickt dir die Frühlingsnacht:
Schlaf wohl! du Wundersüße,
Du Süße!
Gehüllt in deine Pracht.

Es kommt aus Kelch und Dolde
Ein Duft dir zugefacht:
Schlaf wohl! Du Wunderholde,
Du Holde!
Du Glut der kühlen Nacht.

Und zarte Liebestöne
umschweben dich sanft und sacht:
Schlaf wohl! Du Wunderschöne,
Du Schöne!
Du Herz der stillen Nacht.

Und Sterne mit mildem Scheine,
Sie winken von hoher Wacht:
Schlaf wohl! Du Wunderreine,
Du Reine!
Du Trost der dunkeln Nacht.

Du Lieb! all ihre Grüße
Schickt dir die Frühlingsnacht:
Schlaf wohl! Du Wundersüße,
Du Süße!
Gehüllt in deine Pracht.


Aus: Gedichte von Ludwig Pfau.
Dritte Auflage und Gesamtausgabe
Stuttgart 1874 (S. 12)
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Robert Prutz
(1816-1872)


Dämmerstunde

Was hauchst du, braune Dämmerstunde,
Du Trost dem müdgehetzten Mann,
Gleichwie ein Kuß von liebem Munde
Die fieberheiße Stirn mir an?
Du senkst dich leis mit lindem Schmeicheln
In mein verschlossnes Herz hinein,
Wie treuer Hände sanftes Streicheln,
Wie Kinderathem süß und rein.

Du holde Zeit versteckter Wonnen,
Da alle Blumen duft'ger blühn,
Indessen flammend mir als Sonnen
Die Augen der Geliebten glühn!
In ihre weichen Arme sink' ich,
Von Tages Last und Qual befreit,
Von ihrer ros'gen Lippe trink' ich
Den Balsam deiner Einsamkeit.

O säumet euch, ihr goldnen Sterne,
Verzögre dich, geliebter Mond!
In dieser Dämm'rung bleib' ich gerne,
In der die Liebe sichtbar thront;
Von ihrem weichen Netz umsponnen,
Von ihrem süßen Hauch
umschwebt,
Sind Erd' und Himmel mir zerronnen,
Und einzig meine Liebe lebt!


Aus: Robert Prutz Buch der Liebe
Leipzig Verlag von Ernst Keil 1869 (S. 195-196)
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Richard Pohl
(1826-1896)


Liebes-Hauch

Wie eine Aeolsharfe fühl' ich's beben
In meiner bangen, stillbewegten Brust,
Hör' deiner Stimme Klang ich mich
umschweben,
Streift deiner Augen Gruß mich unbewußt.

Dann singe Lieder ich zu deinem Preise,
Sie steigen himmelan - du hörst sie nicht -
Von meiner Liebe sing' ich, klagend, leise,
Und jeder Hauch von dir wird zum Gedicht!

Aus: Gedichte von Richard Pohl
Weimar Landes-Industrie-Comptoir 1859 (S. 83)

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Emil Rittershaus
(1834-1897)


Für Dich!

Dich lieb' ich heiß, wie ich auf Erden
Noch nimmermehr ein Weib geliebt,
Und nimmer kann mir Frieden werden,
Wenn nicht Dein Herz mir Frieden giebt.
Darf ich auf Deine Liebe hoffen?
Ist mein Dein Herz? O Liebste, sprich!
Des Himmels Pforten sprengt' ich offen
Für Dich!

Dein Bildniß schaut in meine Träume,
Wenn leis die Nacht den Schleier webt,
Wenn durch des Aethers blaue Räume
Die Legion der Sterne schwebt.
Dein Bildniß seh' ich mich
umschweben
Auch dann noch, wenn die Nacht verstrich. -
Mein ganzes Sein, mein ganzes Leben
Für Dich!


Aus: Gedichte von Emil Rittershaus
Sechste Auflage Breslau 1880
(S. 383)
 
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Johann Gaudenz von Salis-Seewis
(1762-1834)


Der Entfernten

Wohl denk' ich allenthalben,
O du Entfernte, dein!
Früh, wenn die Wolken falben,
Und spät im Sternenschein.
Im Grund des Morgengoldes,
Im roten Abendlicht,
umschwebst du mich, o holdes,
Geliebtes Traumgesicht!

Es folgt in alle Weite
Dein trautes Bild mir nach,
Es wallt mir stets zur Seite,
In Träumen oder wach;
Wenn Lüfte sanft bestreifen
Der See beschilften Strand,
Umflüstern mich die Schleifen
Von seinem Busenband.

Ein Abglanz seines Schleiers
Scheint auf die Saat gewebt;
Sein Hauch, was des Gemäuers
Bewegten Eppich hebt;
Der Kleidung weiche Falten,
Geformt aus Glanz und Duft,
Entschwinden in den Spalten
Der öden Felsenkluft.

Wo rauschender und trüber
Der Strom Gebirge trennt,
Weht oft sein Laut herüber,
Den meine Seele kennt;
Wenn ich den Fels erklimme,
Den noch kein Fuß erreicht,
Lausch' ich nach jener Stimme;
Doch Kluft und Echo schweigt.

Wo durch die Nacht der Fichten
Ein Dämm'rungsflimmer wallt,
Seh' ich dich zögernd flüchten,
Geliebte Luftgestalt!
Wenn, sanft dir nachzulangen,
Der Sehnsucht Arm sich hebt,
Ist dein Phantom zergangen,
Wie Taugedüft verschwebt.

Aus: Gedichte von Joh. Gaudenz von Salis-Seewis
Neueste vermehrte Auflage
Zürich bei Orell, Füßli und Compagnie 1829 (S. 91-93)
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Adolf Friedrich von Schack
(1815-1894)


An Sie

Was birgst du dich vor mir? Ich habe
In meinen Träumen schon als Knabe,
Als Jüngling schon dich oft geschaut,
Sanft deiner Nähe Hauch empfunden
Und Morgens, wenn du mir entschwunden,
Mit Thränen meinen Pfühl bethaut.

Wenn nächtlich unterm Sternendache
Das Rufen mir, das tausendfache,
Von Wald und Flur zum Ohre drang,
Oft fernher durch der Stürme Brausen,
Der Ströme Rauschen, in den Pausen
Vernahm ich deiner Stimme Klang.

In allem Hohen, allem Schönen
Der alten Dichtung, in den Tönen,
Mozarts und Webers hört' ich sie;
Beim Orgelklang durch die Choräle
Erscholl sie mir, und meine Seele
Trank brünstig ihre Melodie.

Doch, die du immer mich
umschwebtest,
Oft fragt' ich zweifelnd, ob du lebtest,
Weil keine dir auf Erden glich.
Und, wie die wechselnden Gestalten
Des Lebens mir vorüberwallten,
In jeder, jeder sucht' ich dich.

Ich sah sie kommen, sah sie schwinden,
Und konnte nie die Eine finden,
Nach der das Herz mir einzig rang -
Mein Haupt verhüllt' ich da voll Trauer
Und fühlte, wie des Todes Schauer
Durch meine Glieder eisig drang.

Schon schwand vom Leben mir das Beste,
Verdorrend sinken seine Aeste,
Welk seine Blätter nach und nach,
Doch wieder naht, im Sturm sich wiegend,
Der Frühling, Grab und Tod besiegend,
Und neu wird alte Hoffnung wach.

Komm denn, du, die mir immer fehlte,
Braut, der ich mich im Geist vermählte!
Birg meinem Blick dich länger nicht!
Mit hohen, sehnsuchtschweren Schlägen
Klopft zitternd dir mein Herz entgegen,
Komm, daß es nicht in Jammer bricht!

Aus: Gedichte von Adolf Friedrich von Schack
Berlin 1867 (S. 295-296)
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Friedrich von Schlegel
(1772-1829)


An Selinde

6.
Die süße Stunde werd' ich nie vergessen,
Als mich der liebe Leib so süß umschlungen,
 Auch Du von meinem Leben warst durchdrungen,
Uns beid'
umschwebt' ein seliges Vergessen!
Was darf mit freier Liebeslust sich messen,
Wenn endlich jeder Zweifel nun bezwungen,
Die Welt in einen Augenblick verschlungen,
Und Freude macht das leichte Herz vermessen?

Aus: Friedrich von Schlegel's sämmtliche Werke
Zweite Original-Ausgabe Neunter und Zehnter Band
Wien Im Verlage bei Ignaz Klang 1846 (9. Band S. 104-106)

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Johann Ferdinand Schlez
(1759-1839)



Der Verschmähte
Nach dem lateinischen des
alten Karmeliters Baptist von Mantua
Am 13. Decemb. 1781

- - - - mea pectora imago
Virginis obsedit. Mecum est,
mecum itque reditque,
Excubat et dormit mecum. - - -
O me felicem! si cum mea fata vocabunt,
In gremio, dulcique sinu, niveisque lacertis,
Saltem anima, caput hoc languens abeunte jeceret!
Illa sua nobis moriuntia lumina dextra
Clauderet, et tristi fleret mea funera voce.
Sive ad felices vadam post funera campos,
Seu ferar ardentem rapidi Phlegetontis ad undam:
Nec fine te felix ero, nec tecum miser unquam!
Bapt. Mant. Ecl. III

So bring' ich doch der Holden Bild
Mir nimmer aus dem Sinn!
Sie wandelt mit mir aus und ein,
umschwebt mich wo ich bin:

Schläft ein mit mir, steht mit mit auf,
Schafft bald mir Leid, bald Lust;
Saugt, wie ein eingeimpftes Reis,
Die Kraft aus meiner Brust.

Ach! ohne sie - wo ist ein Glück?
Mit ihr - wo ist ein Leid?
Getrennt von ihr, ist Hölle nur;
Bey ihr ist Seligkeit!

Und ach, dass jetzt aus ihrem Mund
Ein Heuchler Leben saugt,
Indess den Geist, durch ihre Schuld,
Ihr Treuster von sich haucht!

O läg' ich, wenn mein mattes Aug
Bald Todesdunkel deckt,
In ihrem schwanenweichen Arm,
Auf ihren Schoos gestreckt!

Mit Reuethränen säh' sie dann
Vielleicht auf mich herab,
Schlöss klagend mir die Augen zu
Und weinte um mein Grab.


[Baptist von Mantua: Battista Mantovano (1447-1516)]

Aus: Vermischte grösstentheils lyrische
Gedichte von Johann Ferdinand Schlez
Zweyte, verbesserte, vermehrte Auflage
Nürnberg bey Ernst Christopg Grattenauer 1793 (S. 91-93)

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Ulrich von Schlippenbach
(1774-1826)


Als ich mir die entfernte Geliebte tanzend dachte
Meschneeken 1798

Leicht, wie eine Silberquelle
Sich durch Blumenufer schlingt,
Wie des Morgenstrahles Helle
Schimmernd durch die Dunkel dringt:
O, so wallt im leichten Kleide,
Als des Festes Königin,
In der Unschuld Glanz Geschmeide
Jetzt mein schönes Mädchen hin.

Dich ereilt der Liebe Flügel,
Mädchen, wo Du immer bist,
Sie, die, höhnend Schloss und Riegel,
Gleich den Lüften, Dich umschliesst;
Fliehe mit Gedankenschnelle
Schimmernd durch die bunten Reih'n,
Liebe folgt auf jeder Stelle,
Liebe holt Dich ewig ein.

Aber glüht Genuss der Freude
Dir im schönen Angesicht,
So vergiss der theuern Eide
Und des Schwurs der Treue nicht.
Denke meiner, der so ferne,
Fern von Dir in dunk'ler Nacht,
Bey dem bleichen Schein der Sterne,
Dich nur denkend, einsam wacht.

O, Geliebte, dieses Leben
Schliesset nicht mein Sehnen ein;
Ewig werd' ich Dich
umschweben,
Und als Geist noch bey Dir seyn.
Tanzend oder am Altare,
Heilig der Unsterblichkeit,
Schwör' ich bis zur Todtenbahre
Meiner Liebe Ewigkeit.

Aus: Gedichte von Ulrich Freyherrn von Schlippenbach
Mitau 1812 Gedruckt bey J. F. Steffenhagen und Sohn (S. 19-20)

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Christoph August Tiedge
(1752-1841)


Lizidas

Könnt' ich ein Lüftchen seyn:
Das wär' ein Leben,
Immer in Feld und Hain
Sie zu
umschweben,
Oder, im kühlen Hauch
Wehender Schwingen,
Ihr von dem Blütenstrauch
Opfer zu bringen!

Wär' ich ein Blütenblatt:
Eh' ich verschwände,
Nähm' ich zur Lagerstatt
Lidias Hände,
Oder in ihrem Schooß
Wählt' ich zu sterben!
Wahrlich! kein schönres Loos
Könnt' ich erwerben!

Könnt' ich ein Vogel seyn:
Wieder und wieder
Säng' ich nur ihr allein -
Liebende Lieder,
Ließe bei ihr allein
Häuslich mich nieder,
Kehrte zum offnen Hain
Nimmermehr wieder.

Fragt ihr mich aber: was
Wärst du noch lieber?
Freilich ihr Lizidas
Wär' ich doch lieber!
Lust und Gesang vollauf
Wollt' ich ihr spenden,
Und sie wohl tragen auf
Liebenden Händen;

Gründlich ihr Fensterlein
Draußen umstricken,
Sollten zu ihr hinein
Rosen dort nicken,
Sollte die Rosen dann
Weinend umschlingen:
"O, ich beglückter Mann!"
Wollt' ich dann singen!


Aus: C. A. Tiedge's sämmtliche Werke (Band 1-10)
Leipzig 1841
Vierte Auflage Renger'sche Buchhandlung (Fr. Volckmar) (Band 3 S. 15-17)

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Christine Westphalen
(1758-1840)


Sie an Ihn

Ich denke dein, wenn alle Lüfte schweigen;
Wenn mich die sanfte Morgenröthe weckt;
Wenn Blüthen sich in Mittagsgluthen neigen,
Und Abend-Thau die stille Flur bedeckt;

Wenn Klagen flöten aus den Nachtigallen,
Und himmelan sich schwingt der Lerche Lied;
Die, wehmuthsvoll, im Innern wiederhallen,
Das, mächtig, uns zu höhern Welten zieht;

Wenn Phöbus Wagen tief in Westen schwebet,
Wenn Hesperus sich traulich ihm gesellt;
Ein Feuerstrom die Spiegelfluth belebet,
Die nah' und fernen Ufer, golden, hellt;

Wenn sich die Dämmrung senkt auf stille Matten,
Aus weicher Brust die sanfte Schwermuth weint,
Und, melancholisch, aus dem Thal der Schatten
Der Vollmond leis' am Horizont erscheint;

Nun, majestätisch, langsam, ernst und stille,
Sein bleiches Licht die Sternenwelt begrüßt -
Und aus des Sängers Busen Götterfülle
In süßern Harmonieen überfließt;

Dann Ruh und Stille, Hand in Hand, aufs neue
Der ersten Bundesfeyer Fest begehn,
Eh' aus der öden Finsterniß ins Freye
Ein Gott sie hieß die Morgenröthen sehn!

Dann denk' ich dein. - Auch wähn' ich dich zu sehen;
Dein Geist ist es, der mich wie Licht
umschwebt;
Ich fühle dich in dieser Lüfte Wehen -
Du bist es, der entfernt und um mich lebt!

Ich höre dich in dieser Bäche Rauschen -
Die Harmonie der Schöpfung trägt dein Bild!
Ich fühl' es tief, und kann der Wonne lauschen,
Die deinen hohen Werth mir ganz enthüllt!

Dein Leben gleicht den sanftesten Accorden.
Vom Herzen strömt sein volles Saitenspiel,
Das mich entzückt. - Du, du bist mir geworden,
Dein ward ich, dein, aus gleichem Mitgefühl!

Ich liebe dich, wie ich den Bruder liebe;
So lieben Engel sich im Geisterreich.
Und wenn im Schattenthal kein Glück mir bliebe,
Bleibt mir dein Herz, und mit ihm bin ich reich.

Du liebest mich, wie dich die Schwester liebet,
Sie, längst dein Genius aus beßrer Welt.
Und blüht ein Glück, das keine Reue trübet,
Und ohne Wechsel - das uns nie zerfällt! -

Mag sich das Sterbliche zum Grabe wenden;
- Du willst, Natur! daß es in Dunst zerfließt -
Nie kann der Tod den Bund der Geister enden,
Der ewig war, den Ewigkeit umschließt.

Aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 266-269)
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Heinrich Zirndorf
(1829-1893)


Buch der Liebe

LXI.
Wo ich wandle,
Wo ich irre,
Wo zur Ruhe
Sich mein Haupt legt,
Niemals fühl' ich
Mich verlassen,
Niemals kann ich
Einsam sein.

Du
umschwebest
Meine Schritte,
Gehst beständig
Mir zur Seite,
Du bevölkerst
Meine Träume;
Dein geliebtes
Hohes Bildniß
Steht mir ewig
Vor den Augen:
Niemals kann ich
Einsam sein.

Aus: Gedichte von Heinrich Zirndorf
Leipzig Arnoldische Buchhandlung 1860 (S. 131)

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Kathinka Zitz-Halein
(1801-1877)


Freundschaft oder Liebe
Nach dem Französischen

Dein Bild
umschwebt mich wo ich gehe,
Es lächelt mir im süßen Traum;
Fast athm' ich nicht in deiner Nähe,
Wo du nicht bist, da leb' ich kaum,
Doch weiß ich nicht, sind diese Triebe
Die ich genährt in stiller Brust,
Die Flammen einer heil'gen Liebe
Sind sie der Freundschaft reinste Lust.

Du lächelst mir; wenn ich mich freue,
So find' ich heil'ger Liebe Spur;
Doch glaub' ich meiner stummen Treue,
So ist es doch wohl Freundschaft nur.
Kein Wesen ist wie du mir theuer,
Was ich empfinde giebt mir Muth -
Es zehrt an mir wie Liebesfeuer,
Doch ist es rein wie Freundschaftsglut.

Doch nein! es ist die heil'ge Liebe
Die mich erfüllt mit Lust und Schmerz;
Lang barg ich ihre süßen Triebe
Mir unbewußt ins treue Herz.
Doch droht die Seele zu ermatten,
Es drücket sie des Schweigens Pein -
Die Liebe wäre nur ein Schatten,
Könnt' was ich fühle, Freundschaft sein.

Aus: Herbstrosen in Poesie und Prosa
von Kathinka Zitz
Mainz 1846 (S. 75)
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