Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Ägyptische Liebeslieder

 


Hervor o Freud'! hervor o Freud'!
Die Sehnsuchtsgluth senkt mich in Leid.*

Daß Jeder nicht, deß Augen schlafen,
Daß auch der Liebende schlafe, denke!
Bei Gott ich bin von Lieb' entzündet!
Den Liebenden kein Tadel kränke!

O Shech der Araber, o Seyd,**
Nur einmal meiner Liebe diene!
Kommt heut' die Liebste zu mir, mach ich
Den Caschmir ihr zum Baldachine.

Die Schöngestaltete senkt mich in Noth,
Die schwarzen Augen meiner Schönen!
Aus Lieb' für sie sing' ich dies Lied,
Es wächst der Wahnsinn mit den Tönen.

Die Schaar der Tadler sich vereint,
Mich von der Liebsten fern zu halten.
Bei Gott die Äuglein laß ich nicht,
Und wenn sie mich in Stücken spalten!

Auf! laß uns in Lieb' berauschen,
Im Schatten des Jasmins uns ruh'n;
Die Pfirsich von der Mutter pflücken,
Weiß doch um uns kein Tadler nun!

O Ihr, Ihr Töchter von Cairo,
Mit köstlich werthem Schmuck Ihr pranget,
Ihr traget den Shatehh*** von Perlen
Euch auf der Brust Kiladeh**** hanget.

O Töchter Alexandria's, reizend
Auf Tepp'chen schreiten Eure Füße!
Ihr tragt den Kashmirshawl von Lama
Und Euer Mund hat Zuckers Süße.

Ihr Schönen, fürchtet Gott! erbarmet
Euch derer, die die Lieb' bedränget,
Die Lieb' zu Euch hat Gott verordnet,
Er hat sie über mich verhänget.
(S. 94-95)
 

* Dieser Kehrreim wird nach jeder der folgenden Stanzen wiederholt, manchmal im Chor.

** Ein berühmter Heiliger

*** Shatehh ein halsbandähnlicher Schmuck, der von dem Kopfputz herabhängt.

**** Kiladeh eine Art Halsband, das bis an den Gürtel reicht.

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Du mit dem Seitenlöckchen! langem Ermelröckchen!
Die Liebst' ist fort, und nicht kommt der Gefährte.

Der Bote ging, und kehrte nicht zurück;
Der Liebe Augen nach ihm blicken!
Du mit dem Seitenlöckchen! langem Ermelröckchen!
O ließen nimmer wir uns doch umstricken!

Warum o Aug'! verstricktest Du uns so?
Warum mit Blicken uns verwunden?
Du mit dem Seitenlöckchen! langem Ermelröckchen!
Bei Gott laß aus Erbarmen uns gesunden!

Du hast mich krank gemacht, Geliebte!
Nach Deinen Arzene'n steht mein Verlangen.
Vielleicht o Vollmond übst Du Gnad' an mir,
Denn ganz hast Du mein Herz in Lieb' gefangen!

O Du im rothen Kleide! Du im rothen Kleide!
Geliebte meines Herzens, bleib bei mir!

Die Liebste kam zu mir mit schwankem Gang,
Mein Rausch entstand durch ihre Augenlieder.
Als ich die Hand ausstreckte nach dem Becher,
Berauscht' ich mich in ihren Augen wieder!

O Du im rothen Kleide! Du im rothen Kleide!
Geliebte meines Herzens, bleib bei mir!
(S. 95)

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Die Liebste ging vorbei, hat Sherbet mir gebracht,
Berauschen woll'n wir uns in Wein die halbe Nacht,
Ich schwör's, kommt die Geliebte wieder her,
Thu Thaten ich, die Antar* nicht vollbracht.

O Maid! die Ärmchen zeigt Dein seidnes Hemd zerrissen;
Um Deiner Augen Schwarz wir für Dich fürchten müssen!
Berauschen möcht' ich mich und Deine Wangen küssen,
Und Thaten thun, die Antar nicht vollbracht!

Sie geht vorbei, und füllet den Ardshilih**;
Und Rosenwasser ist darin - fast will es scheinen,
Arglist'ger Plan steck' in dem Sinn der Kleinen;
Wann spricht sie zu mir: komm, laß Liebesrausch uns einen?

Mein Jammern durch die Nacht währt bis zu Morgens Helle,
Um sie, die stahl mein Herz, die einsame Gazelle!
Ich schwör's, kommt meine Liebste hier zur Stelle,
Thu Thaten ich, die Antar nicht vollbracht!

O Thräne meines Aug's! was zog dich auf die Wangen?
Sie spricht: der Liebsten Fernsein mehret Dein Verlangen.
O Schönste! übe Gnad' an dem, der ganz gefangen!
Erblinde der, der kalt sieht Deiner Augen Pracht!

O Dunkelfarb'ge! mit zwei weißen Rosen***!
Durchdüftet ist meine Lieb' jedwede Festesnacht****;
Ich schwör' es, kommt sie mit mir zu kosen,
Thu Thaten ich, die Antar nicht vollbracht!
(S. 96)
 

* Antar, ein beliebter arabischer Romanheld und Dichter.

** Ardshilih, gewöhnlicher Nardshilih, ist die persische Pfeife.

***  Die Dunkelfarbige hat weiße Rosen auf den Wangen.

**** Die Ägypterinnen pflegen sich den Abend vor den heiligen
Festen, der überhaupt der Freude gewidmet ist, mit Wohlgerüchen zu durchduften. Die Zeit des Liedes ist wahrscheinlich ein solcher
heiliger Abend und der Liebhaber, die Geliebte erwartend, genießt
im Voraus ihren süßen Duft.

 

Aus: Versuch einer geschichtlichen Charakteristik der Volkslieder germanischer Nationen
mit einer Übersicht der Lieder aussereuropäischer Völkerschaften
von Talvj [Therese Albertine Louise von Jakob verh. Robinson 1797-1870 ]
Leipzig 1840

 

 

 


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