Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Malayische Liebeslieder

 


Wenn meine Liebste aus dem Fenster sieht,
Und wie ein Stern ihr Auge glänzt und glüht
Und Strahlen funkelnd um sich schießt und sprüht,
Dann möcht ihr ältrer Bruder* gleich vergehn!
Dem Mango gleicht die Wange hold und schön,
Der schlanke Hals, wie reizend anzusehn
Und wenn sie schlucket, Schatten drauf entstehn!
Wie'n Bild im Schauspiel ist sie anzusehn.
Die Stirne gleicht dem Neumond im Entstehn,
Die Brau'n gewölbt - o zum Verzehren schön!
Längst hab ich sie zur Herrin mir ersehn!
'Nen Ring trägt sie von Ceylons Edelsteinen,
Die langen Nägel wie ein Blitzstrahl scheinen,
Durchsichtig wie die Perlen sind, die reinen!
Der schlanke Leib, der feinste von den feinen,
Der Hals, als wie gemeißelt und geschnitzt,
Das Mündchen, dunkles Rothholz, aufgeschlitzt;
Beredsamkeit auf ihren Lippen sitzt.
Selbst schmückt sie sich, nicht tut es ihr Gewand,
Schwarz ihre Zähn' - mit Baja schwarz geätzet!**
Anmuthig schlank - 'ner Königin verwandt;
Das Haupt schmückt ein Seraja-Blumenband,
Nichts was der Schönheit Ebenmaß verletzet!
Oft will die Seel' im Rausche mir entfliehen,
Aus meinen Augen will heraus sie sprühen,
Ganz außer Stande sie zurück zu ziehen!
(S. 69-70)


* Abang, d.i. älterer Bruder, eine sehr übliche Benennung des Liebhabers.

** So wie ein malayisches Mädchen heranwächst, wird eine gewisse Operation mit ihren Zähnen vorgenommen, die künstlich gefeilt und ducrh ein Pulver, das aus gebrannter Cocosschale bereitet ist, unwiderruflich schwarz gefärbt werden. Weiße Zähne gelten für sehr unschön und für thierisch, da der Mensch sie mit den Affen, Hunden u. s. w. gemein hat.

 

Aus: Versuch einer geschichtlichen Charakteristik der Volkslieder germanischer Nationen
mit einer Übersicht der Lieder aussereuropäischer Völkerschaften
von Talvj [Therese Albertine Louise von Jakob verh. Robinson 1797-1870 ]
Leipzig 1840
 

 

 


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