Liebeslieder der Völker (Volkslieder)


 

Bulgarische Liebeslieder



Hochzeitslieder


I.
Schön-Milena
(Wird während des Rasierens des Burschen gesungen)

Schön-Milena, ihrer Mutter
Allereinz'ge schöne Tochter,
Hat am Freitag man verlobt
Und am Samstag sie besucht;
Samstags, an dem ganzen Tage
Geht im Hof sie auf und nieder,
Auf und nieder, unermüdet,
Thränen netzen ihre Augen.
Davon schmerzen ihr die Augen
Schlaf senkt sich auf ihre Augen,
Sagt mit Worten ihrer Mutter:
"Mütterlein, du liebe Mutter,
Kopfweh hab' ich, schläfrig bin ich,
Möcht' mich legen, möchte schlafen."
Sagt nun ihre liebe Mutter:
"Leg' dich nieder, schlafe, Tochter,
Werde selbst den Hof auskehren,
Und den Tisch werd' ich auch decken."

Niederlegt sich Schön-Milena,
Auf den Tisch lässt sie ihr Köpfchen,
Wie die Schlange auf den Felsen.
Ihre Mutter weckt und weckt sie:
"Schön-Milena, liebe Tochter,
Steh' auf, wach' auf, meine Einz'ge,
Legtest dich gesund ja nieder,
Dennoch, wie ein gar schwer Kranker,
Senktest du dein Köpfchen nieder."

Drauf versetzt nun Schön-Milena:
"Mütterlein, du gute Mutter,
Hab' erschreckt, gar sehr erschreckt mich,
Einen schweren Traum, den träumt' ich!
Gehe, Mutter, geh' zu Milan,
Bitte ihn du, sage du ihm,
Rufen soll er nicht die Beiständ',
Und die frohen Hochzeitsleute,
Wart' auf mich der gute Milan,
Wart' auf mich er noch ein Jahr lang,
Und das zweite auch zur Hälfte,
Dass der Traum, der Traum, der böse,
Nicht zum Bösen sich verwirklich'."

Spricht mit Worten ihre Mutter:
"Liebe Tochter, Schön-Milena,
Sag' mir doch, was du geträumt hast,
Will es deuten dir, o Tochter!"
Schläfrig sich erhebt Milena,
Ihren Traum sie nun erzählt:
"Hat gebaut man zwei der Städte
In dem weiten Hofe Milan's,
Städte zwei, mit zwei Basteien,
Auf Basteien zwei der Geier,
Auf den Geiern zwei der Tücher."

Ihren Traum nun, diesen schweren,
Also deutet ihre Mutter:
"Liebe Tochter, Schön-Milena,
Sind zwei Junge die zwei Städte,
Die Basteien die zwei Dever's,
Zwei der Selva die zwei Geier,
Die zwei Tücher Jungfernborten."

Drauf erwidert Schön-Milena:
"Mütterlein, du gute Mutter,
Nicht gut deutest du mir dieses.
Wenn du auch alt, nicht verstehst du's.
Diesen Traum will ich mir deuten,
Andres hat er zu bedeuten.
Die zwei Städte sind zwei Gräber,
Zwei Basteien sind zwei Pfarrer,
Zwei der Wesen die zwei Geier,
Zwei der Tücher zwei Bahrtücher."

Spricht mit Worten ihre Mutter:
"Liebe Tochter, Schön-Milena,
Nicht geb' ich dich jetzt dem Milan,
Geh' er heim und komm' er wieder."

Kaum sagt sie dies, nun da plötzlich
Kommen an die Hochzeitsleute;
Geht zu ihnen nun die Mutter,
Drinnen weint die schöne Tochter.

Tranken, aßen drei der Tage,
Zogen ab am dritten Tage,
Dass sie bleiben, nöthigt sie noch
Fort und fort Milena's Mutter.

"Bleibet hier noch drei der Tage,
Bösen Traum sah Schön-Milena;
Seit ihr übern Wald hinüber,
Ist des Traumes Bann gehoben."

""Lass' uns, lass' uns, mit den Träumen,
Bösen Traum sah auch der Milan,
Doch er schweigt und sagt ihn niemand.""

Und sie führten fort Milena,
Wie sie gehn, und wie sie gehen,
Kommen sie zur Waldesmitte,
In der fels'gen, rauhen Gegend,
An des wilden Baches Ufer,
In dem Wasser kleine Fische,
In dem Walde springen Hirsche,
Dem nicht widerstehn die Gäste,
Sie verfolgen diese Thiere.

Nur der Milan rührt sich nicht weg.
Spricht zu seinem Beistand also:
"Mir gestatte es, Herr Beistand,
Dass ich küsse Schön-Milena."
Der erfasst die Hand der Braut nun
Und er führt sie zu dem Milan,
Dass er küss' sie, doch inzwischen
Klirrt im Gürtel die Pistole,
Dröhnt das Rohr, zur Erde fallend
Totgetroffen Schön-Milena
Sinkt auf einen kahlen Felsen.

Und da spricht nun Schön-Milena:
"Milan, Milan, schönster Liebster,
Bist mein, wenn wir ungetraut auch;
Greife schnell in meine Tasche,
Greif in meine rechte Tasche,
Nimm heraus von dort neun Schlüssel,
Und dann mit dem zehnten sperre,
Mit dem zehnten, der aus Gold ist,
Sperr' auf, sperr' auf meine Truhe,
Nimm heraus mein dünnes Tüchlein,
Nimm heraus den Šerma-Gürtel,
Und dann hinten mit dem Tüchlein,
Vorne aber mit dem Gürtel
Mir verbind' die schwere Wunde,
Dass ich hier nicht ganz verblute,
Dass des Blutes Fließen stocke,
Dass noch lebend heim ich kehre,
Deinen Hof noch sehen könne,
Dein Seraj, das große, luft'ge,
Dass die Dein'gen ich noch sehe,
Deine Schwestern, deine Tanten,
Denn ihr Ruf, der drang ja weithin,
Sagt man, dass sie schön und gut sei'n."

Milan greift in ihre Tasche,
Zieht hervor den goldnen Schlüssel,
Nimmt heraus das dünne Tüchlein,
Nimmt heraus den Šerma-Gürtel,
Und verbindet ihre Wunde,
Und er stillt ihr so die Blutung.

Als dahin zurück sie kehrten,
Von der Jagd die Hochzeitsleute,
Machten sie sich auf den Weg nun,
Zogen nach des Milan's Hofe.

Alle die Geschwister Milan's
Kamen ihnen nun entgegen,
Sprechen also zu dem Milan:
"Lieber Bruder, Bruder Milan,
Hör', es trommeln nicht die Trommler,
Die Susnaše blasen ja nicht!"
Sprach darauf ihr Bruder Milan:
"Kümmert euch nicht drum, Geschwister,
Haben gut uns unterhalten,
Hielten ein Gelag' im Walde."

Wie sie ins Gehöfte kamen,
In den weiten Hof des Milan,
Sprachen die Geschwister also:
"Lieber Bruder, Bruder Milan,
Deine schöne Braut Milena,
Hebt sie doch herab vom Rosse,
Dass dort vor der Thüre Schwelle
Schön-Milena sich verneige."

Trat an die heran nun Milan,
Und er hob ihr auf den Schleier,
Sahen sie nun die Geschwister,
Sahen sie, die Braut, die schöne,
Sprachen dann zu Milan also:
"Lieber Bruder, Bruder Milan,
Dies ist also die berühmte,
Vielgepries'ne Schön-Milena,
Deren Ruf so weit gedrungen,
Deren Ruf drang in die Ferne,
In des Car's und Vezier's Lande?
O, wie hässlich, garstig ward sie;
In der Gelbsucht ist die Arme,
In der Bleichsucht ist die Arme!"

Sprach da hastig Schön-Milena:
"Ihr Geschwister meines Milan's,
Schön-Milena's Ruf drang weithin,
Wohl von Osten bis nach Westen,
Sagen dies die Hochzeitsleute,
Dies bezeugt euch auch der Beistand;
Jetzt seht ihr mir nur das Antlitz,
Blickt doch in das Herz hinein mir,
Und dann sollt ihr euch beeilen,
Neun Saumrosse herzuholen,
Diese bringt mir eilig hieher;
Neun Saumrosse sind beladen
Mit Geschenken in den Truhen.
Meine Decken, alle neune,
Leget mir doch auf das Bett hin,
Legt mir hin die Seidenpölster,
Hoch hinauf sollt ihr sie legen,
Dass mir hoch der Kopf dort liege."

Und sie hoben sie vom Rosse,
Legten sie dann auf das Lager,
Sprachen Trost ihr zu mit Worten,
Und bedienten sie im Kreise;
Und sie sprach da zu den Selva's:
"Bis die Seele mir entschwebt,
So vertheil' ich die Geschenke."
Sie vertheilte, theilte aus sie,
Da entschwebte ihr die Seele.

Neben ihr stand nun der Milan,
Und begann da so zu reden:
"Gute Schwestern, ihr Geschwister,
Spitzes, scharfes Messer gebt mir,
Zu zertheilen die Orange,
Die Orange, diese gelbe
Zwischen ihre Lippen stecke."
Gaben ihm ein scharfes Messer,
Doch nicht schnitt er die Orange,
Stach sich in das Herz das Messer, -
Also starben jung die beiden.
(S. 391-397)

Šerma-Gürtel = Seidengürtel │ Seraj = Wohngebäude │ Susnaše = Trompeter

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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II.
Schön-Marica

"Süßes Seelchen, Schön-Marica,
Bist in Truhen eingesperrt du,
Speist man dich aus der Fildžeam?
Willst auf mich ja gar nicht blicken,
Hast zu mir kein Wort gesprochen."

""Schlimmer Bursche, schlimmer Bursche,
Wohl nicht hält man mich in Truhen,
Speist mich nicht aus der Fildžeam,
Hält mich nicht mit guten Worten.
Dir auch werf' ich meinen Blick zu,
Aber wir sind ja Verwandte;
Meine Mutter, deine Mutter,
Waren ja Geschwisterkinder,
Und wir sind's im zweiten Gliede!""

"Süßes Seelchen, Schön-Marica,
Hätten wir auch eine Mutter,
Dennoch würde dich ich nehmen.
Denn wir passen zueinander;
Wer uns beide trennen könnte,
Brächte in die Erd' uns beide!"
(S. 397)

Fildžeam = Tasse, Glas oder Schale, aus dem der Kaffee
oder Brantwein getrunken wird

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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III.
Stojan von Sofia

Ei, du goldner, junger Stojan,
Große Stadt ist schon Sofia,
Ist umgeben von Slatina,
Doch kein Mädchen findest du dir
Zur Geliebten und zur Gattin;
Doch nach Penna gehst du weithin,
Nach der Penna, der Hajdukin,
Nach der Penna, dieser Heidin,
Nach dem Fähnrich der Hajduken,
Nach dem Fähnrich, ihrem Führer.

Spricht die Mutter zu Schön-Penna:
"Wenn du Hochzeitsleut' erblickst,
Dann verneige tief und schön dich,
Und bekreuze du dich dreimal,
Ja nicht schlag' empor die Augen,
Anblick' deine Gäste nicht,
Niemand soll dich ja erkennen,
Dass du mit Hajduken schweiftest,
Dass du trugest ihre Fahne,
Fähnrich warst und deren Führer.
Deine alte Mutter wird dich
Morgen schon das übr'ge lehren."

Doch Schön-Penna nicht befolgt es,
Nicht befolgt sie diese Worte,
Denn kaum dass erblickt sie hatte
Hochzeitsleute, Herrenleute:
Nicht verneigt' sie schön und tief sich,
Und auch nicht bekreuzte sie sich,
Sondern rief mit lauter Stimme:
"Ihr Gefährten, gute Kämpen,
Kühn und gut seid, ihr Getreuen!"
Jedermann erkannte Penna,
Die herumstrich mit Hajduken,
Der Hajduken Fahnenträger.
(S. 398)

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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IV.
Vöglein singt . . .
(Werbelied)

Vöglein singt am Apfelbaume,
Und so singend, spricht es also:
"Hei, was schläfst du? Steh' auf schleunig!
Türken haben uns befallen,
Und verführt schon alle Jungen,
Und getödtet alle alten!

Blieben lebend nur zwei Waisen,
Zwei der Waisen, zwei Geschwister;
In den Wald sie trieben fort sie
Und der Wald nun wiegt sie ein.

Zwischen Laub ein Bett sie flochten,
Leise Winde ein sie wiegen,
Und Thauperlen sie wohl tränken,
Und der Bär sie beide säugt,
Die zwei Waisen, die Geschwister."
(S. 399)

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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V.
Penka und der Sultan

Sprach der Sultan zur Schön-Penka:
"Penka, Penka, süßes Herzchen,
Werde du mein liebes Weibchen,
Seid'nes Röckchen kauf' ich dir dann,
Aus šalvarer weichem Atlas,
Bind' die Kette um den Hals dir
Aus dem Golde meiner Mutter."

Penka nun versetzt dem Sultan:
"Sultan, nein, ich brauche dich nicht,
Garstig, heidnisch ist dein Glauben;
Gar unzüchtig und verdammt ist
Auch dein Glauben, auch das Reich dein;
Hält den Mittwoch und den Freitag
Nicht für einen Feiertag ihr;
Ob es Werktag ist, nicht wisst ihr's,
Ob es Sonntag, nicht versteht ihr's.
Nur den Bajram-Tag ihr feiert,
Wann der ist, ihr das nicht wisset,
Und ihr sucht ihn aller Orten,
Findet ihn nur mit der Flinte."

Sprach der Sultan zu Schön-Penka:
"Penka, Penka, süßes Herzchen,
Alle deine Schwägerinnen
Sind Kadinen schon in Idrin,
Alle, die dir Dever waren,
Sind Sultane in Isirlinsk."

"Nein, ich mag dich nicht, du Sultan,
Meines Glaubens sei mein Gatte,
Nimm ein Weib dir deines Glaubens!"
(S. 399-400)

Salvar = eigentlich Pluderhosenstoff │ Bajram = türkischer Feiertag
Kadinen = Frauen

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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VI.
Junger Bursche

Junger Bursche, junger,
Bist beweibt du, ledig?
Bist beweibt noch nicht du,
Setz' den Fez aufs Auge,
Blumen auf die Achseln,
Die Pistol' im Gürtel,
Auf den Knie die Flinte,
Auf den Stein dein Schwert hin.
(S. 400)

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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VII.
Die fremde Frau und das Mädchen

Eines Burschen Mutter wollte
Eine Frau dem Sohne suchen,
Und sie sucht und findet eine,
Eine Maid, die Blumen windet.
"Maid, wem windest du die Blumen,
Sprich, wem windest du dies Sträußchen?
Dir, sag'? oder deinem Liebsten?"

- "Nein, o nein, du Frau, du fremde,
Ich hab' ja noch keinen Liebsten,
Mir, nur mir, wind' ich das Sträußchen,
Ja, nur mir dem Duft zuliebe!" -

"Willst du, dass ich hin dich führe
Zu Konstantin, meinem Sohne?
Einen schönen Garten hat er,
Und im Garten schöne Blumen."

- "O, du Frau, o hör' du, fremde;
Meinen Vater magst du fragen,
Meine Mutter magst du fragen, -
Nehme den, den sie mir geben!"
(S. 400-401)

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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VIII.
Lala

Krachen laut die Flinten,
Wiederhallt der Himmel,
Schöne Braut, die Lala,
Spricht zu ihrer Mutter:
"Auf, und laufe, Mutter,
Laufen und entfliehn wir,
Kara Fezi kommt da,
Mit viertausend Helden,
Mit gar starken Helden,
Mit Arnauten, kahlen."

Drauf versetzt die Mutter:
"Fürchte dich nicht, Tochter,
Zittre nicht, du kleine,
Nicht ist's Kara Fezi
Mit viertausend Helden,
Mit gar starken Helden,
Mit Arnauten, kahlen.

Nifradžine sind es,
Mit nifran'schen Flinten,
Schießen ja aus denen,
Ziehen durch Kraljovo."

Kaum hat sie gesagt dies,
Lala's alte Mutter,
Kommt schon Kara Fezi
Mit viertausend Helden,
Mit gar starken Helden,
Mit Arnauten, kahlen.

Lala's Mutter sagt nun:
"Lala, schöne Braut du,
Lauf', entfliehe, Tochter,
Laufen wir nun beide.
Kara Fezi kommt da,
Mit viertausend Helden,
Mit gar starken Helden,
Mit Arnauten, kahlen."

Läuft und flieht nun Lala,
Lala, schönes Bräutchen,
Doch daheim vergisst sie
Ihren Kupfer-Gerdan,
Ihren schmalen Gerdan,
An dem Nagel hängend.
Kehrt zurück nun Lala,
Lala, schönes Bräutchen,
Will den Gerdan holen, -
Sie fängt ab der Fezi,
Lala, schönes Bräutchen.

Lala's Bräutigam nun
Kommt an aus Karlovo,
Fragt nun: "Wo ist Lala,
Wer kann es mir sagen,
Wo find' ich die Lala?
Schönen Lohn dem geb' ich,
Wohl an zwölf der tausend."

Dies vernimmt auch Lala,
Lala, schönes Bräutchen:
"Lieber Bräutigam du,
Mögest du behalten
Deine zwölf der Tausend.
Lala ist nicht Lala,
Ist nicht so, wie sie war;
Denn der Lala Antlitz
Ist ein welker Apfel."

Spricht der Bräutigam drauf:
"Lala, Lala, süße,
Sei auch jetzt dein Antlitz,
Wie denn immer sei es,
Lieb war es mir immer,
Lieb ist's mir auch heute."
(S. 401-403)

Nifradžine = Ortschaft, wo Flinten und Waffen verfertigt werden
Gerdan = Gürtel für Weiber

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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IX.
Enki und Mehemed

Zur Enkina spricht die Mutter:
"Hör' auf mich, du Tochter Enki,
Zimmerleut' im Walde zimmern,
Bauen eine neue Brücke,
Gehn drauf Hochzeitsleut' der Türken,
Wenn der Kadi Hochzeit feiert,
Mehemed Bej Ali's Sohn, der
Heute seine Hochzeit feiert.
Ein Bulgarenmädchen, weißes,
Die Bulgarin aus dem Walde,
Nimmt zur Gattin Mehemed Bej.
Enka, Enka, weißt du es schon,
Wessen Maid wird seine Gattin?"

""Nicht weiß ich es, wessen Tochter;
Mutter, komm', flicht mir die Haare,
Dass ich mir die Hochzeit anseh'.""
Doch kaum sprach sie diese Worte,
Rasseln laut viel goldne Kutschen,
Weiße Hengste wiehern laut da,
Lärm erhob sich auf den Straßen,
Funken sprühten dort die Steine.

An der Thür pocht Mehemed Bej,
Sprach die Mutter zu der Tochter:
"Enka, du Bulgarenmädchen,
Liebe Tochter, bist noch immer
Nicht als Braut du angezogen?"

Zu Mehemed spricht da Enka:
"Hab' erwartet dich, mein Mehmed,
Dich erwartet, um zu fragen,
Ob du mir es kannst versprechen:
Werd' ich eine weiße Kadin?
Kann bulgar'sches Kleid ich tragen?"
Drauf versetzte Mehemed Bej:
"Darf nicht sein, du liebe Enka,
Dass du werdest weiße Kadin,
Und bulgar'sche Kleider tragest."
(S. 403-404)

Kadin = türkische Frau

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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X.
Marinka und der Türke

Spricht der Vater zu Marinka:
"Rabenlock'ge Schön-Marinka,
Schlankgewachs'nes Pappelbäumchen,
Mach' nicht weiß du dein Gesichtchen,
Mach' nicht roth du dein Gesichtchen,
Trag' auch Gold nicht an dem Halse,
Wohnen hier in der Mahala,
Hier in türkischer Mahala,
Und der Türke nie verbeugt sich."

Sprach mit Worten Schön-Marinka:
"Kannst mir reden, was du willst nun,
Weiß mach' ich doch mein Gesichtchen,
Roth mach' ich doch mein Gesichtchen;
Den Mehemed, meinen Liebsten,
Des Šolium's schmucken Sohn ich,
Kommt zu mir er, so erwart' ich."
Mehemed, als er da aufsteht,
Wirft den Dolman auf die Achsel,
Nimmt hervor dann seine Pfeife,
Ins Kaffeehaus geht er also;
Und er öffnet das Kaffeehaus,
Er begießt es, kehrt es aus dann,
Setzt sich nun hin auf die Schwelle,
Er kann rein bulgarisch sprechen,
Und er singt bulgarisch also:
"Marinka, Bulgarenmädchen,
Komm' zu mir, werd' meine Gattin!"

Sprach mit Worten nun ihr Vater:
"Schön-Marinka, meine Einz'ge,
Sterbe lieber, sei du auch nicht,
Eh' ein Türke sei dein Gatte!"
(S. 404-405)

Mahala = Stadtviertel │ Dolman = verschnürter Oberrock

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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XI.
Fremder Bursche
(Wird beim Hochzeitstisch gesungen)

Ein fremder Bursche gestern kam in unsren Konak,
Ein schönes Mägdlein sah ihn und in ihn verliebt' sich.
In schwarzdunkler Nacht nun, nicht beim Mondenscheine,
Band und hielt die Zügel seinem Ross die Kleine,
Und bei seinem Rosse, spricht zu ihm da flüsternd:
"Ei, du junger Bursche, möchte mit dir gehen,
Könnt' ich einmal mich als deine Frau doch sehen!"
""Bleibe, Maid, nicht will du dich zu mir gesellen,
Könntest sterben in der tiefen Tundža Wellen.""

"Ei, du junger Bursche, will mit dir doch gehen,
Werd' hinüber schwimmen, wirst als Fisch mich sehen."
Und der junge Bursche flüsternd drauf versetzte:
"Komm' mit mir denn, komm' du, schöne Maid, komm' schnelle,
Nimmst bei mir als Sclavin ein die erste Stelle;
Hab' ein junges Frauchen, einen kleinen Sohn auch!"
Sprach hierauf das Mägdlein, flüsternd es versetzte:
"Sei verflucht, du sagtest mir's mit keinem Worte,
Dass du Gattin, Söhnchen hast im Heimatsorte!
Ließt mich stehn und deines Rosses Zügel halten,
Wo kein Mondschein, in der Nacht, der dunklen, kalten!"
(S. 405-406)

Konak = Regierungsgebäude

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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XII.
In das Dörfchen kam . . .

"In das Dörfchen kam der Kadi,
Kadi und auch der Subaša,
Schreiben dort und rechnen es aus,
Rechnen es aus, theilen es aus,
Je ein Bursch erhält ein Mädchen,
Ich allein erhielt drei solcher.
Erste ist die meines Onkels,
Zweite ist die meines Schwagers,
Und die dritte des Gevatters.
Mutter, Mutter, durchgehn muss ich!"

""Geh' nicht durch, mein Sohn, du lieber,
Ich bekomm' drei Schwiegertöchter,
Und ich schaukle dann drei Wiegen,
Drei der schönen, kleinen Enkeln
Speis' ich dann, mein lieber Sohn, du!""

"Mutter, Mutter, durchgehn muss ich!"
(S. 406)

Kadi und Subaša = Kreisbeamte

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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XIII.
Es gelobten, aman . . .

Es gelobten, aman, einmal drei der Brüder,
Drei Geschwister, aman, drei Geschwisterkinder:
Aufzubauen, aman, Smilen's hohe Feste,
Smilen's Feste, aman, an dem Štrundža-Flusse.
Nachts es einstürzt, aman, was am Tag sie bauten,
In der Nacht fiel, aman, Stein um Stein herunter,
Stein um Stein fiel, aman, Säule nach der Säule.
Die Geschwister, aman, waren drob verwundert,
Drei Geschwister, aman, die Geschwisterkinder.

Ruhten einmal, aman, diese drei Geschwister,
Ruhten einmal, aman, schliefen ein zur Stelle;
Und sie träumten, aman, einen Traum sie sahen:
Wessen Gattin, aman, hinkommt als die erste,
Kommt hin morgens, aman, in der Früh am Morgen
Morgens zeitig, aman, mit dem Morgenimbiss,
Die soll man dann, aman, in den Grund einmauern,
Dass die Feste, aman, fest und stark verbleibe.
Dies gelobten, aman, diese drei Geschwister,
Drei Geschwister, aman, mit der Türken Eidspruch,
Nichts zu sagen, aman, hievon ihren Frauen;
Zwei der Brüder, aman, ihren Eid nicht hielten,
Sagten dieses, aman, abends ihren Frauen.

Nur der Jüngste, aman, sagt' es nicht der Gattin.
Nicht verrieth er's, aman, seinem eignen Weibe.
Diese kam nun, aman, morgens als die erste,
Diese kam nun, aman, mit dem Morgenimbiss.

Als sie sah nun, aman, Thränen ihm im Auge,
Sprach sie also, aman, sprach zu ihm sie also:
"Warum weinst du, aman, Manuel, mein Meister?"
Er versetzt drauf, aman, gibt der Frau die Antwort:
"Weinen muss ich, aman, meine erste Liebe,
Hab' verloren, aman, meinen goldnen Reifring,
Meinen Reifring, aman, meinen goldnen Trauring."
Sie versetzt drauf, aman, spricht zu ihm nun also:
"Weine nimmer, aman, Manuel, mein Meister,
Will ihn suchen, aman, und ihn wiederfinden."

Und sie bückt sich, aman, um den Ring zu suchen,
Um zu suchen, aman, den verlor'nen Reifring.
Sie ergreifen, aman, sie sogleich einmauern,
Sie, die Gattin, aman, in den Grund der feste.

Und sie ruft da, aman, weinend, klagend ruft sie:
"Meister, höre, aman, Manuel, mein Meister,
Wer wird nähren, aman, unsren Sohn, den Säugling?"
Und er sagt ihr, aman, gibt der Frau zur Antwort:
"Wird ihn nähren, aman, nähren meine Schwester."

Und sie fragt ihn, aman, fragt ihn, weinend, klagend:
"Meister, höre, aman, Manuel, mein Meister,
Wer wird nähren, aman, unsre andren Kinder?"
Und er sagt ihr, aman, gibt der Frau zur Antwort:
"Wird sie nähren, aman, winziges Waldvöglein."

Doch sie spricht da, aman, weinend, klagend spricht sie:
"Meister, höre, aman, Manuel, mein Meister,
O befreie, aman, meine linke Brust nur,
Dass ich säuge, aman, meinen Sohn, den Säugling."
Sie befreiten, aman, ihre linke Brust nun,
Dass sie säuge, aman, ihren Sohn, den Säugling.

Dort, wo einst war, aman, ihre Brust, die linke,
Ist entsprungen, aman, eine kühle Quelle,
Kühle Quelle, aman, klare Milch enthaltend.
(S. 407-408)

aman = türkische Interjection

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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XIV.
Rada, Nikola und Stojana

Saß am Tisch der Wirt Nikola
Mit Stojana, seiner Schwester,
Wollte essen, Kaffee schlürfen;
Nicht bedient ihn seine Gattin,
Sondern geht hin in die Kammer,
Lässt den rothen Wein ausfließen;
Und dann spricht sie zu Nikola:
"Hab' dir's oft gesagt, Nikola,
In die Ehe gib Stojana,
Denn sie bringt uns keinen Nutzen,
Uns zum Schaden ist Stojana;
Gieng auch jetzt grad in die Kammer,
Ließ den rothen Wein ausrinnen."

Sprach Nikola, sprach zur Rada:
"Mag der rothe Wein ausfließen,
Ihr gehört er nach dem Vater,
Nach dem Vater, nach der Mutter,
Nach dem Vater, nach der Mutter!"
Rada nun zerbrach den Kopf sich,
Was sie sollt' aufs neu anstellen,
Wessen sie beschuld'gen könnte,
Sie beschuldigen Stojana.

In den großen Stall nun gieng sie,
Und erschlug die schönen Rosse.
Sprach hierauf sie zu Nikola:
"Hab' dir's oft gesagt, Nikola,
In die Ehe gib Stojana,
Denn sie bringt uns keinen Nutzen,
Uns zum Schaden ist Stojana,
In den Stall ist sie gegangen,
Hat getödtet unsre Rosse."

Sprach Nikola, sprach zur Rada:
"Lass' erschlagen sie die Rosse,
Ihr sind sie ja nach dem Vater,
Nach dem Vater, nach der Mutter!"

Rada nun zerbrach den Kopf sich,
Was sie sollt' aufs neu anstellen,
Wessen sie beschuldgen könnte,
Sie beschuldigen Stojana.

In den dunklen Keller gieng sie,
Und erschlug dort alle Büffel;
Sprach hierauf sie zu Nikola:
"Hab' dir's oft gesagt, Nikola,
In die Ehe gib Stojana,
Denn sie bringt uns keinen Nutzen,
Uns zum Schaden ist Stojana;
In den dunklen Keller gieng sie,
Hat getödtet unsre Büffel!"

Sprach Nikola, sprach zur Rada:
"Lass erschlagen sie die Büffel,
Ihr sind sie ja nach dem Vater,
Nach dem Vater, nach der Mutter!"

Sich den Kopf zerbrach nun Rada,
Was sie sollt' aufs neu anstellen,
Wessen sie beschuld'gen könnte,
Sie beschuld'gen Schön-Stojana.

Zeitig stand sie auf am Sonntag,
Wusch sich rasch und kämmte sich auch,
Badet dann ihr kleines Söhnchen,
Badet es und tödtet es auch;
Legt es nieder in die Wiege,
Spricht dann also zur Stojana:
"Schwägerin, hör', lieb Stojana,
Schaukle, wiege du mein Söhnlein,
Denn ich will zur Kirche gehen."

Kaum gelangte in die Kirche,
In die heil'ge Kirche Rada,
Wurden stumm die heil'gen Pfarrer,
Wurden blind dort alle Priester,
Und das Volk rang schwer nach Athem.

Da Nedelja spricht, die Heil'ge:
"Geh' von hinnen, Frau, du Rada,
Geh', mit deinen schweren Sünden;
Sieh, verstummt sind alle Pfarrer,
Blind geworden alle Priester,
Und das Volk erstickt beinahe!"

Und von dannen gieng Frau Rada,
Gieng von dannen, kehrt nach Hause,
Spricht zur Schwägerin nun also:
"Schwägerin du, lieb' Stojana,
Ist erwacht mein kleines Söhnlein?"

Drauf die Schwägerin versetzte:
"Schwägerin, es ist nicht munter."
""Schwägerin du, lieb' Stojana,
Bring' mir her mein liebes Söhnlein,
Dass ich's säuge, dass ich's wiege,
Macht nichts, wenn es auch noch schläfrig.""

Aufdeckt rasch nun Schön-Stojana,
Aufdeckt sie die kleine Wiege,
Drin im Blute liegt das Kindlein.

Sprach Frau Rada zum Nikola:
"Hab' dir's oft gesagt, Nikola,
In die Ehe gib Stojana,
Denn sie bringt uns keinen Nutzen,
Nur zum Schaden ist Stojana."

Wie sie also spricht, die Rada,
Wird da blind sogleich Frau Rada
Ob der vielen Missethaten . . .
(S. 408-411)

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
_____



XV.
Peter und Dorchen

Sprach da Peter, sprach der Großwirt:
"Sag', was fehlt dir, schönes Dorchen?
Stets weinst du, so oft ich komme,
Weintest stets und weinest jetzt auch,
Warum weinst du, warum klagst du?
Bist du hungrig, bist du durstig,
Wohl genug im Haus wir haben?"

Ihm versetzte drauf Schön-Dorchen:
"Was mir fehlt, so fragst du, Peter?
Fragst du also, nun so wisse,
Warum ich denn wein' und klage!
Gestern war ich bei dem Bruder,
Bei dem Bruder, bei dem Schwager.
Unterm Vordach saßen sie da,
Trock'nes Brot, das war ihr Nachtmahl,
Um den Tisch herum die Kinder,
Viele Kinder, viele Knaben.
Hättest du sie doch gesehen,
O wie schön, wie prächtig sind sie!
Und wir haben keine Kinder!
Ja, so oft ich Brot uns backe,
Bleibt es trocken uns am Halse,
Trocknet es unangeschnitten, -
Wenn ich koche Fastenspeisen, -
Unberührt am Tisch sie bleiben!"

Spricht da Peter, spricht der Großwirt:
"Höre, höre, du mein Dorchen,
Zeitig steh' ich auf am Sonntag,
Geh' dann in den tiefen Keller,
Öffne dort die Ungarntruhe,
Die gefüllt mit schwarzen Groschen
Und mit gelben Goldducaten;
Gehe dann nach Carigrad hin,
In Carigrad zum Goldschmiede,
Lass' ein Kind aus Silber machen,
Eine Wieg' aus laut'rem Golde;
Schaukle du dann diese Wiege,
Und du wirst recht fröhlich werden."

Früh stand auf der Großwirt Peter,
Zeitig in der Früh', am Sonntag;
Stieg dann in den tiefen Keller,
Öffnet dort die Ungarntruhe,
Die gefüllt mit schwarzen Groschen
Und mit gelben Goldducaten;
Füllt damit die Ledertasche, -
Und gieng dann nach Carigrad hin,
Lässt ein Kind aus Silber machen,
Eine Wieg' aus laut'rem Golde;
Brachte heim das Silberkindlein,
Einen Sohn, aus Gold die Wiege,
Die aus laut'rem Gold gemacht war.

Schaukelt nun die Wieg' Schön-Dorchen
Drei der Nächte, drei der Tage;
Singt dabei und schaukelt, schaukelt,
Doch das Kindlein will nicht weinen,
Will nichts essen, will nichts trinken.

Spricht die Worte da Schön-Dorchen:
"Peter Großwirt, Peter Großwirt,
Trag' hinweg den Silberknaben,
Die aus Gold gemachte Wiege;
Drei der Nächte, drei der Tage
Schaukle singend ich die Wiege,
Doch das Kindlein will nicht weinen,
Blickt mich nicht an, braucht die Brust nicht."
(S. 411-413)

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
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XVI.
Hochzeitslieder
Verlobungs- und Hochzeitsgebräuche

1.
Zeitig geht Rušande,
Zeitig holt sie Wasser,
Zeitig, in der Dämm'rung,
Zeitig wäscht ihr Haupt sie,
Zeitig, in der Dämm'rung,
Zeitig knetet Teig sie,
Zeitig in der Dämm'rung.

"Ei, du Fremder, höre,
Wohin gehst du, wohin?"
""Geh' zu meiner Liebsten.""

Freundinnen, so treulos,
Nicht habt ihr vertraut mir,
Habt kein Wort, kein wahres,
Mir gesagt am Abend,
Als wir Wasser holten!

Sieh' da, Mutter, Wasser,
Weggeht deine Tochter!
Sieh' da, Vater, Wasser,
Weggeht deine Tochter;
Sieh' da, Bruder, Wasser,
Weggeht deine Schwester!
(S. 413-414)


2.
Hast die Händ' gewaschen, Selva?
Hast dein Haar geflochten, Selva?
Hast gepflückt du Rosen, Selva?

Keine Rosen hab gepflückt ich,
Nicht geflochten hab' mein Haar ich,
Weißen Teig geknetet hab' ich.
(S. 414)


3.
Peter gieng, sich zu verdingen,
Schöne Braut gieng er sich suchen,
Sich verdingen, sich beweiben,
Nirgends aber fand der Peter
Eine wunderschöne Gattin.
Und nun Peter noch viel weiter
Reitet weg auf seinem Rosse,
Wo die blaue Donau fließt;
Findet dort ein schönes Mägdlein,
Schlank gewachsen, wie die Palme.
Ihren Hof das Mägdlein kehrt,
Kehrt ihn wohl mit grünen Zweigen,
Kehrt ihn mit Basilienblumen.

"Mägdlein, schlank, wie eine Palme,
Frag' du deine gute Mutter,
Gibt sie dich mir wohl zum Weibe?"

Um die Maid jenseits der Donau
Sich verdang sogleich der Peter.
(S. 414-415)


4.
"Warum sattelst du, Sohn Stojan,
Warum sattelst, wohin gehst du?"
""Gehe, liebe, gute Mutter,
In das Dorf, dort zwischen Bergen,
Eine schöne Braut zu suchen."

"Stojan, du mein Sohn, nimm keine,
Keine nimm, die schön und arm ist;
Nimm dir garst'ge, aber reiche,
Diese bringt dir schöne Mitgift."

""Ich durchzog schon, liebe Mutter,
Drei der Dörfer, auf mich sahen
Weder hässliche noch reiche,
Noch die schönen, aber armen.""
(S. 415)


5.
Sich verdang der schmucke Pavel,
Um die Braut, die Pavelica,
Um die Braut, die Pavelica,
Am Marica-Flusses Ufer.
Aßen, tranken, waren lustig,
Und bestimmten auch die Hochzeit.

Kamen hin die Hochzeitsleute,
Fünfzig Wagen voller Gäste,
Fünfzig Wagen voller Gäste,
Sechzig Wagen mit Gevattern.
(S. 415)


6.
Zwei der kleinen Turteltauben
Fliegen zu des Daches Lauben;
Sagt dem Mägdlein sonder Weile,
Kuchen knet' es an in Eile.
(S. 416)


7.
Spielte da und spielte, Schön-Maria, spielte,
Spielt' mit einem Burschen, spielt' die Maid Maria,
Auf dem Egrišt spielte, Schön-Maria, spielte.

Spielt' an schlechtem Orte, Schön-Maria, spielte,
Da verlor Maria, da verlor das Mädchen,
Ihren schönen Kamm, Maria, den aus Knochen,
Und der Bursch', Maria, seinen Ring von Golde.

Und es rief, Maria, da des Mädchens Mutter:
Bringet her, Maria, jenes Sieb, das dichte,
Siebet dann gar hurtig hier mir Sand und Asche;
Finden wir, Maria, rasch den Kamm des Mädchens,
Wohl den Kamm des Mädchens und den Ring des Burschen.
(S. 416)

Egrišt = Tanzplatz



8.
Rufen Schneiderlein wir, junge,
Lassen schmücken wir die Svaka.
Keine Schneiderlein wir finden,

Die die Svaka schmücken könnten.
Schmucken Burschen bringen wir hier,
Dieser mag die Svaka schmücken,
Soll einsperren alle Mädchen,
Sei ihr Platz der dunkle Kerker.

Möge er die Svaka schmücken,
Die aus Weizenmehl gemachte,
Aus dem weißen Weizenmehle.
(S. 416)

Svaka = Hochzeitskuchen



9.
Gott dich brachte, Jüngling,
Ei, du schmucker Jüngling,
Weiße Hand du küsse.

Mach uns keine Schande,
Vater nicht, nicht Mutter,
Mutter nicht, nicht Bruder,
Bruder nicht, nicht Schwester.
(S. 417)


10.
Du verbeug' dich, Jungfrau,
Gehst auf weitem Weg du,
In ein fremdes Dorf hin,
Nicht dass man dich spottet,
Dorten man sehr spottet,
Nicht dass man dich spottet!
(S. 417)


11.
Mondschein brach hervor dort auf dem weißen Tische,
War das nicht der Mondschein auf dem weißen Tische?

Kuchen war das wahrlich auf dem weißen Tische,
Aus dem weißen Weizenmehl auf weißem Tische.

Ungebacken ist der Teig auf weißem Tische.
Habt wohl nicht genug zum Backen Holz gehabt ihr?
Backet sie sogleich nun, diese weißen Kuchen;

Ungesalzen ist der Teig, die weißen Kuchen.
Hattet wohl genug nicht Salz, kein Körnchen Salzes,
Dass ihr gut sie salzet, diese weißen Kuchen!
(S. 417)


12.
Gott dich brachte, schmucker Jane,
Auf denn, steig' vom schnellen Renner!
"Nicht steig' ich vom schnellen Renner,
Geh' hinein nicht in die Stube,
Denn mir zürnt mein Schwiegervater:
Mach mir ja ein silbern Tischchen."
Jane, steig' vom schnellen Renner!
"Nicht steig' ich vom schnellen Renner,
Geh' hinein nicht in die Stube,
Denn mir zürnt die Schwiegermutter:
Mach' mir ja ein Bett, ein schmuckes!"
Jane, steig' vom schnellen Renner!
"Nicht steig' ich vom schnellen Renner,
Geh' hinein nicht in die Stube,
Zornig ist auf mich mein Dever,
Mach' mir ja ein goldnes Ringlein."
Dennoch steigt er ab vom Rosse,
Steigt herab der schmucke Jane,
Dennoch geht er in die Stube.
(S. 417-418)


13.
Bräutigam will es nicht haben, - dass Rasierer ihn rasiere,
Eh' er nicht sagt: Gott zum Gruße, - Gott zum Gruße, lieber Vater!

Bräutigam will es nicht haben, - Dass Rasierer ihn rasiere,
Eh' er nicht sagt: Gott zum Gruße, - Gott zum Gruße, liebe Mutter!

Bräutigam will es nicht haben, - Dass Rasierer ihn rasiere,
Eh' er nicht sagt: Gott zum Gruße, - Gott zum Gruße, lieber Bruder!

Bräutigam will es nicht haben, - Dass Rasierer ihn rasiere,
Eh' er nicht sagt: Gott zum Gruße, - Gott zum Gruße, liebe Schwester!

Nimmt dann Abschied von dem Vater, - Zieht sich an in weiße Kleider;
Spricht mit Worten seine Mutter: - "Bist ein Bräutigam, nun klug sei!

Weit gehst du weg, lieber Sohn du, - Gehst durch drei, gar vier der Dörfer;
Sorge, dass sie dich nicht spotten, - Mach' nicht Schande deinen Eltern!"
(S. 418)


14.
Jetzt nun lernt die Braut wohl: Fladen gut zu kneten,
Jetzt nun lernt die Braut wohl: Kuchen gut zu backen,
Jetzt nun lernt die Braut wohl: Schwiegervater pflegen,
Jetzt nun lernt die Braut wohl: Schwiegermutter pflegen,
Jetzt nun lernt die Braut wohl: Dever zu besorgen
(S. 419)


15.
Gott bewahr' dich in Gesundheit, Jüngling,
Gehst auf langen, weiten, weiten Weg du;
Gott bewahr' dich in Gesundheit, Jüngling!
(S. 419)


16.
Gott bewahr' dich in Gesundheit, Jüngling,
Wart' nur, schöner Bursch', erwart' die Jungfrau;
Gott bewahr' dich in Gesundheit, Jüngling!
(S. 419)


17.
Kleine Schritte macht das Mägdlein
Bis zur Kirche, bis zur Trauung;
Bis jetzt, noch im Mädchenalter,
Sie bethauten Perlen Thaues;
Stolz kommt nun einher das Mägdlein
Aus der Kirche, von der Trauung,
Auf dem Wege, auf dem Gange
Treibt und wirft es große Steine.
(S. 419)


18.
Steh' auf, Mägdlein, steh' du in Gesundheit auf!
Sonne sich erhob schon über Berge hoch,
Und die Trommler trommeln in dem Hofe schon,
In der Stube sitzt der junge Bräutigam,
Auf dem Söller ist das schmucke Hochzeitsvolk,
An dem Fenster ist die Fahne mit dem Kreuz:
Steh' auf, Mägdlein, steh' du in Gesundheit auf!
(S. 419)


19.
Eiche, dunkle Eiche
In des Waldes Grund,
Sieh dein Laub, das bleiche,
Welkt zu früher Stund'.
Ich auch welke, leide,
Noch an Jahren jung,
Warum schwinden beide
Wir dahin so jung?
Nebel senkt sich nieder
Schwer sich auf mein Haus,
Nimmer frohe Lieder
Tönen da heraus.
Sonnen zwei einst schienen
Mir so warm und hehr,
Keine doch von ihnen
Wärmt und leuchtet mehr.
(S. 420)


20.
Hebet auf den Weizen und die Reuter,
Wollen hier wir sä'n des Burschen Weizen:
Wenn wir finden hier den Ring des Mägdleins,
Schicken wir ihn bald der schönen Jungfrau,
Rüsten soll sie sich auf Sonntags Frühe,
Sonntags Früh' zu einem jungen Frauchen.
(S. 420)


21.
Rabe flog, von Süden flog er,
Setzt sich in den Hof des Mägdleins.
Junge Mädchen sich beriethen,
Was zu thun, dass er fliege?
Gaben ihm nun Rebenranken, -
Doch der Rabe flog nicht weiter;
Gaben ihm auch Zweige Obstes,
Doch der Rabe flog nicht weiter;
Gaben ihm ein junges Mägdlein,
Und der Rabe flog dann weiter.
(S. 420)


22.
Zetko, wlach'scher Vojvod,
Wenn gewusst du hättest,
Dass du wirst mein Bräut'gam,
Wärst gewiss gegangen
Du in alle Läden
Zu Carigrads Meistern,
Hättest gießen lassen
Dir 'ne Silberkerze,
Dass sie leuchten solle
Uns zur süßen Brautnacht.
(S. 421)


23.
Ei, du Kero, Keropo,
Stolze, rothe Jungfer du!
Vila dreht sich mit der Rebe,
Dort bei Kruševo, dem Dorfe,
Beim berühmten Städtchen Solun.
Rebe ist's nicht, Rebe ist's nicht!
Ist' doch Janka Dimova das,
Drehte sich um den Čelebi,
Plauderte mit dem Čelebi.
"Ei, du lieber, mein Čelebi,
Wenn nach mir ihr kommen werdet,
Kommet dann mit Hochzeitsgästen;
Viel Geschenke harren eurer.
Jeder Svat ein Ross bekommt dann,
Und der alte Svat zwei Rosse,
Bräutigam ein schönes Hemde,
Schönes Hemd aus dünnem Flachse!"
(S. 421)

Čelebi = Herr (türkisch)



24.
Als man Mägdlein dir das Haar geflochten,
Stand des Mägdleins Bruder neben dir da?
Hielt das Mägdlein dünnes, rothes Tüchlein?
Baut' das Mägdlein zwei der schönen Städte?
"Stand da, Mädchen, rothes Tüchlein hielt es,
Und es baute, Mädchen, schön zwei Städte,
Kamen zu mir, Mädchen, beide Dever,
Sie zerstörten, Mädchen, beide Städte,
Ei, und mich die Mädchen weg dann führten."
(S. 421-422)


25.
Dimko, Dimko, dunkeläug'ge,
Lange warst du ohne Brautkranz,
Lange trugst du Mädchenkleider,
Blaues Hemd und weißen Kittel.
Du vergisst nun deine Sippe,
Gründest eine andre Sippe.
(S. 422)


26.
Lustig, froh sei, Mägdleins Mutter,
Warum läufst herum und weinst du?
Gehest nun von Stub' zu Stube,
Kittel näht sich deine Tochter,
Seide webt sie, gelbe Seide,
Weiße und auch rothe, grüne.
Lustig, froh sei Mägdleins Mutter,
Wegführt man ja deine Tochter,
Und man leert ja dir das Haus dann.
(S. 422)


27.
Angeordnet und befohlen hat des Bräut'gams Mutter
Nach Belieben kommen, gehen kann des Mägdleins Mutter,
Nur den Burschen, nur den Bräut'gam lang sie dort nicht halt.
(S. 422)


28.
O, wenn wüsst' des Mägdleins Mutter,
Wie da klopft des Burschen Herze,
Wenn er zu des Mägdleins Stube
Öffnet, öffnet leis' die Thüre;
Wie das Blatt, wie's Blatt der Espe,
Zittert so das Herz des Burschen,
Wenn er eintritt zu der Jungfrau.
(S. 422)


29.
Schloss die Maid ab ihre Thüre,
Was nun geb' ich, dass sie öffne?
Gab ihr eine süße Traube,
Doch nicht öffnet' sie die Thüre,
Und ich gab ein schönes Obst ihr,
Doch sie öffnet' nicht die Thüre.
Gab ihr einen jungen Burschen,
Gleich schloss auf sie ihre Thüre.
(S. 423)


30.
Zieh' aus, Mägdlein, zieh' aus,
Deine Schuhe zieh' aus;
Kauftest, Maid, sie einmal,
Webtest, Maid, sie zweimal.
(S. 423)


31.
Zieh' an, Mägdlein, zieh' an,
Deine Schuhe zieh' an;
Kauftest, Maid, sie einmal,
Danktest für sie zweimal.
(S. 423)


32.
Zittre, zittre, dünnes Tuch du, zittre,
Bist hier, dünnes Tuch, bei deiner Mutter,
Bist hier, dünnes Tuch, bei deinem Vater,
Bei den Brüdern, dünnes Tuch, bei deinen Schwestern,
Abends bist du, dünnes Tuch, beim Schwiegervater,
Abends bist du, Tuch, bei deiner Schwiegermutter!
(S. 423)


33.
Lass mich, lass mich, lieber Vater,
Lieber Vater, du erzogst mich,
Du erzogst mich, du erhieltst mich,
Von den Färbern löstest aus mich!
(S. 423)


34.
Sternlein zittert auf dem Tische,
Sternlein ist's nicht, eine Braut ist's,
Mit dem Dever sie da wettet,
Dass es niemand unternehme,
Niemand von den Hochzeitsgästen,
Wein zu gießen, aufzuwarten.
Wenn sich also niemand findet,
Unternimmt die Braut es selber,
Aufzuwarten, Wein zu schenken.
Schlaf doch senkt' sich ihr aufs Auge,
Und die Braut ist eingeschlafen,
Aus dem Fass der Wein floss aus nun,
Streut' sie aus den weißen Škuti,
Und verbrennt die zarten Finger.
(S. 424)


35.
Zur Gesundheit! in Gesundheit leb' allzeit
Jedermann, der hieher kam von nah und weit,
Guter Gott, mit beiden Händen segne ihn!
Gebe Gott uns allen viel von Glück und Heil,
Das dem Abraham und Isaak ward zutheil!

Zur Gesundheit! in Gesundheit alles leb'!
Geb' der Herr uns allen viel an Glück und Heil,
Werd' ein Leben friedlich, ruhig uns zutheil,
Gut Gemüse, gute Ernte, Ackerland,
Selbst im Alter lieben wir einander sehr.

Zur Gesundheit! in Gesundheit alles leb'!
Ihnen allen Herrgott seinen Segen geb';
Was da angreift dieses Hauses Volk, so hold,
Selbst der Stein, verwandle sich in lautres Gold:
Sich vermehr' das Leben auf der Flur gesund,
Wie der Fisch dort auf des tiefen Meeres Grund!
(S. 424)


36.
Dever führt die schöne Braut,
Mit der Rechten führt er sie,
Und die Braut, sie kehrt sich um,
Zu dem Dever spricht sie so:
"Dever, Dever, du mein Freund,
Lasse los du meine Hand,
Denn umkehren will ich mich,
Dass ich meiner Mutter sag':
O, du Mutter, liebe, du,
Ließ zurück zwei Blumen schön,
Blumen vom Basilienkraut,
Dritter ist der Kalofer;
Mutter, du begieße sie
Zeitig früh mit Wasser frisch,
Abends spät mit Thränen dein!"
(S. 425)

Kalofer = Name einer Stadt



37.
Vido, Vido, Röslein,
Setzt man auf das Rösslein,
Vido winkt vom Rösslein,
Vido kehrt zurück sich,
Winket mit dem Händchen,
Traurig ist die Vido,
Aber noch viel traur'ger
Ist die Mutter Vido's.
(S. 425)


38.
Liebe Mutter der Janinko,
Flicht die Haare der Janinko,
Flicht und lehrt dabei sie also:
"Wenn du ziehst am Dorf vorüber,
So verbeug' dich, so du grüße,
Wie es in der Stadt gebräuchlich,
Einen Städter nur verschaff' dir!"
Zogen an dem Dorf vorüber,
Sie verbeugte sich und grüßte,
In den Städter sie verliebt' sich.
(S. 425)


39.
Ei, Kalino, Kalino,
Weißt, erinnerst du dich noch,
Als wir kamen her um dich,
Blühten da die Kirschen gar,
Als wir kamen her zurück,
Waren schon die Kirschen reif;
Pflückten sie die Dever's ab,
Um zu schmücken nun die Maid.
(S. 425-426)


40.
Mutter, Mutter, komm' her,
Mutter, mich empfange;
Ohne Weib wohl gieng ich,
Mit der Braut nun komm' ich,
Eine Hilf' ich bring' dir,
Geht zum Brunnen sie da, -
Mutter, Mutter, komm' her, -
Dass sie dich begieße,
Dass sie dich auch wasche.
(S. 426)


41.
Keršmanko, Jungfrau,
Dich aus Blei man goss wohl,
Brachte dich aus Ofen,
Schwiegermutter treibt dich,
Sauerteig zu machen,
Und das Brot zu kneten,
Salz darauf zu streuen.
(S. 426)


42.
Schläft, es schläft nun der Čelebi
Auf des Mägdleins rechtem Arme,
Doch dies schüttelt ihn und weckt ihn:
"Steh' auf, steh' auf, du Čelebi,
Vöglein singen, und es dämmert;
Deine Mutter, wenn sie herkommt,
Zankt mit mir, und zankt mit dir auch!"
- Meine Mutter ist auch deine,
Wenn sie herkommt, wird sie hier sein! -
"Steh' auf, steh' auf, du Čelebi,
Vöglein singen, und es dämmert;
Bald kommt her dein alter Vater!"

- Nun, mein Vater ist auch deiner,
Wenn er herkommt, wird er hier sein! -
"Steh' auf, steh' auf, du Čelebi,
Vöglein singen, und es dämmert;
Her wird kommen bald mein Vetter!"
- Nun, dein Vetter ist mein Schwager,
Wenn er herkommt, wird er hier sein!
(S. 426-427)


43.
Kamen, kamen da zusammen,
Auf Čorika's hoher Eb'ne,
Aus neun reichen, großen Dörfern,
Großen Panajir zu machen
An dem Peterstag, dem heil'gen.
(S. 427)

Panajir = Markt, Landmarkt



44.
Mägdlein, Mägdlein, Rabe flog her,
Rabe setzt sich unters Vordach;
Fraget ihn doch, fraget ihn doch,
Was dem Raben wir nun geben?
"Ei, nur gebet, gebet ihm nur
Schön-Ružana, gebt das Mägdlein!"
- Fraget doch den Burschen einmal,
Hat gekauft er schon dem Mägdlein,
Hat gekauft er schon den Goldring?
"Kauft schon, Mägdlein, kauft' schon, Mägdlein,
Wickelt' ihn in schöne Serma."
- Und dann fraget auch das Mägdlein,
Spann dem Burschen sie den Gajtan?
"Spann ihn, Junak, spann ihn, Junak,
Spann aus Seide ihm den Gajtan."
(S. 427)

Gajtan = Schnüre, Verschnürung │ Junak = Jüngling, Held



45.
Kreist, es kreiset dort der Geier,
Kreist und kreiset überm Mägdlein.
- Er umkreist mich schon ein Jahr lang,
Mutter, meine Zeit ist hier schon!
Mutter, meine Zeit ist hier schon!
(S. 427)


46.
Ei, Svatove's, ihr Svatove's,
Schnell kamt ihr, so wie der Wind her,
Kamt schnell, wie die Flut des Wassers.
"Nicht zu dir wir, Mägdlein, kamen
Mit dem Wind nicht, mit der Flut nicht,
Kamen mit dem schönen Junak,
Schöner Junak führt' uns hieher!"
(S. 428)

Svatov = Beistand



47.
Öffnet uns doch schnell die Thore,
Die gar schweren, weißen Thore,
Schau'n die Braut wir, sehen wir sie,
Wie ihr Kleidchen aussieht,
Wie die Blumen aussehn?
Weiß und roth die Blume ist,
Blau ist auch und grün die Blume!
(S. 428)

aus: Bulgarische Volksdichtungen
übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen versehen
von Adolf Strausz [1853-1944]
Wien und Leipzig Verlag von Carl Graeser 1895
_____




Zusprache

Junges, vielgeliebtes Mädchen,
Weiche mir nicht aus im Hofe,
Mehre du nicht meinen Kummer;
Hab' ich doch genug am eignen,
Was mit deinem noch beginnen?
Junges, vielgeliebtes Mädchen,
Sieh in's Aug' mir, ich in deines,
Daß ich deine Wangen male,
Mal' auf weißem Türkenblatte;
Daß es wisse meine Mutter,
Welches Mädchen mir gewogen,
Das der Knospe gleicht im Garten,
Wenn zur Frühlingszeit des Maien,
Sich die Lüftchen hold entfalten.
(S. 235)

aus: Slawische Volkslieder
übersetzt von Joseph Wenzig [1807-1876]
Halle In der Rengerschen Buchhandlung 1830
_____



Der Traum

Schlief das Mädchen ein, das Mädchen,
Auf dem weiten Feld am Meere,
Unter grünem Lorbeerbaume.
Blies daher ein stilles Lüftchen,
Und es traf ein Zweig das Mädchen.
Fuhr das Mädchen aus dem Traume,
Schmollte leise auf das Lüftchen:
"Daß du Lüftchen jetzt gewehet!
Wecktest mich aus meinem Traume,
Und wie war der Traum so lieblich!
Gingen hier drei junge Bursche,
Schenkte mir ein Tuch der erste,
Gab der zweite mir ein Goldstück,
Einen Goldring mir der dritte,
Ach und hielt mich süß umfangen!"
(S. 238)

aus: Slawische Volkslieder
übersetzt von Joseph Wenzig [1807-1876]
Halle In der Rengerschen Buchhandlung 1830
_____



Schön Maria und das Vöglein

Sitzt Maria in der Hürde,
In der Hürde bei dem Fenster,
Schön Maria.
Flicht aus seiner Seide Schnürchen,
Lieset auf die Schnürchen Perllein,
Schön Maria.
Spricht zur Nachtigall, zum Vöglein:
"O du Vöglein, Nachtigallchen,
Schönes Vöglein!
Sing' so frühe nicht am Morgen,
Schönes Vöglein!
Wecke mir nicht meinen Herren,
Michael, den Hospodaren,
Schönes Vöglein!
Will, ja will in's Gärtchen gehen,
Eine Basilike pflücken,
Schönes Vöglein!
Will sie dann in Wasser tauchen,
Meinen Herrn mit ihr besprengen,
Michael, den Hospodaren,
Schönes Vöglein!
Spreche selbst: erwach', erwache
Michael o Hospodar!
Dein Gefolge harrt im Hofe,
Und du sollst nun jagen gehn."
(S. 239-240)

aus: Slawische Volkslieder
übersetzt von Joseph Wenzig [1807-1876]
Halle In der Rengerschen Buchhandlung 1830
_____

 


 


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