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Chinesische Liebeslieder
Herbstgedanken
Es glänzt der Mond im Dämmerschein,
Das Heimchen zirpt im Mauerspalt,
Die Weltenuhr zeigt Winters Nahn,
Die Sterne glitzern fern und kalt.
Der weiße Tau die Wiese netzt,
Das Jahr dem End entgegenflieht,
Die Herbstzikade schwirrt im Baum,
Die dunkle Schwalbe heimwärts zieht.
Einst hatt' ich einen Gesellen traut,
Doch als ihn aufwärts führt das Glück,
Da ließ er mich im Winkel stehn
Und sieht nicht mehr nach mir zurück.
(S. 56)
Volkslied aus der Han-Zeit (206 v. Chr. - 220 n. Chr.)
übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten
Lieder und Gesänge verdeutscht von Richard Wilhelm
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1922
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Das Lied
Dort droben steht ein hohes Haus,
Das ragt zu den schwebenden Wolken auf,
Die Fenstergitter glänzen bunt,
Drei Marmortreppen führen hinauf.
Oben zur Laute ein Lied ertönt,
Wie klingt es so traurig und sehnsuchtsschwer!
Das Mädchen singt eine Melodie,
Als gäbe es keine Hoffnung mehr.
Der Wind trägt die reinen Klänge fort,
Doch mitten im Lied, da zögert sie jäh
Und rührt die Saiten immer aufs neu
In überströmendem Herzensweh!
Ach nicht ihr Lied mir wehe tut,
Mich drückts, daß niemand sie will verstehn.
Ich wollt, wir wären zwei Vögel
Und flögen hinauf zu den ewigen Höhn.
(S. 57)
Volkslied aus der Han-Zeit (206 v. Chr. - 220 n. Chr.)
übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten
Lieder und Gesänge verdeutscht von Richard Wilhelm
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1922
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Trennung
Wandern, wandern immerfort,
Abschied fürs Leben nahmst du von mir,
Tausend Meilen bin ich von dir
Durch des Himmels Weite getrennt.
Weg und Steg, so steil, so lang:
Wiedersehn? Wer weiß, wer weiß!
Doch der Vogel aus fernem Süd
Friert nach Sonne in Schnee und Eis.
Daß wir schieden, der Tag ist fern -
Loser wird täglich Gürtel und Kleid.
Ziehende Wolke die Sonne verhüllt,
Wandrer denkt nicht der Heimkehrzeit.
Sehnsucht nach dir macht müd und alt;
Jahre und Monde fliegen vorbei, -
Laß! Gib's auf! Sprich nicht mehr davon!
Iß und trink und mach dich frei. -
(S. 58)
Volkslied aus der Han-Zeit (206 v. Chr. - 220 n. Chr.)
übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten
Lieder und Gesänge verdeutscht von Richard Wilhelm
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1922
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In der Ferne
Wie glänzt der lichte Mond so silberweiß!
Durch meines Betts Vorhang dringt sein milder Schein
Und trifft mich wachend an, von Sehnsucht schwer.
Ich stehe auf und wandle in das Licht hinein -
Wohl heißt es, Reisen sei so schön und frei,
Doch schöner ist, des Wiedersehns sich freun;
Denn in der Ferne irr' ich einsam nur,
Und meines Herzens Sinnen trage ich allein. -
Ich blicke in die weite Nacht hinaus,
Dann kehr' ich seufzend zu dem Lager wieder -
Die heißen Tränen steigen mir auf
Und fallen auf meine Kleider nieder.
(S. 59)
Volkslied aus der Han-Zeit (206 v. Chr. - 220 n. Chr.)
übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten
Lieder und Gesänge verdeutscht von Richard Wilhelm
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1922
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Gruss in die Ferne
Im Flusse ist Lotos,
Im Weiher sind Blumen -
Viel duftende Blumen,
Die wollt' ich dir senden
Ins ferne Land.
Ich denk' an die Heimat,
Durchspähe die Wege -
Die endlosen Wege,
Die endlosen Meere
Nach deiner Hand.
Im Herzen vereint,
Auf Erden geschieden -
So grausam geschieden:
Das klage ich - bis an
Des Lebens Rand.
(S. 61)
Volkslied aus der Han-Zeit (206 v. Chr. - 220 n. Chr.)
übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten
Lieder und Gesänge verdeutscht von Richard Wilhelm
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1922
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Die schöne Lofu
(ein Volkslied aus der späteren Han-Zeit)
Bricht die Sonn' bei Tagsbeginn
Im Südost durch's Himmelszelt,
Wird das hohe Haus des Tsin
Stets von ihrem Strahl erhellt.
Eine Tochter hold hat Tsin,
Und ihr Name ist Lofu.
Emsig wendet sie den Sinn
Ihren Seidenraupen zu.
Maulbeerlaub für ihr Gethier
Pflückt sie südlich vor der Stadt,
Und ihr Korb grünseidne Schnür'
Und ein Zimmtzweig Häkchen hat.
Auf dem Haupt der Haare Flor
Fasst der Wo to-Schopf* kaum ganz.
Perlenring' trägt sie im Ohr
Leuchtend wie der Mondesglanz.
Lofu's Rock ist grüne Seid',
Eingewebt sind Muster zart;
Purpurn ist ihr Oberkleid,
Seiden auch, von gleicher Art.
Kommt vorbei ein Wandersmann,
Und sein Blick erspäht Lofu,
Setzt er seine Last, hält an,
Streicht den Bart und schaut ihr zu.
Geht daher ein junges Blut,
Und sein Blick erspäht Lofu,
Nimmt vom Schopfe** er den Hut,
Schlingt den Turban drum im Nu.
Säman ganz vergisst sein Sä'n,
Pflüger ganz vergisst den Pflug:
Schöner Lofu nachzuspäh'n
Ist Beschäftigung genug.
In dem Anblick wie verzückt
Sitzen ruhig sie und still:
Naht Lofu, sind sie beglückt,
Geht sie, nichts sie freuen will.
Sieh! da kommt vom Süden her
Präfekt Schih im Fünfgespann,***
Sieht Lofu von ungefähr,
Hält sofort die Rosse an.
Seinen Diener schickt er hin:
"Sag', mein Kind, wie heissest du?" -
"Eine Tochter hold hat Tsin
Und ihr Name ist Lofu."
"Und wie alt ist Lofu wohl?" -
"Fünfzehn Jahr' bin ich schon lang';
Zwanzig Jahre sind bald voll."
Präfekt Schih sagt seinen Dank.
"Sage, Lofu, willst du nicht
Mit besteigen mein Gefährt?" -
Fragt er dann, doch Lofu spricht:
"Welcher Einfall! Wie verkehrt!"
"Eine Frau doch hat der Herr
Sowie Lofu ihren Mann,
Tausend Reiter und noch mehr
Sind im Ost ihm unterthan."
"Woran man den Gatten werth
Zu erkennen leicht vermag?
Reitet stets ein weisses Pferd,
Weisses Füllen folgt ihm nach."
"Eine grüne Seidenschnur
Ist des weissen Schweifes Zier,
Und es strotzt von Golde pur
Hell des Schimmels Zaumgeschirr."
"Um den Leib gegürtet trägt
Mein Gemahl ein edles Schwert:
Ist mit Steinen ausgelegt
Und wohl viele Tausend werth."
"Als mein Mann kaum fünfzehn Jahr,
Ward ihm schon ein Amt verliehn;
Und mit zwanzig Jahren war,
Er bereits Grossmandarin." ****
"Als er dreissig Jahre alt,
Stieg zum Schih-tschung-lang***** er höh'r;
Vierzig Jahre wurd' er bald,
Als er ward Stadtgouverneur."
"Mitten in der Männer Schaar
Strahlt er herrlich an Gestalt.
Voll und üppig ist sein Haar,
Und sein Bart herniederwallt."
"Wenn im Yamen um ihn her
Sitzt geschaart der Gäste Schwall,
Heisst es stets, dass er doch wär'
Anders als die andern all'."
(S. 93-95)
*Wo to-Schopf, eine besondere Haarfrisur während der Han-Zeit.
** Zur Han-Zeit trugen die Chinesen das Haar noch nicht
in einem Zopf, sondern in einem Schopf nach oben zusammengekämmt.
*** Mit fünf Pferden zu fahren war ein Privileg des Tai-schou Präfekten.
**** wörtliche Übersetzung für Ta-fu.
***** Ein Amt, welches in der Tsin-Dynastie geschaffen wurde.
Der Schih-chung wurde vom Minister umhergeschickt und besonders
im Kaiserpalaste verwandt, daher der Name.
Übersetzt von Alfred Forke (1867-1944)
Aus: Blüthen chinesischer Dichtung
Aus der Zeit der Han- und Sechs-Dynastie
II. Jahrhundert von Christus bis VI. Jahrhundert nach Christus
Aus dem Chinesischen metrisch übersetzt von A. Forke
Magdeburg 1899 Commissionsverlag Faber'sche Buchdruckerei
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Die Moli-Blume
Eine reizende, füllige Blüte,
Eine liebliche Märchenblüte
Kam in mein stilles Gemach,
Als kaum der Morgen erglühte.
Lass mich deine Schöne geniessen,
Mein Liebchen, sonst wird dichs verdriessen,
Blühendes Blümelein du,
Und mein Zorn wird sich schrecklich ergiesen.
O du süsseste Rosenblüte!
O du zierliche, duftendes Blüte!
Reich ist mein Garten daheim,
Doch du bist die herrlichste Blüte!
O wie gerne zu mir in die Nähe
Verpflanzt ich dich, aber die jähe
Wut und der Zorn deines Herrn
Erschrecken mich, wenn es geschähe.
O sieh, wie die Rosen erglühen,
Bald wird das Chrysanthemum blühen.
"Spring über die Mauer und sei
Ein glücklicher Mann," sagt ihr Blühen.
Doch dein Herz ist hart, o wehe!
Ja, wie Stein ist dein Herz, o wehe!
Fest schliesst du die Thüre mir zu,
Wenn ich, Süsseste, zu dir gehe.
O rührten dich doch meine Thränen!
O besiegten dich, Liebste, die Thränen!
Öffne mir hurtig das Thor!
Denn sonst vergeh' ich vor Sehnen.
An der Schwelle der Thür will ich liegen,
Bis der Osten erglüht, will ich liegen
Nachts, bis die Sonne erscheint,
Ihre Strahlen das Dunkel besiegen.
(S. 272-273)
übersetzt von August Seidel (1863-1916)
Aus: Beiträge zur Volks- und Völkerkunde
Siebenter Band: Anthologie aus der
asiatischen Volkslitteratur
Herausgegeben von August Seidel
Weimar Verlag von Emil Felber 1898
Anmerkung von August Seidel: China Review, S. 253, Bd. I. Mitgeteilt nebst
Originaltext
von C. T. Gardner. Daselbst findet sich auch eine englische, metrische
Übersetzung
in einem Aufsatz Chinese verses. Er sagt darüber: Dieses berühmte
Lied wird nach der
Melodie des weitbekannten Sin fa (Kantonesische Aussprache von Hsien Hwa,
frische Blume)
gesungen. Es giebt eine grosse Anzahl von Redaktionen und Varianten in der
musikalischen
Begleitung des Liedes, das bei den Chinesen sich allgemeiner Beliebtheit
erfreut.
Dr. Williams giebt in seinem "Middle Kingdom" Bd. II, S. 166, die
Übersetzung einer
Fassung mit Musik, die im Metrum und Text von der meinigen verschieden
ist,
auch das Tempo ist nicht dasselbe, obwohl dieselbe Melodie zu grunde
liegt.
Ich hörte eine andere Fassung des Liedes in Ningpo, welches die "Peony
Flower"
genannt wurde. Nach Gardner stellt das Lied eine Serenade dar, die Hai mun
ching einer
gewissen Li jung urh darbrachte. Die Letztere hatte mit ihrem Gatten Hsi's
Familie Besuch. -
Der Ausdruck "über die Mauer springen" in der 5. Strophe ist bildlich zu
verstehen
und bedeutet: Die Grenzen des Eigenthumsrechtes überschreiten, einen
faux-pas begehen,
eine verbotene Frucht genissen. Er hat aber auch seine thatsächliche
Bedeutung,
da die aneinander stossenden Gärten der beiden Liebenden durch eine Mauer
getrennt waren. (Näheres soll sich in einigen Ausgaben des Chin jung mei
finden.)
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