Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Kirgisische Liebeslieder



Aus: Gesänge beim Heimführen der Braut


Wenn man die Braut aus dem Hause des Vaters fortführt,
versammeln sich Jünglinge im Hause und man singt da folgende Gesänge.


1. Dschar Dschar

Ein Knöchel und eine Kniescheibe sind am Beine, Dschar, Dschar.
Den Verstand von vierzig Menschen hat der Fürst, Dschar, Dschar.
Weine nicht des Vaters wegen, armes Mädchen, Dschar, Dschar.
An des Vaters Stelle wird dein Schwiegervater dort sein, Dschar, Dschar.

Wo ist das Fallen des weissen Schnees im Frühling? Dschar, Dschar.
Wo ist die rechte Seite, wo wir wie Füllen spielten? Dschar, Dschar.
Wenn unser Schwiegervater auch noch so gut ist, Dschar, Dschar.
Ich will umkehren, denn wie der Vater wird er doch nicht sein, Dschar, Dschar.

Ein Knöchel und eine Kniescheibe sind am Beine, Dschar, Dschar.
Den Verstand von vierzig Menschen hat der Fürst, Dschar, Dschar.
Weine nicht der Mutter wegen, armes Mädchen, Dschar, Dschar.
An der Mutter Stelle wird deine Schwiegermutter dort sein, Dschar, Dschar.

Wo ist das Fallen des weissen Schnees im Frühling? Dschar, Dschar.
Wo ist die rechte Seite, wo wir wie Füllen spielten? Dschar, Dschar.
Wenn unsere Schwiegermutter auch noch so gut ist, Dschar, Dschar.
Ich will umkehren, denn wie die Mutter wird sie doch nicht sein, Dschar, Dschar.

Ein Knöchel und eine Kniescheibe sind am Beine, Dschar, Dschar.
Den Verstand von vierzig Menschen hat der Fürst, Dschar, Dschar.
Weine nicht des ältern Bruders halber, armes Mädchen, Dschar, Dschar.
An des Bruders Stelle wird der Schwager dort sein, Dschar, Dschar.

Wo ist das Fallen des weissen Schnees im Frühling? Dschar, Dschar.
Wo ist die rechte Seite, wo wir wie Füllen spielten? Dschar, Dschar.
Wenn unser Schwager auch noch so gut ist, Dschar, Dschar.
Ich will umkehren, denn wie der Bruder wird er doch nicht sein, Dschar, Dschar.

Ein Knöchel und eine Kniescheibe sind am Beine, Dschar, Dschar.
Den Verstand von vierzig Menschen hat der Fürst, Dschar, Dschar.
Des Bruders Frau wegen weine nicht, armes Mädchen, Dschar, Dschar.
Anstatt ihrer wird des Schwagers Frau dort sein, Dschar, Dschar.

Wo ist das Fallen des weissen Schnees im Frühling? Dschar, Dschar.
Wo ist die rechte Seite, wo wir wie Füllen spielten? Dschar, Dschar.
Wenn des Schwagers Frau auch noch so gut ist, Dschar, Dschar.
Ich will umkehren, wie des Bruders Frau wird sie doch nicht sein, Dschar, Dschar.

Ein Knöchel und eine Kniescheibe sind am Beine, Dschar, Dschar.
Den Verstand von vierzig Menschen hat der Fürst, Dschar, Dschar.
Weine nicht des jüngern Bruders wegen, armes Mädchen, Dschar, Dschar.
An des Bruders Stelle wird dein Schwager dort sein, Dschar, Dschar.

Wo ist das Fallen des weissen Schnees im Frühling? Dschar, Dschar.
Wo ist die rechte Seite, wo wir wie Füllen spielten? Dschar, Dschar.
Wenn mein jüngerer Schwager auch noch so gut ist, Dschar, Dschar.
Ich will umkehren, wie mein Bruder wird er doch nicht sein, Dschar, Dschar.

Ein Knöchel und eine Kniescheibe sind am Beine, Dschar, Dschar.
Den Verstand von vierzig Menschen hat der Fürst, Dschar, Dschar.
Weine nicht der jüngeren Schwester wegen, armes Mädchen, Dschar, Dschar.
An der Schwester Stelle wird deine Schwägerin dort sein, Dschar, Dschar.

Wo ist das Fallen des weissen Schnees im Frühling? Dschar, Dschar.
Wo ist die rechte Seite, wo wir wie Füllen spielten? Dschar, Dschar.
Wenn meine Schwägerin auch noch so gut ist, Dschar, Dschar.
Ich will umkehren, wie die Schwester wird sie doch nicht sein, Dschar, Dschar.
(S. 8-10)
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2.
Hebe auf den Bettvorhang, dein Vater möge schauen, Dschar, Dschar.
In Strömen möge dein Vater Thränen vergiessen, Dschar, Dschar.
Alle Jahre kaufe ich von den Nagai (Tataren) Waaren, Dschar, Dschar.
Von einer Schuld bin ich befreit, möge dein Vater sagen, Dschar, Dschar.

Hebe auf den Bettvorhang, deine Mutter möge schauen, Dschar, Dschar.
In Strömen möge deine Mutter Thränen vergiessen, Dschar, Dschar.
Alle Jahre habe ich einen Teppich gefärbt, Dschar, Dschar.
Von einer Schuld bin ich befreit, möge deine Mutter sagen, Dschar, Dschar.

Hebe auf den Bettvorhang, dein älterer Bruder möge schauen, Dschar, Dschar.
In Strömen möge dein Bruder Thränen vergiessen, Dschar, Dschar.
Alle Jahre bin ich zum Basar geritten, Dschar, Dschar.
Von einer Schuld bin ich befreit, möge dein Bruder sagen, Dschar, Dschar.

Hebe auf den Bettvorhang, die Schwägerin möge schauen, Dschar, Dschar.
In Strömen möge die Schwägerin Thränen vergiessen, Dschar, Dschar.
Alle Jahre bin ich zum Bräutigam geritten, Dschar, Dschar.
Von einer Schuld bin ich befreit, möge deine Schwägerin sagen, Dschar, Dschar.

Hebe auf den Bettvorhang, der jüngere Bruder möge schauen, Dschar, Dschar.
In Strömen möge dein Bruder Thränen vergiessen, Dschar, Dschar.
Alle Jahre bin ich zum Bruder des Bräutigams geritten, Dschar, Dschar.
Von einer Schuld bin ich befreit, möge dein Bruder sagen, Dschar, Dschar.

Hebe auf den Bettvorhang, der jüngere Bruder möge schauen, Dschar, Dschar.
In Strömen möge deine Schwester Thränen vergiessen, Dschar, Dschar.
Alle Jahre bin ich zum Bruder des Bräutigams geritten, Dschar, Dschar.
Von einer Schuld bin ich befreit, möge deine Schwester sagen, Dschar, Dschar.
(S. 10-11)
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8.
Die gelbe Morgendämmerung bricht an,
Mädchen, nach deiner Erscheinung sehne ich mich,
Das gemischthaarige Pferd mit geflochtenem Zaum,
Bei deinem Hause steht es gekrümmt.*

Dein Reitpferd ist ein Schimmel,
Dein Bräutigam ist ein junger Knabe,
Auch die Propheten haben ihre Töchter verheiratet,
Dies ist der uns gezeigte Weg.

Die Satteldecke hast du gestickt,
Ich singe das Dschar Dschar, jammre nicht,
Deines Vaters gutes Kind!
Deine Schuld liegt in den ein und vierzig Pferden.**

Als er arm geworden, sind ihm die Pferde wiedergekommen,
Die Braut hat eine giftige Zunge,
Sulika und Säürü sind zwei Mädchen,
Sie sind gleich deiner ältern Schwester ein Vorbild.

Dein Reitpferd ist ein Fuchs,
Es steht nicht ruhig bis man es besteigt,
Du wirst vernünftig werden,
Das weisse Kameelfüllen wird ein Kameel.

Dein Reitpferd ist ein Schimmel,
Dein Bräutigam ist ein junger Knabe,
Ein Perlmutter und Perlen befestigendes
Mädchen sei deine Erstgeburt.

Aber Mittwoch wird deine Hochzeit sein;
Sausend entfliehen die Schaafe,
Wenn du gehst, wird deine Mutter sich abhärmen,
Die Braut wird kommen und leben.

Die vom Himmel geflogene Bremse
Lässt sich im kühlen Schatten nieder,
Wenn hinter dir keine erwachsene Schwester bleibt,
Wird es deiner Mutter schwer werden.

Dein Reitpferd ist ein Schecke,
Einen seidenen Pelz hast du angezogen,
Ohne zu weinen, besteige das Pferd, Mädchen!
Deine Mutter hat dich fortgebracht.

Dein Reitpferd ist ein Schecke,
Deine Altersgenossen sind hier geblieben,
Ohne zu weinen besteige das Pferd, Mädchen!
Einmal im Frühling und einmal im Herbst reitest du (nach Hause).

Dein Reitpferd ist ein Apfelschimmel,
Hier sind viele deiner Altersgenossen geblieben,
Giebst du ein Tuch, so gieb ein seidenes,
Man wird dich hier sehr loben.

Vor der Thür ist eine Sandfläche,
Auf dem Sande flieht ein Hase springend,
Die fremde Schwägerin von anderem Vater
Wird euch in die Jurte führen und horchen.

Vor der Thür ist steiniges Land,
Zwischen den Steinen schaut ein Hase hervor,
Die fremde Schwägerin von anderem Vater
Wird euch im Hause lassen.

Vor der Thür streut man Geschenke aus,
Dein Mütterchen streut sie aus,
Der als Brautgeld vierzig Pferde gegeben,
Wird am Abend sich erleichtern.

Von der Fluth kam eine Gans geflogen,
Vom See kamen zwei Gänse geflogen,
Die eine ist glänzend, die andere weiss,
Der Kasten ist voll von gelber Baumwolle.

Vom Himmel fliegt ein Schmetterling,
Dein Bräutigam ist ein Dummkopf,
Nachdem du als junge Frau eingetreten,
Wird er dich schlagen, den (hellen) Tag dir nicht zeigen.
(S. 20-22)

* Zusammengekrümmt vor Mattigkeit steht das Pferd,
da der Bräutigam den weiten Ritt gemacht hat.
** D. h. du hast nichts begangen, was dich aus dem Hause treiben könnte,
nur das Brautgeld von 41 Pferden hat deine Vater bewogen dich fortzuschicken.

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Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Türkischen Stämme Süd-Sibiriens
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
III. Theil: Kirgisische Mundarten
St.-Petersburg 1870

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