Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Lettische Liebeslieder



Liebeslust und Leid

Um der Mädchen willen wuchsen
Roter Mohn und rote Rosen;
Um der Burschen willen wuchsen
Nicht mal Nesseln hinterm Zaun.
(S. 23)
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Liebe Strauch- und Waldesmutter,
Hilf mir meine Schäfchen hüten!
Wenn ich erst mal Hochzeit halte,
Will ich alle reich beschenken.
Geb' der Lind' ein blaues Wolltuch,
Geb' der Eich' ein goldnes Handtuch,
Geb' dem kleinen Birkenbäumchen
Schöne Diamantenblätter.
(S. 23-24)
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Frag nach einem klugen Manne,
Frag nach keiner Roggenkleete!
Denn so manche Roggenkleete
Steckt in klugen Mannes Kopfe.*
(S. 24)

* Kleete, ein Vorrathshaus für Getreide, Mehl, Fleisch u. s. w.
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Vor der Thüre auf die Erde
Legte ich ein Birkenreis.
Kam ein Mädchen - schritt herüber,
Kam ein zweites - schritt herum,
Kam ein drittes - hob das Reis auf, -
Dieses dritte wird mein Schatz!
(S. 24)
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Find' ich mir kein Birkenzweiglein,
Nehm' ich doch kein Ellernreis;
Find' ich keinen jungen Freier,
Nehm' ich doch den Witwer nicht.
Schwer von vielen, vielen Thränen
Ist ja eines Witwers Hand.
(S. 24)
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Nimmermehr wird die mein Liebchen,
Die vor mir sich eitel spreizt;
Jene, jene will ich nehmen,
Welche mich so ängstlich flieht!
(S. 24)
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Weiße Rose, grünes, schlankes
Schilfrohr blühn im Mühlenteiche:
Weiße Ros' ist meine Schwester,
Grünes Schilfrohr ist mein Liebchen.
(S. 24)
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Wählte mir ein feines Liebchen,
Aber denk' noch nicht an Hochzeit!
Bring' die Maid drum ins Gerede,
Daß kein andrer sie mir nehm'.
Selber helf' ich brav sie schmähen,
Rede dies und rede das, -
Und verborgen bleibt den Leuten,
Daß sie mein Feinsliebchen ist.
(S. 25)
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Neigt euch, beugt euch, schlanke Birken,
Zu der Sonne, mit der Sonne!
Also neigen sich die Freier
Vor der Töchter Mütterlein.
(S. 25)
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Liebes Mädchen, sonnenlock'ges,
Still mein Sehnen und Verlangen!
Ach, in deinen goldnen Locken
Hat sich Kopf und Herz verfangen!
(S. 25)
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Schau die volle, hohe Birke
Dort am grünen Straßenrande!
Kannst du ihre Blätter zählen,
Sollst du um mich werben dürfen.
(S. 25)
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Blüh, liebes Röslein,
Wohl hinterm Dornbusch,
Daß dich nicht breche
Eisiger Nordwind!
Blüh, liebe Schwester,
Hinter den Brüdern,
Daß dich der harte
Freier nicht greife!
(S. 25)
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Auf dem Berge weiße Rosen,
Hinterm Berge roter Mohn.
Kommen Freier zu den Rosen,
Duck' ich schnell mich in den Mohn
Und verberg' mein glühend Antlitz
Unter seinen roten Blüten.
(S. 25-26)
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Als die Bursche mich erblickten,
Sperrten Mund sie auf und Augen;
Wär 'ne Semmel ich gewesen,
Hätten sie mich gar verschlungen!
(S. 26)
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Hat man Feuer angezündet?
Steht der Weidenbusch in Flammen?
Nein, der Freier Augen brennen,
Da sie meine Schönheit sehen!
(S. 26)
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Eh' ich durch das Bächlein wate,
Muß ich erst mein Röcklein schürzen;
Eh' ich in die Fremde gehe,
Muß ich mich erst recht bedenken.
(S. 26)
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Schwanenmutter, schütz die Kindlein,
Sturmflut kam mit großer Welle!
Mädchenmutter, schütz die Töchter,
Schlechte, thör'chte Freier kamen!
(S. 26)
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Weil ich stets zum Handschuhstricken
Etwas gelbes Garn genommen,
Hat mein künft'ger Brotversorger
Einen gelben Lockenkopf.
(S. 26)
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Wo erwuchsest, schmucker Bursch, du,
Daß ich niemals dich gesehen?
"Ei, ich wuchs auf einem Steine,
Tief im tiefsten Meeresgrunde!
Doch wo wuchsest, schmucke Maid, du,
Daß ich niemals dich gesehen?"
Ei, beim Mütterlein ich aufwuchs
In dem weißen Rosengärtchen! -
(S. 26)
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Tragt mit Vorsicht meine Truhe,
Denn drei Thränenbecher liegen
Ganz zu unterst! Einen füllt' ich,
Während ich erwuchs, mit Thränen,
Und den dritten, als die Truhe
Ich mit meiner Mitgift füllte.
(S. 27)
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Um mein Kränzchen muß ich weinen,
Weinen wie um Vater, Mutter;
Ach, im Kranz sind leicht die Schritte,
Ach, im Kranz ist leicht das Leben!
(S. 27)
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Drei Maß Lieder nahm ich mit mir,
Als ich mit dem Freier fortzog.
Ist die Schwiegermutter gütig,
Will ich singend sie erfreuen;
Aber ist sie bös' und heftig,
Bleib' ich stumm und spar' die Lieder.
(S. 27)
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Wolfesmutter, Sohnesmutter,
Gehen beide eines Weges;
Wolfesmutter sucht ein Lamm sich,
Sohnesmutter eine Web'rin. *
(S. 27)

* d. h. eine Schwiegertochter, die hart arbeiten soll.
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Weit ließ mich die Mutter ziehen
Und versprach mir, nicht zu weinen;
Als ich meine Schuhe anzog,
Weinte sie schon bitterlich;
Als ich mich ins Wolltuch hüllte,
Weinten alle lieben Brüder;
Als ich auf des Freiers Pferd stieg,
Brüllten alle Küh' im Stalle;
Als zur Pforte ich hinausritt,
Wiehersten die braunen Pferde.
(S. 27-28)
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Ich erkannte meine Liebste
Schon auf eine halbe Meile:
Schneeweiß ihre wollne Decke
Und ihr Kranz wie Silber glänzend.
Ei, verwöhnte Muttertochter,
Jetzt, da wir dich endlich haben,
Sollst du jeden frühen Morgen
Auf das Feld hinaus - zur Arbeit!
(S. 28)
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Warte, Freier, noch ein Weilchen!
Bald kommt die so lang' Ersehnte,
Bald kommt die so lang' Erharrte,
Wie ihm Lenz der Faulbaum blühend,
Wie ihm Lenz die Birke grünend,
Wie die Morgensonne glänzend!
(S. 28)
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Ach, was soll ich machen?
Spring' ich in den See?
Die ich so ersehnte,
Wurde fortgeführt!
Dort auf trübem Wasserspiegel
Weint nach reiner Flut ein Schwan,
Und ich wein' am Ufersrande
Nach der Herzgeliebten mein ...
(S. 28)
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Lebe wohl leb wohl, Herzliebste!
Such dir einen andern Burschen,
Such dir einen andern Freier,
Denn mich deckt der Hügel ja!
Komm, besuch mich, Liebchen, dort,
Schau, wie ich so friedlich ruh'!
Komm zu meinem Grab und bring mir
Eine Hand voll Mohnenblüten! -
(S. 28)
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Gesänge und Romanzen

Wehe, Windchen

Wehe, Windchen, treib das Bötchen!
Treibe mich nach Kurland hin!
Die Kurländerin versprach mir
Ja ihr schmuckes Töchterlein.
Hat versprochen, nicht gegeben;
Heißt mich einen Trinker gar.
Heißt mich einen großen Trinker,
Sagt, ich hetz' die Pferde tot.
Welche Schenke trank ich leer denn?
Wessen Pferd hetzt' ich zu Tod?
Für mein eignes Kleingeld trank ich,
Hetzte ab mein eignes Pferd! ...
He, Frau Wirtin! Bring noch Bier her!
Schreib es mir mit Kreide an!
Gerste wird und Roggen wachsen,
Ehrlich werd' ich zahlen dann.
Kommt der Herbst, nehm' ich ein Weib mir,
Lade dich zur Hochzeit ein;
Trinken werden wir drei Tage,
Tanzen wird das Brautgefolg'!
(S. 43)
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Vogelhochzeit

Dompfaff braute süßes Bier
Zu der Lerche Hochzeitsfeier.
Fragte sie: "Wer wird die Braut,
Wie's geziemt, zur Kirche führen?"
Gab die Lerche ihm zur Antwort:
"Buntspecht mit dem prächt'gen Kleide
Soll die Braut zur Kirche führen;
Häschen mit den Säbelbeinen
Soll voraus dem Schlitten laufen,
Langgestelzte Doppelschnepfe
Aber fest den Weg erst treten.
Dohle mit dem schwarzen Amtsrock
Wird mich mit dem Liebsten trauen,
Meise, der Prophetenschnabel,
Unsrer Zukunft Glück verkünden,
Schwarzstaar, vorsichtig und weise
Halte Wache an der Pforte;
Zwitscherschwalbe unterhalte
Lustig die geladnen Gäste;
Elster mit dem langen Schwänzchen
Fege rein die Hochzeitsstube.
Krähe mit der grauen Schürze
Soll sich in der Küche tummeln,
Rabe mit dem scharfen Schnabel
Fleisch zur Mahlzeit uns zerkleinern,
Eichhorn mit dem dichten Buschschwanz
Flink die Mittagstafel decken,
Habicht mit den scharfen Krallen
Speisen aus den Töpfen holen.
Grille sei die Flötenbläs'rin,
Hündchen sei der Trommelschläger,
Flinke, nimmermüde Bachstelz'
Aber führ' ein Tänzchen auf.
Lustig leben, lustig feiern
Einen Tag wir um den andern;
Bald der Hochzeit folgt die Kindtauf'
Und des Jubels ist kein Ende!"
(S. 45)
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Die Entführte

Auf der Eiche saß der Rabe
In der Hand die goldne Kohklis.
"Schautest du nicht, kluger Rabe,
Wohin führte man die Schwester?"
"Dorthin führte man die Schwester,
Wo am Nebelsee das Haus steht;
Führte sie mit grauen Pferden,
Schönem Wagen samt dem Brautschatz;
Baut' ein Vorratshaus von Schilfrohr,
Deckt's mit grauen Reiherfedern;
Macht' ein Bett aus roten Rosen,
Weiße Rosendecke drüber.
Dort liegt eure liebe Schwester,
Wie ein rotes Preiselbeerchen,
Neben ihr der stolze Fremde,
Schön wie eine junge Eiche ..."
(S. 46)

Kohklis: Das zitherartige, mit Metallsaiten
bespannte Nationalinstrument der Letten.
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Waisenmädchens Glück

Wie der weiße Schwan im Wasser
Bin ich im Gered' der Leute,
Wasser haftet nicht am Schwane,
Nicht an mir das Volksgered'.
Schwan, erheb dich aus dem Wasser,
Wie ich aus dem Klatsch mich hob! ...

 Gestern stieg ich auf den Hügel,
Sah mich um in Näh' und Fern';
Lauschte neubegier'gen Ohres:
Was erdröhnt' die Erde so? ...
Ritt im Thal auf schmuckem Rößlein
Reichen Hofbesitzers Sohn.
Hielt am Fuß des grünen Hügels
An sein wohlgepflegtes Roß,

Rief hinauf mit heller Stimme:
"Komm herab, o Waisenmaid!"
Seiner Stimme Ton vernehmend
Wurde mir die Wange heiß,
Wurde heiß die Rosenwange,
Fiel mein Kränzlein mir vom Haupt;
Und der Wind ergriff das Kränzlein,
Trug es in das Thal hinab.
Schnell vom Pferd sprang da der Jüngling,
Hob mein Jungfernkränzchen auf;
Hielt es hoch in seiner Rechten,
Bis ich zu ihm niederstieg.

"Sag mir frank und ohne Bangen,
Wie viel kostet dieser Kranz?"

Jüngling, meine Jungfernkrone
Ist mir nicht um Schätze feil!
Wer sich kaufen will mein Kränzlein,
Muß auch nehmen Herz und Hand!

"Setz aufs Haupt dein Jungfernkrönlein,
Steig zu mir aufs braune Roß!
Weinen wird so manche Jungfrau,
Wenn sie hört von deinem Glück.
Fürchte nichts, lieb Waisenmädchen,
Sitzend vor mir auf dem Roß!
Denn das ist mein liebes Rößlein,
Und du bist mein herz'ger Schatz! ...
(S. 46-47)
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Sonne und Mond

Untreu wurde Mond der Sonne,
Suchte bei der Sonnentochter,
Seinem wunderschönen Stiefkind,
Streng verbotner Liebe Glück;
Denn dem jungen Morgensterne
War versprochen schon das Mädchen,
Und der Himmelsherrscher Pehrkon
Heischte ihren Ehebund.

Eines Morgens früh erwachte
Mutter Sonn', und fand allein sich
Auf dem Purpurwolkenlager,
Ganz allein, getrennt vom Gatten.
Zitternd, zwischen Zorn und Kummer
Schwankend, teilte sie den goldnen
Vorhang ihres Himmelsbettes,
Spähte sorgend in die Ferne.
Sieh! Auf weißem Nebelpfade
Stieg das Liebespaar gerade
Nieder zu der dunkeln Erde.

Fest umschlungen hielt der falsche
Mond die schöne Sonnentochter,
Die sich willig des Verführers
Süßer Überredung hingab.

Zornesbebend sprang Frau Sonne,
Blutig leuchtend jetzt vom Lager,
Rief mit Klagen, rief mit Fluchen
Pehrkons Rat und Hilfe an.

Und der Donnrer schwang aufs graue
Wolkenroß die mächt'gen Glieder,
Schwang ums Haupt sein großes Schlachtschwert
Blitze sprühend auf die Erde,
Ritt im Sturme, sausend, brausend,
Den verliebten Flücht'gen nach.

Furchtbar traf den Mond das Schlachtschwert,
Spaltet' ihn, daß seine Scheibe
Ward entstellt zur schmalen Sichel,
Furchtbar traf die Sonnentochter
Pehrkons Fluch: "Sei ausgestoßen
Aus dem Kreis der sel'gen Götter,
Die du Pflicht und Scham vergessen!

Auf die arme Erde bann' ich,
Falsche, dich, - dort magst dein Leben
Du in Feuersflammen fristen,
Brennen in des Knechtes Stube,
Auf dem Herd des Ackerpflügers!"

Seit dem Tage sehn als Sichel
Wir den Mond am Himmel droben,
Seit dem Tag irrt Sonnentochter
Unten auf der armen Erde ...
(S. 48-49)
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aus: Lettische Volkslieder und Mythen
Bearbeitet und ins Deutsche übersetzt von
Victor von Andrejanoff [1857-1895]
Halle a. d. S.
Druck und Verlag von Otto Hendel 1896




 


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