Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Mesopotamische Liebeslieder


Atabat


I.
O du, der du neben dem Herde stehst, sprich zu ihr:
Nicht soll das Feuer sengend deinen Arm erfassen!
O Bote, geh zur Geliebten und sprich zu ihr:
Tröstet uns (d. h. tröste du mich), solange sie (die Leute)
noch Hoffnung hegen (nämlich dass ich mich erhole
und nicht vor Liebe sterbe).
(S. 27)
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II.
O du, der du gleich einem Skorpion schleichest
(d. h. der du verstohlen zu mir schleichest),
Dessen Feuer mir im Herzen brennt verborgen!
O Gott, lass unseren Liebesverkehr andauern verborgen
Und niemanden das Geheimniss von uns beiden erfahren.
(S. 27)
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III.
Ich verbringe die Nacht, während Sorgen lasten auf mir,
Ein Fremdling, versenkt in Gedanken an meine (ferne) Heimath.
Bei Gott, o Mond, beschwöre ich dich: Leuchte über mir! -
Denn mein Öl ist vertrocknet und meine Lampe erloschen.
(S. 27)
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IV.
Die Menschen nächtigen in Freuden, während ich nächtige
Die Lippen beissend mit den Vorder-
und Hundszähnen (vor Liebesgram).
Einmal findest du mich nächtigend in Sorge,
Einmal so (verzweifelt), dass ich den Führer
(dich, den Freund, der mir guten Rath geben will)
von meiner Schwelle weise.
(S. 28)
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V.
O du, dem die Locken um die Schultern wallen.
O Thräne des Auges, die du über die Wangen fliessest.
O Unglücks-Monat, wärest du nie aufgegangen!
Denn in dir sind wir getrennt worden von den Geliebten.
(S. 28)
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VI.
Ihre Schläuche haltend ging sie zum Wasser hinab.
Ihre Wange war wie eine Rose aus Mondstrahlen.
Wandelte Hedele auf Felsen, so würden sie Rosen hervorspriessen lassen,
Gaisun-Rosen würden auf ihnen wachsen von hohem Preis.
(S. 28)

Gaisun: eine besonders schön duftende Rosenart

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VII.
O du, der die Locken um die Schultern wallen,
Deine Wange strahlte, dass ich glaubte, der Mond
(nachdem er untergegangen) sei zurückgekehrt.
Wenn du nicht wärest, was hätte ich in diesem Welthaus zu thun!
Ich hätte niemals meinen Fuss über seine Schwelle gesetzt.
(S. 28)
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VIII.
Sie ist hinausgegangen zu lustwandeln am Feste Gottes des höchsten.
Ihre Brust ist gewachsen wie eine kleine Melone oder noch grösser.
Ich fürchte, es überfällt mich das weisse Haar und ich altere,
Und sterbe und werde beraubt des Lebensgenusses.
(S. 28)
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IX.
O du, dem die Locken unstät um die Schultern wandern,
Es zittert mein Herz, wenn sie deinen Namen rufen.
Erheb dich, brich das Fasten und lass mich an deiner Stelle fasten:
Die Strafe dafür will ich am jüngsten Tage tragen.
(S. 29)
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X.
O du, der die Locken auf den Schultern herabfallen!
O über die Thräne des Auges, welche über die Wange herunterrollt!
O ihr Freunde, zeltet nicht zu fern von mir.
Ein Fremdling bin ich, getrennt von den Geliebten.
(S. 29)
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XI.
Süss ist die Tättowierung ihrer Arme, gleich Ketten.
Die Liebe zu ihr hat erschüttert mein Gebein ganz und gar.
O Goldschmied, schmiede für die Schöne Ketten,
Bänder oben (um den Kopf und ) bis zu den Knöcheln hinab.
(S. 29)
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XII.
Deine Hände sind weiss. Wie schön ist ihre Farbe (Tättowierung)!
Meine Wunden eitern; nicht weiss ich, warum ich sie noch
mit Pulver bestreuen soll.
Wenn ich deine Wangen küsse, was schadet es ihnen? -
Das ist kein Schade für dich, aber ein Nutzen für mich.
(S. 29)
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XIII.
Ich geh hinaus auf einen hohen Berg in Kummer.
Nachdem ich getrennt von euch, zerstoße ich die (bittere) Aloe
und würge sie nieder.
Ich dachte, die Freude wird über den Kummer siegen,
Jedoch der Kummer, scheint es, wird die Freude besiegen.
(S. 29)
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XIV.
O du, der die Locken wirr um die Schultern fliegen.
O über die Thräne des Auges, welche über die Wange
hinabrollend sich zeigt.
O über das Zelt, das keine schönen Mädchen birgt. Es ist öde!
Es wird stets öde sein, und wären seine Stangen von Gold.
(S. 30)
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XV.
O Geliebte, du legst Kohl auf deine Augen.
O über die Kohle eines Feuers, die du mir in das Herz legst.
Wenn du ein Vogel wirst, musst du doch
einmal wieder herunterkommen,
Und dann will ich dir ein Netz stellen, o goldiges Mädchen.
(S. 30)
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XVI.
O mein Auge, du spähest nach den beiden Wegen. Sie kommen nicht.
Bleiben sie doch lange fort und kommen nicht.
So lange die Saffe-Vögel ihre Eier in der Luft legen,
Werde ich trauern um den Verlust der Geliebten (d. h. immer).
(S. 30)
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XVII.
Ich gehe hinaus, auf den Singar-Berg steigend,
Und sende dir mit dem Morgenhauch einen Brief.
Wenn einmal auf Harz Briefe geschrieben werden,
Dann (d. h. niemals) werden die Geliebten kommen.
(S. 30)
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XVIII.
Ringe (trägt sie) an der Rechten und am Daumen,
Und die Leute (bei ihr) sind beglückt,
während ich in Kummer bin.
Kein Vaterbruder oder Mutterbruder ist da,
wenn ich Kummer habe,
Und kein Vater, der da spricht: Willkommen.
(S. 30)
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XIX.
Ich bin hinausgezogen auf die Wanderschaft
(reitend) auf der Beluni-Kameelin.
Diese da sind es, die mich durch ihre Liebe in Leid gestürzt haben.
Seit dem Tage ihres Aufbruchs bin ich vereinsamt,
ist mein Antlitz fahl,
Und keine Arzenei hat mir genützt.
(S. 31)
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XX.
Wie den Joseph haben sie mich in einer Grube gesetzt;
Nur auf Verdacht hin und ohne einen Zeugen
zu vernehmen haben sie mich gefangen gesetzt.
Bei Gott beschwöre ich euch, o meine Oheime, helft mir,
Nehmt Rache für mich an diesen Fremden.
(S. 31)
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Mawawil


I.
O du, die du mein Gebein zerschlagen, indem du dich
lieblos von mir abwendetest!
Seitdem du mich verlassen, wird die weite Fläche der Steppe
und Weidegründe mir zu eng.
Süss ist dein Mund und deine Rede, süss deine Lippe und dein Kuss,
Gleich honigsüssem Zucker, den Küssenden
(wörtlich: den Speichel) zu Leidenschaft erregend.
Ich sehe es, und zu meinem Grimme, dass du
Winkelzüge mit mir machst.
Wenn du willst, liebe mich, und wenn du willst, hasse mich.
In jedem Fall, sei es in Hass, sei es in Liebe,
sehe ich dich als meinen Bruder an.
(S. 63)
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II.
Ein Vollmond (d. h. ein Mädchen mit vollmondgleichem Angesicht)
ist die Ursache, dass wir schwimmen im Meer unserer Thränen.
Wenn er in einer Nacht leuchtet, öffnen wir die Augen:
wenn er untergeht, sind wir blind.
Gerufen habe ich: o du, der du unser Gebein
wie zu Mehl zermahlen,
Liebst du den, der nach der Trennung von dir
sich von dir lossagt, oder den, der festhält (an der Liebe zu dir)?
Den, der dich, o Hort keuscher Frauen, schmäht oder den,
der dir treu bleibt? -
Jegliches Lob gebührt dir in Poesie wie in Prosa,
Denn du hast den Menschen den Segen von Gott gebracht.
(S. 63)
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III.
Am Tage des Abschiedes von dir hat sich der von dir
(durch den Abschied von dir) getödtete
in das Wasser gestürzt.
Nicht verrathe ich ein Geheimniss, das dich betrifft,
und mit gemeiner Liebe habe ich nichts zu thun.
Aus fliessendem Thränenstrom schöpfe ich das Wasser
für mich, blutiges Wasser.
Trennung strebst du an wider den, der dich liebt,
Und in deinem Wahn suchst du Unbill zuzufügen
dem Armen (der dich liebt).
Wenn dich aber einmal aufrichtig nach meiner Liebe verlangt,
So thu, was dir beliebt: ich bleibe stets derselbe.
(S. 64)
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IV.
O Herrin meiner Seele, in Zärtlichkeit mishandle mich
(wenn du durchaus es willst).
Stehst du doch in der Zeit der Jugend, dass du mich
so mishandeln dürftest?
Mit Grausamkeit mishandelst du mein Herz.
Wie viele Schöne gleich dir giebt es und gab es vor dir,
und alle sind dahingegangen.
Deine Liebe aber hat der Schöpfer für mich bestimmt
und mir zugeschrieben (auf der Tafel der Vorherbestimmung).
Du sprichst zu dem, der dich liebt: "du bist ohne Schuld und Fehl".
(Nicht doch): der Fehler ist auf meiner Seite, der ich mich
dir ergeben habe, sodass du mich quälen kannst.
(S. 64)
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V.
Wie mancher Pfeil hat mich ins Herz getroffen,
den ich ruhig hinnahm,
Von Freunden (kommend), von denen ich wähnte,
dass sie mein sein würden bis zum jüngsten Tag.
Es haben Männer mit mir gehadert, die früher
von meiner Gnade lebten.
Da habe ich gerufen: "Die Zeit hat sich gedreht, wir sind zum
Gegenstand der Verwunderung und der Belustigung geworden.
Unsere Hähne sind verstummt, unsere Kücklein haben
das Wort übernommen.
Wenn, o mein Schöpfer, es von dieser Bedrängniss keine Erlösung giebt,
Dann bitte ich dich, - ich mag das Leben nicht mehr -,
nimm, was du mir anvertraut, wieder zurück.
(S. 64-65)
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VI.
Ein Rehlein (war da), ein klagendes,
und ich der Jäger, von ihm bethört.
Ein Zicklein trat in einen Garten,
ihr voran der Duh (ihr Hund).
Da rief der Gartenwächter sie an: "O Thörin".
Sie sprach: "Was schreist du? was ist passirt? was giebt's?"
Er sprach zu ihr: "Die Granatäpfel (will ich zurückhaben),
die du von meinen Bäumen gepflückt
und an deinen Busen (verbirgst)".
Sie antwortete, während Thränen ihr über die Wangen flossen:
Hier ist mein Busen (Brusthemd)
und mein Hemdausschnitt, o Bethörter".
(S. 81)
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VII.
Die Vormittagssonne hat sich verschleiert, da du dein Gesicht
ihr zugewendet hast.
Der Mond (ein mondgleiches Mädchenangesicht)
ging auf über einen Vormittag,
der in Sonnenlicht gekleidet war.
Jeder Lobpreis und jede Ehre gebührt dir, o Geliebter (?).
Du bist mein Bruder und mit den Leuten,
die frivole Liebe treiben, hast du nichts gemein.
Wenn du dein Selbst verkaufst, bist du im Recht, es gehört dir,
Aber das Geheimniss unserer Liebe zu verrathen, hast du kein Recht.
Sicherlich wirst du doch eines Tages zu ihr (unserer Liebe)
zurückkehren müssen.
(S. 65)
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VIII.
Viel verlangt und sehnt sich mein Herz dich zu sehen.
Mögen dem, der dich nicht liebt,
die Knochen der Gestalt zusammenbrechen!
Zur Stunde, da du mich besuchst, schwindet
alle Sorge und ist vergessen.
Dein Antlitz überstrahlt den Mond,
von deinem Antlitz strahlt das Licht aus.
Köstliche Rosen auf Wiesengrund spriessen
auf dem Plan deiner Wange.
Du hast eine Gestalt, o du, der du mich quälst,
ähnlich einem Weidenzweige,
Der hin und her schwankt, wie der Lufthauch mit ihm spielt.
(S. 65-66)
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IX.
Wer ist es, der einen Pfeil in mein Herzinnerstes geschleudert hat? -
Die Güter des Glücks haben mich verlassen,
eines nach dem andern, nachdem die Leute vorangegangen.
Ich hasse die Wege frivoler Liebe, nicht ist meine Seele niedrig.
Ich beschwöre dich, lass mich nicht einsam
den Becher der Trübsal trinken.
Ich bin berauscht von deiner Liebe, und verlange niemals
sie zu verbergen.
Wenn du aus meinem Gesichtskreise auch nur
für eine Stunde verschwindest,
Halte ich das Sterben für leicht und mag von der Welt nichts wissen.
(S. 66)
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X.
Süss ist der Liebeshauch, der von der Geliebten ausgeht,
Und mein Herz ist froh, als wäre ich bei ihnen in der Heimath,
Lass sie nur immer schöpfen aus dem Strom süsser Freude.
Gemeine Leute fangen an dir eine Grube zu graben.
Wende dich ab von ihnen! ihre Schmähreden
werden dir Schmerz bereiten.
Wer vom Schwert verwundet ist, gesundet durch Pflaster und Arzenei.
Wie aber soll der gesunden, den die Zunge verwundet hat!
(S. 66)
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XI.
Mein Gewand ist fadenscheinig geworden
durch die Unbill der Vergangenheit,
Und immer wieder klage ich über mein Glück
in vergangener Zeit,
Nachdem ich (jetzt verlassen, früher) Anhang und Genossen hatte,
Jetzt hat mein Schicksal mich verrathen,
keiner von allen ist mir geblieben.
Ich bin in die Steppe gegangen;
keiner von ihnen redete mich an.
O Herzeleid, es giebt nichts deinesgleichen.
Verloren, verloren! Ach, wäre es noch wie in alter Zeit!
(S. 67)
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XII.
Ein schönes Mädchen, zur Wasserstelle eilend,
führte hinab (ihre Heerde).
Mit Wangen schöner als Blumen der Steppe.
Ich rief sie an, sie aber bittend
und mich abweisend sprach:
"Geh zu deinem Stamm, sonst könnte dein Blut
vergossen werden ungerächt.
Du weisst hier nicht Bescheid. Das Geschwätz
wagt sich nicht an uns heran.
Wie manchem Jüngling gleich dir sind
die Thränen über die Wange geflossen - nutzlos,
Und unsere Augen sind (für dich)
nur Wasserstellen ohne Wasser,
selbst wenn es dir vergönnt wäre zu ihnen hinabzusteigen."
(S. 67)
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XIII.
Schöner Jüngling, du, der du deine Waffen auf meinen Leib richtest,
Dessen Rede mir Coloquintensaft
und Bitterniss zu trinken gegeben,
Wahrlich, ich will nach dir jagen und mein Geschoss
auf dich schleudern,
Ich werde dich fangen zum Trotz deiner Mutter,
deinem Vater und Ohm,
Und deine Thränen sollen fliessen wie ein reissender, mächtiger Strom.
Du verleugnest mich und meinen Eifer um dich,
so gross er auch ist.
Ich aber will meinen Feinden nachstellen
mit schneidigen Schwertern.
(S. 67)
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XIV.
Zwischen den Ufern von Bagdad und 'Ana
verbringen wir unser Leben.
O über die Erde, auf die kein lebenspendender
Regen aus der Wolken herabfällt.
Nicht habe ich mehr Vieh noch ein Zelt, ein wohnliches.
Ich habe nur noch meinen Schöpfer;
der kennt meinen Zustand.
Er ist es, der seine Knechte leitet
in den Jahren der Noth.
Ich bitte dich, o mein Schöpfer,
befreie uns aus diesem Zustand,
Und nimm weg den Druck von unserem Herzen,
damit unser Leben (in Frieden) sich vollende.
(S. 68)
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XV.
O schöner Freund, die Trennung von dir hat mich
mit Lebensüberdruss erfüllt.
Meine Gestalt ist gebrochen, während sie vorher
ein Thurm von Lebenskraft war.
Ich schwöre bei dem, der das Haus Gottes besucht
und das ewige Leben uns gebracht (Muhammed):
Deine Gestalt ist niemals auch nur einen Augenblick
aus meinem Sinn entschwunden.
Seit du mich verlassen, wünsche ich mir nichts als den Tod.
Und niemals hat mein Auge aufgehört Thränen um dich zu vergiessen.
Bei Gott, um die Trennung von dir werde ich weinen,
solange ich lebe.
(S. 68)
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XVI.
Die Kamele meiner Geduld lagern vor der Schwelle der Geliebten.
Wie viele Teiche habe ich angefüllt mit den Thränen,
die ich um sie geweint.
Warum, o Tadlerin, hat das Gerede der Neider dich getrennt
Von mir, und warum hast du mich liebeskrank
in der Wüste gelassen? -
Das Schönheitsmal auf deiner Wange
ist (rund und schwarz) wie ein Pfefferkorn.
Ich rieth meinem Herzen dich zu vergessen,
es hat aber mit Nein geantwortet.
Mich hast du krank gemacht, dich aber möge Gott
von der Krankheit (der Treulosigkeit oder Lieblosigkeit)
geheilt haben! -
(S. 68-69)
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XVII.
O Schöne, wer hat dich mir entführt und hütet dich?
Ausser mir hast du keinen Bruder mehr,
der dich behüten kann,
Aber so oft ich dich sehe, bist du spröde,
während ich doch nur für dich sorgen will.
Schämst du dich nicht vor mir, dass du täglich
mit anderen tändelst?
Zehn verborgene Dornen sind deinetwegen
(mir im Herzen) gewachsen.
Stets tändelst du, ohne jede Scheu vor deinen Freunden.
Wie du jetzt bist, bist du vergleichbar
einem Schäfchen, das tausend Hirten hat.
(S. 69)
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XVIII.
Der Leib deines Freundes geht, weil du dich
von ihm abwendest, an deiner Härte zu Grunde.
Um die Sehnsucht nach dir ist mein Gewand nass
von den blutigen Thränen meines Auges.
Was hast du vor, Sängerin des frohen Liedes? -
In meinem Herzen ist nichts
Als das Verlangen dich zu besitzen, koste es mein Leben
oder meine Habe, oder nicht.
Meine Liebe kann nur ein Wesen deiner Art umfassen,
sonst erstirbt sie.
Um deiner Liebe willen ertrage ich jede Stunde schwere Pein,
Während dir der dich Liebende niemals
auch nur in den Sinn kommt.
(S. 69)
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XIX.
Die Gazellen der Steppe haben nicht gleich dir
ein Wänglein mit einem Liebesmal.
Die Trennung von dir hat mir den bitteren Schicksalskelch
zu trinken gegeben.
Ich rief: "Gewähre mir deine Liebe, o Mädchen
mit süssem Liebesmal!" -
Es giebt Niemanden, der dir an Schönheit gleicht, nein, nein.
Der Mond am Himmel strahlt von dem Lichte deines Angesichts.
Dein Stamm ist edel, kein schlechter ist unter ihnen,
Lieblich sind sie, aber geizig mit der Liebe.
(S. 70)
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XX.
Die Feuer des Schmerzes über unsere
gegenwärtige Lage lodern auf, seitdem ihr uns verlassen.
Bei dem Zählen der Freunde zähle ich stets euch mit.
Wir leben in Gedanken an die Liebe,
ach, seitdem ihr uns verlassen.
O edles Menschengeschlecht von herrlicher Gestalt!
Die Liebe zu dir ist in mein Herzinnerstes eingezogen
und hat sich hohe Hallen darin erbaut.
Sie sprach: "Wenn wir uns von dir trennen, wirst du uns
dann verspotten oder uns loben?"
Da rief ich: "Fragt nur die Leute, die hier bleiben
nach eurem Abzuge."
(S. 70)
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XXI.
Ich habe Freunde und die Sehnsucht nach ihnen
lodert in meinem Inneren.
Herz und Niere brennt mir vom Feuer ihrer Liebe.
Ich bitte dich, o mein Schöpfer,
möge ihr Feuer nie verlöschen
(d. h. sie nie Trauer bekommen)!
Mein Verstand geht irre, ich werde wie ein Wahnsinniger.
Ich taumle umher im Freien
wie ein Gata-Vogel, wie besessen.
Sie sprachen: "Was schreist du denn?"
Ich sprach zu ihnen: "Besessen bin ich,
Familie und Heimath habe ich aufgegeben,
und mir das Feuer ihrer Liebe erkoren."
(S. 70-71)
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XXII.
Das Feuer, das entstanden ist, hat mein Innerstes
erschüttert durch einen Weinkrampf.
Ich (der ich nicht bei euch bin)
habe den Todesbecher unter Thränen getrunken.
Stets habe ich mich behandelt mit Heilmitteln,
wie man einen behandelt, der in einen Fluss untergesunken ist.
Ich klage über mein Elend, wie die Taube klagt in der Fremde.
Ich weide ihre Heerden in Ost und in West.
Nicht ist es edel von euch mich
im fremden Lande zu lassen.
Ich weine aus Sehnsucht nach euch,
ihr aber hört mich nicht.
(S. 71)
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XXIII.
Was hadere ich mit den Menschen,
da ich selbst die Trennung gewollt!
Aus eigener Thorheit hat mein Thun
mein Lebensloos verkürzt.
Du bist mein Unglück und von deiner Hand
kommt mir der Tod.
Ich muss Geduld üben, da die Liebe zu dir mich
peinigt wie ein bohrender Wurm.
In einem Becher von Süssholz-Saft hast du mir
den Becher der Trübsal kredenzt.
Ich habe fortgefahren für die anderen zu sorgen
und die Leute (meines Stammes) zu lenken,
Aber nur um deiner Liebe willen.
Möchte ich das Ziel meiner Sehnsucht erreichen!
(S. 71)
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XXIV.
Die Nacht wird mir lang um der Freunde willen,
doch hadere ich nicht.
Die Thränen fliessen über meine Wangen,
doch klage ich nicht.
Ihre Ansichten sind so wie _________________
Sie weilten hier vor allen, und ein Auge
(das sie je gesehen) hat sie noch nie vergessen.
Unsere Herzen waren wohlgemach im Genuss des Trostes,
welchen sie gewährten.
Wie soll ich solche Freunde vergessen! Niemals!
Beim Propheten, niemals, und wenn ich
im Grabe weilte, beim Propheten.
(S. 72)
_____



XXV.
Mein Herz ist aufgewachsen in Edelmuth und Tugend,
Aber nicht ist ein Herz herangewachsen,
das an einem so schweren Leiden krankt wie das meinige.
Ich fürchte mich vor nichts, und sollte ich
in das Feuer des Verderbens stürzen.
O ihr, deren Liebe die Pfeiler meines Lebens zerstört hat.
Wie oft habe ich gelebt bald unglücklich
bald glücklich, und so ist das Leben vergangen.
Sie sprachen zu mir: "Was ist's, dass du so gealtert bist,
o Edler, vor den Jahren?" -
Da rief ich: "Hättet ihr mich nicht lieblos behandelt,
wäre ich sicherlich nicht gealtert."
(S. 72)
_____



XXVI.
Eilend komme ich zu der Wohnstätte und finde,
dass meine Freunde fortgezogen sind.
Da habe ich die Wohnstätte angeredet:
"Wo wandern die deinigen?"
Sie aber rief und antwortete und sprach:
"Deine Freunde sind fortgezogen."
"Gestern waren sie noch hier, vor meinen Augen sind sie gezogen.
O geehrtester Freund, sie waren bei uns, sind aber fortgezogen."
Ach, hätten sie mir doch den Abschiedsgruss
geboten, bevor sie zogen.
Sie sind gleich den Beduinen,
die hin und her ziehen mit Sack und Pack.
(S. 72-73)
_____



XXVII.
O Ahmed, der du in deinem Stamm weilst,
was ist mit den Meinigen passirt?
O du, der du in den Jahren der Noth den Gast
aus meinem Stamme ehrst!
Möge das Blut desjenigen vergossen werden,
der es wagt dich zu tadeln!
Dir unter deinen Leuten, dem makellosen,
gebührt alles Lob.
Glücklich und wohl aufgehoben derjenige,
der in deiner Nähe weilt!
Du bist der Ehrenmann und von böser Nachrede frei.
O Spross edler Eltern, ich bin zu dir gekommen
herwandernd von meinem Stamme.
(S. 73)
_____



XXVIII.
Das Unglück hat sich über mir gehäuft, frage meine Feinde.
Ich will ihnen wohl, sie aber sind alle meine Feinde.
Als ich sah, dass der Krieg, den sie entfacht,
eitel Unrecht und Frevel war,
Wandte ich mein Auge zu den Freunden nach rechts und links,
Nicht aber bekam ich von ihnen ein Wort zu hören,
das mein Herz erfreute.
Ich rief: "Wer befreit mich aus Qual
und Gefangenschaft?"
Möge Gott ihnen Gutes vergelten, aber ich weiss,
sie sind meine Feinde.
(S. 73)
_____



XXIX.
Mein Antlitz ist erblasst, mein Körper verwelkt, mein Auge,
Über die lange Trennung und Entfernung von dir.
Wehe über mein Auge!
Warum hast du mit Feuer mein Herz verbrannt,
o du Entzücken meines Auges!
So oft ich an deine Seite zu kommen suche,
finde ich ein Hinderniss.
Das Schicksal ist trügerisch.
Wie oft hat es vieles verändert!
Wenn du, o schöner Mann, mit diesen Dingen
(d. h. mit meiner Liebe zu dir) nicht einverstanden bist,
Nun, so will ich dich nicht begehren,
aber ansehen muss ich dich.
(S. 73-74)
_____



XXX.
Nicht habe ich deinesgleichen gesehen
unter den Gazellen, die mein Auge entzückt haben.
Du gehörst zu den Paradieses-Mädchen,
nur von dir kann mir Hülfe werden.
Mein Auge hat mich in dich verliebt gemacht.
Wehe über mein Auge!
Mein Herz ruft nach deiner Liebe,
du aber schweigst, obwohl du hörst.
Ich schwöre es bei dem, der dich in Schönheit
gekleidet, dich geschaffen hat.
Mein Leben ist ein Nicht-Sein. Beim Propheten,
ich habe keinen treuen Freund.
Wie soll ich dich vergessen, o meine Geliebte,
o Licht meines Auges!
(S. 74)
_____


übersetzt von Eduard Sachau (1845-1930)

(Anmerkungen des Autors: 'Atabat: 'Atabe bezeichnet eine bisher unbekannte Art kleiner Lieder,
deren Heimath die Wüste ist. Wenig verbreitet unter Bauern und Städtern,
herrschen sie vor im Gesange der, wie es scheint, an Liedern armen,
selbstverständlich jedweder Bildung ermangelnden Beduinen Mesopotamiens.
Durch die Einfachheit und Übersichtlichkeit des Inhalts stehen sie dem
Verständniss des gemeinen Mannes sehr nahe und prägen sich in Folge
ihrer Kürze und des Reimes sehr schnell dem Gedächtniss ein.

Die Lieder-Art, genannt Mawwal, ist nicht eine Pflanze der Wüste,
sondern hat ihre Heimath in den Städten, Dörfern, allenfalls auch
in den Culturgebieten am Rande der Wüste. Trotzdem würden manche
Mawwals meiner Sammlung mit Entzücken und vollem Verständniss
in einem Beduinen-Lager gehört werden, stehen auch in Sprache und
Gedanken der reinen Beduinen-Poesie sehr nahe.
Sie haben aber im Vergleich zu dem 'Atabat mehr den Charakter
der Kunstpoesie. Die unzweideutige Annäherung an das Wesen
der Wüste in manchen derselben ist nach meinen Erkundigungen
mehr daraus zu erklären, dass sie am Rande der Wüste, wo die Mundart der
Angesessenen wie z. B. im Euphrat- und Tigris-Thal derjenigen der Nomaden
sehr nahe steht, gedichtet sind, und zwar wohl meistens von Leuten,
die mit dem Leben der Wüste vertraut, bewusst die Art reiner Beduinen-Lieder copiren.)


Aus: Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften
zu Berlin aus dem Jahre 1889
Abh. I. S. 1-96: Sachau: Arabische Volkslieder aus Mesopotamien





 


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