Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Tatarische Liebeslieder



Lied

Bibiki das Vieh geht zum Wasser,
Langsam gehend, kurze Schritte machend,
Auf dem Wege zum Wasser habe ich dich geküsst,
Habe dich umarmt, die meine Seele liebt.

Das zweiflügelige Fenster öffnend,
Hat meine Schneeweisse die Hand beschmutzt,
Nimm Geliebter, nimm, sagte sie,
Es fleht meine Schneeweisse.
(S. 277)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Türkischen Stämme Süd-Sibiriens
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
IV. Theil: Die Mundarten der Barabiner,
Taraer, Tobolen und Tümenischen Tataren
St.-Petersburg 1872

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Die Schneeweisse

Meine Apak (Schneeweisse) hat Augenbrauen wie die Federn,
Ungefähr fünfundzwanzig Jahre ist sie alt,
Schön wie der Vollmond ist sie,
Wo soll ich meine Apak sehen?
Oben auf der Treppe des Reichen
Will ich sie erschauen,
Kopftücher will ich ihr hinbringen,
Wenn sie dies nicht liebt,
Will ich ihr Saffian-Stiefeln
Und gelbe Galoschen bringen.
Neben dem Monde steht eine Wolke,
Der neue Geliebte macht den alten Geliebten vergessen,
Bis sie sich an den neuen Geliebten gewöhnt,
Lässt sie jenen Blut schlucken.
Der alte Geliebte ist wie ein Pferd beim Wettlauf.
Aus dem Wasser habe ich einen Weissfisch gefangen
Mit der Angel aus blauem Eisen.
Meine Geliebte ist davongegangen
Mit dem Kalmücken, der die Sprache nicht kennt.
Deine Augenbrauen, o Apak, sind schwarz,
Deine Augen sind auch schwarz, o Apak,
Mit dir habe ich viel gesessen,
Ich bin dir der Bräutigam der Bräutigame,
Mein schönes Gesicht hast du welken gemacht.
(S. 331-332)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Türkischen Stämme Süd-Sibiriens
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
IV. Theil: Die Mundarten der Barabiner,
Taraer, Tobolen und Tümenischen Tataren
St.-Petersburg 1872

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Der Held Kätkä

An seiner rechten Hand ist ein kupferner Ring,
An seiner linken Hand ist ein messingener Ring,
Kätkä, wo kommst du her?
Der Kibik-Vogel sitzt auf dem Baume.

An seiner rechten Hand ist ein kupferner Ring,
War es Blei, dass er sich verbogen hat?
Deine Geliebte, o Freund Kätkä,
Hat sie gebuhlt und sich getrennt von dir?

Die Sonne geht unter,
Der Morgen bricht an,
Mit der weissen Decke sich bedeckend,
Kommt die Geliebte, um sich zu legen.

Einmal fliegt sie, einmal setzt sie sich,
Die Möve, die einen schlechten Flug hat,
Einmal kommt er, einmal geht er,
Der Junggeselle, der ein schlechtes Leben hat.
(S. 336-337)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Türkischen Stämme Süd-Sibiriens
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
IV. Theil: Die Mundarten der Barabiner,
Taraer, Tobolen und Tümenischen Tataren
St.-Petersburg 1872

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Bräutigams Gesang

Wenn der Wind bläst, dann schwanken die Häupter des Schilfes,
Sind Knab' und Mädchen erwachsen, so vereinigen sie sich.

Willst du mich, Jüngling, nehmen, so nimm mich,
Wenn ich das Versprechen gegeben, lass ich nicht ab von dir.

Wenn man die Leier spielt, geschieht es mit den Fingern,
Wenn der Reiche sein Mädchen liebt, so geschieht es mit dem Herzen.

Die Leier spielend, spielend wurde ich ein Sänger,
Das reiche Mädchen liebend, liebend wurde ich besser.

Ueber die Brücke gehend, sah ich dich,
Unter den vielen Leuten liebte ich dich.
(S. 384)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Türkischen Stämme Süd-Sibiriens
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
IV. Theil: Die Mundarten der Barabiner,
Taraer, Tobolen und Tümenischen Tataren
St.-Petersburg 1872

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Ai Chan ist der Liebsten Name,
Für sie ist entbrannt die Seele,
Du bereite mir nicht Schmerzen,
Bist so herrlich, du mein Liebchen!

Hab ein Haus auf Bergesgipfel,
Dort ist Dürmän, die Kalmückin,
Wie kann von dem neuen Liebchen
Jene Dürmän mich wohl trennen?

Zwei Geliebte hab ich jetzo,
Sehnsucht treibt mich, sie zu sehen,
Als ich trunken umgefallen,
Schaut sie, stützend mir das Haupt.

O Geliebte! ist dein Sinn
Denn wie eine Persermütze?
Spielten doch, als klein wir waren,
Haben jetzt zum Spiel kein Geld wir?

Sieh das Kind des Käkänäk
Sitzt auf gold'nem Nest;
Es erkennt mein Lieb mich nicht,
In dem alten Pelze jetzt.

Hohen Berges mächt'ger Schatten
Trifft den seichten Bach;
Mein so schön durchlebtes Leben
Passt zur Schönsten wohl.

Habe weder Gold noch Silber
An dem Handgelenk;
Doch des fernen Liebchens Feuer
Trifft mein armes Herz.
(S. 267-268)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Nördlichen türkischen Stämme
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
VI. Theil: Der Dialekt der Tarantschi
St.-Petersburg 1886

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Als den Pässer noch besass ich,
War geflügelt ich,
War der Hirsch am Berg zu Fuss,
Und beritten ich.

Meinen Pässer hat getödtet
Schwarzer Pferdhaarstrick,
Blieb das Reitzeug auf dem Weg auch,
Hat am Gurt die Knute ich.

Lauernd zäumte ich mein Pferd
Und bestieg es, dreht' im Kreis mich.
Dieses ist mein bös' Geschick,
Trennt vom Liebchen mich.
(S. 268)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Nördlichen türkischen Stämme
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
VI. Theil: Der Dialekt der Tarantschi
St.-Petersburg 1886

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Als ich gehen wollte, liessest mich nicht!
O du meine Seele!
Da traf achtzig Mal die Knute mich,
O du theures Lieb!

Wo empfing ich achtzig Schläge,
Zeigtest mir den Platz,
Da die Eltern es erlaubt mir,
Will dein Sclav' ich sein.

Weil der Branntwein herbe ist,
Trinkt man ihn wohl nicht?
Matt die Pferd' für weiten Weg,
Ist es Sünde nicht?

Auf Kaschgar's Weg, rundes Weibchen,
Lass uns traben jetzt,
Matt die Pferd und weit der Weg,
Wollen weiter wir.

Hab gesattelt meine Pferde,
Ueber'n Berg bracht' ich die Last, mein Lieb,
Da ich nicht ertrug dein Feuer,
War ich Näschschä trunken, Liebe.

Näschschä hat genossen er,
Sprach das böse Volk,
Dass sein Angesicht so gelb ist,
Kommt vom Näschschä her.
(S. 268-269)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Nördlichen türkischen Stämme
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
VI. Theil: Der Dialekt der Tarantschi
St.-Petersburg 1886

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Zogen aus mit uns'ren Thieren
Zu dem gelb geword'nen Stroh,
Eine Schöne, wie du bist,
Giebt man Schlechten nicht, wie ich.

Wenn du gehen willst, so gehe!
Hole ein dich doch!
Fürcht'st du dich vor deinem Gatten,
Will ich bei dir sein.

Liebchens Körper gleicht dem Falken,
Ihre Lippen gleichen Rosen,
Stürzt mein Liebchen mich in Leiden,
Gleicht mein Antlitz gelben Blumen.
(S. 269)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Nördlichen türkischen Stämme
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
VI. Theil: Der Dialekt der Tarantschi
St.-Petersburg 1886

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Liebchens Brauen, schwarze Ottern,
Soll ich nachts gehn oder tags?
Geh ich nachts, geht's ohne Schaden,
Geh am Tag ich, giebt's Verleumdung.

In der Seele lebt mein Mädchen,
Das entzündet Liebesfeuer,
Liebe athmen deine Brauen,
Deine That, Suleiman-Mädchen.

Sä' ich Waizen auf dem Felde,
Reicht er mir bis zu dem Gürtel;
Als ich mich an dich gewöhnt,
Hat uns Gott, der Herr, getrennt.

Füg' ich Rohr mit Rohr zusammen,
Gleicht es einem Waizenfelde;
Wenn man kürzlich sich verliebt,
Gleicht man einem Wahnsinnigen.
(S. 269-270)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Nördlichen türkischen Stämme
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
VI. Theil: Der Dialekt der Tarantschi
St.-Petersburg 1886

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Liebchens Sinn, er gleicht dem Falken,
Selber macht sie mich zur Gans,
Macht die Wimper mir zur Trommel,
Meine Brust zur Hocketrommel.

Ohne Liebchen ist mein Leben,
Lebt' ich tausend Jahr, kein Tag.
Im Vergleich mit meinem Feuer,
Höllenfeuer ist kein Funke.

Heute lebt die Stut' in Lust,
Morgen ist der Schatz vergessen,
Doch der Mensch vergisst wohl nie
Liebchen, das er früher liebte.

Ihre schwarzen Brauen spielen,
Bis zum Gürtel wallt ihr Haar,
Tritt du nicht aus deinem Hause,
Denn sonst kämpfen die Verliebten.
(S. 270)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Nördlichen türkischen Stämme
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
VI. Theil: Der Dialekt der Tarantschi
St.-Petersburg 1886

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Meine Leiden sind vergangen,
Ich verkaufe nicht mein Pferd,
Was hienieden ich erduldet,
Dulde ich im Jenseits nicht.

Ist der Weg auch tausend Wege,
Hab ich doch an dich gedacht,
Bin ich weit von diesem Wege,
Wird mein Pferd schon tauglich sein.

Sag' ich, Liebchen, öffnest du nicht,
Hast du Eisen in der Brust?
Rufst du mich am Abend zu dir,
Ist dein Haus in gutem Zustand?

Weshalb wächst dein Haar denn nicht?
Wäschst es nicht in heissem Wasser?
Darum will es gar nicht wachsen,
Stolz stehst du nicht vor mir da.

Wenn du in den Garten trittst,
Sind die Oerük herrlich gross,
Wenn du mir im Traum erscheinst,
Ist des Liebchens Rede süss.
(S. 272)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Nördlichen türkischen Stämme
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
VI. Theil: Der Dialekt der Tarantschi
St.-Petersburg 1886

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Hochzeitslieder

1.
Schnatternd kommt die Gans geflogen,
Unter die Flügel dringt der Wind,
Zu dem Mädchen, das mir Gott beschieden,
Will ich jetzt gehen und sie schauen.

Der Schwan kommt singend,
Unter seine Flügelknochen dringt der Wind,
Zu dem Mädchen, das mir Gott beschieden,
Will ich gehen, es jetzt schauen.
(S. 658)


2.
Auf der bläulich sich färbenden Steppe
Möge der Blauschimmel glücklich traben!
Wenn ich zu dem mir von Gott beschiedenen Mädchen gehe,
Möge mein Vater mich segnen.

Auf der weiss sich färbenden Steppe
Möge der Schimmel glücklich traben!
Wenn ich zu dem vom Schöpfer gegebenen Mädchen gehe,
Möge mein Vater mich segnen.
(S. 658)


3.
Der wolkige Himmel bezieht sich,
Meines Vaters Land ist voll Lustbarkeit,
Mein schöner Körper ist ganz klein,
Du mir von Gott gegebenes Mädchen, öffne den Busen!

Der klare Himmel ist hell,
Meines Vaters Land ist voll Lustbarkeit,
Mein weisser Körper ist ganz klein,
Du vom Schöpfer gegebenes Mädchen, öffne den Busen!
(S. 659)


4.
Das Mädchen singt:
Während ich in der Mutter Hand lebe,
Denke ich immer ans Heirathen,
Während ich in des Vaters Hand lebe,
Denke ich immer ans Gehen zum Priester.

Der Knabe singt:
Willst du fliehen, du Mädchen,
Sieh das Pferd hier am Pflocke;
Willst du fliehen, du Mädchen,
Sieh das Pferd, das angebunden.
(S. 660)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Türkischen Stämme Süd-Sibiriens
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
II. Theil: Die Abakan-Dialecte (Der Sagaische, Kobalische, Katschinzische),
Der Kysyl-Dialect und der Tscholym-Dialect (Küarik)
St.-Petersburg 1868

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Das Mädchen:
Gehe ich nach Holz, habe ich kein Holz,
In der Hand habe ich kein Beil,
Komme ich vom Holze zurück,
Ist meine verliebte Seele nicht im Hause.

Geh' ich nach Heu, hab' ich kein Heu,
Hab' ich keine geschärfte Sichel,
Komme ich vom Heu zurück,
Ist meine (mit dem Geliebten) vereinte Seele nicht im Hause.


Der Mann:
Schnatternd kommt die Gans,
Unter ihre Flügel dringt der Wind,
Der mir günstigen Seele
Wie soll ich es nur sagen lassen?

Der Schwan kommt schreiend,
Unter die Flügelknochen dringt der Wind,
Der mir befreundeten Seele
Wie soll ich es nur sagen lassen?
(S. 666-667)

Übersetzt von Wilhelm Radloff (1837-1918)

Aus: Proben der Volkslitteratur der Türkischen Stämme Süd-Sibiriens
gesammelt und übersetzt von Dr. W. Radloff
II. Theil: Die Abakan-Dialecte (Der Sagaische, Kobalische, Katschinzische),
Der Kysyl-Dialect und der Tscholym-Dialect (Küarik)
St.-Petersburg 1868

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