Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh |
Johann Wilhelm Ludwig
Gleim
(1719-1803)
An die Liebe
Liebe! allerliebste Liebe!
Segne mich mit deinem Triebe.
Laß mich deinen Reiz empfinden,
Laß mich deine Glut entzünden,
Laß mich deinen Zucker schmecken,
Laß mich durch dein Lied erwecken,
Wenn ich Zeit und Lust versäume,
Müßig wach', und müßig träume.
Laß mir hübsch durch dein Geniessen
Zeit und Stunden schneller fließen.
Laß mirs in der Müh' zu wählen,
Aber nie an Schönen fehlen.
Und damit auch viel Beschwerden
Durch ein Mittel minder werden,
Laß mir künftig nur von allen
Eine schön seyn und gefallen.
Lehr' sie denn, sich gut zu schicken,
Gut zu spielen, gut zu blicken;
Lehr' sie meine Neigung kennen,
Klug zu frieren, klug zu brennen;
Lehr' sie witzig abzuschlagen,
Lehr' sie reizend ja zu sagen.
Aus den Worten, aus den Werken,
Laß ihr Wunsch und Willen merken.
Aber lehr' sie Wunsch und Willen
Nicht zur Unzeit zu erfüllen,
Daß sie sich erst artig schäme,
Und sich nicht zu bald bequeme.
Lehr' sie alle frohe Mienen,
Die der Lust zum Vortheil dienen;
Lehr ihr alle Fröhlichkeiten,
Lehr' sie auch, was sie bedeuten;
Daß sie stets in Unschuld prange,
Daß sie nie zuviel verlange;
Daß sie mirs vernünftig klage,
Wenn ich ihr zuviel versage.
Lehr' sie, wie man nie veralte,
Wie man Reiz und Wert behalte,
Wenn auch einst auf Brust und Wangen
Aller Rosen Schmuck vergangen.
Lehr' sie, wenn wir uns vereinen,
Treu zu seyn, und treu zu scheinen,
Daß sie mich mit nichts betrübe
Und mich immer stärker liebe.
Lehr' auch mich, durch deine Lehren,
Solchen Engel zu verehren,
Daß er, wenn ich ihn vergnüge,
Keine Lust zum Wechsel kriege.
Aus: J. W. Gleims
sämmtliche Werke
Erster und zweyter Band
Carlsruhe im Büreau der deutschen Classiker 1819 (Band 2 S. 30-31)
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