Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh |
Aloys Schreiber
(1761-1841)
Der Geist der Liebe
Wo weht der Geist der Liebe?
Er wacht in Hain und Flur;
Sieh, wie sich Knospen spalten,
Und Blätter sich entfalten,
Das thut sein Odem nur!
Wo weht der Geist der Liebe?
Den Lenz erweckt sein Hauch;
Er lehrt die Vögel bauen,
Streut Veilchen auf die Auen,
Und Rosen auf den Strauch.
Wo weht der Geist der Liebe?
Er weht im Morgenlicht,
Er säuselt in dem Thale,
Und wo die dunkle Schale
Der Schmetterling durchbricht.
Wo weht der Geist der Liebe?
Er schwellt des Mädchens Brust,
Und röthet ihre Wange,
Weckt Dichter zum Gesange,
Gibt Armen Lebenslust.
Wo weht der Geist der Liebe,
Der so viel Wunder thut?
Wo Würmchen sich vermehren,
Und Mückchen sich verzehren
Stumm in der Feuergluth.
Wo weht der Geist der Liebe?
Wo an der Mutter Brust
Der zarte Säugling trinket,
In Tod die Treue sinket,
Den Dolch in ihrer Brust.
Wo weht der Geist der Liebe?
In Wasser, Feu'r und Luft,
Wo sich ein Leben reget,
Wo sich ein Hauch beweget,
Und in der Todtengruft.
Aus: Aloys Schreiber's Gedichte
Zweyter Theil Neueste Auflage
Wien 1817 Bey B. Ph. Bauer (S. 61-63)
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