Philosophie der Liebe

Liebesgedichte an die Liebe, über die Liebe
und das menschliche Herz
von deutschen Dichtern und Dichterinnen

 


Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh



Johanne Charlotte Unzer
(1725-1782)


Die Liebe

Von dir durchströmt, durch dich entzückt,
Besing' ich dich, du süße Liebe!
Die Kunst, womit du mich beglückt,
Die Dichtkunst preise deine Triebe.
Dein Einfluß schenk ihr Stärk und Geist
Und sanfte Gluth und rührend zarte Töne:
Damit sie dich in einem Liede preist,
Das deiner Wunder würdig heißt,
Und aller Zeiten Beyfall kröne.

Stark, wie der wilde Ocean,
Doch lieblich, wie das Licht der Sonne,
Meldst du dich in den Herzen an,
Und überströmst du sie mit Wonne.
Der Jüngling, den dein Feuer brennt,
Das wie ein Blitz sein bebend Herz entzündet,
Das erstemal sein träges Blut durchrennt
und ihn verzehrt, eh' er es kennt,
Der lehre, wie man dich empfindet.

Noch ist sein Herz ein Sitz der Ruh,
Noch fließt das ruhige Geblüte
Nur sanft den sichern Herzen zu,
Noch wacht dein Trieb nicht im Gemüthe:
Jetzt aber streicht des Schicksals Hand
Die erste Reih von seinen jungen Jahren,
Die Kindheit, aus, und ihm ist unbekannt,
Was er für einen neuen Stand,
Für neue Wunder soll erfahren.

Er schläft. Die stille Mitternacht
Hängt schwebend über seinem Haupte,
Und auf der jungen Stirne lacht
Die Unschuld, die sich sicher glaubte.
Doch schnell erscheint ihm ein Gesicht,
Die Liebe selbst, ein Bildniß einer Schöne,
Aus deren Aug ein blitzend Feuer bricht,
Das rührender: ich liebe! spricht,
Als des verliebtesten Dichters Töne.

Jüngst aufgeblüht, schön, wie der Tag,
Durchglüht von zärtlichen Affecten,
Beschämt ihr Antlitz, wo sie lag,
Die Blumen, die sie halb versteckten;
Ein leicht Gewand, das flatternd spielt,
Verräth dem Blick den Wunderbau der Glieder;
Die reiche Brust, wo Amor eingewühlt,
Des Mädchens Gluth wollüstig fühlt,
Bebt voll von Sehnsucht auf und nieder.

Jetzt, Jüngling! bricht sie in dein Herz:
Jetzt wiederstreb ihr, oder leide!
Wie? fühlt er schon den neuen Schmerz,
Vermischt mit wollustreicher Freude?
Seht! wie sein Herz gewaltig schlägt;
Wie unruhvoll, wie heiß ist sein Verlangen!
Die Wangen glühn, wie Purpur glimmt. Bewegt,
Erhebt er sich, sie zu umfangen.

So stund das ausgeschaffne Bild
Pygmalions, mit starren Blicken,
Schon eh die Gottheit es erfüllt,
Voll Leidenschaft und voll Entzücken:
So sah es sich erstaunt und neu,
Als es dem Gott zuerst entgegen lachte;
So ungewohnt der süßen Sclaverey
Fühlt es bestürzt, was Liebe sey,
Wie dieser, als er jetzt erwachte.

Nun floh die Unschuld mit der Ruh
Auf ewig aus dem bangen Herzen;
Kein Balsam schloß die Wunde zu,
Kein Mittel linderte die Schmerzen.
Das süße Gift der schönsten Lust
Schoß wie ein Strom, der seinen Grund durchwühlet,
Durch Nerv und Mark, und die entzückte Brust
Fühlt, ach, schon gern! den Brand der Lust,
Und nimmermehr wird er gekühlet.

So schnell, so stark, so unbereut,
Mit so viel Beystand aller Triebe,
So glücklich für die Menschlichkeit
Bezwingst du unser Herz, o Liebe!
Wo ist dein Feind? wo soll ich ihn
In der Natur weitläufigen Reichen finden?
Ich mag die Luft, das Land, das Meer durchziehn.
Man muß, um deine Macht zu fliehn,
Nicht leben, oder dich empfinden.

Dort, wo der finstre Menschenfeind,
Der Philosoph, der jung veraltet,
Die Einrichtung der Welt beweint,
Und die umwölkte Stirne faltet;
Selbst dort bey ihm find ich die Spur
Der großen Macht der allgewaltgen Liebe,
Oft fühlt er bey der Logik die Natur,
Er fühlt und definirt nicht nur
Die Kunst, die ich entzückend übe.

Der Held kömmt aus der Schlacht zurück,
Wo, von zerfleischter Menschen Blute,
Sein Mordschwert dampft; sein wilder Blick
Auf keinem Gegenstande ruhte;
Noch dräut der Grimm im Angesicht,
Noch bebt die Faust vom Morden und Verwüsten,
Doch Doris kömmt; und sanfte Freude bricht
Aus dem beruhigten Gesicht,
Und er erbebt von zarten Lüsten.

Wer seufzt? Ein bärtger Moralist,
Ein Vater neuer Enkratiten,
Verflucht die, deren Kind er ist,
Und nennt sie eine Pest der Sitten.
Er, der die Lust der Welt verlacht,
Bleib ungestört im Vorzug dieser Ehre!
Ach! hättest Du, die ihn hervorgebracht,
Natur, nur so, wie er gedacht,
Daß er der Welt entronnen wäre!

Jedoch, was täuscht mich für ein Schein?
Seh ich nicht dort den strengen Richter,
Durchglüht von deiner Kraft, o Wein!
So weltlich thun, als einen Dichter?
Wie? darf ich wohl dem Auge traun?
Ist dieß das Haupt mit den geweihten Mienen?
Was will er jetzt Dorinden anvertrauen?
Doch, Liebe, laß es mich nicht schaun!
Er will dir im Verborgnen dienen.

Ja! er und jeder frohnet dir.
Dein Einfluß dringt in alle Seelen,
In die, vornehmlich, glaubt es mir,
Ihr Liebenden! die ihn verheelen.
Umsonst versteckt ein Thor den Trieb,
Den die Natur, zum Glück der Creaturen,
Als sie sie schuf, in ihre Herzen schrieb,
Und der ihr einzigs Mittel blieb,
Wodurch sie ihre Huld erfuhren.

Ja! ja! die Dichtkunst zeigt sie mir,
Und Lieb und Weisheit ihr zu Seiten;
Die Elemente folgen ihr,
Versehn mit tausend Fähigkeiten.
Im Umkreis braust das wüste Meer,
Wo in der Nacht das Nichts und Chaos thronen,
Und Thorheit, Traum, Vernichtung, Ohngefähr,
Glück, Zufall, Lügen und Chimär,
Und Wahn und Tand und Unsinn wohnen.

Sie schafft. Die göttliche Natur
Ruft den geschäfftgen Elementen,
Zur Bildung jeder Creatur,
Die sich hier sammleten, dort trennten.
Die Weisheit sieht mit scharfem Blick
Das Ganze durch, vernimmt den Rath der Liebe,
Und ordnet selbst das neue Meisterstück,
Damit der Creaturen Glück
Der Zweck der ganzen Schöpfung bliebe.

Dieß Glück gewährt die Lieb allein.
Sie ward von der Natur erlesen,
Des Thierreichs Schöpfersinn zu seyn,
Und blies ihr Feuer in die Wesen.
Der Seelen Trieb, der Herzen Gluth,
Der feine Stoff der zärtlichsten Empfindung,
Der Quell der Lust, das feuervolle Blut
Der Schmerz, worinn ihr Glück beruht,
Sind ihre Gaben und Erfindung.

Kaum fühlt der Staub, und spricht: ich bin!
So fühlt er sie schon in dem Herzen.
Die Thiere taumeln vor ihr hin
In trunkenen, entzückten Schmerzen;
Der Mensch, o wie entzückt er sie!
Mit segnendem, holdseligem, sanftem Blicke
Sah sie ihn an, und sprach: vergiß es nie,
Daß ich dein Herz für mich erzieh,
Und nur die Liebe dich beglücke.

Vergiß es nie, entzückte Braut!
Du Kind und Unterthan der Liebe!
Bekenn es frey, beschwör es laut:
Du suchst Dein Glück in ihrem Triebe.
Es höre den verliebten Eid
Der Philosoph, der Heuchler und die Spröde.
Man tadle Dich, man nenn es Weichlichkeit;
Beschwör es laut! Bekenn es heut!
Dein Freund wird fragen: Liebste Du: Rede!

Sey Sappho in der Zärtlichkeit,
Er sey Anacreon im Scherzen;
Seyd Philosophen zu der Zeit,
Wenn sich einst eure Enkeln herzen.
Sucht in der Liebe Glück und Ruhm,
Vergnügen, Trost: Ihr werdet alles finden!
O Liebe! sieh, Sie ist dein Eigenthum,
Sey nun Ihr Glück, Ihr Trost, Ihr Ruhm!
Laß sie Dich ganz, stets neu empfinden!

Vergilt ihr die erwiesne Treu,
Durch Sehnsucht und durch Gegenliebe,
Damit Ihr Herz dein Tempel sey,
Bis die Verwesung es zerstiebe.
Furcht, Wehmuth, Ungeduld und Schmerz,
Die ganze Reih von deinen süßen Plagen,
Wird Sie so gern, als deinen keuschen Scherz,
Den Lohn für ein verliebtes Herz,
Ach! wie vergnügt wird Sie sie tragen.

Aus: Fortgesetzte Versuche in sittlichen und zärtlichen Gedichten,
von Johannen Charlotten Unzerinn, gebohrnen Zieglerinn.
Rinteln, bey Gotthelf Christ. Berth 1766 (S. 30-38)



 


zur Übersicht
 

zurück zur Startseite