Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh |
Christine Westphalen
(1758-1840)
Liebe
Liebe war, eh alle Sonnen rollten;
Liebe rief das Licht aus dunkler Nacht!
Doch des Lichts Geburt, die Leben, zollten
Nicht der Urkraft schöpferischen Macht.
Sie gebot, und alle Wesen einten
Sich, zu huldigen der Schöpferin.
Pulse schlugen, Herzen; Augen weinten:
Die Natur empfand mit Geist und Sinn.
Liebe ward den Millionen Leben
Hier ein unzertrennlich schönes Band;
Ward vom Jenseit ihnen mitgegeben,
Als des Daseyns unverkennbar Pfand.
Liebe lehrt der Menschen Brust empfinden,
Die von hohen Wonnen überfließt,
Wenn, auf ewig treu, sich Herzen binden,
Und der Geist im Andern sich genießt.
Aller Hoheit giebt nur sie die Würde,
Wissen, Ehre, Ruhm und Macht - Gehalt;
Muth und Frohsinn bey der schwersten Bürde;
Ja, dem Weltbeherrscher die Gewalt!
Glück verherrlicht sie mit ihren Winken;
Armuth fühlt nicht mehr der Sorgen Pein.
Die aus ihrer Nectar-Schale trinken,
Fühlen selig sich durch sie allein.
Liebe schafft zum Himmel sich die Hütte;
Liebe lebt, in sich ihr ganzes Seyn!
Liebe flügelt geistiger die Schritte:
Trennt vom Wesen Tand und leeren Schein;
Leben ist sie, Hoffen und Genießen,
Traum und Wirklichkeit, Gefühl und Sinn.
Ihre Ströme müssen ewig fließen;
Ihre Gottheit hebt zu Sternen hin!
Sie entblüht in zarter Kinder Mitte;
Weckt im Mädchenbusen schnell Gefühl;
Bändigt in dem Jüngling rohe Sitte;
Hebt den Mann zum höchsten Thaten-Ziel!
Sie durchglüht mit kühnem Jugendfeuer
Eine Stirne, die der Herbst bestreift;
Tönt entzückt aus Liedern sanfter Leyer,
Zur Vollendung nur durch sie gereift.
Aller Zauber liegt vor ihr entfaltet,
Der ätherischer den Busen hebt,
Götterfülle, höher ihr gestaltet,
Ideales, schöner ihr entwebt.
Wie Gedanken schnell durch Höhen eilen,
Giebt der Seele sie die Flammenkraft;
Geister staunen: Stunden, Zeiten weilen
Ihr, die, hochbegeistert, ewig schafft!
Schwach ist ohne sie die Kraft im Streben;
Todt der weiten Schöpfung reges Bild;
Schönheit - reizlos; Anmuth - ohne Leben;
Harmonieenzauber unenthüllt;
Kalt, Empfindung; Sehnsucht, leer von Wonne;
Seelenlos, der ungehellte Blick!
Ohne Himmel jeder Freude Sonne;
Ohne Reichthum glänzendes Geschick!
Lieb' ist Wahrheit! Glanz aus lichten Höhen!
Hauch der Gottheit! Quell der reinsten Lust!
Schaffend noch, wenn Hoffnungen verwehen;
Ungetheilt, ein Gott in Menschenbrust!
Liebe lehrt am Abend noch empfinden,
Hellt in uns des Morgens rege Welt;
Liebe strahlt, wenn unsre Sonnen schwinden,
Wenn der Schöpfung All in Nichts zerfällt!
Aus: Gedichte von
Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 260-263)
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