Wörtchen und Wörtlein

in der deutschen Liebeslyrik


Ausgewählte Gedichte deutscher Dichter und Dichterinnen


 




Gabriele von Baumberg
(1768-1839)


Grosse Wirkungen aus kleinen Ursachen

Wie klein muss nicht ein Wassertropfen scheinen!
Doch grosse Ding' entstehen oft aus kleinen.
Füllt ebenvoll ein Glas! es steht noch: aber giesst
Nur einen Tropfen dran, so läuft es plötzlich über.
Nicht anders wirkt aufs Herz ein
Küsschen, das ein lieber,
Ein feuervoller Jüngling küsst.
_____



Karl Isidor Beck
(1817-1879)


Still für sich

An meinem Herzen einzuschlafen,
Ist Dein Begehr?
Es ist für Dich kein Hafen,
Es stürmt zu sehr.
Du aber, Theure, sollst nicht missen
Die Ruh zu Nacht;
Du schlummre sanft auf weichem Kissen,
Von mir bewacht.

Und nah ich dann mit scheuen Sohlen,
Ists ein Vergehn?
Kaum will ich Athem holen,
Nur an Dich sehn.
Und reißt es mich an Deine Lippe,
Ein
Küßchen - husch!
So glaube nur, die Biene nippe
Vom Rosenbusch.

Wenn dann ein Traumbild Dich umkreiste,
Was sprach es traut?
Es sprach von einem Geiste,
Der ohne Laut
Beim reichen Schatz, den er verborgen
Fern von der Welt,
Bis an den sonnengolnden Morgen
Die Wache hält.
_____



Aloys Blumauer
(1755-1798)


Der Rechenmeister Amor

Der Tausendkünstler Amor ließ
Sich bei der jungen Dorilis
Zum Rechenmeister dingen,
Und wußt in einer Stunde da
Die ganze Arithmetika
Ihr spielend beizubringen.

Im Rechnen und im Lieben sind
Fünf Species, mein schönes Kind,
Die will ich dich dociren:
Ich küsse dich - ein - zwei - dreimal,
Du zählest diese
Küßchen all,
Und das heißt Numeriren.

Zu meinen Küssen setzest du
Dann auch die deinigen hinzu,
So lernest du Addiren:
Zählst du mir deine
Küßchen her,
Und findest dann um Einen mehr:
So kannst du Subtrahiren.

Die vierte Species, mein Kind,
Könnt' ich zwar eben so geschwind
Dir praktisch expliciren;
 Allein das Einmaleins ist lang,
Und jungen Mädchen wird oft bang
Vor dem Multipliciren.

Dies, Mädchen, merke dir nur an,
Wo eins der Faktor ist, da kann
Man nicht Multipliciren;
Doch käm' ein Nullchen noch hinzu -
Auch noch so klein - so würdest du
Gar bald das Faktum spüren.

Drum laß in dieser Specie
Nicht früher dich, als in der Eh',
Durch Hymen instruiren;
Denn auf's Multipliciren kömmt,
Wie man sich auch dagegen stemmt,
Von selbst das Dividiren.
_____



Aloys Blumauer
(1755-1798)


Die Kunst zu lieben
An Lydia

Mädchen, will man recht sich freun
Wie sich's ziemt, so muß man fein
Amors Spiele kennen;
Also, Mädchen, höre mich,
Im vertrauen Ton will ich
Sie dir alle nennen.

Erstlich soll ein liebend Herz
Jede Handlung, jeden Scherz
Adeln und beleben;
Nur die Liebe lehrt die Kunst,
Jedem Spiele, jeder Gunst
Grazie zu geben.

Küsse sind der Liebe Bund:
Es ist süß, wenn Mund an Mund
Sich mein Blick umnebelt;
Aber noch weit süßer, wenn
Dein gespitztes Züngelchen
Mit dem meinen schnäbelt.

Auch schmeckt trefflich jeder Kuß,
 Den ich nicht erbetteln muß;
Aber, Mädchen, glaube,
Noch viel besser schmeckt er mir,
Wenn du schmollst, und ich ihn dir
Dann verstohlen raube.

Doch wenn der Gesellschaft Zwang
Uns oft manche Stunde lang
Auf die Folter spannet,
Und verwünschter Lauscher Blick
Uns dann in uns selbst zurück
Menschenfeindlich bannet;

Dann soll, Jedem unsichtbar,
Dir im feuchten Augenpaar
Stille Liebe blinken,
Und in jedem Lächeln soll
Naher, naher Liebeszoll
Mir entgegen winken.

Schlaue Liebeständelei,
Händedruck, Liebäugelei,
Unterm Tisch ein Füßchen,
Fest an meines angedrückt,
Auch, wenn Niemand auf uns blickt,
Ein verstohl'nes
Küßchen.

 Und die tausend Künstchen all,
Werden, Liebchen, überall
Lebensfroh uns machen,
Und in jedem Cirkel wird,
Von dem Neid unausgespürt,
Uns die Liebe lachen.

Aber, wenn wir ganz allein
Bloß der Liebe Glück uns weihn,
Ungesehn uns küssen:
Dann laß Phantasie und Herz,
Jeder Laune, jedem Scherz
Alle Zügel schießen!

Dann laß uns beim ersten Kuß,
Aufgelöst in Liebsgenuß,
In einander sinken,
Und mit trunknem Geist und Sinn
Aus dem Wollustbecher in
Langen Zügen trinken.

Sieh doch, wie durch Zauberei
Ist mir all die Künstelei
Angesichts verschwunden;
Nichts sag' ich dir weiter an,
Wer die Lust beregeln kann,
Hat sie nie empfunden.
_____



Clemens Brentano
(1778-1842)

(J. Jüngling N. Nixe)

J. Komm Hexchen, weil die Sonne scheint,
In meine kühle Laube

N. Ja Schatz, die wilde Rebe weint
Es lacht die Turteltaube.
Rukukukuku, Rukukukuku
Hast du kein Glas, so trink aus dem Schuh.

J. Dein Fuß ist fein, dein Schuh ist klein
Ich komm zu kurz beim Trinken

N. Ich geb' ein
Küßchen obenein
Das macht die Waagschal' sinken.
Rukukukuku, Rukukukuku
Verdrießt euch's macht die Äuglein zu.

J. Willst du nicht schöne Künste mich,
Mein süßes Hexchen lehren?

N. Sag, warum freut die Traube dich
Mit ihren vielen Beeren?
Rukukukuku, Rukukukuku
Ich fürchte, es drücket euch beide der Schuh.

J. An einer süßen Traube muß
Doch Beer' an Beere sitzen,

N. Ja, doch jed Beerlein ist ein Kuß
Den Wein recht zu erhitzen.
Rukukukuku, Rukukukuku
Machen wir's wie die Weinbeerlein nu.

J. Sag Hexchen, warum weinen wohl
Im Frühling so die Reben?

N. Weil sich ein Mägdlein sehnen soll
In ihrem jungen Leben.
Rukukukuku, Rukukukuku
Mein Hexchen jetzt auch dergleichen tu.

J. Und warum schwillt der Wein im Faß?
Wenn draus die Trauben blühen.

N. Hüpft doch mein Herz ohn' Unterlaß
Weil deine Wangen glühen.
Rukukukuku, Rukukukuku
Du Hexchen Herzchen, wie hüpfest du nu.

J. Ach Hexchen, hilf der Schlauch ist leer,
Und voll ist noch der Willen,

N. Dort steht der rote Mond im Meer
Der soll den Schlauch dir füllen.
Rukukukuku, Rukukukuku
Roter Mond, welch Weinlein schenkest du?

J. Der Mond schenkt einen Zaubertrank,
Er wird mich gar berauschen,

N. Horch, Nachtigallen, Liebeszank
Schatz, laß uns den belauschen.
Rukukukuku, Rukukukuku
Wie Nachtigall klingt der Guguck nu.

J. O Zauberei verbuhlter Nacht
Wie süß die Wellen flüstern.

N. Sieh, wie der Mond im Spiegel lacht,
Ich bin zu baden lüstern.
Rukukukuku, Rukukukuku
Er sieht gewiß durch die Finger zu.

J. Ach Hexchen, zieh dein Hemdchen aus,
Ich drehe dir den Rücken,

N. Ich mache schon die Wellen kraus,
Schatz teile mein Entzücken.
Rukukukuku, Rukukukuku
Wie schnell, wie schnell dreht er sich nu!

J. Ach Hexchen, du schwimmst wie ein Fisch
Kaum trau' ich meinen Augen.

N. Schatz komm ins Bad, ach kühl ach frisch,
Ich lehr' dich untertauchen.
Rukukukuku, Rukukukuku
Wie eilt der Tölpel dem Wasser zu.

J. Ich tipp' hinein mit einem Fuß,
Es will mir nicht behagen.

N. Ich spitze schon den Mund zum Kuß,
Und du willst jetzt verzagen.
Rukukukuku, Rukukukuku
Am neuen Tore steht die Kuh.

J. Ich wat' hinein bis an das Knie,
Es macht mir Krampf und Schmerzen

N. Mein Schatz, die Arme breit ich hie,
Komm her, ich will dich herzen.
Rukukukuku, Rukukukuku
O du verfluchtes Hexchen du.

J. Nun steht das Wasser mir am Leib
Es macht mir böse Grimmen

N. Mein Schatz, den Schmerz ich dir vertreib',
Wenn wir umarmet schwimmen.
Rukukukuku, Rukukukuku
O du armseliger Sünder du!

J. Fatal steigt mir das Wasser an
Ganz kalt wird mir's im Magen

N. Heran, in meinen Arm heran
Ich will gesund dich zwagen.
Rukukukuku, Rukukukuku
Der Bader eilt der Baderin zu.

J. Zum Hals schon eilt das Wasser mir,
Mein Maul kriegt schon die Sperre,

N. Fort, Elender, welch schwach Gezier,
Welch eckelhaft Gezerre.
Rukukukuku, Rukukukuku
Sie hat ihn und wird noch gar grob dazu.

J. Das Wasser fließt mir in den Mund
Lebwohl o Welt, ich sterbe.

N. Hinab zieh ich dich auf den Grund,
Und oben lacht sein Erbe.
Rukukukuku! Rukukukuku!
Um Gotteswill Erbe lach nicht darzu.
_____



Georg Busse-Palma
(1876-1915)


Überraschung im Bad

Du darfst mich nicht schmähen
Herzliebster Kam'rad!
Ich mußte dich sehen
Auch einmal im Bad!
Verstreut in den Ecken
Sind Hemdchen und Schuh.
Den Goldfisch im Becken
Deckt gar nichts mehr zu!

Bis über das Näschen
Fast hockst du im Naß.
Aber herziges Häschen
Was hilft dir denn das?
Zu klar ist die Welle,
Das Händchen zu klein —
Die klein kleinste Stelle
Kaum hüllt es dir ein.

Es gibt nur ein Mittel,
Dem Blick zu entfliehn:
Du mußt mich als Kittel
Ganz eng an dich ziehn.
Schnell hops' aus dem Warmen
Und husch zu mir her.
Wenn wir uns umarmen,
Dann seh ich nichts mehr!

Wie rosig das Fellchen!
Nun taucht es empor.
Wie hält mein Gesellchen
Die Händchen sich vor!
Nun gib mir ein
Küßchen
Und schmieg dich ganz dicht.
Deine niedlichen Nüßchen
Die drücken noch nicht!
_____



Carmen Sylva
(1843-1916)


Unstät

Warum ist Liebe wandelbar?
Die kleine Maid, die scheue,
Ist flatterhaft und liebt wohl gar
Ein wenig sehr das Neue?

Sie hat auch gar zu viel zu thun,
Vermittelt viele
Küßchen,
Der Blüthenstaub läßt sie nicht ruhn,
Sie macht die kleinen Nüßchen.

Die Nüßchen mit dem süßen Kern,
Die hat sie ausgesäet,
Und Blumenflocken, Stern an Stern,
Die hat ihr Hauch verwehet.

Und wer sie hält am Kleidersaum,
Der meint sie zu besitzen,
Derweil schon rastlos durch den Raum
Die Schelmenaugen blitzen.
_____



Ignaz Franz Castelli
(1781-1862)


Lischens Kuß

Noch denk' ich jener Feierstunde,
Da Lischen mich umfing;
Noch brennt der Kuß auf meinem Munde,
Den ich von ihr empfing.
Die Küsse sind hienieden,
So wie die Mädchen auch verschieden.

So manche, die im Arm wir schließen
Zum Kuß, uns kaum berührt,
Das heißt, unreife Frucht genießen,
Nach der man lüstern wird;
Ein solcher Kuß pflegt immer
Zu reizen, aber sättigt nimmer.

Fest wie das Moos an einer Klippe,
Hängt eine Andre lang
Mit wildem Feu'r an uns'rer Lippe,
Und macht uns angst und bang;
Ein solcher Kuß pflegt immer
Zu sätt'gen, aber reizt dann nimmer.

Doch nicht wie diese, küsset Lischen,
Ja, in ein Himmelreich
Versetzet mich von ihr ein
Küßchen,
Und reizt und sättigt gleich;
Nein, so wie sie, küßt keine,
Es gibt im Küssen nur die Eine.
_____



Georg Friedrich Daumer
(1800-1875)


Stella

V.
Gieb sie, die Fingerchen,
Niedlich und klein!
Gieb sie, die Dingerchen,
Zierlich und fein!
Laß nur ein Bischen!
Einem um's andre
Geb' ich ein
Küßchen;
Merk', wie ich wandre:
Eins, zwei, drei, vier, fünf und nu
Noch einmal so viel dazu;
Sechse, sieben, achte, neune,
Plus auf Plus und Kuß auf Kuß,
Und dahier der zehnte, kleine
Macht den Schluß.
Küßchen und Fingerchen allzumal
Machen Zwanzig an der Zahl.
Schule der Liebe,
Lieblich und süß;
Rechenexempel
Ohne Verdrieß; -
Siehe, mein Kindchen,
Heiteren Auges
Blickt es und lacht mit dem offenen Mündchen,
Bittet: "O Freunde, wiederholen wir dies!"
_____



Friedrich Wilhelm Gabriel
(1784-1864)


Der Kuss

Er schritt dahin so wohlgemuth,
Es wehten Lenzesdüfte,
Laut klopft sein Herz, rasch wallt das Blut,
Da singt in alle Lüfte
Sein Tralala der junge Fant,
Der jetzt vor einem Hüttchen stand;
Ein Mägdlein drin er schaute.

Sei mir gegrüßt, mein holdes Lieb',
Will 'was von dir begehren:
Ein einzig
Küßchen du mir gieb,
Das mußt du mir gewähren.
"Ha! ha! ha! ha! was fällt euch ein,
Bin ich denn euer Liebchen fein,
Nicht daß ich eben wüßte." -

Allein was half der Widerstand
Dem armen guten Kinde?
Den Weg zu ihren Lippen fand
Sein Lippenpaar geschwinde.
"O pfui doch! pfui! laßt mich nur gehn!
Wie könnt ihr das euch unterstehn!
Fort, fort, trollt euch von hinnen."

Doch schmeckt ihm der geraubte Kuß
So süß von ihren Lippen,
Und darum faßt er den Beschluß,
Noch mehr davon zu nippen.
La! la! la! la! zum Eheband
Nimm Liebchen von mir Herz und Hand,
Nun darf ich dich doch küssen?
_____



Wilhelm Gerhard
(1780-1858)


Das Plättfest

Sonst erschien ich alle Morgen,
Linchen, und besuchte dich;
Doch du hast nun andre Sorgen;
Denkst du heute wohl an mich?

Alles reget sich im Hause
Mit der Plätt' in fleiß'ger Hand,
Zupfet hier an einer Krause,
Oder biegelt dort ein Band.

Bitt' ich dich nun um ein
Küßchen,
Hab' ich mich umsonst bemüht.
Lieber, sprichst du, wart' ein bischen,
Daß die Glocke nicht verglüht!

Ach! da muß ich lange harren,
Blicke schmachtend dich nur an;
Selbst nicht tröstende Cigarren
Dürfen meinen Lippen nahn.

Nun so plätte Tuch und Häubchen,
Aber wenn's vorüber ist,
Sey der Bräutigam, mein Täubchen,
Doppelt zärtlich auch geküßt!
_____



Robert Hamerling
(1830-1889)


Der Troubadour

Wer kein Prinz ist, wer kein König,
Ist für einen Liebenden zu wenig!
Hätt' ich nicht Millionen zu verschenken,
Würd' ich denn an Frauenminne denken?
Auf, ihr stolzen, minniglichen Schönen
Und ihr Mägdlein hold auf blühn'der Flur!
Kommt! ich bin der edle, munt're, treue,
Unermeßlich reiche Troubadour!

Tausend Schätze weiß ich aufzuspeichern,
Fürstlich, die ich liebe, zu bereichern!
Perlen streu' ich, lichte Himmelskronen
Flecht' ich aus den Sternen aller Zonen!
Wer ist, die ein Lied will, zaubertönig,
Für ein
Küßchen, mild wie Honigseim,
Und für eine Kosestund' ein schönes
Königreich in Wolkenkuckucksheim?
_____



Johann Christoph Friedrich Haug
(1761-1829)


Minnelied
Nach Markgraf Otto von Brandenburg mit dem Pfeile

Räumt den Weg der Schönsten aller Frauen!
Lasst die Tugendreiche mich erblicken!
Meines Herzens Kaiserin zu schauen,
Fände wohl ein Kaiser Hochentzücken.
Ueber Sterne darf mein Loblied steigen;
Meinen Himmel kann ich nicht verschweigen;
Wo sie wohnt, dem Lande muss ich neigen.

O Frau Minne! Stille Botin! Sage
Meiner Hehren, dass ich sie nur minne,
Sie nur ewig in Gedanken trage,
Und auf neue Huldigungen sinne.
Wollt' ihr süsser Mund mir lieblich lachen,
Meine Trauer müsste flugs erschwachen,
Und zu besserm Leben ich erwachen.

Ach! die Blümlein falben auf der Heide,
Und die Reine duldet kein Umarmen.
Trost, Frau Minne! Trost im Doppelleide!
Lasst mein Lieb des Kranken sich erbarmen!
Wisset, dass ihr Lächeln schon mich heilte;
Wenn sie gar ein
Küsschen mir ertheilte -
Frühling blieb's, und alle Sorg' enteilte!
_____



Leo Heller
(1876-1949)


Koseliedchen

Du ein Gläschen, ich ein Gläschen,
Hei, nun woll'n wir fröhlich sein!
Kleine Perlen wirft der Wein,
Du ein Mäschen, ich ein Mäschen.

Du ein
Küßchen, ich ein Küßchen,
Tausch um Tausch, das muß so sein.
Ist's etwa nicht wunderfein?
Du ein bißchen, ich ein bißchen.

Du ein Spitzchen, ich ein Spitzchen,
Was, mein Kind, das macht vergnügt?
Hast ein lustig Herz gekriegt:
Du ein Witzchen, ich ein Witzchen.

Du ein Händchen, ich ein Händchen,
Ei, nun laß' ich's nimmer aus,
Nehm's mir heute mit nach Haus:
Du ein Pfändchen, ich ein Pfändchen.

Du ein Bettchen, ich ein Bettchen,
Ach wie stört das Lampenlicht!
Drehe ab, doch blase nicht.
Du und ich in einem Bettchen.
_____



August Kopisch
(1799-1853)


Walzer

Du holdes, du süßes, du liebliches Kind,
Gieb, gieb mir, hier dunkelts, ein
Küßchen geschwind!
Dein Aeuglein es funkelt wie Edelgestein,
Ein
Küßchen von dir muß Rosenduft sein!
Wende dich nicht
Ab von mir,
Möchte so dicht
Ruhen an dir!
Sehnen und Trachten
Und Thränen und Schmachten
Hab' ich um dich, o mein himmlisches Kind,
Gieb mir ein
Küßchen, ein Küßchen geschwind!
Leih' mir es nur, gieb mir es nicht,
Leih' mir es nur, gieb mir es nicht,
Nimm es dann wieder du Engelsgesicht!
_____



Gotthold Ephraim Lessing
(1729-1781)


Die Küsse

Ein
Küßchen, das ein Kind mir schenket,
Das mit den Küssen nur noch spielt
Und bei dem Küssen noch nichts denket,
Das ist ein Kuß, den man nicht fühlt.

Ein Kuß, den mir ein Freund verehret,
Das ist ein Gruß, der eigentlich
Zum wahren Küssen nicht gehöret:
Aus kalter Mode küßt er mich.

Ein Kuß, den mit mein Vater giebet,
Ein wohlgemeinter Segenskuß,
Wenn er sein Söhnchen lobt und liebet,
Ist etwas, das ich ehren muß.

Ein Kuß von meiner Schwester Liebe
Steht mir als Kuß nur so weit an,
Als ich dabei mit heißerm Triebe
An andre Mädchen denken kann.

Ein Kuß, den Lesbia mir reichet,
Den kein Verräter sehen muß,
Und der dem Kuß der Tauben gleichet:
Ja, so ein Kuß, das ist ein Kuß.
_____



Friedrich Müller (Maler Müller)
(1749-1825)


Amor und seine Taube

Mit Amorn fliegt
Ein Täubchen dort
Vom weichen Schoos Cytherens.
Allein ist sie
Des Knaben Lust
Und traulichste Gespielin.
Noch sitzen sie
Am Rosenstrauch
Und schwätzen mit einander.


Taube
Sag', liebest du
Dein Täubchen noch,
Mein goldig krauser Amor?
Und wenn es einst
Erblassen muß,
Wirst du's auch nicht vergessen,
Dein Täubchen? Mich,
Die ich so treu
So zärtlich treu dich liebe.
Dieß schneidet mir,
Denk' ich daran,
In's Herzchen tiefe Wunden.


Amor
Schweig', Schwätzerin!
Wie könnt' ich doch,
Du Liebe, dein vergessen!
Der Zärtlichkeiten,
Der Freundlichsten
Von allen meinen Tauben!
Komm, hüpfe schön
Auf meine Brust,
Komm, wölb' die seidnen Flügel
Und schnäble mich!
Zehn
Küßchen! Ich
Geb' treu sie dir zurücke.


Taube
Geh, küsse nicht,
Du liebst mich nicht,
Du Kleiner hast gelogen!
Ich liebe dich,
Ich, Amor, ich
Bin dir nur treu gewogen.
Ach gerne trag'
Ich deinen Pfeil
Und deinen Silberbogen!
Doch einst wirst du
Vergessen mich,
Vergessen mich im Grabe.
O Kleiner, geh,
Kein
Küßchen mehr!
Laß, laß mich lieber weinen.


Amor
Ha Lose du,
Versteckest du
Den Schnabel in den Flügel?
Gleich küsse mich,
Ich schlage dich,
Ich binde dir die Flügel.
Willst Amorn nur
Betrüben du,
Als liebt' er dich nicht immer?
Kennst gar zu wohl
Mein treues Herz,
Du lose kleine Taube!


Taube
O schlage nicht
Mich Jammernde,
Mein goldig krauser Amor!
Ey liebes Kind!
Mich peinigt's so
Im Wachen und im Schlummer.
Kein Blümchen sinkt,
Ich denk' daran,
Kein Tröpflein von der Lilje.
So sink' ich einst,
So fall' ich einst,
So lieg' ich einst vergessen.
Du schwingst dich hin
In alle Welt
Bis zu dem Göttersaale,
Fliegst fern und fern
Von Stern zu Stern,
Und ich lieg' tief im Thale.
Denkst nimmermehr
An mich, indeß
Mein armes Herzchen modert,
Dieß Herzchen treu,
Das dich nur faßt,
Dieß Herzchen, lieber Amor,
Vergessen ach!
Von dir ach! ach!
Du allerschönster Knabe.


Amor
Halt, Liebchen, ein,
Halt, Schätzchen, ein
Mit diesen Trauer-Klagen!
Halt, Täubchen, ein,
Mein Herz zerschmilzt,
Ich kann's ja nicht ertragen.
Glaub's, nimmermehr
Und nimmermehr
Kann deiner ich vergessen,
Nicht Sonn' und Mond,
Nicht Jahr und Tag
Soll mir dein Bild verlöschen!
Und solltest du
Ach! solltest du
Erblassen einst, du Liebe!
Dann weint' ich laut,
Dann schluchzt' ich bang,
Dann wollt ich nicht mehr leben!
Im Myrthenhayn,
Wo Venus schläft,
Bey roth- und weißen Rosen
Begraben dich
Gar sanfteglich,
Ein Grabmahl dir erbauen,
Und Morgens dann
Und Abends dann
Bey deiner Urne weinen,
Und Veilchen süß
Und Liljen zart
Auf deinen Leichnam streuen
Zur Ehre dir,
Der Zärtlichsten
Und Treusten aller Tauben.


Taube
Du liebes Kind!
O liebster Schatz,
Den ich einst muß verlassen!
Ach! könnt' ich doch
Im Grabe noch
Dein holdes Antlitz schauen!
Ein' Andre trägt
Die Pfeile einst,
Mit Andern wirst du spielen.
Dieß Mündlein süß,
Die Wange zart,
Wird eine Andre küssen,
Wird sitzen hier
Auf deiner Brust,
Wo ich so gerne schlummre;
Schlägt freundlich dir
Die Flügel auf,
Scherzt auch mit deiner Locke,
Fliegt neben dir,
Wie ich gethan,
Küßt streichelnd dich - ach wehe!
Verzweifeln muß,
Ach denk' ich dran,
Ja, ja, ich muß verzweifeln.


Amor
Auf dieser Welt
Kein Täubchen mehr,
Bist du für mich verlohren!
Auf dieser Welt
Kein Schätzchen mehr,
Das schwör' ich bey den Sternen!
Solch' Treue gibt's
Auf Erden nicht,
Im Himmel nicht, als deine.
Solch Herzchen gibt's
Auf Erden nicht,
Im Himmel nicht, als deines.
Schön fass' ich's auf
In rothes Gold,
In köstlich Gold und Perlen,
Und trag' es stets
Auf dieser Brust,
Wo du so gerne schlummerst,
Damit ich, wo
Ich schweb' und bin,
Mög' alle Zeit gedenken
An dich, an dich,
Die Zärtlichste
Und Treuste aller Tauben!

So schwuren sie,
Und Amor drückt
Sein Täubchen sanft und streichelt's.
Da girret's froh,
Da sinket ihm
Das Thränlein aus dem Auge.
Entzücket hüpft's
Auf Amors Brust
Und flügelt um den Knaben.
Noch steigen sie
In blauer Luft,
Es sieht sie Venus fliegen.
Erweicht wird sie,
Süß nicket sie
Unsterblichkeit dem Täubchen.
_____



Wilhelm Müller
(1794-1827)


Amor, ein Bettler

Verbannet aus dem Himmel
Um seine losen Streiche,
Muß Amor hier auf Erden
Verstohlen betteln gehen.
Er klopft an alle Stübchen,
Er schaut in jedes Auge,
Und bettelt um ein Flämmchen,
Er geht an alle Lippen,
Und bettelt um ein
Küßchen.
Ach, wenn von allen Mädchen
Ihm Eine, die ich meine,
Die milden Gaben gäbe,
So würd' er seinen Himmel
Auf Erden widerfinden.
_____



Wilhelm Raabe
(1831-1910)


Belagerte Stadt

II.
In meines Liebchens Kammer,
Da ist das Fensterlein
Versponnen und verhangen
Vom grünen wilden Wein.

Die Scheiben sind zerbrochen,
Die Ranken sind zerfetzt;
Denn vor den Mauern und Wällen
Liegen die Feinde jetzt.

Aus den Gräben, von den Türmen
Feuer und Feldgeschrei!
Mein Handrohr und mein Liebchen
Sind wacker mit dabei.

Auf jeden Schuß die Antwort:
Wir halten's noch lange aus!
Auf jeden Kuß ein
Küßchen -
Ihr Feinde, geht nach Haus!

Mein Liebchen reicht die Kugeln,
Reicht mir ihren roten Mund;
Das ist ein wonnig Küssen
Zu solcher bösen Stund.

Mein Liebchen reicht die Lunte,
Preßt mir dabei die Hand,
Und blitzt das Pulver vom Zündloch
Drückt sie sich an die Wand.

Es zittert und bebt der Boden!
Es wankt und schwankt das Haus!
Sie rücken heran zum Sturme -
Hinaus, auf die Mauer hinaus!

Mein Liebchen schützt ihr Röcklein,
Mit Kugeln die Schürze sie füllt -
Torwächtermaid auf dem Walle
Wohl tausend Landsknechte gilt!
_____



Karl Reinhard
(1769-1840)


Der bescheidene Liebhaber

Wohin so spät allein?
Du könntest dich verlieren!
Komm, Kind, ich will dich führen.
Du musst hübsch artig seyn!

Fall' ja hier nicht hinein!
Wart', allerschönstes Leben,
Ich will dich überheben.
Du musst hübsch artig seyn!

Halt doch mit Laufen ein!
Du brauchst dich nicht zu schämen.
Lass mich ein
Küsschen nehmen.
Du musst hübsch artig seyn!

Der Mond birgt seinen Schein.
Lass uns bei jenen Buchen
Den Flüchtling wiedersuchen.
Du musst hübsch artig seyn!

Hier ist es weich und rein.
Hier lass uns niederlegen,
Und uns der Ruhe pflegen.
Du musst hübsch artig seyn!

Es weht so kalt im Hain.
Lass uns zusammenrücken,
Uns an einander drücken.
Du musst hübsch artig seyn!

Vergebens wirst du schrein.
Was hilft es, dich zu wehren?
Es kann dich Niemand hören.
Du musst hübsch artig seyn!

Du bist nun einmahl mein.
Doch, Liebchen, sey nicht bange,
Dass ich zu viel verlange.
Ich kann auch artig seyn!
_____



Christian Ludwig von Reissig
(1784-1847)


Die Täuschung

Geküßt vom goldnen Abendstrahl,
Im Wehn der Blüthenbäume,
Ging ich in einem Wiesenthal,
Versenkt in süße Träume.

Als ich nun hier so einsam ging,
Wo Blüthen mich beschneiten,
Da hört' ich Schafe klinglingkling
Im Blumengrase weiden.

Ich dachte: schön ist Gotteswelt.
Doch mehr muß sie gefallen,
Wenn wir im grünen Blumenfeld,
Mit einem Mädchen wallen.

Nun wand ich meinen frohen Blick,
Zum Glockenspiel der Schafe,
Und fand, o Himmel welches Glück!
Ein Mädchen hier im Schlafe.

Des Abends Rosenlicht umfloß,
Die wunderschönen Glieder,
Und eine grüne Linde goß
Hier Blüthen auf sie nieder.

Die Blümchen drängten sich im Gras,
Ihr einen Kuß zu rauben,
So dacht' ich: ey den süßen Spaß
Darfst du dir auch erlauben.

Ich hatte kaum aus Herzensgrund,
Ein
Küßchen ihr gestohlen,
So spitzt' ich lüstern schon den Mund,
Um mir noch eins zu hohlen.

Allein das süße Himmelsbild,
Erwachte ganz erschrocken,
Denn ihre Brust war unverhüllt,
Und weiß von Blüthenflocken.

Ja, um ein Härchen wäre sie
Mir Glücklichen entsprungen,
Allein vergebens war die Müh,
Ich hielt sie fest umschlungen.

Nun wurde mir vom jungen Tag
Der süße Traum entrissen,
Und statt des lieben Mädchens lag
In meinem Arm das Kissen.
_____



Jacob Schwieger
(um 1630-1664)


Er sehnet sich nach dem Bluhte jhrer Wangen

Adelmuht mein Hertz und Leben/
mein Verlangen/ Lust und Gier!
sage doch/ wann wiltu geben/
mihr ein
Küßchen schönste Zihr?
Wann sol ich von deinen Wangen
eins empfangen
dein beliebtes Rosen-Bluht?
sag' es mihr/ o Adelmuht.

Deine Wangen hegen Rosen
die mit Milch und Bluht gezihrt
und im Hertzen mihr Lieb-kosen/
die mihr schier den Geist entführt;
Ach! wen sol ich von den Wangen
eins empfangen
dein beliebtes Rosen-Bluht?
sag' es mihr/ o Adelmuht.

Möcht' ich wie die Schnek spatzieren
auf den Wangen hin und hehr/
soltestu im Nu verspühren
daß dihr was entgangen wer'/
und daß ich von deinen Wangen
hätt' empfangen
dein beliebtes Rosen-Bluht;
Gläub' es mihr/ o Adelmuht.

Drüm o Rose der Jungfrauen
tritt mit deiner Gunst herzu?
daß ich mag mein Hoffen bauen
und geniessen Freüd und Ruh/
laß mich auch von deinen Wangen
bald empfangen
dein so schönes Rosen-Bluht:
o mein Hertzen Adelmuht!
_____



Jacob Schwieger
(um 1630-1664)


Sie kan heilen

Gleich wie das Aqua Vit' ein mattes Hertz kan laben
wens offt vor Angst und Noht nicht weiß woraus noch ein?
So kan ein
Küßchen auch für allen andern Gaben
von meiner Adelmuht/ erquikken meine Pein.

Ihr Küssen ist sehr süß. Möcht ich nur einß empfangen
das Naß von ihrem Mund'! ach Rosen Adelmuht!
laß zu daß ich mag frei an deinen Lippen hangen/
den solches wirkket Freüd' in meinem jungen Bluht.
_____



Jacob Schwieger
(um 1630-1664)


Der Küssende

Adelmuht ach meine Wonne/
mein beliebtes Zukker Lam/
Meine Krohne meine Sonne!
warüm bistu mihr so gram?
Ist dihr leid daß ich gegeben
dihr ein
Küßchen? o mein Leben/
gieb mihrs wieder wiltu mihr
geben meinen Lohn dafür.

Ist das Küssen doch itzunder
in der gantzen Stad gemein;
Darüm/ ist es nicht groß wunder
daß üm einen Kuß allein
Ich ein Dieb und Feind muß heissen?
Ich wil mich noch mehr befleissen
solchem rauben nach-zugehn
wan du schon wilt zornig sehn.

Hemme deine stoltze Sinnen/
den mein Hertze hastu schon;
Denkke doch für mein beginnen
hab' ich einen Kuß zu lohn?
Du hast mihr das Hertz genommen/
Ich hab' einen Kuß bekommen/
durch betrug nahmstu mein Hertz
ich nam einen Kuß im Schertz.

Ach! warüm mag ich dich lieben/
die du mihr nicht günstig bist?
Nichts hab' ich als nur betrüben
weil ich deinen Mund geküst/
möcht' ich dich nicht gleichfals hassen
und dich/ wie du mich verlassen
dan könt' ich von meiner Pein
frey und aufgelöset sein.

Wiltu daß ich sol verbleiben
dein getreües Hertz allein/
und mich deinen Diener schreiben/
ach so stell das Hassen ein:
Hab' ich heimblich was bekommen/
und den Kuß von dihr genommen?
Nim zur wieder-geltung Zwey
wen du wilt es steht dihr frey.
_____



Kaspar Stieler
(1632-1707)


Wer küßt die greisen Haare?

Laß uns/ Kind/ der Jugend brauchen/
weil uns noch die Schönheit blüht:
Wenn die Geister einst verrauchen
und die Todten-farb' umzieht
unser runzlichtes Gesichte:
Wer begehrt denn unsern Kuß?
Nimm sie an der Rosen Früchte/
eh ihr Blat verwelken muß.

Ob die Alten murrisch zanken/
nehmen sie der Freude wahr;
muß man drum mit ihnen krankken?
Nein/ ich acht' es nicht ein Haar.
Sollte der mich Sitten lehren/
der bereit hat außgelehrt?
Denn werd' ich mich auch bekehren/
wenn mein Alter sich verkehrt.

Die besüßten Frühlings-tage
lauffen flügel-schnelle fort/
denn so hilft uns keine Klage/
kein erseufzend Bitte-wort/
sie gedencken nie zurükke:
Was hin ist/ das bleibet hin.
Diß beruht auff einem Blikke/
daß ich froh und traurig bin.

Drum so brauch/ mein Kind/ der Zeiten/
weil die Zeiten grünend sein.
Was uns bleibt sind Traurigkeiten/
gehn uns diese Zeiten ein.
Ey wie plötzlich kömmt die Stunde/
daß uns Kloto in der Eil
schießt die Rosen von dem Munde
durch des Todes Frevel-Pfeil.

So sey mit den Scharlachs-Wangen/
Schöne/ ferner nicht zu teur/
Linder meiner Qwaal Verlangen/
Kühl'/ ach! kühl der Liebe Feur!
Wo von den besüssten Fluhten/
deines Zukker-Mündgens Naß/
mir kein Tau ist zuvermuhten
werd' ich noch vor Abends blaß.

Gib zwey
Küßchen/ gib mir eines
soll es ja kein mehres sein/
gib/ mein Schazz/ mir nur nicht keines/
wiltu mich dem Todten-schrein'
auff ein wenigs noch ersparen.
Was nuzzt denn ein kalter Kuß
wenn ich auff der Leichen-Baaren
deiner Reu erst warten muß?
_____



Adolf Strodtmann
(1828-1879)


Henni

6.
Weißt du noch, wie mir dein Mund
Streng die Lippen wehrte,
Als zu küssen ohne Grund
Jüngst ich ihn begehrte?

Leis erröthend hast du mir
Lipp' und Wang' entzogen,
Und ich war drum minder dir
Wahrlich nicht gewogen.

Sprudelnd floss der Rede Quell
Uns im Seelentausche,
Und wir merkten nicht, wie schnell
Uns die Zeit verrausche.

Sprachen viel und sprachen lang,
Tief aus Herzensgrunde,
Bis zum Aufbruch mahnend klang
Uns die Trennungsstunde.

Wie ich nun als Kavalier
Meine Pflicht erfüllte,
Und den Mantel sorglich dir
Um die Schultern hüllte,

Bogst du hold dein Haupt zurück,
Sanft wie Turteltauben,
Und ich durfte dir - o Glück! -
Sacht ein
Küsschen rauben.

Und ich fühlte: Was dem Zwang
Jungfräulich sich wehret,
Wird im Liebesüberschwang
Froh und frei bescheret.
_____



Christian Martin Winterling
(1800-1884)


Welch ein Gewoge der kämpfenden Triebe,
Und hier im Busen welch wildes Gepoch!
Sag mir, o sag mir, beherrschest du, Liebe,
Mich? Oder, Liebe, beherrsch' ich dich noch?

Reich' ich mit einem der sonnigen Blicke
Aus doch für Wochen und Tage! So sprich:
Bin ich der Herr noch von meinem Glücke?
Oder, o Glück, beherrschest du mich?

Wenn ich mit Armen sie selig umflechte,
Gnügt doch ein
Küßchen, ein süßes, mir gern.
Machst du mich, Amor, zu deinem Knechte?
Oder erkennst du in mir deinen Herrn?

Hab' ich doch öfter nur Blüthen gebrochen,
Wo auch die Frucht nach dem Munde mir hing.
Wolltest du, Amor, mich unterjochen?
Oder warst du's, der Gesetze empfing?

Ließ ich's doch immer erst an mich kommen,
Zog nicht Gelegenheit mächtig beim Schopf.
Hast du nun, Amor, den Kopf mir genommen?
Oder behaupt' ich ihn noch, meinem Kopf?

Noch macht kein Schwur mich der Schönen verbindlich,
Saß er gleich oft auf den Lippen mir schier.
Bist du nun, Amor, unüberwindlich?
Oder verschoß sich dein Bolzen an mir?

_____



Ernst Anton Zündt
(1819-1897)


Ihre Locke

Dein Haar, dein Haar, das trug ich lang
Auf treuem Herzen wohl;
Die blonde Locke, die du gabst,
Du, einst so liebevoll.

Du drücktest sie mir in die Hand,
Daß Mutter es nicht sieht,
Und gabst ein
Küßchen mir dazu,
Das noch im Herzen glüht.

O denkst du nimmermehr daran,
Du lieblich Angesicht?
War's denn nicht Haar von deinem Haar,
War's deine Locke nicht?

Wie drückt' ich oft an's Wangenpaar
Die gold'nen Schlingen dir!
Und nimmer, Liebchen, soll's gescheh'n
Auf dieser Erde hier? -

Blick' ich die Haare sehnend an,
Mein' ich bei dir zu seyn,
Im Geist umfass' ich wieder dich,
Du warst ja einstens mein.

Ich drücke wieder dir den Kuß
Auf Mund und Augenpaar,
Und wieder gibst du mir dafür
Von deinem gold'nen Haar.

Du stehst vor mir, du schwebst um mich,
Erfüllest meine Welt,
Du, mein Gedanke, der allein
Den Geist noch aufrecht hält.

Wir sind geschieden jetzt, doch bald
Wird Staub die Hülle sein;
Nur deine Locke nehm' ich mit,
Denn die bleibt ewig mein!
_____



zurück zum Verzeichnis
 


zurück zur Startseite