Sidonie Grünwald-Zerkowitz (1852-1907) - Liebesgedichte

Sidonie Grünwald-Zerkowitz

 


Sidonie Grünwald-Zerkowitz
(1852-1907)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 

Im Traum

Als ich des Abends zur Ruh gegangen,
Besah ich des Liebsten Bildnis bewegt,
Und daß ich davon mich trennen nicht müßte,
Hab' unter das Kissen ich's heimlich gelegt.

Das Bild, das ist aber dort nicht geblieben;
Im Traum ist's mir näher und näher gerückt -
Gewandelt zu meinem leibhaftigen Liebchen,
Hat's Küsse mir überall hin ... gedrückt.

Das Bild, das ich nachts unterm Kissen geborgen,
Das machte - ob auch der Liebste entfernt -
Daß ich die Küsse der Liebe alle -
Hab' alle ... im Traume ... gründlich erlernt ....
(S. 72)
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Tote Blumen

Am Sims aus der Vase blicken
Längst welk Deine Rosen und tot,
Die geprangt dem Aug' zum Entzücken
In Weiß und Purpurrot!

Doch schwand auch ihr Farbenschimmer,
Sind auch die Kronen verdorrt,
Es strömte ihr Duft in mein Zimmer
Und weht da belebend fort!

So wird's mit der Liebe kommen,
Die kurz mir nur geblüht,
Mir lebt, ob verwelkt sie, verglommen,
Mit webt sie fort im Gemüt!
(S. 152)
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Da zieh' ich allein die Wege hin

Da zieh' ich allein die Wege hin,
Wo wir zu Zweien geschlendert,
Als uns'rer Liebe die Sonne schien,
Die gelb den Wald berändert.

Jetzt scheint zum Wald der Mai herein,
Bringt Hoffen den Wesen allen;
Nur ich frag' bange: harrt noch mein
Solch' Glück wie im Blätterfallen? ...

Wird eine süße Gegenwart
Mir Seligkeit hier schenken,
Ob nicht an Glückes Statt mein harrt
Nur wehmütig - Seingedenken?
(S. 99)
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Die politische Gesinnung des Kusses

Da jüngst hat es den Kuß getrieben
Zu eines Munds Korallenthor,
Der ihn mit manchem reizvoll lieben
Wort neckend, süß zu sich beschwor.

Schon hofft der Kuß, es möcht' begegnen
Der Mund ihm hold im Liebesdrang ...
Da wehrte plötzlich dem Verwegnen
Der Mund voll Hochmut den Empfang.

- Vorerst mußt Du genau erweisen
Mir deine Herkunft, stürmisch Kind,
Ob Du entstammst Plebejerkreisen,
Ob Deiner Ahnen - sechzehn sind!

Bist du Franzose? - Russe? Britte?
Bist - Jude Du, bist Du nicht Christ?
Noch Eins: (wärst Du aus unsrer Mitte)
Bist - Deutscher Du oder Panslavist?

Denn ich empfange selbst an Küssen
Nur gleichgesinnte Haute-volée!
Das solltest Du ja selber wissen,
Bist Kuß Du nicht ein Roturier!

Darauf der Kuß:

- Ein Kind bin ich der Liebesflamme,
Die jedes Herz mit Demut nennt,
Die Hohe doch, von der ich stamme,
Die »Unterschiede« da nicht kennt!

Sie züngelt über jede Mauer,
Die Welten Haders Gegenstand! -
Fühlst nicht Du selbst mit Wonneschauer,
Wie nichts ihr leistet Widerstand? ...

Drum, fühlst Du wie ich, Funke, schnelle
Dir auf die Lippen süß will sprühn,
Empfang' mich anders an der Schwelle!
Ein Narr, wer frägt: wo Rosen blühn!
(S. 35-36)
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Alles oder - Nichts

Das Veilchen spricht mit stolzem Mut:
Bin ich Dir nur zum Pflücken gut,
Mich fortzuwerfen balde:
Laß lieber stehn mich ungepflückt,
Bleib' ich auch fürder unbeglückt
Im tiefen dunklen Walde!

Bin ich an Glück auch nicht gewohnt,
Nicht weiß ich doch, wie Undank lohnt ...
- Könnt' einmal nur gepflückt sein -
Und hast Du nach mir heiße Lust,
Dann will ich auch an Deine Brust
Tiefinniglich gedrückt sein!
(S. 64-65)
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Kann Liebe nicht Winters auch blühen?

Daß der Lenz bricht an, was kümmert's mich?
Kann Lieb' nicht Winters auch blühen?
Aus dem Herzen mir der Lenz nicht wich,
Ob es frieren mochte, ob glühen.

Schienst Du ja ins Herz mir allezeit!
Da ist drin Frühling geblieben,
Der Frühling, der auch im Winter mait,
Der blüht im Herzen voll - Lieben.
(S. 27)
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Der Kuß

Dein Kuß allein will mir nicht genügen!
Ein Kuß nicht mein Begehren stillt!
Trankst Du ihn je in vollen Zügen
Und empfandst noch nicht, was aus ihm quillt?

Ein Kuß - ein Blitz unter Sturmes Toben -
Ein süß Gewittern der Sinnenflut
Im tiefsten Mark, das nach unten, nach oben
Das Sein im Zickzack durchrast mit Glut.

Gewitter, das nicht sich löset in Regen ...
In den Wolken bleibt und wühlend drin schwebt ...
Und wetterleuchtend auf allen Wegen
Mit peinvollen Schauern uns durchbebt ...
(S. 57-58)
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Ich wünsch' den Kuß und - küß Dich nicht!

Deinem Kuß möcht' dar ich bringen
Mehr ... viel mehr als nur den Mund ...
Ließe tief in mich ihn dringen
Wie den Sonnenstrahl der Grund ...

Wie der Grund das glühnde Weben,
Das in seinen Schoß sich gießt ...
Dem aus diesem Kusse Leben,
Blühen segensreich entsprießt ...

Dieser Beiden Liebesthaten,
Daß sich eins dem andern leiht,
Jede Blume darf's verraten,
Jeder Traube Süßigkeit; -

... Unser Kuß, er gilt als Sünde
Und Dein Mund, der küßt, er - spricht ...
Drum - wie sich dies Herz auch winde -
Wünsch' ich ihn und - küß Dich nicht.
(S. 63)
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Den Kuß auf morgen nicht verschieb'

Den Kuß auf morgen nicht verschieb'!
Küß mir ihn auf der Stelle!
Gepflückt vom Strauch, gepflückt von Lieb'
Muß werden schnelle, schnelle!

Denn weg vom Strauch die Blum' verweht;
Drum pflücke sie im Blühen,
Und nach dem Kuß die Lust vergeht -
Drum küß mich rasch im Glühen!
(S. 64)
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Der Herbst, der war mir lieber

Der Herbst, der war mir lieber
Als dieser Lenz mir ist!
Das Herz ging so uns über,
Daß wir uns wund geküßt!

Auf jedem stillen Steige
Blieben wir küssend stehn -
Strich Herbst auch durch die Zweige,
Durchs Herz ging Frühlingswehn! -

Wir wanderten umschlungen
Durch Auen im Mondenschein
Und hatten im Herbst gedungen
Den Mai - für uns allein! ....
(S. 98)
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Des Weibes Blätterfall

Du frägst, mein Freund, wie sich wohl künden
»Das Altern« mag in Seel' und Leib,
Was leiden mag und was empfinden,
- Beginnt's zu altern erst - das Weib?

Noch eh' im Spiegel es gewahr wird,
Daß seine Jugend ihm entweicht,
Noch eh' es ihm im Herzen klar wird,
Daß sich das Alter zu ihm schleicht,

Sagt's ihm des Mannes Blick, ich glaube
Der nach ihm nimmer gierig langt,
Weil - wie die Gais am jungen Laube -
Des Mannes Blick an Jugend hangt!

Noch ist das Weib von Reiz umstrahlet,
Von Kraft und Fülle die Gestalt
Wie sich am ersten Herbsttag malet
Im Sonnenstrahl der Eichenwald;

Doch wie in grüner Blätter Prangen
Sich da und dort ein welkes zeigt,
Zum Zeichen, daß der Lenz vergangen,
Und daß zum Herbst der Sommer neigt:

So kündigt sich der Jugend Weichen
Beim Weib in leiser Spur schon an!
Ein Haar will da und dort erbleichen -
Und aus der Reihe fehlt ein Zahn, -

Und wenn auch Furchen nicht gegraben
Der Jahre Pflug in Stirn und Kinn:
Die zarten Farben, die drauf haben
Den Lenz gemalt, sie - schwinden hin.

... Doch, was im Lied' ich nicht kann sagen,
Weil keinen Reim es dafür giebt:
Das Leid ist's, das ein Herz ertragen
Muß, das zum letztenmal dann - liebt!
(S. 152-153)
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Schamhaftigkeit

Du schiltst mich: kalt, ohne wahres Empfinden,
Indessen Höllenlohen sich winden
Mir durch den Leib, darin zu ringen
Mit der - Scham, die sie dämpfen möcht' und bezwingen!

Durchs Innerste wogt mir ein glühendes Drängen
In eines mit Dir mich zu vermengen, -
Mit dem ganzen Sein Dich zu umfassen,
In jede Pore Dich einzulassen!

Wie, nur ihre Schönheit als einzige Hülle,
Die Erde sich bringt in nackter Fülle
Dem glühenden Sonnenstrahl entgegen:
So möcht' ich in Deine Arme mich legen!

... Ja, liehe ein Traum mir seine Hände,
Den Gürtel zu lösen mir von der Lende ...
Zum Werke der Liebe das Kleid mir zu schürzen ...
Den Kampf mit meiner Scham mir zu kürzen!

Und bettete mich der Traum auf das Kissen ...
Ohn' daß ich, wie's geschah ... müßt wissen!
Möcht' Traumes zauberhaftes Walten
Indessen die Seele umfangen mir halten,

Indess, bis ich auf schweigsamem Pfühle
Süß Deinen Odem wirken fühle! -
... Der Traum der Scham die Augen verbände
Und ich - im Himmel mich befände! ...
(S. 73-74)
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»Lebwohl und sei heiter«

Du ziehst von mir weiter
Zur Anderen hin:
»Lebwohl und schlag heiter
Dir mich aus dem Sinn!«

Reiß aus die Nelke
Und wirf sie fort
Und sprich: nicht welke
Am öden Ort!

Und schieß nach der Taube
Und triff sie ins Herz
Und sag' ihr: nicht glaube
An Deinen Schmerz!

Und ... zieh von mir weiter
Zur Anderen dort -
Und sprich: »sei heiter
Und - leb' nun fort!«
(S. 151)
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Zueinandergehörigkeit

Entstiegest als Fels Du der Erde Schoß
Und erstünd ich zu Sein erst soeben:
Mir wäre als müßt' ich als grünes Moos
Dein starres Dasein umgeben!

Und wärst Du der Spiegel der weiten See:
Mich würd' aus den Tiefen es drängen,
Daß ich in Dir, See, als Insel ersteh',
Die Deine Wogen umschlängen!
(S. 22-23)
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Ach ... allein ... bett' ich's zur Ruh!

Es ist heut' früher Morgen wieder
Wie einst ... ganz früh ... in grüner Au;
Blau sieht der Himmel auf mich nieder,
Wie einst erglänzt das Grün im Thau.

Ich zieh' da auf denselben Wegen,
Die ich, mit Dir, beglückt, einst ging,
Als ich im süßen Küsseregen
Bei jedem Schritt am Mund Dir hing ...

Und wieder auf der Quellenleitung,
Führt's mich wie einst mit Dir ganz früh ...
Doch was ist's heute für Begleitung,
In der dahin ich mühsam zieh'!

Ich geh' mit dem - Totengräber ... und weine;
Er trägt in einer kleinen Truh
Zum Friedhof das Kind, das unsre, das Deine -
Und ich ... allein ... bett' es zur Ruh'.
(S. 159-160)
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Es kommen die Schwalben

Es kommen die Schwalben
Schon über das Meer,
Sie brachten den Frühling,
Den grünenden, her.

Doch keine brachte
Mir Grüße von Dir!
Wie winterlich bange,
Wie bange ist mir!

Ich seh' nicht den Tag, der
So hell erwacht
Im Frühlingsstrahl aus
Der Winternacht!

Nicht seh' ich die Blüten
Am Mandelbaum,
Mich hat's nicht erweckt aus
Dem Wintertraum!

Ich seh' nur die Schwalbe,
Die kam über's Meer
Ins harrende Nestchen ...
Und das Herz wird mir schwer!
(S. 97-98)
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Schmetterlings Küssen

Es sagte dort die Blum' im Grunde,
Die erst der Schmetterling hat heiß geküßt,
Er küßte sie, weil - süß das Küssen,
Und daß sein Küssen niemals Liebe ist.

Sagt', daß er, taumelnd noch vom Rausche,
Froh flattert zu der zweiten Blume hin,
So lange Küsse - Blumen - tauschend,
Als ihn sein Flügel trägt und Blumen blühn.

- Sprich, ist es so, wie's sagt die Blume?
War dein Kuß: Schmetterlinges Kuß, ohn' - Lieb?
... Die Blume küßt noch manchen Zweiten ...;
Doch mir - die Seele an Dir hangen blieb!
(S. 104)
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Wille und Liebe

Gut. Baue der Liebe Ufer
Und dämme ihr Fluten ein!
Ein tücht'ger Geselle der - Wille!
Der zwängt sie in Ufer von Stein!

Weis' ihren Lauf er regelt
Mit Meister Verstand um die Wett',
Daß nicht sie zerstöre die Fluren
Und roll' in der Pflichten Bett -

Daß zwischen den Gardedamen,
Den Weiden sie schlängle voll Ruh,
Nur Blätter mit sich tragend,
Die die alte Weide wirft zu -

Daß sie in der Tiefe nur dulde
Den Krebs, der rückwärts geht
Und auf dem Spiegel Quappen
Und Fischlaich, der sich bäht.

Für Liebe, die solch ein Bächlein,
So schleichend, so seicht, so sanft,
Baut freilich Verstand mit dem Willen
Leicht einen Uferranft;

Doch gleicht sie dem wilden Strome,
Der tosend stürzet daher,
Den übermächtige Urkraft,
Hoch schwellt zum gewaltigen Meer!

Die reißt fort, was ihr im Weg steht -
Der wehrt keine Brücke, kein Damm:
Es stürzen am Ufer die Häuser! -
Sie entwurzelt den ältesten Stamm! -

- - - - - - - - - - - - -

Erschrick nicht, zaghaftes Mädchen
Vor diesem entsetzlichen Bild;
Dir wird das niemals geschehen;
Wie könntest Du lieben so wild?!
(S. 65-66)
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Wie ich von Dir träume

Guten Morgen! Dein war, Lieb, die Nacht!
Ich hab' im Traum mit Dir sie verbracht.
Noch hab' ich keinen Tag gesehn
Wie diesen Traum, so himmlisch, so schön!
Ach, daß eine Stunde schlagen mir möchte,
Die solche Wonne wirklich mir brächte!

Der Lenz hat über den Thalesgrund
Einen Teppich gebreitet aus Blumen bunt
Und sandte nach uns den Sonnenschein,
Sandt' aus mit Sang die Vögelein,
Das Heer der zirpenden Cicaden
Unsere Liebe zur Flur zu laden.

Wir zogen Hand in Hand hinaus
Ins offne große Gotteshaus;
Und als die Vögel ich gewahrt,
In holder Freiheit traut gepaart,
Die Blumen sah den Kelch erschließen
Dem Blüthenstaub, sich drein zu gießen:

Da zog es zu Dir mich auf den Grund -
Und nahe rückte Mund an Mund
Und immer näher ... wie war das süß!
Geschah's, weil das Denken mich verließ? ...
Der Gürtel war entzwei mir gerissen
Und mir kam der Mut: Dich zu küssen ... zu küssen!
(S. 72-73)
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Morgengruß im Schneefall

»Herzlieb, guten Morgen!« hauch' ich leis'
In den Schnee hinaus durch die Scheiben,
Daran die Flöckchen dicht und weiß
In den Lüften vorübertreiben!

Ich dank' dem Schnee, der sich mir lieh
Meinen Gruß Dir zu bringen heute!
Schneit es auf Dich durch Dein alt - Parapluie,
Denk, daß es Küsse schneite!

Guten Morgen! Wann ans Fenster Dir
Den Schnee Du leise hörst schlagen,
Weißt Du, was seine Flöckchen von mir
Dir wollen neidvoll sagen?

Sie wollen Dir sagen: mein Lieben ist rein
Wie der Schnee, der in weißen Krystallen
Hell, blendend leuchtet ins Auge hinein,
Wann frisch er vom Himmel gefallen, -

Und daß meiner Liebe solch Los nicht droht
Deß der Schnee, der blanke, gewärtig,
Mit dem verfließt der Straßenkot ...
Befleckend ihn widerwärtig! - -

Mein Lieben ja Dich umfangen hält,
Dich, den es in Reinheit bekränzet
Wie Schnee, der auf die Firne fällt,
Und im Alpenglühen glänzet! ...
(S. 24)
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Der Wassermann

- Meine Geschichte -

Ich blickte hinab auf die Donau,
Da nahtest leise Du.
Mich zog es, ins Aug' Dir zu schauen -
Ich hört' Deiner Rede zu. -

Und pflückte mir süße Blumen
Von Deiner Seel', die geglüht;
Die haben voll Zauber geduftet
Mir tief hinein ins Gemüt.

Gelauscht hab' ich und geschaut nur,
Und vergaß dabei, was ich wag' -
Und eh' ich mich konnte besinnen,
In Deinen Armen ich lag. -

Und als ich von Dir in die Fluten
Der Donau schaute hinein,
Fiel aus der Kindheit das Mährchen
Vom »Wassermann« mir ein,

Vom Wassermann, der die Kinder,
Die pflücken Blumen am Rand,
Zu sich zieht in die Tiefen ...
Mit schmeichelnder Zauberhand. -
(S. 163-164)
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Ich hätt' eine Bitt' ...

Ich hätt' an Dich eine Bitt' ... eine Bitt',
Einen Wunsch, der noch übrig mir bliebe:
O bring' mir mit, bring' Küsse mir mit,
Wie sie küßt die treue Liebe!

Und gieb sie mir dort, wo der Mond nur sie schaut,
Dort an des Waldes Saume,
Wo unsre Liebe sich ihm hat vertraut
Einst unterm Kastanienbaume! ...

Und noch eine Bitte, noch eine Bitt'
Hätt' ich neben der Einen:
Bring' Deine Küsse alle mir mit!
In der Fremde - laß ihrer keinen!
(S. 100)
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O Du gute Nacht!

Ich küsse Deiner Hülle Saum,
O Nacht, die vor die Seele mild
Mir zaubert im barmherz'gen Traum
Des fernen Liebchens lichtes Bild!

Wie süß wär' ach das Sterben mir,
Könnt' in die Ewigkeit ich gehn
Im Hoffen: wie im Traume hier
Mein Lieb im Jenseit auch zu sehn!
(S. 22)
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Ein Wort - ein Zunder

Im Briefe Dein
Das Wörtchen klein:
»Ich liebe Dich!«
Wie fesselt's mich!
Daß ich darauf muß immer sehn,
Bis mir die Augen übergehn!

Das Wort im Brief
Wie warf es tief
Mir seine Glut
In Seel' und Blut!
Vielleicht geschrieben ohne Acht,
Was hat dies Wort in mir entfacht!
(S. 12)
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Ein komischer Geselle

Ja, über dem kleinen Fenster
Da steht ein Geselle und lauert,
Als wollt' unsre Lieb' er verraten -;
Doch mir vor ihm nicht schauert.

Verhüll' vor ihm nicht das Fenster!
Er will unsrer Liebe ja dienen;
Es ist der Mond, der Vertraute,
Der zu mancher Kußnacht geschienen. -

Will leuchten zu Deinem Auge, -
Mir leuchten zu Deinem Munde!
Daß ich nicht die Stellen verfehle,
Darauf ich Dir küß' manche Wunde! ...

Ein komischer Geselle!
Er meint, daß er leuchten müßte!
Als ob ich die süßen Stellen
Im Dunkeln zu finden nicht wüßte! ...
(S. 74)
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Komm, zieh mit mir hinaus zur Stadt

Komm, zieh mit mir hinaus zur Stadt!
Fort aus den starren Mauern,
Wo Liebe tausende Feinde hat,
Die hinter ihnen lauern! ...

Komm, zieh mit mir hinaus in die Flur,
Wo Triebe mächtig sprießen,
Und im Angesichte der Natur
Sich Liebe frei darf grüßen! ...

Komm, zieh mit mir, wo das Vogelpaar
In Liebe frei sich begegnet!
Wo seinen Bund, so rein, so wahr
Allein der Himmel segnet!

Komm hin, wo Natur sich Freiheit schafft,
Höhnt menschlicher Satzung Gewalten, -
Frei keimend und sprossend in göttlicher Kraft,
Die nichts kann hemmen und halten!

Hinaus in Gottes Natur mit mir komm,
Vernimm aus ihrem Hauche:
Nicht ward erdacht das Sein, daß es fromm
In der Sitte Zwang sich verbrauche! ...
(S. 70-71)
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... Ist das Hemd mir zerrissen -

Mitten, mitten im Küssen
Ist das Hemd mir zerrissen,
Ob auch der Gurt nicht hat wollen
Mir von den Lenden rollen ...

Das Hemd mit dem großen Risse,
Der einließ mir Deine Küsse,
- Zeuge von meinem Schenken -
Bewahr' ich als Angedenken;

Bewahr' es zum Angedenken
An das heilige erste - Michschenken ...
An die reiche, die selige Stunde
An Deinem Herzen und Munde.

Nicht soll es am Leib mir mehr hangen,
Wird er von Dir nicht umfangen!
Das Hemd mit dem Riß ich verwahre -
Man lege mir's an auf der Bahre!

Daß, sollt' ein Grab mich umgeben,
Wo Du nicht ruhst daneben,
Mich umweh', wo das Hemd zerrissen,
Die Spur von Deinen - Küssen!
(S. 76)
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Tolles Zaudern

Nicht zürne mir, daß ich noch zage ...
Daß Dich mein Mund nur zaudernd küßt!
Ich blick Dir in die Seel' und frage,
Ob doch Du ... wohl der ... Rechte bist!

Nicht zürne, siehst Du noch mich kargen
Mit Küssen, ob auch sinnberauscht! ...
Kannst meinem Herzen Du verargen,
Bangt ihm, ob Lieb' um - Lieb' es tauscht?

Die Sonne dann der Erd' erst spendet
Des Sommers Glühn und Blühn und Glanz,
Bis ihr die Erde zu sich wendet ...
So wende erst zu mir - Dich ganz!
(S. 63-64)
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Send' mir Rosen

Send' mir Rosen, send' mir Grüße!
Frische Rosen, Worte süße,

Daß ich an den Mund sie drücke
Und mein Krankenlager schmücke!

Daß mich in der holden Gabe
Deines Herzens Grüßen labe!

Laß mich glauben: in den Rosen
Deine Lippen mit mir kosen!

Wenn ich bald die Stengel fasse,
Bald den Händen sie entlasse,

Laß mich glauben, daß ich Deine
Hand fühl' drücken heiß die meine!

Wenn ich mich am Dorne ritze,
Meinen, 's war an deinem Witze!

Send' mir Rosen, send' mir Grüße,
Daß ins Herz mir Balsam fließe!

Laß im Gruß mich Liebe lesen
Und ich werde schnell genesen!
(S. 103)
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Vorwurf aus empörter Seele

So? Jetzt ging Deine Lieb' zur Neige?
Und da Du sprichst, Du liebst mich nicht,
Meinst Du, von Dir die Vaterpflicht
Leicht abzuschütteln? Grausam! Feige!

Stellt ich mich Deinem wilden Triebe
Denn nicht mit aller Kraft zur Wehr,
Heiß flehend: »Hab nach mir Begehr
Nur, treibt zu mir Dich wirklich: Liebe!«?

Du warst Dir klar, daß rohem, widrigen
Gelüst ich nie mich werde leihn -
Du kanntest unschuldstolz mich, rein,
Und hatt'st das Herz mich zu erniedrigen!

Ich barg mich scheu vor Dir, voll Beben
Wie die Mimose, manch ein Jahr,
So oft Dein Wunsch genaht mir war:
Mich Dir in Liebe hinzugeben.

Da griffst Du denn durch eine Lüge
In meine gläub'ge Seele ein,
Auf daß mein keusch Mimosensein,
Dir Lust zu bieten, unterliege:

»Wer sich mir voll und ganz ergeben:
O gieb Dich mir! ich hab' Dich lieb!«
- So Deine Hand verlockend schrieb -
»Dem dank ich's tief durchs ganze Leben!«!
(S. 118)
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Wann? ...

So lang', seit ich Dich nicht gesehen!
So lang', seit ich Dich nicht geküßt,
Daß ich indessen vergessen konnte,
Wie süß Dein Kuß, wie süß Du bist!

... Ist nicht Dein Herz im Waldesfrieden
Der tiefe, frische, klare Quell,
Drein ich so gern die Seele tauche,
Weil ich mein Bild drin seh' so hell?

... Ist Deine Stimme nicht Gezwitscher
Der Vögel in des Frühlings Chor?
Trägt ins Gemüt sie mir den Lenz nicht?
Berauscht ihr Klang nicht Herz und Ohr?

Vergaß ich's? ... Gleichst Du nicht dem Himmel,
Dem blauen, wenn mich Dein Arm umfängt
Und wie der Abendstern am Himmel
Mein Sein im Kuß an Deinem hängt?

Und gleicht der Kuß ... - Dein Kuß und gleichen?! -
Ihn merkt' ich mir, der ohn' Vergleich!
Der schließt der Seele zu die Augen
Und schwebt mir ihr ins Himmelreich!

Dem Kuß gilt eine letzte Frage,
Weil ich ihn nicht vergessen kann:
- Wann tritt mit meiner Seele wieder
Die ... Fahrt er nach dem Himmel an?
(S. 99-100)
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Wozu zwei Augen mir und ein Mund

Süß ist es in der Dämmerstund'
Zu feiern von Tagwerks Lasten,
Wie der Sommertag, der Blumen bunt
Geküßt, geht abends rasten.

Doch haben zwei Augen und ein Mund
Erst kaum das Süße erfahren,
Den allersüßesten, hehren Grund,
Weshalb sie erschaffen waren, -

Und, kaum zur Thätigkeit gelangt,
Schon feiern, schon feiern, ach, müssen, -
Dich sieht nicht das Aug', das nach Dir verlangt,
Du fern dem Mund, der möcht' küssen:

Wie müßig ist solche Feierstund'
Und welche Qual, das zu wissen!
... Wozu zwei Augen mir und ein Mund
Da ich sehn Dich nicht kann, nicht küssen?
(S. 142)
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»In Andrer Sünde einwilligen«

Warum sich's küßt auf dem Waldessteig
So mutig im nächtlichen Dunkel,
Wenn durch das gespenstige Waldgezweig
Bricht leise der Sterne Gefunkel?

Der Liebe kommt der Mut zum Kuß
Erst, wird sie belauscht nur von oben -
Und Lieb', die das Menschenaug' scheuen muß,
Sie fühlt sich nachts so erhoben!

Mir ist, wenn ich zu den Sternen blick',
Die verständnisinnig mich grüßen,
Als ob sie mir sagten: »Dein Liebesglück
Nicht zu stören, die Augen wir schließen,

Und wir blicken aus halb nur geöffnetem Lid
Hinab, daß furchtlos sich finde
Die Liebe, die den Tagesstrahl flieht; -
Wir will'gen in ihre - Sünde!«
(S. 71)
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Was frag' ich nach Unsterblichkeit

Was frag' ich nach Unsterblichkeit!
Zerstäubt der Unsterbliche nicht? -
Für einen Tag voll Seligkeit
Ich gern auf sie verzicht'!

Laßt lieben mich, wie das Herz es will,
So lang es wollend sich regt!
Frommt ihm »Unsterblichkeit«, wann es still
Vermodert, von Würmern zersägt?

Nach Vollgenuß der Lebenslust
Mein durstend Herz begehrt!
Seht, wie es die Schale glückbewußt,
In langen Zügen leert!

Drum geht mir mit Unsterblichkeit,
Der Zukunft Glorienschein!
Genieß ich nur mein Stückchen Zeit,
Ist nur - das Leben mein
!
(S. 36)
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Guten Morgen!

Was mich so früh denn täglich zwingt
Auf, fort vom weichen Pfühle?
- Das Morgenrot, drin, wann es winkt,
Ich Dich, Lieb, seh' und fühle!

Wann Morgenrot ins Stübchen schlich
Die Lider mir zu erschließen,
Im süßen Morgentraum mein' ich,
Du seist es und kämst, um mich zu grüßen!

Dann stürz' ich dem Tag entgegen voll Lust,
Der Dich so früh bracht wieder
Meinem Seelenaug', - und meiner Brust
Entschäumen dann Jubellieder!
(S. 22)
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Gestörtes Küssen

Wenn mich die Sehnsucht zu Dir trägt,
Dann fühl' ich nur: ich möcht sie stillen!
Ob's auch erlaubt? mein Herz nicht frägt,
Es läßt der Sehnsucht ihren Willen ...

Und wie die Wolke, glutenschwer,
In der es zuckt und dumpf gewittert,
Zur zweiten in der Lüfte Meer
In mächt'gem Drang hinüberzittert:

So drängt mein Alles hin zu Dir,
In Eins mit Dir mich zu verschlingen!
So angstvoll und so wohl wird mir ...
Mit Küssen möcht' ich Dich durchdringen!

Und wenn sich dann ein Zufall stemmt,
Ein arger gegen solche Stunde,
Den Kuß, der auf dem Weg' schon, hemmt,
Der blitzgleich führ' von Mund zu Munde:

Scheid' ich von Dir verdüstert nicht!
Nein, wie die Wolke, die verscheuchten
Der Windsbraut Flügel, forteilt licht
Nach kurzem, glühndem Wetterleuchten! ...

Nicht trag' im Herzen ich Verdruß
Drob, daß der Zufall Dich entrissen
Vom Mund mir, eh' der Liebe Kuß
Ich süß gekonnt zu Ende küssen!

Mir ist, als segne mein Gemüt,
Der Schuld entronnen, Zufalls Unhuld ...
Trag' Sehnsucht heim, die weiter glüht
Und Seligkeit der ... der ... der - Unschuld!
(S. 62-63)
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Sündige Stimmungen

Wie's der Mond da boshaft meint,
Der mir jetzt ... ins Stübchen scheint!
Zärtlich läßt er seinen Strahl
An mir hüpfen auf und nieder -
... Hüpften jetzt mir ohne Zahl
Deine Küsse um die Glieder!
(S. 142)
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Der Liebe Kurzlebigkeit

Wie sehn' ich mir den Lenz herbei
Auf Berge, in die Thäler!
Die Liebe stiehlt die Küsse frei,
Ist Maiengrün ihr Hehler!

Dann werden Arm in Arm wir gehn
Hin in die grünen Auen,
Wo stille Gänseblümchen stehn,
Die stumm auf Küsse schauen! -

Wir küssen leise dann und laut
Dort bei den grünen Saaten,
Die Lerche, die es hört und schaut,
Die wird uns nicht verraten!

Dein Haupt mir in den Schoß dann fällt,
Am Raine dort, am grünen,
Es läßt das blaue Himmelszelt
Herunter die Gardinen ...

- - - - - - - - - - - - - - -

Indessen seh' ich zu, wie's schneit,
Erhoffend Frühlingsweben;
... Doch wird die goldne Frühlingszeit
Dein Lieben wohl - erleben?
(S. 97)
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Zum Lieben sind wir nie zu alt

Zum Lieben sind wir nie zu alt!
Wohl dem, der drob nicht streitet.
Und, so lang er durchs Dasein wallt,
Von Liebe ist geleitet!

Ob jünger, älter um manch Jahr!
Wird Lieb' um das sich kümmern?!
Was thut's, ob hier und dort ein Haar
Am Scheitel grau mag schimmern?!

Frägt Liebeslust, frägt Liebesleid,
Ob Kümmernisse haben
In's Antlitz mit dem Pflug der Zeit
Manch Furche schon gegraben?!

Ohn' Liebe leben wäre arg!
Drum altert nicht die Liebe!
Und so lang Kraft noch webt im Mark,
Besel'gen ihre Triebe!

Es liebt der Mensch, so lang er leibt
Und gleicht darin der Linde,
Die immer junge Triebe treibt
Trotz - tausendjähr'ger Rinde!
(S. 4)
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Alle Gedichte aus: Sidonie Grünwald-Zerkovitz: »Das Gretchen von heute«. Wien 1890

 

 


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