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 Eufemia von 
      Adlersfeld-Ballestrem
 (1854-1941)
 
 
 Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 
     
      
      
 Vor deinem Bild in stiller Stunde
 
 Vor deinem Bild in stiller Stunde
 Steh ich in Ruh und denke dein -
 Von deinen Lieben bringt mir Kunde
 Der letzte Abendsonnenschein.
 Den Mund, die Stirn, die lieben Augen
 Verkläret sanft der goldne Strahl -
 Gott grüße dich, geliebtes Leben,
 Gott grüß dich tausend, tausendmal!
 
 Die Abendglocke klingt herüber
 Vom stillen Thale her zu mir;
 O klänge sie durch weite Fernen
 Mit meinem Gruß zu dir, zu dir!
 Im Westen sank die Sonne nieder,
 Still kommt der Mond, die Nachtluft weht -
 Zum Himmel zieht auf Engelsschwingen
 Für dich mein stilles Nachtgebet.
 
 Unsere Frauen in 
      einer Auswahl aus ihren Dichtungen
 Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
 Von Karl Schrattenthal
 Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
 Stuttgart 1888 (S. 4)
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 Das einzige Lied
 
 Es rauscht ein Lied so hoch empor,
 Hinauf zu allen Sternen,
 Klingt über Alpengletscher hin,
 In alle Weltenfernen.
 Es tönt so wunderbar und süß,
 Hallt in den Bergen wieder,
 Dringt bis zum weiten Meer hinaus,
 Es ist das Lied der Lieder.
 
 Ich möcht' es singen jeden Tag
 In hundertfält'ger Weise,
 Bald stürmisch, klagend, bittend heiß,
 Dann wieder leis, ganz leise.
 Es sangen's Viele wohl vor mir
 Im ewig-neuen Triebe,
 Das Hohelied voll Leid und Lust,
 Das Lied von Lenz und Liebe!
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 28)
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 Der Frühling naht!
 
 Der Frühling naht, die holde Zeit,
 Schon kommt sie mit Gewalt,
 Mit Veilchenduft und Lerchenschlag
 Und grün wird Au' und Wald.
 Auch mir im Herzen grünt empor
 Der Hoffnung frohes Wort, -
 Ich hoff' auf sonnenhelle Zeit,
 Ich hoffe fort und fort!
 
 Und über aller Frühlingspracht
 Da lacht der Himmel blau,
 Er strahlt so hell und spiegelt sich
 Im Bache auf der Au'. -
 Und Osterglockentöne ziehn
 In meine Seele ein -
 Ich glaub' an dich und an dein Wort,
 Weil du der Himmel mein!
 
 Und Frühlingshauch und Frühlingsglück
 Auf jedem Halm sich wiegt,
 Bis daß die Welt in Sommerspracht,
 Im Rosenschimmer liegt.
 Ich lieb' dich, meine Liebe ist
 Der Welt gleich, groß und weit -
 Du bist die Sonne, die mir giebt
 Die schönste Rosenzeit.
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 29-30)
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 Das Glück
 Nach Edgar Allan 
      Poe
 
 Es zog vom Schloß
 Ein Ritter zu Roß
 Durch's Land hin mit lachendem Blick,
 Mit wogender Brust,
 Mit Liedern voll Lust,
 Zu suchen, zu suchen das Glück!
 
 Zuletzt ward er alt,
 Sein Herz, ach, so kalt,
 Und trüb' und gebrochen sein Blick.
 Und nirgend er fand
 Das wonnige Land,
 Und nirgend, und nirgend das Glück!
 
 Sein Muth, seine Kraft,
 Erstorben, erschlafft,
 Nur Dunkel und Nacht vor dem Blick!
 Zum Schatten er fleht,
 Der zur Seite ihm geht:
 "Wo finde, wo find' ich das Glück?" -
 
 "Hinter'm Berge dicht,
 Wo das Mondenlicht
 In's Thal schaut mit frostigem Blick,
 Reit' hin, reite zu,
 Dort find'st du die Ruh,
 Ein Kreuzlein, ein Grab, und das Glück!" -
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 31-32)
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 Du gabst mir einen kleinen Strauß
 
 Du gabst mir einen kleinen Strauß
 Orangenblüten, duftumflossen,
 Dazwischen prangt' ein Myrthenreis, -
 O ihr Gedanken, Glück, entsprossen!
 
 Der Volksmund sagt: "Orangenduft
 Vereint mit Myrth' zu heißem Werben,
 Thut nimmer gut. Welkt's Myrthenreis,
 Wirst einsam, ohne Lieb' du sterben.
 
 Den Strauß drückt' ich an meine Brust,
 Dacht' sinnend nach den Volkesmythen -
 Und jetzt - jetzt ist die Myrthe welk
 Und frisch sind die Orangenblüten!
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 33)
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 Sub rosa!
 Ein Bild aus der 
      Rococozeit
 
 Abend war's! Der Mond schien flüchtig
 Durch des Parkes Laubgewirre.
 Quellen rauschen
 Und es lauschen
 Vöglein in der grünen Irre.
 
 Lautlos lag das graue Schlößchen,
 D'rin verlosch des Lichts Gefunkel -
 Tiefer Friede,
 Alles müde,
 Stille nur und tiefes Dunkel.
 
 Dort, wo Mondesstrahlen heimlich
 Mit den Wasserstäubchen kosen,
 Blüh'n berauschend
 Düfte tauschend
 Märchenhaft die schönsten Rosen!
 
 Rosen ranken an dem Schlößchen
 Bis zum Dache hoch erhaben,
 Alle Wände -
 Duft ohn' Ende -
 Ganz sub rosa ist's begraben!
 
 Horch! Es knistert auf dem Kiesweg,
 Knistert wie von schwerer Seide,
 Um die Ecke,
 Bei der Hecke
 Nahet's im brokat'nen Kleide!
 
 Eine Dame ist's vom Hofe,
 Zauberschön und sinnberauschend;
 Lautlos fächelnd,
 Schelmisch lächelnd
 Huscht sie, in das Dunkel lauschend.
 
 Eilt zur Grotte, wo Tritonen
 In die mächt'gen Hörner blasen,
 Amoretten,
 Statuetten
 Steh'n auf sammetweichem Rasen.
 
 Geht zu Amor's Götterstatue
 Einmal lauschend noch in's Dunkel, -
 Still! Nichts regt sich,
 Nichts bewegt sich,
 Nur am Himmel Sterngefunkel.
 
 Birgt ein Brieflein, zierlich, duftend,
 In dem Köcher dann in Eile,
 Daß er's finde,
 Wenn geschwinde
 Zum bekannten Ort er eile!
 
 "Wahr's ihm, loser Götterknabe,
 Bis er's holt zur Morgenhelle,
 Süße Kunde
 Ihm die Stunde
 Zu dem rendez-vous bestelle!
 
 Schelm, doch Eins will ich dir sagen:
 Hab' auf Diskretion gebauet,
 Meiner Liebe
 Süße Triebe
 Sind sub rosa dir vertrauet!" -
 
 Leise huscht sie drauf von dannen,
 Leis und sacht wie sie gekommen, -
 Hat das Wehen
 Und das Gehen
 Kaum der Nachtluft nur vernommen.
 
 Als darauf am andern Morgen
 Hell und goldig schien die Sonne,
 Lichtumflossen,
 Glanzumgossen
 Lag der Park in Frühlingswonne.
 
 Amor hält in Rosenranken
 Seinen Köcher still verborgen:
 "Soll's bewahren
 Vor Gefahren
 Ganz sub rosa bis zum Morgen!" -
 
 Ob er's holte, dem's bestimmt war,
 Ob er's las im Sonnenschimmer,
 Ob er's küßte,
 Freudig grüßte - ? -
 Still! Die Rosen plaudern nimmer!
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 34-37)
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 Es war ein Traum
 
 Mir träumte einst von Neujahrsglockenklang,
 Er stieg wie Jubelklang empor zur Höh', -
 Der Fluß lag still in flimmernd Eis gebannt,
 Und Wald und Flur bedeckte tiefer Schnee!
 Und aus des Winters Flockenbett hervor,
 Im kalten, öden, trüben Erdenraum,
 Da blühten Rosen frühlingsgleich empor -
 Es war ein Traum!
 
 Dann träumte mir, daß er gezogen kam,
 Er, meinem Dasein hell, kometengleich,
 Wie wenn ein Meteor aufflammend strahlt,
 Ich jubelte, an Glück und Lieb so reich.
 Er brach die Rosen, winterlich bethaut,
 Zu meinem Schmuck vom weißen Waldessaum,
 Er küßte mich, und nannt' mich seine Braut -
 Es war ein Traum!
 
 Ein schriller Ton voll Leid, voll Weh und Schmerz
 War das Erwachen! - Daß so früh es kam!
 O, daß die Rosen frosterstarrt im Schnee
 Hinwelkten, das Geschick mir Alles nahm!
 Daß alles Glück hinsterben muß so schnell,
 Daß alles Glück nur Trug im Weltenraum -
 Ström' hin, mein Herz, in deiner Lieder Quell,
 Es war ein Traum! - -
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 40-41)
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 Allerseelen
 
 Am Tage Allerseelen
 Fiel still der erste Schnee -
 Da war's im Sinn mir trübe,
 Im Herzen bang und weh!
 
 Am Tage Allerseelen
 Ging ich den Berg hinab,
 Und legte frische Blumen
 Im Friedhof auf ein Grab.
 
 Am Tage Allerseelen
 War's kalt, und grau, und trüb -
 Und unter starrer Erde
 Lag meine junge Lieb'. -
 
 Am Tage Allerseelen
 Ging hin mein Frühlingstraum,
 Wie wenn der Tag sich neiget
 An ferner Berge Saum! - -
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 42)
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 Sylvesterglocken
 
 Sylvesterglocken! Sie tönen
 So hell durch die kalte Luft,
 Sie läuten das Jahr zu Grabe
 Mit Weihnachtstannenduft.
 
 Sie klingen mir tief in die Seele
 Und wecken Erinn'rung darin -
 Ihr Klingen und Tönen und Klagen,
 Es will mir nicht aus dem Sinn.
 
 Das Jahr, das scheidende brachte
 Des Wechselvollen so viel -
 Der Wind brach Blätter und Blüten
 Und trieb mit ihnen sein Spiel.
 
 Erst kam die Lieb' und ich jauchzte
 Im überseligem Glück,
 Es blühten die Rosen und meinten
 Zu trotzen dem Sturm, dem Geschick.
 
 Und aus den dräuenden Wolken
 Ein Blitzesstrahl zuckte herab -
 Da war es vorbei, vorüber,
 Glück, Liebe - sie lagen im Grab!
 
 Und eh' noch zur Sonnenwende
 Das Jahr sich herniedergeneigt,
 Da hat in fieberndem Schauern
 Der Tod mir sein Antlitz gezeigt.
 
 Doch mahnend wich er von hinnen,
 Noch eh' er mein Antlitz geküßt:
 Denk' ernst des ewigen Wortes,
 Daß Staub nur und Asche du bist! -
 
 Sylvesterglocken! Sie läuten
 Ein heiliges, ernstes Gebet:
 Wie schnell entfliehen die Freuden,
 Wie bald ist der Lenz doch verweht!
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 43-44)
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 Botschaft
 
 Frau Nachtigall, flieg' über Berg und Thal,
 Und schmettre dein süßestes Lied,
 Auf daß es mit Maiduft und Mondenstrahl
 Wie seliger Gruß zu ihm zieht!
 
 Und singe so lockend, und singe so leis,
 So süß wie noch keine je sang,
 Vom Liebestraum in dem Herzen so heiß
 Mit köstlichem, herrlichem Klang.
 
 Ich wollte, ich wäre an deiner Statt
 Ein Vöglein so frei und so klein,
 Da sänge ich laut unter Blüte und Blatt
 In die wonnige Welt hinein!
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 45)
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 In tiefer Ruhe!
 
 In tiefer Ruhe
 Lag still die Mondnacht,
 Kaum, daß ein Lüftchen
 Ging durch das Rohr -
 An meiner Seite
 Hast du gestanden,
 Dein Wort der Liebe
 Klang an mein Ohr.
 
 Doch du bist treulos
 An mir geworden,
 Du hast vergessen
 Den heil'gen Eid -
 Da ist zersprungen
 Das gold'ne Ringlein,
 Mein Herz brach mit ihm
 Für alle Zeit!
 
 In wildem Kampfe
 Liegt nun die Mondnacht,
 Gewalt'ger Sturmwind
 Braust durch die See, -
 Und wo die Rosen
 Des Frühlings blühten,
 Ist kalter Winter
 Und tiefer Schnee.
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878
      (S. 46-47)
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 Theerose
 
 Der Mondschein flimmert auf den Fluren
 Wie gold'ner Hauch auf Schneegefild,
 Der zitternd leise ros'ge Spuren
 Hinzaubert wie ein Duft so mild.
 Ein Röslein roth am Strauch im Garten,
 So schön, wie keines je man brach, -
 Des Falters will's geduldig warten,
 Der heut' zu kommen ihm versprach.
 
 Es harrt und harrt, und wird nicht müde,
 Und horcht nach seinem Flügelschlag,
 Und hört nicht, wie im süßen Liede
 Die Nachtigall leis klagt am Hag.
 O endlich kommt er, - (seine Schwingen
 Sind märchenhaft in ihrer Pracht -)
 Und - flattert hin, wo der Syringen
 Hellblühendste schon lang' ihm lacht.
 
 Das Röslein senkt das Köpfchen nieder
 Und seine Wangen werden bleich -
 Und drüben, in dem duft'gen Flieder
 Da schwärmt und flüstert's wonnereich!
 Und immer blasser wird die Rose
 Im nie geahnten, bittern Schmerz -
 O Schmetterling, dein falsch' Gekose,
 Es brach des Rösleins armes Herz!
 
 Der Mond schaut nieder voll Erbarmen:
 "Mein Röslein, sterben sollst' noch nicht!" -
 Und überhaucht den Kelch der Armen
 Mit seinem milden, gold'nen Licht.
 Als über Strauch und Baum und Blüte
 Der Morgen hell emporgeglüht,
 Da war - so lehrt es uns die Mythe -
 Theerose wunderhold erblüht! -
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 116-117)
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 Ueberredung
 
 Ach Gott, ich kann doch nichts dafür!
 's ging zu mit tausend Listen,
 Daß seine Lippen heiß und lang
 Zur Morgenstund' mich küßten!
 Ich nahm den Hut und ging hinaus
 In lichte Frühlingswonnen,
 Die Blumen blühten, und die Welt
 Schien wie mit Gold umsponnen.
 Ein lustig Liedchen klang hervor
 Frisch, hell aus meinem Munde,
 Wie thaufrisch, sonnig lag der Park,
 Welch' schöne Morgenstunde!
 Ich ging zur Bank, die unter'm Strauch,
 Wo Heckenrosen blühen,
 Zur Ruhe ladet; sie schien mich
 Magnetisch anzuziehen!
 
 Der Platz ist wirklich wunderschön,
 Er hat ihn auch so gerne;
 Fontainen plätschern träumerisch,
 Und aller Lärm ist ferne.
 Ein Sockel steht an jener Bank,
 Den eine Vase krönet -
 Man glaubt es kaum, wie sehr das Ding
 Den ganzen Platz verschönet.
 Und ich weiß nicht, warum ich just
 So im Vorübergehen
 Mich bei der Vase aufgestellt
 Und keck hineingesehen, -
 Mein Gott - da lag ein Billet-doux!
 Weiß nicht, wie mir gewesen -
 Ich nahm's auf ein Mal in die Hand,
 Und hab's sogar gelesen!
 Ich war empört, denn denket nur,
 Es war an mich geschrieben,
 Und d'rin stand viel confuses Zeug
 Von Hoffen, Fürchten, Lieben!
 Auf einmal, eh ich's mich versah,
 Da hat's im Laub geknistert,
 Und eine Stimme hat so süß
 Den Namen mein geflüstert.
 
 Ich sah mich um, war sehr erschreckt,
 Doch schwanden meine Sorgen,
 Denn er stand vor mir, jugendschön,
 Wie lichter Maienmorgen - -
 Ich wollte wirklich nicht, doch er,
 Er bat, er drohte, flehte,
 Und koste wie die Morgenluft,
 Die schmeichelnd mich umwehte.
 Am End' ist man ja nicht von Stein -
 Und er, er ist so zierlich,
 So muthig, schön und voller Kraft,
 So keck und so manierlich!
 Nun sagt mir: Kann ich denn dafür?
 's ging zu mit tausend Listen,
 Daß seine Lippen, heiß und lang
 Zur Morgenstund' mich küßten!
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 161-163)
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 Waldeinsamkeit
 
 Waldeinsamkeit! Es rieselt und rinnt
 Der Bach über moosige Steine -
 Durch Zweige und Wipfel rauscht leise der Wind,
 Waldmeister duftet am Raine.
 Und über den Bach dehnt die Linde den Ast,
 Und kos't mit den Wellen, den klaren,
 Er trägt eine herrliche, blendende Last,
 Ein Weib mit goldigen Haaren!
 
 Das ist des Waldes liebreizende Fee -
 Sie blickt in das wonnige Dunkel,
 Ihr leuchten die Glieder so weiß wie Schnee,
 Wie schwarzer Demanten Gefunkel
 Ist ihrer Augen hellstrahlender Schein
 Mit weicher, sammtartigen Tiefe -
 Ist's nicht, als ob d'rin verborgen, allein,
 Ein süßes Geheimniß schliefe?
 
 Und wonnevoll singt sie ein leises Lied,
 Es rauschen den Chor die Bäume,
 Das Bächlein aber murmelt und zieht,
 Und wecket sehnende Träume!
 Und goldig bricht hellstrahlendes Licht
 Durch dunkeles Blättergewirre,
 Es küßt der Waldfee holdes Gesicht,
 Und huscht durch die träumende Irre!
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 164-165)
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 Dornröschen
 
 Sie hat wohl hundert Jahre
 Geträumt unter Rosen und Dorn,
 Ein Königssohn kam dann gezogen
 Und stieß in sein goldenes Horn!
 
 Er küßte die Schläferin leise,
 Die Königstochter gar fein -
 Da ist sie erwacht, und gezogen
 Mit ihm in die Welt hinein.
 
 Die Poesie ist Dornröschen
 Süß schlummernd, von Dornen gedeckt,
 Der Königssohn ist die Liebe:
 Sein Kuß hat sie aufgeweckt!
 
 Aus: Tropfen im Ocean
 Dichtungen von Eufemia Gräfin Ballestrem
 Dresden C. Pierson's Buchhandlung 1878 (S. 171)
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      Biographie:
 
 Am 18. August 1854 kam Eufemia in Ratibor in Oberschlesien als Tochter des 
      Landschaftsdirektors Alexander Graf von Ballestrem und seiner Frau 
      Mathilde geborene von Hertell zur Welt. Ihre schriftstellerische Kariere 
      begann 1876 mit dem Novellenband „Blätter im Winde“. Nach dem Tod ihres 
      Vaters (1881) bereiste sie mit ihrer Mutter Italien, wo sie sich als 
      Porträtmalerin ausbilden ließ. 1884 heiratete sie in Breslau den 
      Rittmeister Josef von Adlersfeld (1845–1907), ein Jahr später wurde ihre 
      Tochter Dagmar (1885–1953) geboren. Eufemia verstarb am 21. April 1941 im 
      Alter von 87 Jahren in München.
 Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem gehörte zu den beliebtesten 
      Unterhaltungsschriftstellerinnen ihrer Zeit, zahlreiche Werke wurden 
      veröffentlicht. Neben mystischen und unheimlichen Erzählungen schrieb sie 
      Biographien. Für „Maria Stuart, Königin von Schottland“ wurde sie 1889 mit 
      der goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet. Sie war 
      Herausgeberin des „Jahrbuchs deutscher Kunst und Wissenschaft“ und 
      arbeitete als Übersetzerin historischer und lyrischer Werke. Sie war 
      Ehrenmitglied der Societé Archeologique de France und Mitglied der 
      Accademia letteraria dell´ Arcadia.
 Zu Ihren berühmtesten Werken gehören: Haideröslein (1880), Der Falkner vom 
      Falkenhof (1890), Die weißen Rosen von Ravensberg (1898) und Trix (1903). 
      Einige ihrer Werke wurden verfilmt u. a. Die weißen Rosen von Ravensberg 
      (1919 und 1929).
 Zwischen 1960 und 1980 erschienen einige gekürzte Neuauflagen ihrer 
      Veröffentlichungen.
 Aus:
      
      http://www.ballestrem.de/30-Eufemia-v-Adlersfeld-Ballestrem.html
 
        siehe auch:
        
        http://de.wikipedia.org/wiki/Eufemia_von_Adlersfeld-Ballestrem 
      
      
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