Frida Bettingen (1865-1924) - Liebesgedichte

Frida Bettingen

 


Frida Bettingen
(1865-1924)

 

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:


 

Verstummen

Ach, wer kennt
die leidvollen Liebesströme,
die von feinen Händen betreut, verstummen,
weil sie rein und schön
ihr gewaltges Leben
hinopfern wollen.

Sieh, sie sinken trauernd zurück, und schlafen,
wie die Wasser moosüberwachsner Bronnen
in den Höfen einsamer Königsschlösser.
- - - - - - -

Niemand wird schöpfen.
(S. 15)
_____

 

Blühende Bäume

Blühende Bäume,
Gewölk aus Glanz und Duft.

Eine Schwarzamsel baut,
hüpfend im Zauberwald
bei den goldenen Bienen
schon ihr heimliches Nest,
und singt!

Ruhevoll atmet der Wind.
Wie von fernen, geahnten Ländern kommend,
atmet der Wind.

Meine Augen sind Pilgrime,
windgereift. Und durchsonnt:
Schön ist Deiner Hände Werk!

Meister,
mein Meister!
(S. 50)
_____


 

Wenn sie Dich nennen

Dein Name!
Mein Geliebtes, Du! – Du fragst mich, wie das sei?

Wie ein Komet am Himmelsrande
flammt er auf.

Fern allem irdischen Gewühl,
auf Wolkenbahnen, die sich selbst nicht kennen
steht mein entzücktes Herz.

In seines Schicksals hirtenfrommen Glanz gehüllt.

Dann sammelt es heimatlich
langsam – langsam -
Goldbrand und Glitzerstaub
in seine Tiefen ein.

Süßester Friede ruht.
(S. 71)
_____


 

Hölderlin an Diotima

Du bist so gut.
Du riefst den Heimatlosen.
In Deine kerzenhellen Säle riefst Du ihn.
Nahmst, Liebliche
den Wüstenstaub
von der durchstürmten Brust,
und richtetest den Pilgrim zärtlich auf.

So kniete ich,
der immer Suchende,
und schloß die Augen;
denn das Glück, es blendet.

Und alle Deine Lampen brannten heller.
Und alle Deine Blumen sagten Süßes.
Und alle meine Sehnsüchte verstummten.
Und wußten nichts mehr voneinander, - nichts!

Denn Du warst da.
Und keines noch.
Nur Du.

Wie unermüdlich jung ist Dankbarkeit!
Die Gabeselige. Die immer Frohe.
Die süße Wurzel, die die tausend Keime
ihr anvertraut, in wenig Tag und Nächten
empor in Stamm, und Ast, und Knospe drängt,
daß sich die Zweige rosenübersät,
Dir bücken,
und samtne Früchte, purpurn, und voll Schmelz
in gleichem Atemzuge sich an Dich verlieren.

Kennst Du die holden Boten?
Kennst Du sie?

Staunen. Hingebung. Die gläubige,
die Demut.
Und noch unbewußt
das königliche Kind,
die Liebe?

Ach, wer liegt, wie ich
in Hunderten von stummen Nächten,
und schickt sie aus zu Dir.
Und schickt, und schickt!

Oh, bleibe, wie Du bist!
So liebend, und geliebt.

Du bist so klar, gelassen, wonnesam,
wie Deine rosenseidnen
Gewänder durch den Sommergarten gehn.

Auf welchen Sternen sind wir uns begegnet!
Du, mir vertrauter,
als mein eigen Haar, und Hand, und Angesicht?

Ein Keim,
und eine holde Schale hat
uns die Entfaltung Brust an Brust gestaltet.

Sag mir, Natur,
wo brachst Du unsre Schale?
Du Neidische!
Wie hast Du uns getrennt!

Darf ich auch niemals mehr als Freund Dir sein,
ich hab nur Dank. Ich habe keine Träne.

Ich baue meine Schmerzen in mir auf
zu einem Gnadenbilde,
das mich beschenkt.

Oh, edles Feuer meiner Lieder überwachse
den Sterblichen!

… wie unermüdlich jung ist Dankbarkeit.
(S. 51-53)
_____


 

Du mußt das Herz

Du mußt das Herz, das nach dir krankte, hegen,
wie eine Blume, die im Keller litt.

Wie eine Welle, die vom Meer gesondert,
sehnsuchtgeschüttelt über Steine glitt.

Wie eine Stimme in der stummen Geige,
die ihrer Zauberformel harrte, Tag um Tag -

Du mußt es sacht in eitel Sonne legen,
daß es an Sonne wieder glauben mag.
(S. 2)
_____
 

 

Deine Liebe ist die fromme Legende meiner Seele

Ein Stern stand über dem Walde.
Ein einziger, großer, wundervoller Stern.
Die Waldnymphe staunt:

Wie schön bist Du!
Dein Gang ist lauter.
Deine silbernen Strahlen
sammelt mein Herz.

"Liebliche" sagt der Stern.

Meine Bäume bröckeln auf
zu süß duftender Rinde.
Alle beugen sich ein in Deinen Glanz.
Meine Bäume schlafen nicht.
Aus ihren geheimnisvollen Seelen tropft Blut.
Schweres, süßes, goldenes Blut.

"Liebliche" sagt der Stern.

Ich stehe auf der zaubersamen Regenbogenbrücke.
Meine Augen sind Glanz.

Du wohnst ferne von mir.
Um die Tore der Wolken
wo Du wohnst
flattern die Lieder
meiner Heimat.

"Liebliche" sagt der Stern.

Deine Liebe ist die fromme Legende meiner Seele.
(S. 56)
_____

 

Erde und Himmel

Erde,
nicht lange mehr
dann bitte ich Dich: Nimm!

Was Deines Teiles ist,
nimm, gute Erde, nimm!

Bleiche, zermahle, forme wieder,
- wie Du es machst, ists gut.
An Deiner ewig frühlingsfrischen Brust
zwitschert das Leben.

Du kränkst mich nicht, Türhüter Tod!

Zwar schuldest
Du mir noch manches, schöne Erde,
manches.

Ich duldete. Ich litt.

Doch, wenn mein Herz,
gebückt, zerpflückt,
getrieben von Befehlen
fremder Gesetzestafeln, die es nicht verstand,
in die Gewebe seines Schicksals brach,
und haderte in seiner Stummheit Kerker,
sprach ich begütigend, mit hellen Blicken:

Lebe! Mein Herz
bewohne Deinen Traum.
Verebbtest Du,
ich würde Dirs nicht danken!

Vom Urgefühl des Lebens so durchsonnt,
Schmerz, namenloser Du,
Schmerz,
nicht mehr Schmerz,
der Liebe Liebstes Du,

weit über Werden und Vergehn.
Glutmelodie, beseelt emporgetrieben.

Selige Lindigkeit,
wenn Gottes Finger
die wunde Brust berührt. Erschüttert. Formt.

Herz,
Quell erhabener Kräfte!

Wie es in Demut hingebeugt
Euch, schwebende Sekunden
empfängt, gebiert, hinausstößt,
wiederum
in blanken Spiegeln einfängt,
fromm erschauernd:
"Gott," stammelt "Gott!"

Und so zum machtvollen Akkorde
der ewigen Bejahung schwillt.

Quell du!
Erhabener Quell!
(S. 74-75)
_____

 

Elegie

Ewige Liebe,
Du große Bildnerin.
Deines Geistes göttlichen Hauches
willige Form bin ich.
Beglückt, und beglückend.

Aber eine Träne sei mein.

Die schlummre als ein Tropfen köstlichen Taues
im Schoße einer, unter abendlichen Himmeln
fromm sich faltenden Blume.

Droben,
in klarer Almluft.
Bei den schaukelnden Gräsern.
Wo die Psalmen der Berge lobsingen.

Denn Du gabst mir, mein Gott
schweigsamer Träger zu sein
eines, in erhabener Zucht gereiften,

duldenden Herzens.
(S. 33)
_____

 

Wenn die Hirsche schrein

Fern auf rötlichem Getreide wiegt der Abend sein Gesicht.
Silbern tastet schon die Schneise.
Ungewisser huscht das Licht.
Alles schweigt.
Nur im Gehölze
röhrt es. Herbe geht die Luft.
Alle Nebel flocken heller.
Glanzbeschlagen sinkt der Duft.

Da,
ein Schrei aus tiefstem Basse.

Auf der blauen Lichtung stockt
jeder Schritt, wie eingegraben.
Jeder Sinn, wie angepflockt.

Dampfend steht die treue Dogge.
Nerv ist Alles.
Alles Ohr.

Still!
Der liebekranke König unsrer Wälder
bricht hervor.
(S. 10)
_____

 

Der Zaubergarten

Herbstnebel dampft.
Aber ich stehe in meinem Zaubergarten.

Auf den mattbesonnten Terrassen
knien die Schleppenträger des Sommers.
Lichtbewegliche Pagen,
purpurn, prangend.

Bald wird die Nacht ihre seidnen Kehlen zerdrücken.

Aber wer wird trauern,
wenn Gottes Nachtigallen
in Rauhreif und blindem Strauchwerk wohnen.

Sie singen.
Oh, wie sie singen!
Tausendfarbig sprüht der wolkige Morgen auf.
Alle Goldaugen spiegeln sich ein in mein Herz.

O Himmelsbürde!
Gott, wie beschenkst Du mich!

Ich stehe im Himmel Deiner Liebe.
(S. 102)
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Priesterin ewig unnennbarer Liebe

Ich bin durch ein zartes Herz hindurchgeglitten
in das erhabene Herz der Erde.

Ich bin aller Dinge Wesen, Wanderschaft,
Abendziel, Geburt und Sterbegebärde.

Ich bin Sättigung aller Meere, und Durst.
Oh, meine Freunde, dürstet!
Heiliger Durst beseelt …

Ich bin mit Acker und Menschengebeten
und dem All-Odem der heiligen Sterne
vermählt:

Priesterin ewig unnennbarer Liebe.
(S. 72)
_____

 

Der Waldquelle

Ich lausche, silberfüßige Gespielin.
Du meerestiefer Sang der Erde.
Du Himmelsruh.

Gebräunt von jungen Sonnen,
und eines milderhöhten Schicksals flammender Gebärde,
lausch ich Dir, dauernd Liebliche, Waldseele Du.

Du bist Erdwurzel und Auferstehungswind.
Alle Dinge sind aufgefaltet
in Deine lichten Hände gegeben.

Du bist Leben.
Du bist Schönheit. Buntflatternder Wechsel. Tiefstes Leid.
Alle goldbeblätterten Stufen der Stunde
erblinden vor Dir.

Du bist Ewigkeit.

Ein Vöglein streifte im Fluge
den kleinen Turm Zeit.

Ich bin bereit.
Die Rufe meiner Seele trinken Deine Träume.
(S. 65)
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Ich möchte so gern

Ich möchte so gern
mein Gesicht in Deine Hand legen,
ein kleiner Flaumvogel sein
im schützenden Nestwall,

und dann wag ich es nicht.

Ich möchte so gern
Deine süßen Augen küssen,
daß sie schliefen einen Augenblick bei mir,

und dann wag ich es nicht.

Ich möchte so gern
Deinen Herzschlag hören.
Dein Herz hat so viel stolze Wände.

Ob es wohl Holdes von mir spricht? -
Alles möchte ich!
Alles!

Aber es wird nur ein zages, kleines Gedicht.
(S. 5)
_____

 

Ich weiß eine Bank

Ich weiß eine Bank,
- nicht weit – nicht weit -
Komm mit, -
ich finde sie wieder.
Von Goldgehänge überdacht.
Und duftendem blauen Flieder.

Der Garten träumt seinen Mittagsschlaf.
Wir schleichen auf seidenen Sohlen.
Wir schleichen durch den heißen Sand
verstohlen – komm mit – verstohlen.

Die Sonnenuhr blinzelt,
- vorbei – vorbei -
Goldbienelein tränken sich träge.
Stumm! Stumm!

Nur ein einziger zitternder Laut:
Meines Herzens hellsingende Schläge.
(S. 4)
_____

 

Immer steh ich am Fenster

Immer steh ich am Fenster,
die Schwalben ziehn.

Ich seh nicht, die mich liebhaben,
ich seh immer nur Ihn.

Oh, meine arme Seele,
wohin sollen wir fliehn!

Ich möchte gut bleiben, lieber Gott.
Hol mich in Deinen Himmel, lieber Gott.
Dann hat ein Ende die schwere, schwere Not.
(S. 3)
_____

 

Psyche

Immer zarter denk ich an Dich
Rosenhaus.

Wo jetzt vielleicht schon
die Küsse der Erde,
sanfter bewegt,
wie im brausenden Frühling
erwachen.

Über Schmelz und Ahnen
der ruhig atmenden Gärten
schwebe ich.

Braun und entblättert
schwanken die Nester
der Zaunkönige.

Und im gläsernen Sarge
des Rauhreifs,
der Mandelbaum schläft.

Ruhevoll schwebe ich.

Sieh, alle Anmut
zärtlich verhaltener Liebe
schenkte ich Dir.

Ich entschwebe.

Aber ich weiß mit süßer
Gewißheit,
daß mein Name lauteren Goldes
geschrieben steht,
im Herzen des Freundes.

Alles war nur ein Traum,
Rosenhaus!

Liebes, liebes Rosenhaus.
(S. 122-123)
_____

 

Kalypso

Mir abgewandt,
so steht er Tag für Tag,
die Augen spähend,
auf dem Wasser wohnend.

Das ist Odysseus nicht.
Nicht der Odysseus,
der unter meinen Küssen zögernd schmolz
aus der Erstarrung,
und der Planken Haft,
wähnend, daß alles nur ein Trug, ein Traum sei.
Nicht der Odysseus, der gerettete,
der lange noch in jeder meiner Locken
die schwarzen, schweren Wellen fühlte.
Und das Grauen.
Um endlich dann,
ungläubig, und beschenkt,
an meinem frohen Herzen
zu erwarmen.

Das ist ein fremder, kummervoller Mann,
der wie ein Meeresvogel,
landverschlagen,
im Sande mit gebrochnen Schwingen hockt,
den Duft, den Salzschaum,
und den Schrei der Meere
begierig schlürfend …
Seltsames Geschlecht,
das sich in seiner Seele
die bittren Leiden selbst gebiert
und davon zehrt.

Mir abgewandt,
so steht er Tag für Tag.
Das Herz geschwellt.
Zugkräftig eingebrannt
in jeder kleinsten Wasserschwalbe Flug.
Die Augen auf den weiten Wassern wohnend,
bis sie sich schmerzend an die mitleidlosen
Gestirne hängen.
Und der Tag versinkt.

Dann, finster, mit zerwühltem Angesicht,
Gram über Gram in den geliebten Zügen,
bringt ihn die Nacht,
doch mich beschenkt sie nicht.

Mir fällt die Spindel.
Mein Gesang verstummt.
Die Schatten der Unsichtbaren walten.
Aus ihren dunklen Netzen quillt
die rätselhafte Last geliebter Bilder.
Und wirft sich auf. Und springt an seine Brust.

Die Düfte, hingeschüttet im Gesträuche,
der Vögel Lockruf im Zitronenbaum,
der Rosenschauer sanftestes Gewölke,
ja, selbst, was allen Göttern köstlich wiegt:
Kalypsos goldgestickter Gürtel sinkt
auf Seidendaun und Purpurdecken hin -
wertloser, als ein frostgeschlagner Halm -
und macht vor diesen stummen Augen Halt.

Odysseus, geh!
Geh – sage ich, Odysseus - -
Das Mitgefühl,
des Herzens schönste Blume,
hinwachsend
über alle Himmel, Dir geschenkt
reckt sich empor.
Und heißt Dich gehn!
Du sollst nicht länger leiden.
Lebe wohl!
Die Arme der Erfüllung öffnen sich.
Schon jubelt der beseelte Wunsch empor.

Geh! Geh!

Zum erstenmal vermisse ich die Träne.
Nimm aller Sterne Licht dafür.
Leb wohl.

Die Dich mir zugewiegt,
seltsamer Traum der Welle,
entführ Dich wieder!

Es legten sich die zeitlichen Gewänder
zu lange schon um dieses Herz. Leb wohl.

Kalypso scheidet sich von Dir.
Leb wohl.
(S. 18-20)
_____

 

Der Ruf

O Du,
dessen Ruf
über den Schlaf der Sinne hinging,
wie ein Schmetterling
über Felder der schlafenden Blumen geht,

- Eine küßt er,
Hundert erwachen -

Jede Minute staunt,
und zaudert,
und trennt
sich errötend von ihrer Schwester
die Dich nennt.

Alle nennen Dich.

Alle Pfeiler meines Hauses schweben,
und recken sich,
und sprechen Deinen Namen.
Aller Atem
in eines friedlichen Lebens Rahmen
ist breit hingestellt
in ein fremdes, bezauberndes Licht.
Alle Dinge in meinen Zimmern

sind Dir untertan
Und schimmern.
Bücher und Bilder,
und Blumen, und Geschenke,

keines! daß Dich nicht denke!

Über meinen demutgebeugten Nacken
rollt Licht.

- - -

Ich kenne mich nicht.
(S. 8-9)
_____

 

Wie zu einem Bruder

Oh, daß ich zu Dir kommen dürfte,
wie zu einem Bruder!
Ganz leise und gläubig
wie zu einem Bruder!

Du kennst die sonnenseligen
Sagen meiner Augen.

Du würdest gut sein.

Du würdest Goldaurikel
mit sammetweichen Schleppen
in die Bogenfenster
Deines Hauses stellen,
wenn Schmerzenswolken
mein Herz umdunkelten.

Du würdest weiße, träumende Waldanemonen,
die ich so liebe,
über Teppiche und Diele streun.

Waldanemonen!

Alle meine jungen Sommer
verschliefen sich in ihren Kelchen.

Darum ist mein Herz so verwandert.

Pfingstbirken rauschen auf,
wohin es geht.
Und heißen doch
seiner Kindheit treusame Gespielen schon.
Schlaf, Mariengarn, rostroter Blätterwald.

Das macht, daß ich leide.

Oh, wie gut würdest Du sein!

Alle weichen Wege münden in Deine Hand.

- - - - - - - - - - hingehen
wie zu einem Bruder, - -
- - - - - - - - - - - - - - - - -
wie zu einem Bruder.
(S. 77-78)
_____

 

Rote Ebereschen. Graue Tage

Rote Ebereschen. Graue Tage.
Lodernde Fackeln im Dämmerland.

Hat in die Armut der klanglosen Klage
Schönheit ihr leuchtendes Siegel gebrannt?

Seid ihr es,
Küsse der sonnigen Schwestern,

oder der düstere Brand einer Frage
an das Heute, das Morgen, das bleierne Gestern?

Rote Ebereschen. Graue Tage.
(S. 6)
_____

 

Sappho

Einführung

Sappho wandelt sinnend,
gesenkten Hauptes.
Der Zitronen duftende Wälder schatten.
Zärtlich fällt der Schlaf
um die jungen Schultern
ihrer Gespielen.

Sappho schaut auf.
Über die Lieblichen hin zum
schweigenden Himmel.


I.

"Schlummert, schlummert,
liebliche Kinder!

Samtene Nacht,
verhüll Deine blitzenden Sterne.

Fester umschließt den flüsternden Tau,
Ihr Kelche.

Herz,
jetzt sind wir allein.
Jetzt blende Dich nicht mehr:
"Phaon – Phaon – Phaon -!"

"Eilet Ihr Rufe, -
schwebet – schwebt –!

Ach, Du neigst Dich,
schöner, bräunlicher Knabe,
tränkst am Herzen Melittens
mit süßesten Tränen die Rose.

Wehe!
Ich fühl es.

Zärtliche Hingebung,
schwer ists,
immer und immer Dich meistern.

Hier schützt nicht der Purpur,
der Stirnreif,
der grünende Lorbeer.

Niemand kennt die hingelagerten Schmerzen, -

Niemand - -

Hilf, Aphrodite!"

II.

Ich spreche:

Strömet strenger, Meere.
Laue Lüfte,
sänftigt des Myrtengewölkes
Lockruf!
Oh, entzaubert mir Sappho,
die Fesselduldende!

Leichtbewegliche Rosenwinde
wandert, -
milde Botinnen – wandert
hin zur verödeten Laute.

In der Götter Geschenke
süß ists,
Wohnung zu nehmen.

Oh, entzaubert mir Sappho!

Oder sonst, Fährmann, zimmre, zimmre
den leichtesten Nachen.


III.

Moosbank mit Phaon und Melitten.
Sappho betrachtet sie schweigend.
Morgenkühle.

Heilige Kunst.
Ich diente den Sternen.

Aus der Möwe schimmerndem Flaumschnee
richtete Sappho
sich die Spaliere der Zucht.

Nicht um eines Schmetterlingflügels
seidene Spanne
stieg ich herab.

Hell brannte die Sonne.

Und ein Knabe, -
die Hand eines Knaben …

Sappho,
riß ein Tag,
ein einziger Tag Dir die Flore!
Wer verknüpft Euch,
brennende Schmerzen?
Wer zerteilt Euch?
Wessen Geheiß ists!

Grüble nicht mehr,
stolzgegürtetes Herze,
grüble nicht mehr.

Nur in darbender Seele
wirken die Götter.


IV.

Säulengang, offnes Meer.
Einsam schaukelt die Laute.
Sappho ernst hinschauend über
das Meer.

Sterben, wie wärst Du jetzt lind.
Ein Sprung, -
und die ruhevoll atmende Meeresbläue
schenkte mir Frieden.

Aber das Leben,
die schwebende Schale,
tiefer gebeugt von himmlischen Lasten
wie die der anderen Träger,
- ich fühls -

leer, auf eignes Geheiße,
leer
zu den goldenen Stühlen der Götter heben,

Nein!

Sappho,
einmal kommen auch Dir
die purpurnen Röten,
wo die schweigenden Parzen
den Faden zerschneiden.

Hebt die Laute, betrachtet sie
sinnend.

In Dir wohnt mein Herz.

Schaffende Fernen, - ich fühls -
Über die Täler unnennbarer Schmerzen
reicht Ihr mir wieder
die ewigen Seile.

Goldklare Gewirke
von Sternen zu Sternen.

Zur Laute gewandt.

Komm, Trösterin, komm!

Seele, begnadete Seele,
zögre nicht mehr,
süßeste Demut,
zögre nicht mehr -

Leb Dich an ihnen empor!

Ich schwebe. Ich schwebe.
Oh, heilige Kunst!

Lasten fallt ab!

Die Götter, die frommen
sie rufen!

Ich komme!
- - - - - - - - -
Ich komme!

Zweimal verhauchend.
Immer entrückter steigen die
seligen Klänge hin über das
blaue, ruhevoll atmende Meer.
(S. 84-89)
_____

 

Maria Magdalena

I.

Sie sahen alle nur
die silberne Barke Deines schönen Leibes,
wie sie schwankte.

Hinabgezogen
in Schlamm und Farbwasser.

Alle sahen sie nur
das geätzte Mal im Nacken.

Keiner sah das Herz,
beladen
mit der Urkraft seiner Liebe.

Da schlugst Du
den bittren Herrenmantel
Deiner Schönheit
um die sieghaften Schultern.
Recktest Dich ein
in brennende Goldwolken.
Und vergeudetest Dich.

Aus den Ringen
Deiner weißen Finger
sprühte das Raubtier.

Das zerdrückte die Herzen.
Wie Du es wolltest.

Aber, als Er, der Wundersame
Dir begegnete,
standest Du reglos.
Reglos.
Eingehüllt in seinen Blick.

Über die dunklen Gewässer
wehten die Rufe
der ewigen Meere.

Da erkanntest Du
den zertretenen Burggarten
Deiner Seele.

Und weintest laut.


II.

Unter dem Kreuz. Und es ward
eine Finsternis über Jerusalem

Und als Dein Herz
den Flammenkreis der Schmerzen
überschritt,
standen Deine Augen sehend
in die Finsternis.

Überstiegen wolkenweit
Würfelgezänk. Zweifel.
Klagschrei. Tod.

Deine Seele,
Deine duldende Seele,
Deine arme, mißhandelte Seele
ein einziger, einsamer weißer Stern
inmitten des Lärms.

Sie ruhte.
Sie mündete in Gottes Hand.

Ferne – ferne -
unter jungen Ostersonnen
wandelte des Heilands
lichte Gestalt.
(S. 90-92)
_____

 


Alle Gedichte aus: Frida Bettingen Gedichte
Bei Georg Müller München 1922


Biographie:
Bettingen Frida (geb. Reuter) geb. 5.8.1865 Ronnenburg / Thür. gest. 1.5.1924 Jena; aufgewachsen in Altenburg, lebte 24 Jahre in Krefeld, danach in Jena. Zwischen 1917 und 1923 in psychiatr. Sanatorium (Psychiatr. Klinik Jena). Lyrikerin.
Schriften: Eva und Abel, Kriegsjahr 1918, den Müttern zugeeignet, 1919.
Gedichte 1922. Himmelsbürde 1936.
Literatur: Raabe, Expressionismus 63; E. Backmeister, Bettingen (in: D. Innere Reich I) 1934-35; W. Falk Schmerz und Wort. Eine Studie über Bettingen als Dichterin des Schmerzes (Diss. Freiburg /Br.) 1957.
B. Keith-Smith, Bettingen and Bess Brenck-Kalischer (in: German Women Writers 1900-1933. 12 Essays) Lewiston 1993

Aus: Deutsches Literatur-Lexikon. Das 20. Jahrhundert. Biographisches und bibliographisches Handbuch. Begründet von Wilhelm Kosch, fortgeführt von Carl Ludwig Lang. Band II K.G. Saur Verlag Bern und München 2001

___________

Frieda Bettingen geb. Reuter
geb. 5.8. 1865 in Ronnenburg (Thür.) gest. 1.5 1924 in Jena
Vater Finanzrat Karl Reuter. Sie wuchs in Altenburg auf.
Geheiratet Altenburg 1885 Gymnasiallehrer Franz Bettingen in Krefeld.
Schwere Todesfälle in der Familie, Vater und Zwillingsbruder, der Sohn fiel 1914.
1921 kam sie in die Psych. Klinik nach Jena, nochmals zurück, 1923 wieder hin und starb dort.

Aus:Elisabeth Friedrichs Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jhs.
J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1981


 

 


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