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Clara Blüthgen
(1856-1934)
Inhaltsverzeichnis der
Gedichte:
Wiedersehen
Elektrisch Licht und vielgestaltig Schwirren
im weiten Saal – Musik und Gläserklirren.
Gespräch und Lachen rings; blumendurchdüftet
die heiße Luft von Parfüm vergiftet.
Im großen Spiegel dort, nur halbverhüllt
durch Sammetportieren, welch ein eignes Bild!
Ein hoher Mann, breitschultrig; im Gedränge
um Haupteslänge ragend aus der Menge.
Zuckend der Mund, der Brauen stolze Bogen
in Hohn und Schmerz qualvoll emporgezogen.
Und sieh, an seinem Arm hingebend hängt
ein zartes Weib, hilflos an ihn gedrängt.
Klein von Gestalt, mit Augen sanft und müd,
anmutig noch, doch vor der Zeit verblüht.
Mit Fieberrosen auf den hagern Wangen,
so steht sie da, verschüchtert und befangen.
Sie ist sein Weib. Doch jene Andre dort?
Man tauscht mit ihr beflissen Gruß und Wort -
Schlank von Gestalt, so stolz und ernst wie er,
Herbe der Mund, die Stirn gedankenschwer -
Es formte ihre ragende Statur
nach gleichem Maß wie seine die Natur.
Und mächtig loht, in so verwandter Hülle,
gleiches Empfinden, unbeugsamer Wille.
Zu ihm gehört sie. Übermächtig siegt
doch das Gesetz, das Gleiches Gleichem fügt.
Sie ist im Recht. Das Weib an seinem Arme
ist die enterbte, mitleidswerte Arme.
(S. 44-46)
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Komm!
Komm!
Setze Dich nieder an meiner Seite
und Deine beiden Hände breite
mir über die Stirne
und über die feuchten
Augen.
In meinem Hirne
sieht's übel aus,
ich will es Dir beichten.
Laß die Hand auf den Augen, den müden. -
Sieh – ich mag nicht mit Worten spielen,
Du mußt es so fühlen -
All die Gedanken die Dich verklagen,
die Stimmen, die Dich zu lästern wagen,
Besprich sie zum Frieden. - -
Deine Hand, Deine heilige Hand,
die mir das Messer ins Herz gerannt,
Wie ein Kind, das die schneidende Waffe nicht kennt,
nicht weiß, daß Feuer brennt,
laß sie ruhn auf der fiebernden Schläfe.
Komm!
Rücke näher heran,
Du geliebter Mann -
Ganz nahe, ganz dicht sollst Du sitzen,
mich vor Dir selber beschützen - -
daß uns ein Blitzstrahl jetzt träfe!
(S. 42-43)
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Brautlied
Komm her zu mir! Im wallenden Gewande,
Umweht vom Nelkendufte harr ich Dein.
Komm her zu mir! Wir sind im Zauberlande,
der Mittag brütet rings - wir sind allein.
An meinen Busen lehne Deine Wangen -
so sanft ward nie Dein Dichterhaupt gewiegt;
so haben keine Arme Dich umfangen,
so hat kein Herz an Deines sich geschmiegt.
Belausche dieses Herzens mildes Regen
und seine Wünsche sprich sie hold zur Ruh.
Sieh! Meine Lippen blühen Dir entgegen
und meine Seele duftet Deiner zu.
Nicht traure um die Jahre, die entschwunden:
Jung wie das erste Weib im Paradies,
von Liliths Zauber bin auch ich umwunden,
wie jener Küsse sind die meinen süß.
Sprich nicht von Herbst. Nimm atmend warmes Leben,
Erneute Jugend saug aus meinem Kuß.
Komm her zu mir! Noch hab ich reich zu geben -
erschauert's Dich in diesem Überfluß? - -
(S. 43-44)
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Nachklang
Rose der Liebe, in Schuld entsprossen,
in Qual erblüht, mit Thränen begossen,
o laß an Deinem Duft mich berauschen -
die Seligkeit sollt ich um Alltagsglück tauschen?
Ich will kein langes, kein reuloses Glück,
Vollwonne nur einen Augenblick.
Mein heimliches Glück, einer andern geraubt,
mein ist es dennoch, stolz heb ich das Haupt,
von der Sitte verdammt, von der Welt getadelt,
durch Sünde geächtet, durch Liebe geadelt.
(S. 41-42)
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Naturgesetz
Zwei reißende Ströme, die fluten und fließen,
um sich gemeinsam ins Meer zu ergießen -
Zwei himmelaufsprühende, lodernde Flammen,
im heiligen Feuer schlagend zusammen -
Zwei Wetterwolken, die sich begegnen,
Im Frühlingsgewitter die Welt zu segnen - -
Dein Herz und mein Herz, die jubelnd sich finden
Im Muß? Im Wollen? Wer mag es ergründen!
(S. 41)
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Alle Gedichte aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt bei Hermann Costenoble Berlin 1902
(Nach Angaben des Herausgebers Paul Grabein sind diese Gedichte z.T. dem
Gedichtband: In Seeleneinsamkeit (Verlag von Eduard Moos Leipzig [1897]
entnommen)
Biographie:
Clara Blüthgen (geb. Kilburger, Pseud. bis 1900 C. Eysell-Kilburger)
geb. 25.5.1856 Halberstadt gest. 24.01.1934 Berlin.
Tochter eines Fabrikanten, heiratete 1875 Dr. A. Eysell, trennte sich
nach anderthalb Jahren wieder von ihm und heiratete 1898 den Dichter
Viktor Blüthgen. Lebte in Berlin und Freienwalde / Oder.
Schriften: Aus der Art geschlagen (Novelle) 1893; Gute Kameraden (6
Novellen) 1897; In Seeleneinsamkeit (Gedichte) 1897; Tintentropfen
(Aphorismen) 1898; Hand in Hand (Novelle, mit V. Blüthgen) 1899; Wenn
die Flocken fallen (Drama) 1900; Im Sonnenschein (Lustspiel) 1900; Meine
Frau hintergeht mich (Schwank) 1901; Frauenehre (3 Novellen) 1901;
Liebesleute (Novelle) 1901; Das böse Buch (Skizzen) 1901; Dilettanten
des Lasters (Roman) 1902; Klänge aus dem Jenseits (Gedichte) 1902;
Geburtstagsvorbereitungen (Dramatische Plauderei) 1903; Vom Baum der
Erkenntnis (Novelle) 1904; Brillanten (Novelle) 1904; Zwischen zwei Ehen
(Roman) 1905; Königin der Nacht (Novelle) 1906; Dreiklang (3 Novellen)
1907; Neue Gedichte 1907; Spätsommer. Stiefmama (2 Novellen) 1909;
Kathia (Roman) 1909; Heimkehr (Drama) 1910; Am Tage der goldenen
Hochzeit (Drama) 1910; Die große Neugier (Drama) 1912; Herrenloses Gut
(Roman) 1912; Flieger (Drama) 1913; Hinter der Front (Gedichte mit
Viktor Blüthgen) 1916; Frauenlaune (Novelle) 1917; Aus der Jugendzeit
(Erinnerungen ) 1917; Der Kommende 1917; Prinzeß Lolotte (Roman) 1919;
Träumelinchen (Roman) 1919; Meine fixe Idee und andere Geschichten 1919;
Yolante Galiardi (Roman) 1920; Schlösser im Monde (Roman) 1920; Eine
Stimme aus dem Jenseits (Novelle) 1921; Eine Versuchung (Novelle) 1921;
Hell-dunkel (Novelle) 1921; Das macht die Liebe (Geschichte) 1921;
Götzendienst (Roman) 1922; Menschenschicksal (Roman) 1924; Die große
Umschichtung (Roman) 1925; Morphium (Roman) 1929.
Aus: Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-Bibliographisches
Handbuch
Begründet von Wilhelm Kosch. 3. völlig neu bearbeitete Auflage. Francke
Verlag Bern und München 1968.
siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Clara_Blüthgen
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