Luise Deusch (1871-1925) - Liebesgedichte

 



Luise Deusch
(1871-1925)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Brautgruß

Liebst du die Zeit, die an des Winters Schwelle
Noch einmal schäumend uns den Becher füllt,
In der dem Lebensborn die volle Welle
Im alten Reichtum noch einmal entquillt?
Liebst du die Zeit, die, eh' so schnell sie scheidet,
Nur um so kräftiger zu leben ringt,
In feur'gem Reiz durch Berg und Tale zieht,
Den Wald mitprunken dem Gewande kleidet —
Dann wieder lauscht, wie in den Kronen singt
Der Sturm sein allgewaltig, brausend Lied?
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Liebst du die Zeit, die noch mit mildem Hauche
Erträumen läßt des Lenzes Blütenguß,
Wenn schon die letzte Rose dort am Strauche
Trinkt dürstend jeden flücht'gen Sonnenkuß?
Vom Jahreskranz das Edelste und Beste
Der Herbst vereint in goldner Schale beut;
Die Gabe, duftdurchhaucht und sonngeglüht,
Sie sei das Sinnbild heut zu deinem Feste!
Wie blüht und klinget doch zu dieser Zeit
Der Liebe wunderbares, hohes Lied!
_

Doch nicht wie hier, wo nur in kurzer Spanne
Des Lebens Fülle sich zusammendrängt,
Für immer weile du im sel'gen Banne
Des Zaubers, der dich heute hold umfängt!
Es will des Himmels Güte dir gewähren
Das Höchste, was ein Erdendasein krönt; —
Wenn feucht dein Aug' zum Sternenwagen sieht
Erlauschest du im leisen Sang der Sphären
Dieselbe Weise, die auch dich durchtönt:
Der Liebe heiliges, urew'ges Lied!
(S. 16-17)
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Wie sollt ich dich verdammen

Wie sollt ich dich verdammen
Um meiner Pulse Schlag?
Es schloß uns ja zusammen
Ein kurzer Feiertag.
All meine Stunden trinken
Noch aus dem goldnen Krug,
Bis sie in Schmerzen sinken
Vor Lieb und Liebestrug.

Und Abend ist's geworden,
Die Glocken läuten fromm;
An grauen Waldes Borden
Sprech' ich zum Nebel: Komm,
Sollst mir das Bahrtuch spinnen,
Wenn Frost mich müde macht,
So werd' ich Ruh' gewinnen
Vor Lieb und Liebesmacht.
(S. 19)
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Erwachen

Ich sah dich im Traume, du winktest mir zu
Und tratest mit klagender Miene daher,
Du trugst in den Händen mein blutendes Herz . . .
Nun weiß ich, warum ich so müde und leer,
Warum mir das Atmen, die Erde so schwer.

Ich habe wohl oft dich im Traume gesucht
Und wußte am tätigen Tag nichts davon,
Ich suchte mein eigenes, lebendes Herz
Und wollte erlauschen den pochenden Ton
Und wieder gewinnen, was mit dir gefloh'n.

Und schüttle den drückenden Schlummer ich ab,
Geweckt von des Morgens veränderter Last,
Verlange zurück ich mein pochendes Herz,
Weil du nicht die einzigen Rechte mehr hast
Und fordernd und stark mich das Leben erfaßt.
(S. 20)
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Eifersucht

Alle Steine möcht' ich fragen,
Ob du hier vorbeigegangen,
All die hundert Fensteraugen,
Ob sie nicht an dir gehangen?

Viele Sonnenstäubchen fliegen,
Deinen Locken wohl entfallen,
Deiner lieben Stimme denkend
Wähn' ich ferne Glocken hallen.

Bei den Birken auf der Höhe,
An der schlanksten will ich lehnen,
Eine täuschende Sekunde
Mich an deinem Herzen wähnen.

Als ein Waldbach wollt ich eilen,
Daß du oft an mir dich labest —
Und ich all die Küsse zählte,
Die du einer andern gabest!

Risse dich in wildem Zürnen
Aus den ungetreuen Träumen,
Um vereint mit dir im Sturze
Zu zerschellen, zu zerschäumen.
(S. 21)
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Blick und Gedanken

Blick und Gedanken
Zu dir gekehrt,
Hab ich mit Schranken
Vielfach umwehrt,
Daß nicht die heißen
Lodern dir zu,
Jäh nicht zerreißen
Hüllen der Ruh.

Höher dein Friede
Denn alles mir gilt,
Einzig im Liede
Sehnsucht entquillt;
Und dich zu missen,
Wohl ist es Pein,
Ließ ich's dich wissen,
Liebt' ich nicht rein.

Also mein Wesen
Ging in den Tod,
Von dir zu lösen
Krankheit und Not;
Dürft' ich dich sehen
Kräftig und frei,
Still wollt' ich gehen
Und lächeln dabei.
(S. 30)
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In Sehnsucht

Geheimnisvoll sind sie verwünscht und gebannt,
Allnächtlich ein Schiff zu besteigen,
Das treibt, ein tiefrotes Segel entspannt,
Auf grundloser Wellen Reigen;
Der himmlische Wagen rollt ruhig fort
In sicher gemess'nem Geleise,
Sie aber, sie wissen nicht Richtung, noch Port
Und suchen auf irrende Weise.

Ein Ungenanntes, von keinem erschaut,
Das erschien und versank mit der Woge,
Das die Seele ersehnt wie der Jüngling die Braut,
Das verlockt wie die Flamme des Loge,
Und den Kompaß entkräftet; selbst wer ihn befragt,
Erfährt nicht das Ziel seiner Reise,
Weiß keiner, wohin noch die Strömung sie trägt,
Sie fahren nur immer im Kreise.

Von Vorsicht, von Klugheit, von Mitleid geregt
Viele Glocken am Ufer gehen,
Manche warnende Stimme den Luftkreis bewegt,
Viele Feuer den Nebel durchspähen;
Doch wer nie in Ängsten vor Strudel und Riff
Verließ den umfriedeten Hafen,
Wie weiß er, was dränget und treibet zu Schiff
Frau Sehnsuchts unselige Sklaven?

Nur wer in ihr trauriges Auge gesehn,
Das versehrte ihm alle Organe,
Und wer unter Kämpfen und blutvollen Weh'n
Entronnen dem zwingenden Wahne,
Nur wer im gebrechlichen eigenen Boot
Lernt Steuer und Ruder regieren,
Nur der wird erreichen die draußen in Not
Und mag einst zum Pharus sie führen.
(S. 33-34)
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Vertrösten

Wie ich meine Liebste kleide?
Bin ein armer Liedermann,
Der ihr kein Geschmuck und Seide,
Keine Schühlein schenken kann;
Der ihr auch kein Feuer schüren
Und ihr bauen kann kein Nest,
Den man gar vor fremden Türen
Oft vergeblich warten läßt.

Währt zu lange dir das Warten,
Sehnst du dich nach solchem Tand?
Hab' doch meinen stillen Garten,
Mein geheimes Wunderland,
Habe meine Silberstollen
Und Kristalle blinken dort,
Liebste wirst du glauben wollen,
Bis gehoben ist mein Hort?

Sag ein Wörtlein mir nur leise,
Sängers Ohr fängt jeden Laut —
Daß, ob eigen meine Weise,
Du doch gern dich ihr vertraut.
Meine Schätze sind Gedanken,
Die kein Räuber nehmen kann,
Einmal, Liebste, wirst du danken
Mir, dem reichen Liedermann!
(S. 35)
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Nachklang

Mein Tag ist versunken, ich danke dir viel,
Du gabst mir das echte, das Weibesgefühl.

Dies seltsame Schwanken von Schwäche und Macht,
Hast Armut und Fülle zugleich mir gebracht.

Und Altes zerging, ein erbleichender Traum,
Nun schaut ich den wirklichen blühenden Baum.

Einen Odemzug lang sein Düften ich trank,
Eine Blüte aufs schauernde Haupt mir sank.

Eines Herzschlags Dauer schwieg Wunsch wie Leid, —
Einbricht nun die dunkle, die kalte Zeit.

Wie der Sonne Schimmer im Spätrot noch lebt,
Bei ruhendem Winde das Laub noch bebt.

So hüt ich mein Kleinod und schließe es ein,
Wie den Kuß der Flamme der Edelstein.
(S. 40)
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Neapolitanisch

Eines Neumonds tiefe Mitternacht
Nenn' ich deiner Augen dunkle Pracht,
Gleich Sorrento's Myrtenbalsam ist
Deiner leisen Rede süße Macht.
Heiter glänzen deine Blicke nicht,
Trauern nur wie ein verstecktes Licht;
In mein Segel legt der Wind sich schwer,
Und dein Busen wallt in Traumbegehr,
Weil du nicht in Liebe glücklich bist.

Gestern als der Silbermond erschien,
Zogen seltsam Schatten über ihn:
Eines bösen Blickes arge List
Fürcht' ich hinter deinem Wandel glüh'n.
Meine Barke sucht die Ruh des Strands
Und ich bete meinen Rosenkranz;
Heißer keiner zu den Heil'gen geht
Und doch schauerts mich wie Sterbgebet,
Weil du nicht in Liebe glücklich bist.
(S. 44)
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Beschwörung

Sag' nicht mehr die Worte, erinnerungsweich,
Sing' mir von andern, besänftigungsreich,
Lass' mich vergessen den lustheißen Reihn,
Mit deinen Liedern lulle mich ein.

Wähl' aber keines im purpurnen Buch,
Bring einen andern, heilenden Spruch,
Sag' von dem Lande nicht, wo ich daheim,
Nicht von der Liebe, von der ich noch träum'.

Sing mich in Schlaf, und im Nachtwandelschritt
Wo du dich wendest, da ziehe mich mit,
Ob ich bei Worten von tröstendem Bann
Finde den Ort, wo ich ausruhen kann.
(S. 48)
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Eine Welle

Wie eine Welle eilt zum Strand
Und wiederum von bannen schrickt,
So hab einst ich an deiner Hand
Der Hoffnung blühend Ziel erblickt,
Und wie sie fortgerissen rennt
Um ganze Reiche weit,
So bin nun ich von dir getrennt,
Verklingend mit der Zeit.

Mich tröstet, wo die Flut gewallt,
Daß sie nicht immer spurlos blieb,
Und noch gewonnen an Gehalt,
Wenn sie am Felsgesteine rieb;
So manche Welle seligschwer
Geht mit geheimer Last an Gold,
Damit sie unwert nicht und leer
Hinab zum Ozeane rollt.
(S. 87)
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Der Schlüssel

Was du je an mir erfahren,
Liebster, schließe sicher ein:
Meine Lust in Maienjahren,
Einzigsüßen Liebesschein;
Die Gebete all, die frommen,
O, sie konnten gläubig sein,
Was dir je von mir gekommen,
Alles schließe heilig ein!

Und der Schlüssel sei verborgen,
Daß ihn keiner mehr erriet,
Lass' ihn ruhn so manches Morgen
Und so manches Jahr, das flieht;
Oder, wenn die Tage trüber
Und dein Wandervogel zieht,
Wirf ihn in den Brunnen lieber,
Daß ihn keiner, keiner sieht.
(S. 88)
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Sternschnuppen

Es war an einem Abend, einem stillen,
Und aufzugehn begann die Himmelssaat.
Eh ich in meiner Liebsten Pförtlein trat,
Hob ich die Hände, wie um sie zu füllen —
Oder sprachest du mir nicht von Liebe?

Kein einzig Korn fiel golden zu mir nieder;
Die Himmelsähren bleiben droben stehn,
Indes wir Armen unten hungernd gehn,
Und Wolken breiten dunkeles Gefieder —
Oder sprachest du mir nicht von Liebe?
(S. 91)
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Aus: Gedichte von Luise Deusch
Stuttgart 1909
Verlag von J. F. Steinkopf

 


Biographie:

Luise Deusch (13. Oktober 1871, Reutlingen – 11. Dezember 1925, Reutlingen)
Luise Deusch war eine deutsche Schriftstellerin und Dichterin.
Ihr Vater war Karl Heinrich Deusch, Kaufmann und Kommerzienrat in Reutlingen, ihre Mutter Klara Wilhelmine Finckh.
Werke: Gedichte, Verlag von J. F. Steinkopf, Stuttgart, 1909
Als das Waldhorn klang (Drei Erzählungen aus Schwabens Vergangenheit: Nifaburg. Willibirk. Eitel-Heinz), Stuttgart, Verlag von J. F. Steinkopf, 1911


 

 


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