|
Vittoria Aganoor-Pompili
(1855-1910)
italienische Dichterin
Adolescentula
Als ich dich kennen lernte, war's April,
Der Monat voller Tücke,
Der in dem Rausch von jungem Liebesglücke
Ein jedes Ding so schön färbt, wie er will.
Als ich dich kennen lernte, war's April.
Jenseit der grünen Hecke sah ich dich.
Staub lag auf deinem blanken
Jagdrock; du warst allein und in Gedanken
Und blicktest schüchtern auf und grüßtest mich.
Jenseit der grünen Hecke sah ich dich.
So kamst du von der Jagd. Auf deinem Hut,
Dem breiten, braunen, nickte
Ein Federbusch. Wie sich zum Sammtrock schickte
Die schlanke Büchse! Du gefielst mir gut;
Ich fand dich schön in deinem braunen Hut.
Ich kam vom Wald zurück, wohin ich ging,
Cyklamen mir zu pflücken.
Im dichten Laub erschien ich deinen Blicken
Wie eine Waldsee wohl, ein Märchending,
Da mir die Stirn ein Blumenkranz umfing.
Es war, wohl denkt mir's noch, Sonnenuntergang.
Rings von den Halden wehte
Ein Thymianduft, da man die Wiesen mähte,
Der Duft, deß Süße stets mein Herz bezwang.
Es war, wohl denkt mir's noch, Sonnenuntergang.
Wie fern liegt jener holde Frühlingstag!
Ich sah im Winter erst
Dich wieder, im Salon; mir schien, du wärst
Ein Andrer - Gott! im eleganten Frack,
Cravatte, hohem Kragen, Chapeau claque!
Ich dacht' an jene sorgenlose Zeit,
Die lust'gen Tänz' im Freien,
Die süßen Träum' und Hoffnungen in zweien
Verliebten Herzen voller Seligkeit -
Ich dacht' an jene sorgenlose Zeit!
O frischer Lenzhauch, Duft des Thymian!
Ich höre wieder, wie dankbaren Gästen
Du dumme kleine Späße gabst zum besten
Und drüber fingst zuerst zu lachen an.
O frischer Lenzhauch, Duft des Thymian!
Du dachtest wohl auf andre Scherze heut;
Mir ward kein Gruß geboten.
Ich zitterte, als säh' ich einen Todten,
Den ich umsonst geliebt in alter Zeit,
In diesem Schwarm, so lustig und zerstreut.
Es fiel aufs Herz mir wie ein Schleier dicht
Ein starrer Schreck. Ich wagte,
Da einer plötzlich mich nach dir befragte,
Nur zu erwiedern: Der? Ich kenn' ihn nicht! -
Aufs Herz fiel mir ein Schleier, schwer und dicht.
(S. 105-106)
_____
Tagebuch
I.
So bin ich endlich denn allein! ... Ein Tag
Ist wiederum vergangen; wieder hab' ich
Stunden und Stunden lang dies mein Gespenst
Herumgeschleppt durch fremdes Volk, gelacht,
Worte gesprochen, Kinder andrer Leute
Geliebko'st, ganz gelassen, wie ein Mensch,
Der ruhig ist; bin Wege, die er liebte,
Gewandelt, jetzt mit Andern, sah den Schleier
Des Abends über ferne Berge sinken,
Die Berge, die mit freudeglüh'nden Augen
Er oft betrachtet, seine Hand geschmiegt
In meine Hand. Ich weissagt' allerlei
Vom Wetter, von der Ernte, von der nahen
Weinles' und dem Ertrag, mit heiterm Ton
Aus einer heitern Brust - und jetzt, jetzt bin ich
Allein! Und wieder ist ein Tag vorbei!
Wie lange noch, o Herr?
II.
In einem alten
Schrank fand ich heut' ein altes Blatt mit Noten
Beschrieben, das Papier, das hart und gelb,
Mit seltsamer Verzierung von den Würmern
Durchstickt, ein bischen morsch und an den Rändern
Ein bischen ausgefranst. Ich legt' es auf
Das Lesepult. Die Noten aber waren
Erloschen hie und da, und ich, vornüber
Gebeugt, entzifferte sie nur mit Mühe.
Doch von den ersten Takten, die ich spielte,
Schien eine Flut von Angst sich gegen mich
Zu stürzen ... Stärker fühlt' ich der Erinnrung
Qualvollen Druck, zwei Worte sprach die alte
Gavotte, nur zwei Worte: Nimmermehr!
O nimmermehr! Nur diese Worte sprachen
Die Noten ... Ich verschloß das Blatt. Mein Blick
Umflorte sich.
Einst, eines fernen Tags -
Wer weiß? da öffnet' Jemand dies vergilbte
Blatt auf dem Pulte eines buntbemalten
Spinetts, ringsum verziert mit Schäferinnen
In blumigen Guirlanden, ros'gen Kleidern,
Auf blüh'nden Wiesen, die von blauen See'n
Begrenzt ... Wer weiß? An jenem Tage lachte
Die Sonne hell herab. Es war vielleicht
Ein Mädchen, Augen und Gedanken ganz
Von Lust erfüllt ... so saß sie sinnend am
Klavier ... und andre Worte sagten ihr
Gewiß mit Noten, sangen ihrer süß
Berauschten Jugend eine holde Lockung,
Ein Lied, ein einziges Versprechen, doch
Besel'gend grenzenlos und treulos: Morgen!
III.
"Morgen!" Was wird der Morgen bringen? Welch
Ein Wunder könnte je mir eine Hoffnung
Aufwecken? Kann sich je die Erde spalten,
Ein festgeschlossner Sarg den Deckel sprengen
Und zwei erloschne Augen wieder neu
Aufleuchten und aus stummem Mund noch einmal
Ein Wort ertönen? Diese starren Hände,
Könnten sie jemals wieder wie vor Zeiten
Die meinen drücken? Ja, das werd' ich morgen
Denken, so wie ich's heut' gedacht und gestern
Und immer. Und so werden Tage, Monde, Jahre
Vergehn, und ich, mit ruhigem Gesicht,
Muß mich den Pflichten, Bräuchen, Forderungen
Des Lebens widmen, lächeln, wenn man höflich
Mich anspricht, ernst an die Toilette denken
Und schwatzen ... Alle Stunden sind für mich
Nun gleich, und nur die Nächte sind vielleicht
Qualvoller noch. Dann denk' ich an der Jugend
Erquickend tiefen Schlaf, an jenes lange
Versinken in den jetzt verlornen Schlummer.
IV.
Es regnet. Sicher, armer Todter, ist's
Dunkel und kalt da unten, dunkler doch
und kälter hier auf Erden, wo die Blätter
Nun alle gelb und windgeschüttelt fallen,
Ein kaltes Trauertuch den Himmel deckt.
Eiskalt ist's hier in dieser ungeheuren
Wüste, wo wandelt eine einzige
Verirrte Seele, ohne Ziel, entgegen
Der grenzenlosen Finsterniß, gepeitscht
Vom Sturm, der nie zur Ruhe kommt in diesem
Winter des Schmerzes ...
V.
Sieh, da sind sie alle,
All seine Briefe! Wiederauflebt seine
Nervöse Hand in ihnen, schreibt hier oben
Rasch meinen Namen, schließt den Brief und siegelt.
War das nicht gestern? Alle stecken sie
Im weißen Umschlag. O mit welcher Angst
Und welcher Freude öffnet' ich sie damals!
Sieh nur, hier riß das ungedul'ge Falzbein
Ein Eckchen ab. Drei lange Tage wartet'
Ich stündlich auf den Brief und träumte Nachts
Von ihm allein.
Doch endlich kam er! Plaudernd
Umgaben einige Freunde mich und lachten
Mit mir; ich weiß, wie ich ganz ruhig scheinend
Ihn nahm, hinlegte und, den Rücken wendend
Dem Licht, so that, als lauscht' ich nur gespannt
Den Worten, deren Sinn ich doch nicht mehr
Verstand. Ein Pochen in der Brust, das ganz
Mich schüttelte. Sah Keiner, wie die Lippen
Mir zitterten? Gewiß zu einem feinen,
Gedämpften Lachen zwang ich sie. O, endlich
Allein, zerriß ich das Couvert.
Nun ist
Vorbei das alles, alles leer, und doch
Zaudr' ich, den Brief herauszuziehn.
Da ist er!
Er liegt vor mir. Doch meine Augen können
Ein Wort nur lesen, denn ein Nebel hüllt
Sie plötzlich ein. Das eine Wort ist süß
Und grausam doch wie die Erinnerung
An eine Liebkosung, die nimmer uns
Zwei todte Hände geben können: "Liebste!"
VI.
Und wieder wird der Frühling kommen, wieder
Die heitern Abende im holden jungen
April. Die Luft wird wieder sich erfüllen
Mit Duft und hoch mit hellem Jubelruf
Die Schwalbenschwärme kreisen ...
VII.
Laß uns lesen
Und unsre düsteren Gedanken mögen
Versinken all in einem Strudel von
Gedanken Andrer. Ein erhabner Geist
Soll unsres sich bemächt'gen und ihn zwingen,
Zu lauschen seiner Stimme. Dieses Buch,
Unaufgeschnitten, lädt uns ein. Vielleicht
Birgt es ein Trostwort. Öffnen wir es nur
Aufs G'rathewohl. Da steht: "Was unsern schlichten
Vorläufern das begierige Suchen nach
Dem Ideal und nach der Wahrheit war
Und nach dem Ruhm, aus all dem hat der Strom
Der heut'gen Zeit ein patentiertes Handwerk
Gemacht, die schnöde Industrie des Spiels
Mit Worten."
Wahr und traurig! doch was kümmert
Es mich, was kümmert mich die Kunst, die Wahrheit
Des Wortes? Einzig nur und furchtbar wahr
Ist jene ruhelose Marter meiner
Erinnerungen. Werd' ich je vergessen,
Für einen Augenblick nur? je die Wolken
So weiß, wie weiße Flügel, Sonn' und Blumen
Und Wiesen und das Meer wie ehmals wieder
Mit heiterm Blick betrachten, nicht im Innern
Die bittre Frage hören: Warum lacht
Die Erde jetzt? Warum ist Alles froh?
Was liegt jetzt noch daran? ...
(S. 107-111)
_____
Traum
Nie, Damon, geh' ich mit bloßen Füßen
Hinaus zum Felde, mit nackten Armen,
Hoch in der Rechten, der arbeitsrauhen,
Den Stecken, treibend zur grünen Quelle
Die rothe Milchkuh, und spinne niemals
Am schlichten Rocken, noch, auf die Bütten
Gestiegen, tret' ich die vollen Trauben
Zur Zeit der Lese, der frohen Festzeit
Voll Lieb' und Liedern. Ich habe niemals
Gekannt die Freiheit, die himmlisch schöne,
Niemals die Wonne der späten Heimkehr
Am Sommerabend mit Ihm, der taglang
Ließ seine Sichel dicht neben meiner
Im Korne blitzen. O solche Heimkehr
Im Sternenzwielicht, so müd' und dennoch
Das Glück im Herzen und, ob im Schwarme
Der Andern, dennoch mit ihm alleine,
Schweigend, doch heimlich redend und hörend
So viele süße verliebte Worte! ...
O Traum der Wonne, der mir, gefangen
Hier zwischen seidnen Wänden, erglühn macht
Das Herz von toller Sehnsucht nach Leben!
(S. 111-112)
_____
Vor meinem offnen Fenster ...
Vor meinem offnen Fenster,
Durch das die Frühlingsluft hereinweht leise,
Hör' ich auf einmal eine Cither klingen
In einer muntern Weise,
Sacht präludierend einem tollen Reigen
Von Tönen, wie aus froher Brust sie steigen,
Ein Ausbruch übermüth'ger Jugendfrische
Voll glüh'nder Leidenschaft,
Sehnsucht und Muth und Kraft -
Das alles klingt in lustigem Gemische.
Von meinem Arbeitstische
Heb' ich den schweren Kopf, die müden Augen.
O wie erquickt ein kecker Lebenshauch,
Wie muß den Sinnen taugen
Ein bischen Leichtsinn! Glücklicher da unten,
Der du gewiß zur schönen Liebsten gehst,
Die vor der Thür im Abendschein schon lang
Dein harrt und sich berauscht am Frühlingsduft,
Den zu ihr trägt der Wind die Gass' entlang!
Wie leuchtet bei dem Klang
Ihr schwarzes Aug! Zur lustigen Musik
Schlägt sacht den Takt ihr kleiner Fuß, und hold
Wie zarter Federflaum im Winde zittern
An ihrem milchweiß schimmernden Genick
Die Löckchen ihres Haars wie feines Gold. -
Ich tret' ans Fenster ... Unten steht der Mann
Noch immer, und ein Hündchen ihm zur Seite
Schaut mitleidvoll den lust'gen Spieler an ...
Es giebt ja einem Blinden das Geleite.
(S. 112-113)
_____
Endlich
Auf morgen also! Milder Sonnenschein
Frohlockt im Wald. Viel hab' ich dir zu sagen.
Ich führ' dich, wo die hohen Wipfel ragen,
Wir Zwei allein; o komm! Wir Zwei allein!
Vielleicht, wer weiß? find' ich nicht gleich ein Wort,
Vielleicht, dir gegenüber so alleine,
Such' ich nach Worten, ach, und finde keine.
Nun wohl, so stehn wir Zwei und lauschen dort.
Lauschen dem Wind, der sich im Laub verfing,
Von Schreck und trunknem Schauer hingerissen,
Ohn' uns nur anzuschau'n, uns nur zu küssen,
Bleich im Gesicht, als ob's ans Sterben ging' ...
(S. 115)
_____
Die alte Seele träumt ...
(Aus dem Tagebuch einer
Unbekannten)
Die alte Seele träumt ... O komm! Wir wollen
Nur einmal wieder, wie wir oft gegangen,
Ins Dunkel flüchten, Hand in Hand am stillen
Lenzabend, stumm und sinnend vor uns hin.
Um meine bleichen Wangen
Will ich die nächtige Mantille hüllen
Wie eine Spanierin,
Da sollst du nicht mein faltig Antlitz sehen,
Das schon verblüht ist, noch mein graues Haar.
Und wieder jung dann wird dies Augenpaar
Wie einst in dieser sanften Dämmrung glühn;
Durch sie wird meine Seele (o, wie viel
Habt ihr geweint, ihr Augen, müd' und trübe!)
Noch einmal Blitze sprühn,
Erwecken neu im Zauber des April
Den alten Rausch der Liebe,
Und süß wird dann im Innern eine Sehnsucht
Nach Glauben und Gebet uns auferstehn.
O, in der Frühlingsnacht sich zu ergehn,
Umduftet ringsum von den ersten Rosen,
Umschwirrt vom Nachtgesang der Grillen, Hand
In Hand und ohne daß man Worte tauscht!
Wenn in dem grenzenlosen
Schlummer der Welt der Strom der Liebe rauscht,
Wie aus der Felsenwand
Ein frischer Quell hervorbricht, wird ein Wunder
An unsern dürren Herzen dann geschehn.
Wie? zweifelst du, sie werde auferstehn,
Die todte Liebe, einmal würd' ich wieder
Empfinden jene sel'ge Trunkenheit,
Vergessen, was ich litt in Qual und Beben?
O, fühlen möcht' ich wieder
Den Sturm in meiner Brust von tausend Leben,
Wo ich mich benedeit
Von Gott gewußt, dem Gott, der eine Jugend
Uns gab und einen Frühling unsrer Welt.
Ein leiser Waldgeruch, vom Wind geschwellt,
Dringt zu mir her. Es nachtet. Schatten dehnen
Sich auf den Fluren. Wie ein leiser Sang
Erklingt's und wächst's, bricht endlich aus
In jauchzend hellen Tönen,
Ein Freudentaumel, doch von fremdem Klang
Für uns, die wir aus Schmutz gemacht und Lüge.
Es lauscht die Nacht dem Sang, der überschäumt
Von Wonne ... Meine alte Seele träumt.
(S. 115-117)
_____
?
All das, was mir mein Stolz in langer Zeit
Des Harrens und Vergessenseins gesagt,
Der Zeit, wo ich zu hassen dich gewagt
(Zu hassen, ja!), vergessen hab' ich's heut.
Und für den Schatz an Täuschungen und Schmerzen,
Den du mich kostetest, für all das Leid, -
Liebt' ich dich einst mit sanfter Zärtlichkeit,
Vergöttre ich dich jetzt mit wildem Herzen!
Und du, du meine Qual und meine Lust,
Du, dessen Blick, dem leidenschaftlich trüben,
Verliehn ist, jede Zaubermacht zu üben,
Du, den in Allem, was da glänzt, zu finden,
Mein Schicksal ist, du einzig hast gewußt,
Dies nie gezähmte Herz zu überwinden!
(S. 124-125)
_____
Übersetzt von Paul Heyse
(1830-1914)
Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang Neue Folge
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Hrsg. von Markus Berbauer und Norbert Miller
Reihe V Band 5
Georg Olms Verlag 2002
Nachdruck der Ausgabe Stuttgart und Berlin 1905
Biographisches:
siehe:
http://it.wikipedia.org/wiki/Vittoria_Aganoor
|