Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Soja Dmitrijewna Bucharowa
(1876-nach 1923)

russische Dichterin



Unsern Herzen wird es eigen,
unsre Augen blicken kaum . . .
Zwischen uns ist alles - Schweigen,
zwischen uns ist alles - Traum.

Unser Herz, - kein Glück erfleht es,
Leidenschaft begehrt es nicht . . .
Über unsrer Seele steht es
wie ein holdes Traumgesicht.

Siehst du's mitleidsvoll sich neigen
über uns, erschaubar kaum? . . .
Zwischen uns ist alles - Schweigen,
zwischen uns ist alles - Traum! . . .
(S. 99-100)
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Plätscht das Meer ans Gestade
leis eine Welle im Schlummer? -
Nein, im vergeßlichen Herzen
zuckte mir wieder der Kummer.

Rauschte das Meer ans Gestade
leidenschaftwild seine Tränen? -
Nein, im gedenkenden Herzen
schluchzte nach Glück mir das Sehnen.
(S. 100)
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Das Gesetz und die Gottheit bist du mir allein,
ich verachte der Menge Getriebe.
Mag die Liebe ein trunkener Halbschlummer sein -
von dir trunken, entschlummr ich in Liebe.

Vor der Glut der Begeistrung muß kläglich zergehn
jedes Vorurteils eisige Lüge.
Du allein kannst den Drang meiner Seele verstehn
und ihr helfen im Kampfe zum Siege.

Mein Gewissen verstummt, seine Stimme schläft ein
wie ein Klang in der Glocken Gestiebe . . .
Mag die Liebe ein trunkener Halbschlummer sein -
von dir trunken, entschlummr ich in Liebe!
(S. 100)
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Wehmut ertönt aus der Leidenschaft Küssen,
Mißklang erklingt aus der Liebe Akkord -
gleichsam als würd eine Saite zerrissen,
gleichsam als schluchzte ein lachendes Wort.

Mitten im Wirbel der taumelnden Sinne,
mitten im Rausche der glühenden Lust -
sehnt sich die Seele nach schämiger Minne,
sehnt sich der Busen nach schämiger Brust.

Wach wird vom lähmenden Schlaf das Gewissen,
reißt aus der Tiefe zur Himmelshöh fort . . .
Wehmut erstöhnt aus der Liebe Genüssen,
Mißklang erseufzt aus der Küsse Akkord.
(S. 101)
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Nein, komme nicht! Voll Glanz, gleichwie die Sonne, loht
und glüht zugleich ein Strahl aus deines Auges Grunde.
Zu Ende leben laß mich ohne Morgenrot
der kalten Herzensnacht verstummte, letzte Stunde!

Nicht unser ist das Glück! Wie Kinder haben wir
gestarrt vertrauensvoll auf des Phantomes Züge.
Gelockt ins Weite hat es schmeichelnd uns von hier -
doch seiner Wahrheit Licht war eine finstre Lüge!

Wie spät durchschauten wir des Lebens falsches Spiel!
Wie bitter weinten wir in namenlosem Leiden,
als unser Wahngebild in Trümmer jäh zerfiel
und kalt die Wirklichkeit entgegen trat uns beiden!

Nein, komme nicht! Mein Herz, es kann bei deinem Blick
die Stimme der Vernunft, die warnende, verfluchen,
und in die Schranken ruf ich wieder das Geschick,
um - fruchtlos wiederum des Glücks Phantom zu suchen!
(S. 101-102)
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Verachte mich! Nichts mildert mein Vergehn!
Zugrunde hab gerichtet ich dich reulos.
Du wirst vielleicht es einmal doch verstehn:
ich bin ein Weib - und also bin ich treulos.

Doch jetzt versteh, was meine Seele sagt!
Zuzeiten kenn ich grause Augenblicke,
wo mir das Herz im Netz der Lüge zagt,
und voller Wut ich fluche dem Geschicke.

Ein Augenblick der Selbstvergessenheit -
und jahrelang möcht meine Schuld ich büßen!
Um dein Verzeihn zu flehn wär ich bereit
zerknirscht, im Staub, als Sklavin, dir zu Füßen.

Wenn ich, erwacht vom Lustrausch, das Gesicht
von Scham durchglüht, an deine Brust möcht fliegen,
und wiederum ganz dein bin - glaub mir nicht:
ich bin ein Weib - und also muß ich lügen!
(S. 102)
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Auf dem öden Weg herrscht schweigen,
Schweigen herrscht im weiten Plan.
Traurig durch den Wolkenreigen
zieht der Vollmond seine Bahn.

Mählich stummt des Tages Kummer
selig sinkt die Welt in Ruh -
wir nur kennen keinen Schlummer,
bleicher Vollmond, ich und du.

Nun verstehen wir uns beide,
die gemeinsam und allein -
du mit deinem Himmelsleide,
ich mit meiner Erdenpein!
(S. 102)
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Im Schlaf, mir zu Häupten, erblaute
das tiefe Äthergequill -
ich sah im Traum deine Augen
so blau und morgenstill.

Im Schlaf umblinkte mich silbern
der Tau auf den Blumen im Gras -
ich sah im Traum dich weinen
und fühlte die Wange mir naß.

Im Schlaf trat zu mir der Frühling,
ganz Glanz, ganz Rausch, ganz Genuß -
ich sah im Traume dein Lächeln
und fühlte deinen Kuß.
(S. 103)
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   In der Übersetzung von Friedrich Fiedler (1859-1917)
 

Gedichte und Biographie aus:
Russische Dichterinnen. Ausgewählte Dichtungen übertragen
und mit biographischen Notizen versehen von Friedrich Fiedler.
Leipzig Verlag von Philipp Reclam jun. 1907

 

 

Biographie:

Soja Dmitrijewna Bucharowa wurde als Tochter eines Diplomaten, der sich auch als Schriftsteller betätigte, am 9. Februar / 28. Januar 1877 in Amsterdam geboren. Ihre Bildung erhielt sie anfänglich in einem katholischen Kloster in Jerusalem (wo ihr Vater General-Konsul war), dann im Petersburger Pawlowschen Institut. Heiratete zweiundzwanzigjährig den Gutsbesitzer Kasin und verbrachte mehrere Jahre im Dorf bei Luga. Beginn der literarischen Tätigkeit: 1892. Lebt in Petersburg.
 

Anmerkung:
Je nach Literaturquelle ist das Geburtsjahr der Dichterin 1876 bzw. 1877.

 

 

 


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