Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Edeldame Sakanoe
(7.-8. Jh.)

japanische Dichterin


Gedicht, verfasst im Groll

Da du versprachst, dass du mich lieben wolltest
Auf immerdar, bis zu den fernsten Jahren,
So hab' ich dir mein Herz dahingegeben,
Mein Herz, so klar wie ein geschliffner Spiegel.
Seit jenem Tage schmiegt' ich mich an dich,
Wie sich das Seegras an die Wellen schmieget,
Und dir allein nur galt mein ganzes Sinnen.
Doch da ich so mein Hoffen auf dich stellte
Wie einem grossen Seeschiff man vertraut,
Was ist geschehn? - hat von den ungestüm
Gesinnten Göttern Einer uns getrennt,
Ist es ein ird'scher Mensch, der zwischen uns
Getreten? - dass du nimmer mehr wie früher
Zu mir die Schritte lenkst, und auch kein Bote
Mit Heroldstab von dir mir Kunde bringt?
Mein Herz ist trostlos, weiss sich nicht zu helfen.
Die ganze lange, rabenschwarze Nacht,
Den Tag, bis sich die rote Sonne senkt,
Verschmacht' ich klagend, liebessehnsuchtsvoll.
Mein Herz ist trostlos, weiss sich nicht zu helfen.
Mit Recht nennt man uns Jungfraun zarte Wesen:
Gleich wie ein kleines Kind, so weine ich
Nun kläglich, wandle ruhelos umher.
Wie soll ich's tragen, länger noch des Boten
Zu harren? Die Geduld wird endlich reissen.
Hätt'st du von Anfang
Mir Hoffnung nicht gewecket
Auf ewige Liebe,
Wär' ich in diese herbe
Verzweiflung je geraten?


Edeldame Sakanoe
Schwester des Dichters Ootomo Tabito (665-731)


Übersetzt von Karl Florenz (1865-1939)

Aus: Litteraturen des Ostens in Einzeldarstellungen
Zehnter Band: Geschichte der japanischen Litteratur
von Dr. K. Florenz Leipzig C. F. Amelangs Verlag 1906 (S. 104)


 

Biographie:

http://en.wikipedia.org/wiki/Otomo_no_Sakanoe_no_Iratsume


 

 


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