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Li Tsching-dschau
(1083-etwa 1151)
chinesische Dichterin
DIE WILDEN
SCHWÄNE
Noch ist der Glanz der Frühe nicht erschienen,
Ich höre, wie der Wind am Fenster rüttelt,
Und meine Träume schwinden ganz dahin.
Ich steige aufwärts in das Aussichtszimmer,
Einst rührt ich hier mit meiner schönen Nadel
Aus Jade sinnend in der Glut der Kohlen.
Jetzt ist die Glut dahin. Es ist vergebens,
Daß meine Nadel durch die Asche tastet,
Ich seh in das Gebirge, schmerzumflort.
Ein grauer Regen düstert in der Landschaft.
Der Nebel weht. Der Fluß wälzt schwere Wogen, -
Doch meinen Jammer wälzt er nicht hinweg.
Auf meines Umhangs dunkelm Tuche schimmert
Der Regen meiner bitterlichen Tränen;
Die wilden Schwäne schreien unter mir.
Ich schüttle meine armen Tränen nieder
Auf die erwachten Vögel, - fliegt, o Vögel!
Bringt meine Tränen ihm, der mich verzehrt!
In der Nachdichtung von Hans
Bethge (1876-1946)
Aus: Hans Bethge Die
chinesische Flöte
Insel Verlag 1918 (S.
66)
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VERZWEIFLUNG
O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete
Und immer Jammer, immer Tränen, Flehen, -
Ich Unglückselige - was wird aus mir!
Kaum spüre ich des Sommers laue Nächte,
Da zieht der Winter wieder über Land,
Und rauh und häßlich wird der Wind der Frühe.
Jetzt kommen schon die wilden Schwäne wieder;
Mein Herz ist voller Qual. Wie oft, wie oft
Sah ich euch gehn und kommen, wilde Vögel!
Verschwenderisch erblühn die Chrysanthemen, -
Doch diese Blume hier, versehnt, verkümmert,
Hat niemand denn sie abzupflücken Lust?
Ich sitze ewig nur an meinem Fenster, -
Ist denn der Tag noch immer nicht zu Ende?
Ein feiner Regen näßt die Blüten rings.
Auf leisen Sohlen steigt die Dämmrung nieder,
Der Abend kommt, die Nacht umfängt die Erde, -
In mir jedoch bleibt alles, wie es war.
O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete, -
Wer zieht den Dorn aus meinem wunden Herzen?
Verzweiflung wühlt in mir und tötet mich.. !
In der Nachdichtung von Hans
Bethge (1876-1946)
Aus: Hans Bethge Die
chinesische Flöte
Insel Verlag 1918 (S.
67)
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Abreise des Geliebten
Kalt ist die Asche in dem schöngeformten
Goldnen Behälter, der die Wohlgerüche
Verbrennt und eines Löwen Körper zeigt.
Ich wälze mich erregt auf meinem Lager
In roter Decke, - jählings werf ich
Die Decke fort, und ich erhebe mich.
Ich finde nicht den Mut, die wirren Haare
Zu ordnen; viel zu schwer scheint mir der Kamm
Für mein gebeugtes, glückgemiednes Haupt.
Auf meinem Toilettentische liegen
Kostbare kleine Gegenstände, - ach,
Sie liegen ungebraucht, von Staub bedeckt.
Die Sonne steigt herauf. Nun wird er bald
Abreisen, den ich liebe! Immer bittrer
Frißt sich der Schmerz in meine Seele ein.
Wie vieles möcht ich sagen, was mir auf
Den Lippen liegt! Ich stoß es hart und kalt
Ins Herz zurück; verschwiegen bleibt mein Mund.
O wie ich mager ward! So ward ich nicht
Durch Trunkenheit, nicht durch das Weh des Herbstes, -
Durch meines Herzens Jammer ward ich so.
Vorbei! Vorbei! Heut zieht er in die Ferne,
Und säng ich tausendmal: "O bleibe! Bleibe!", -
Er bliebe dennoch nicht an diesem Ort.
Um meinen Pavillon steigt Nebel auf;
Mein Denken wird nun immer weit von hier
In jenem Land sein, wo er Wohnung nimmt.
Um meinen Pavillon fließt düstres Wasser.
Es ist der einzige Zeuge meines Schmerzes,
Der Spiegel meines dumpfen, starren Augs.
Du düstres Wasser! Immer fürchterlicher
Wirst du die Starrheit meiner Augen spiegeln!
Denn unheilbar ist dieses Herzens Qual!
In der Nachdichtung von Hans Bethge (1876-1946)
Aus: Hans Bethge Pfirsichblüten aus China
Ernst Rowohlt Verlag Berlin 1923 (S. 88-89)
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Jammer
Über des Wassers dunkeln Tiefen schwimmt
Die Lotosblüte, ganz geöffnet, weiß,
Sie lächelt zu mir her, - ich hasse sie.
Ich nehme meine Angel, und mit Kraft
Ziel ich genau hinüber nach der Blüte,
Daran die langen, feinen Wurzeln sind.
Ha! die geheimnisvolle Dunkelheit
Der Tiefen hab ich aufgestört; weithin
Erkennt man die Erregung in der Flut.
Was aber tu ich jetzt? Ich suche mit
Der Angelschnur die Blüte abzureißen,
Als wärs sein Herz, sein frevelhaftes Herz.
Die Sonne flammt gemach zum Horizonte,
Dann wird sie still und müd und schwebt von dannen
Und ist nicht mehr. Es naht die düstre Nacht.
Ich steige blaß hinauf in meine Wohnung
Und halte vor dem Spiegel an. O Jammer,
Wie ist mein Antlitz wüst und voller Qual!
Die Pflanzen werden wieder jung, wenn sich
Der Frühling naht, - ich aber, die ich ganz
Ohn Hoffnung bin, zerrüttet und zerbrochen, -
Wie kommt es, daß der Tod nicht längst mich nahm?
In der Nachdichtung von Hans Bethge (1876-1946)
Aus: Hans Bethge Pfirsichblüten aus China
Ernst Rowohlt Verlag Berlin 1923 (S. 90-91)
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Kalter Frühling
In dem schwermütigen Parke wogt der Wind,
Haardünne Regenfäden streichen nieder, -
Gut, daß mein Zimmer fest verschließbar ist.
Die Weiden mit der mädchenhaften Anmut,
Die zarten, jungen Blumen stehen leidend
In diesem kalten Frühlingswetter da.
Die wilden Schwäne zogen schon vorüber, -
Wie gern hätt ich mit meines Herzens Kummer
Beladen ihren pfeilgeschwinden Flug!
Auf allen Seiten hab ich die Gardinen
In meinem Pavillon herabgelassen, -
Mich friert, die Wohlgerüche sind verraucht.
Ich stehe auf von meinen düstern Träumen, -
Warum sind die mit Schmerz beladnen Seelen
Auch noch zu düstrer Träumerei verdammt?
Die Bäume werden dicht vom jungen Laube
Des Lenzes, - viele Menschen singen Lieder,
Da nun der liebe Frühling wiederkam.
Die Sonne steigt, der Nebel ist gewichen, -
Mir ist in meiner wilden Qual beschieden,
Des Lenzes schönste Heiterkeit zu sehn.
In der Nachdichtung von Hans Bethge (1876-1946)
Aus: Hans Bethge Pfirsichblüten aus China
Ernst Rowohlt Verlag Berlin 1923 (S. 92-93)
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Biographisches:
siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Li_Qingzhao
weitere
Literaturhinweise:
Chinesische Frauenlyrik
Tzi-Lyrik der Sung-Zeit
von Li Tsching-dschau und Dschu Schu-dschen
Mit einem Geleitwort herausgegeben und ins Deutsche übertragen von Ernst
Schwarz [Ernst Schwarz 1916-2003]
DTV 1985
(darin 43 Gedichte sowie Biographisches)
Li Qingzhao Gedichte
Einleitung und Übersetzung von
Ng Hong-chiok und Anne Engelhardt
Engelhardt-Ng Verlag Bonn 1985
(darin 35 Gedichte sowie Biographisches)
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