|
Nigâr Hanim
(1856-1918)
türkische Dichterin
Mit dir
Im ersten Frühling, ringsum Blumendüfte -
Weisst, Liebster, du den vierten Nissan (April) noch?
Den hellen, schönen Tag voll Freud' und Wonne,
Wo lustdurchglüht wir Seit' an Seit' gewandelt?
An jenem Tage keimte unsre Liebe.
Erwacht' in unsern Herzen Freud' und Lust.
Der süsse, reine, flücht'ge Frühlingswind
Rief mahnend: Liebet, liebet! uns entgegen.
Wie glücklich sind wir damals nicht gewesen
Auf den smaragdnen Fluren Seit' an Seit'!
Steh still! rief ich dem Zeitenrade zu,
Als ich mit dir dort Seit' an Seite schritt.
Schön sprossten Baum und Frucht in jungen Trieben,
Wie lieblich war doch anzuschaun die Welt!
Zu knospen hatte alles frisch begonnen,
Und die Natur hub sich zu schmücken an.
Von jungem Gras vergoldet lacht' die Erde,
Gleich Wellen wogt' der Wind darüber hin,
Wie Dichtermund rief alles mir entgegen,
Wie gross die Lust, mit dir vereint zu sein.
Der Frühling schwand, die Berge sind vergilbt,
Und wieder gingen beide wir selband'.
Und neue Lust entspross der Zeiten Wechsel,
Der Frühling schwand, doch unsre Liebe blieb.
Wie schön, ach! war der Rosenhain der Welt!
Und das smaragdne Gras mit dir zu schaun!
Der Vögelein Gesang, der Murmelbach -
Mir war's, als wenn im Paradies ich schritt.
Ist heut' im Winter unsre Liebe kalt?
Komm, komm, mein Herz, des Frühlings lass uns denken,
Die Herzen stärken uns in Hoffnungslust -
Zur Rosenzeit gehn wieder wir zusammen.
Übersetzung von Paul
Horn (1863-1908)
Aus: Geschichte der türkischen Moderne
Von Prof. Dr. Paul Horn
Leipzig C. F. Amelangs Verlag 1902 (S. 63-64)
Biographie:
Von Nigjar Hanym liegen zwei Gedichtsammlungen vor:
"Ach!" (Efsús, in zwei Heften von 1887 und 1889) und mit einem
zehnjährigen Zwischenraum "Echo" ('Aks-i çadá, 1898).
Wenn man den ersten Teil von "Ach!" in die Hand nimmt, so gewinnt man
zunächst durchaus den Eindruck, es mit einer Dichterin der alten Schule zu
tun zu haben. Nigjar beginnt pflichtschuldigst mit dem Lobe Allahs, des
Propheten und des regierenden Sultans und feiert diese des weiteren in
drei Hymnen. Dann folgen Gedichte auf den Frühling, "Hoffnung", an den
Geliebten, den Mond u. a. In diesen altbekannten Themen verwendet die
Dichterin auch den alten Stil, aber ihr natürliches Empfinden drängt ihn
doch in gewisse Grenzen zurück, die üblichen Phrasen ersticken bei ihr den
Inhalt nicht. Ihre Poesien sind ihr "Herz", wie sie selbst einmal sagt.
Vor allem will sie stets Weib sein, und so gelingen ihr Äusserungen der
Mutterliebe besonders gut. Ihr Ton ist durchaus ernst, wie schon die Wahl
des Titel "Ach!" zeigt. Die Gedanken eines schwindsüchtigen jungen
Mädchens, das im Geiste von dem Geliebten Abschied nimmt, finden sich bei
ihr wohl zuerst (in 1883/1884 datierten Gedichten).
Auch im "Echo" ist Nigjar Hanym im Grunde dieselbe geblieben, doch ist ein
Fortschritt zu modernem Denken unverkennbar. Sie fühlt sich auch hier zum
Dichten innerlich gedrängt, ihre Verse sind der Widerhall ihrer
Herzensempfindungen. Wie sich Neues und Altes bei ihr mischt, dafür diene
als Probe das Gedicht "Mit dir" [siehe oben] (im Original reimen die
Zeilen natürlich).
Ein Jungtürke strenger Observanz würde die "smaragdnen Fluren", den
"Rosenhain der Welt", den "Murmelbach", den "Frühlingswind" wie auch die
"Ringellocken", "Bülbül" u. dgl. grundsätzlich aus seinen Poesien
fernhalten, die Geliebte oder den Liebsten nie mehr als den "Mond"
anreden. Anders Nigjar. Bei ihr fehlen diese alten Bilder keineswegs.
Dabei ist sie aber doch zugleich modern und wird dies im Laufe der Zeit
immer mehr und mehr. "Mein Leben hat erst begonnen, seit ich dich gesehen"
ist für die türkische Denkweise eine moderne Empfindung. Eine in ihrer
Entwicklung zurückgebliebene Akazie würde gleichfalls ein Klassiker
schwerlich besungen haben. Sogar eine "Kotillonserinnerung" findet man bei
ihr. Recht selten nur kommt der Humor zum Vorschein, wie "Im Schnee".
Auf die Gedichte folgt im "Echo" ein zweiter, fast durchgängig prosaischer
Teil, "Feuerbrände" betitelt. Er enthält kurze Artikel: "Frühling", "Das
Meer", "Schneegestöber", "Prinkipo" (die grösste der Prinzeninseln), "Der
Bosporus", "Ein Septembermorgen". Neben solchen Naturbildern stehen
ethische Betrachtungen, wie "Arbeit", "Das Herz krampft sich mir zusammen"
(nämlich über den Unbestand und die Treulosigkeit, die man so häufig an
Menschen beobachten muss).
Vor allem sieht Nigjar Hanym alles mit den Augen des Weibes an. So gilt
ihr in "Arbeit" als Frauenpflicht, Gattin und Mutter zu sein - alte
Jungfern sind nach orientalischer Auffassung etwas Unnatürliches - und
sich zugleich ihren Mitschwestern nützlich zu machen. Ihr mütterlicher
Sinn äussert sich schön in "Mein Sohn Münir", in einer "Dedicace" an ihren
anderen Sohn Feridun u. a. Ihr Patriotismus lässt sie für die Muhammedaner
auf Kreta sowie für die im Griechenkriege verwundeten türkischen Soldaten
eintreten. Einige Briefe sowie Gedichte und Grabschriften an ihre Eltern
machen den Beschluss.
Die Metren ihrer Verse sind durchweg die altklassischen, jedoch häufig mit
modernen Reimverschlingungen.
Aus: Geschichte der
türkischen Moderne
Von Prof. Dr. Paul Horn
Leipzig C. F. Amelangs Verlag 1902 (S. 63-65)
siehe auch:
http://en.wikipedia.org/wiki/Nigar_Hanim
http://www.osmanische-frauen.de/17.html
|