Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Anna de Noailles
(1876-1933)

französische Dichterin

 


Poursuite

Die Herzen möchten in einander lesen
aber die Liebe tanzt zwischen den Wesen
sie geht von Warten zu Erwartetsein.
Und wie der Wind hinaus aus ihren Grenzen
die Pflanzen streut, so mischt sie die Essenzen.
Die Seelen, die im selben Abstand bleiben
eilen dahin; sie können schneller sein
als Luft und Duft und Quellentreiben.
Vergebens jagen sie einander so.
Die Liebe ist nicht zärtlich und nicht froh.
(S. 33)
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Ich schreibe, daß man, wenn ich nicht mehr bin,
verstünde Luft und Fühlen riß mich hin.
Mein Buch hat Liebe zu verkünden nur
zum Leben und zur glücklichen Natur.

Aufmerksam allem Werk in Feld und Haus
las ich das Jahr aus jedem Tag heraus,
Brand, Wasser, Erde, daß ich nichts verfehle,
wo sind sie schöner als in meiner Seele!

Das, was ich sah und fühlte, ward gesagt
von einem Herzen, das die Wahrheit wagt;
ich war so kühn, die Liebe gab mir ein,
um nach dem Tode noch geliebt zu sein.

Und daß ein junger Mensch, der dann mich liest,
durch mich erregt, erschreckt, sein Herz genießt,
mich allen Frauen vorzieht, die es giebt;
mich nimmt in seine Seele und mich liebt.
(S. 33-35)
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Tu vis, je bois l'azur ...

Du lebst. Den Himmel deiner Züge schlürfend,
bin ich, mit deinem Lachen, rein gespeist,
was weiß ich, wann du, Sichres nicht bedürfend,
mich einmal Hungers sterben heißt.

Allein und immer staunend, wie ich fahre,
hab ich nicht Zukunft, keiner Hütte First,
ich fürchte mich vorm Haus, vorm Tag, vorm Jahre,
da du mich leiden machen wirst.

Selbst wenn ich in den Lüften, die mich fassen,
dich sehe, und dein Herz ist unverdorrt,
etwas von dir will immer mich verlassen,
indem du bist, gehst du schon fort.

Du gehst, ich bleibe gleich dem scheuen Hunde,
der mit der Stirn auf sonnenweißem Sand
zu fassen sucht in dem beirrten Munde
den Falterschatten, der entschwand.

Du gehst, mein Schiff, die Meere, die dich wiegen,
rühmen dir künftige Entzückung dort,
und doch, die Ladungen der Erde liegen
in meinem stillen Hafenort.

Nicht rühren, wie dein Atem auch dich treibe,
so drängt ein Quell aus seinem Schilf wie du.
Alles ist dürr, was nicht in mir ist, bleibe
in diesem Sturme meiner Ruh.

Denn welche Reise ließe dich erkennen,
was ich mit meinem Blick in deinen brenn,
Galata und die Wälder der Ardennen
und Lotosse in Indien?

Ach, wenn dein Drang, dein Abschied auf mir lasten,
ich dich nicht fasse mehr im Raum der Welt,
muß ich der Trägheit denken, der verhaßten,
die eines Tages dich befällt.

Du Froher, der das Handeln nie verschlafen
und der erobernd in der Hoffnung siegt,
schließest dich an dem großen Volk der Sklaven,
das dumpf und stumm und duldend liegt.

Ich sechs wie einen Punkt, genau geschieden,
hebt sichs von Wasser, Zeit und Ferne ab,
allein und zwingend wie die Pyramiden,
dein enges unverrücktes Grab;

und seh mit einer Trauer ohnegleichen
an einer Zukunft Schluß, die mir entglitt,
dich enden wo, an Mauern, die nicht weichen,
beim Bett, das aufhält deinen Schritt.

Und du wirst tot sein, tot wie Alexander,
wie jener Tänzer, dessen Asche sehr
leichtwiegend war, wir reichten sie einander
in dem Museum dort am Meer.

- Ich sah in einem Land, das Sonnentage
erträgt wie himmlische Beleidigung,
Skelette auf dem Grund der Sarkophage
und griff an ihrer Stirnen Schwung.

Und wußte, ich, Beschauer dieser Leichen,
bin schon die Tote, wenn auch noch gefeit,
von meinem leichten Leib zu meinesgleichen
bedarf es nur ein wenig Zeit ...

Ich nehm das schwarze Los, es zu bestreiten,
ich will das Aug sein, draus das Hohle stieg,
du aber, Palmbaum meiner Einsamkeiten,
du einziger, mit dem ich schwieg.

du, dem ich, ohne daß ichs eingestand,
so wie wie Prinz den Degen hergibt, still,
einräumte das geheimnisvolle Land,
in dem mein Herz steigt wie ein Nil,

an dem ich alles Meine unerhört
zerschellte: Träume, Mängel, Müh und Mut,
wie ein Palast, der stehend sich zerstört
im Spiegel unberuhigter Flut,

wirst du, auch du, vom Schicksal eingezogen
zu diesem Heere, das das Graun beschlich,
und stehst geduckt, die Schultern ganz verbogen,
genau als fürchtetest du dich?

Kälter als kalt und ohne Blick und Ohren,
Keim, der rückschlafen will ins Welten-Ei,
ranziges Wachs: dem fliegen wie verloren
die Bienen abseits und vorbei!

Genügts nicht, daß ich geh, daß ich, die Schwache,
mich mischen will in der Gespenster Wehn,
die mehr als Helena und Andromache
hat Blicke sich bekriegen sehn?

Mein Kind, ich hasse mich, und ich verachte
der Königstöchter töricht stolze Zier,
weil ich mich nicht als Flammenwall entfachte
zwischen dem traurigen Tod und dir!

Doch Überlebendes kann nicht entgleiten,
so denk ich unterm nahen Nachtgespinst
der Ewigkeit der Räume und der Zeiten,
und daß du nie daraus entrinnst.

- O Frühlinge, o Fröhlichkeit des Schnees,
das steigert sich wie Läufe, und nichts dringt
aus dem verläßlich mächtigen Gefäß,
in dem es endlos steigt und singt.
(S. 35-41)
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Übersetzt von Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Aus: Rainer Maria Rilke Sämtliche Werke
Siebenter Band Übertragungen
Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1997

 

 

Biographisches:

siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Anna_de_Noailles



 

 


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