Biographisches:
Nossis, Tochter der Theophilis, stammte aus dem unteritalischen Lokroi (um
300 v. Chr.). Die erhaltenen Epigramme auf die Macht der Liebe, die
Aufschriften für Weihgaben, die Freundschaftbezeugungen, die Verse auf
Frauenbildnissen und Statuen, zeugen von ihrem poetischen Feingefühl und
ihrem Sinn für Tradition. Die Sprache ist dorisch gefärbt. Stolz mißt sie
sich mit Sappho.
Nossis
(italisch-lokrische
Dichterin)
Die Lokrier
Unteritaliens oder die sogenannten epizephirischen Lokrier waren eine
Colonie der opuntischen Lokrier in Griechenland. Ihre Hauptstadt war Lokri,
durch Pracht und Reichthümer ausgezeichnet. -
Nossis lebte zur Zeit der Regierung des Ptolemäios Lagi, genannt Soter vom
Jahre 323 bis 285 v. Chr. Ihre Mutter war Theophilis. Mit der jüngeren
Dichterin Melinno durch enge Bande verbunden, gab sie sich mit dieser dem
Studium der sapphischen Gedichte hin, und wurde eine nicht unwürdige
Jüngerin der grossen Sängerin von Mytilene. Es ist sogar höchst
wahrscheinlich, dass sie in dem uns verloren gegangenen Dichtungen - denn
die zwölf erhaltenen Epigramme bildeten wohl den geringsten und nicht
besten Theil ihrer Gedichte - sich nicht nur
des sapphischen Versmasses, sondern auch des lesbischen Dialekts bedient
habe, wie Melinno, deren Lehrerin oder Rathgeberin in der Dichtkunst sie
gewesen sein dürfte. -
Meleagros vergleicht ihre Dichtungen mit der "balsamischen,
blüthenumwogten" Schwertlilie, und spricht sich auf das zierlichste aus
über die Zartheit ihrer Lieder, indem er sagt, dass der Liebesgott Eros
selbst das Wachs zu ihren Schreibtafeln geschmelzt habe. - Die Griechen
bedienten sich nämlich statt unseres Papiers Lindenholztäfelchen, die mit
safrangelbem oder mennigrothem Wachse überzogen waren und die man mit
einem Niet verband, so zwar, dass sie sich fächerartig auseinanderschlagen
liessen. Auf diese Wachstäfelchen ritzte man mit einem metallenen Griffel
die Schrift ein; man pflegte sie immer bei sich zu tragen, nach Art
unserer Notizbücher, um sich ihrer zu augenblicklicher Notierung des
täglich Vorkommenden gleich bedienen zu können. Den Dichtern dienten sie
auch zum Conzipieren ihrer momentanen poetischen Ergüsse. Man erkennt also
die zarte Schmeichelei, die Meleager der Dichterin sagt.
Der Grundzug ihrer Dichtung scheint erotisch gewesen zu sein, worauf auch
die Verse Meleager's hindeuten. Antipater von Thessalonike lobt ihre
zarte, weiche Sprache, und was wir von ihr noch besitzen, zeichnet sich
durch Natürlichkeit und edle Einfalt aus. Nicht ohne ein wenig
Selbstüberhebung und im Vollgefühle ihres dichterischen Berufes ruft sie
denen, die nach Lesbos reisen zu:
Fremdling, schiffst du vielleicht in der Tänze Gebiet Mytilene,
Dich zu entzünden am Glanz sapphischer Chariten dort,
Sprich, dass musengeliebt, und der Dichterin ähnlich, Lokrissa
Eine gebar, und es sei Nossis ihr Name. Nun geh'!
Auf ein glückliches und sehr inniges Liebesverhältnis der Dichterin deuten
folgende höchst anmuthige Verse hin:
Süsser ist nichts als Liebe; die anderen Segnungen alle
Kleiner; den Honig sogar weis' ich vom Munde zurück.
Dies ist der Nossis Wort. Doch wer nicht Kypria's Gunst hat,
Kennt nicht Rosen von ihr, welcherlei Blumen sie sind.
Eine ihrer Freundinnen wird von Geburtswehen befallen; sie fleht zur
Artemis, derselben beizustehen, denn diese war, obwohl selbst Jungfrau und
Feindin der Liebe, die Schutzgöttin der Kreissenden. Ihre
Lieblingsbeschäftigung war die Jagd, auf welcher sie ihre Dienerinnen, die
Nymphen, begleiteten. Die Insel Delos mit dem Flüsschen Inopos und der
Hain Ortygia in der Nähe von Ephesos waren ihr heilig.
Das dichterische Gebet der Nossis lautet:
Artemis, Delos' du und des schönen Ortygia's Herrin,
Leg' dein heilig Geschoss jetzt in der Chariten Schoss,
Spüle dir im Inopos die Haut, und geh' zu den Häusern,
Von den belastenden Weh'n Alketis dort zu befrei'n.
Die nachfolgenden vier Gedichte sind Widmungen von Weihgeschenken.
Nossis hat mit ihrer Mutter gemeinschaftlich ein Byssosgewand gewebt, und
weiht es der mächtigen Göttin Here, der Gemahlin des Donnerers Zeus, die
in der Nähe von Kroton einen berühmten Tempel, das Lakinion, hatte, von
dem noch heute Trümmer zu sehen sind. Die Widmung lautet:
Hera, die du, Geehrte, Lakinion's duftenden Tempel
Oft vom Himmel daher niedergestiegen beschaust;
Nimm dies Byssosgewand, das dir mit der glänzenden Tochter
Nossis zusammen gewebt Theuphilis, Kleocha's Kind.
Ein sinniges Weihgeschenk ist die Waffenbeute des besiegten Feindes,
zugleich ein Denkmal des Ruhmes. Die Brettier Bruttier waren ein
räuberisches Volk, welches die griechischen Küstenstädte Unteritaliens
häufig mit seinen Gewaltthaten heimsuchte. Die Bewohner von Lokri schlugen
dieselben bei einem räuberischen Einfalle siegreich zurück, und legten die
erbeuteten Waffen im Tempel nieder, wie die Dichterin erzählt:
Brettier warfen die Waffen im Schrecken des Tods von den Schultern,
Da sie im Kampfe die Hand hurtiger Lokrier schlug.
Deren Verdienst lobsingend nun ruhn sie im Göttergemache.
Sehnen sich nicht an dem Arm feiger Gesellen zurück.
Die Geschenke an die Götter brauchten nicht werthvoll zu sein; Mädchen und
junge Frauen opferten nach verlorener Jungfraunschaft den Gürtel oder
andere Zeugen des Liebeskampfes, wie ja auch Männer die Lanze und
dergleichen als Zeugen des Sieges. Ereignete sich irgend ein Glücksfall,
so wurde dies oder jenes kleine Geschenk aus Dankbarkeit den Göttern
dargebracht. Werkzeuge und Gegenstände, die reichlichen Erwerb eintrugen,
wurden in dem Tempel einer Gottheit niedergelegt. Gelübde bestanden
meistens in dem Versprechen, der helfenden Gottheit ein Geschenk zu
weihen.
Samytha, eine Freundin oder Bekannte der Nossis, weiht der Aphrodite ein
prächtiges Haarnetz, dem die Dichterin folgende Widmung mitgibt:
Wohl mit Freuden geschah's, dass hier Aphrodite vom Haare
Dieses geflochtne Netz Samytha's weihend empfing;
Denn es ist schön und künstlich und riecht nach der Süsse des Nektars,
Dessen, womit sie selbst ihren Adonis bestreicht.
Aphrodite bestreicht nämlich ihren geliebten Adonis mit Nektar, um ihn
entweder unsterblich zu machen, oder seinen Leichnam vor Verwesung zu
schützen. -
Auch die Buhldirnen waren nicht selten freigebig gegen die Götter.
Besonders wenn die Blüthezeit ihrer Reize sich dem Herbste zuneigte,
weihten sie gerne der Schutzgöttin Aphrodite den Schmuck und die Werkzeuge
ihres bisherigen Gewerbes, als Spiegel, Locken
und voll Werthes den Gürtel, und was man den Männern geheim hält,
wie eine Buhlerin bei Philetas von Kos sagt. Doch auch kostbare
Geschenke brachten sie der Liebesgöttin dar. Auf der Insel Samos stand ein
Tempel der Aphrodite, welcher von dem gemeinschaftlichen Erwerb der
Buhlerinnen erbaut worden war, die sich im Gefolge des Heeres befanden,
welches Perikles gegen Samos führte.
Nossis erzählt uns von dem Geschenke einer verblühten Buhlerin, Polyarchis,
welches so schön war, dass es die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog,
weshalb die Dichterin mehrere Frauen einlädt, mit ihr dasselbe zu besehen:
Geh'n wir, Frau'n, zu dem Tempel, und sehen daselbst Aphroditen's
Standbild, welches von Gold künstlich und bunt sich erhebt,
Dort stellt's auf Polyarchis, nachdem viel grossen Erwerbes
Sie von des eigenen Leibs glänzender Schöne genoss.
Es mag für manchen unserer Leser befremdend sein, dass eine anständige
Frau, wie Nossis, mit voller Unbefangenheit und ohne Verachtung von der
Buhlerin und ihrem Gewerbe spricht. Heutzutage würde dies dem Rufe einer
Frau sehr schaden; die Griechen waren in dieser Hinsicht toleranter. -
Schon bei Erinna wurde die Vorliebe der Griechen, schöne Gemälde und
Portraits zu glossieren, erwähnt. Die Portraitmalerei leistete in den
damaligen Zeiten schon etwas ganz Ausserordentliches, so dass Bild und
Original oft von schlagender Ähnlichkeit waren. Auch Lokri musste
vorzügliche Meister in diesem Fache gehabt haben, da uns von unserer
Dichterin nicht weniger als vier Gedichte auf vortreffliche Portraits
erhalten sind. Da ist es vor Allen ein Bild ihrer Freundin und
dichterischen Genossin Melinna, das ihre Bewunderung und Freude erregt:
Dies ist Melinna selber! o sieh, wie holdig das Antlitz
Honigsüsse nach uns scheinet herüber zu schau'n!
Wie wahrhaftig die Tochter so ganz mit der Mutter sich gleichet!
Schön wenn Kindergeschlecht ähnlich den Eltern erscheint!
Ein anderes Bild, ebenfalls eine Freundin der Nossis darstellend, ist
nicht nur in den Formen ähnlich, sondern bringt auch den Charakter zum
Ausdruck:
Kennbar auch dorten erscheint das Gesicht der Sabathis,
Aber der Hochsinn auch spiegelt im Bilde sich ab.
Schaue darin den Verstand; und das Liebliche, wie es ihr eigen,
Glaub' ich zu seh'n. Sei viel, seliges Weib, mir gegrüsst.
Auch das Portrait der Thymareta ist so wohl gelungen, dass es selbst
Thiere täuschen könnte (wie jene gemalten Trauben des Zeuxis) und zugleich
die Sinnesart ausdrückt, wie die Dichterin dasselbe beschreibt:
Auf dem Gemäld' ist das Bild der Thymareta. Gut ist das Stolze
Und Vollreife der holdäugigen Schönen gemacht.
Wedelnd wohl auch durft' es die wachende Hündin erblicken,
Und die Gebieterin selbst meinen im Hause zu seh'n.
Selbst Frauen brachten es in der Portraitmalerei zu grosser Vollendung.
Die Lokrierin Kallo malte sogar sich selbst mit täuschender Ähnlichkeit,
und weihte das Bild in den Tempel der Liebesgöttin, worauf Nossis folgende
Verse dichtete:
Kallo weihte die Tafel in's Haus Aphroditen's, der blonden,
Die sie selber mit ganz ähnlichem Bilde gemalt.
Wie sie so hold dasteht! Die Grazie, siehe, wie blüht sie!
Heil ihr! das Leben ja hat keinerlei Tadel an ihr!
So zierlich und feinsinnig die anderen Gedichte der Nossis sind, so kann
man ihr doch Eines nur mit schweren Herzen verzeihen, denn es enthält das
Lob eines ganz miserablen Poeten. Rhinton ist sein Name, unwürdigen
Angedenkens, gebürtig aus Syrakus, eines Töpfers Sohn. Er war der Erfinder
der "Hilarotragödien", welche tragische Gegenstände in einem burlesken und
komischen Stile darstellten und das Erhabene und Schöne in den Koth
zerrten. Er hat denn auch unsere modernen dramatischen Parodien und
Travestien auf dem Gewissen. Sei es nun, dass Nossis persönlich mit
Rhinton befreundet war, oder dass dessen Stücke - er schrieb deren
achtunddreissig - bei den Lokriern besonderen Beifall fanden (de gustibus
non est disputandum) - sie machte folgende Verse auf Rhinton's Grab
Gehe mit trockenem Lachen vorbei, und sag' ein befreundet
Wort mir. Rhinton spricht aus Syrakus mit dir.
Klein in dem musischen Dienst als Nachtigall; aber besondern
Epheu hab' ich im Spiel tragischer Possen gepflückt.
Aus: Griechische Dichterinnen
Ein Beitrag zur Geschichte der Frauenliteratur
von Josef Calasanz Poestion [1853-1922]
Zweite Auflage Wien. Pest. Leipzig 1882
weitere Literaturhinweise: