Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Vera Iwanowna Ruditsch
(1872-1942)

russische Dichterin



Das Weib

Als kampfbereit das Schwert er todesmutig zückte,
des Kriegs Verkörperung, ein junges Götterbild,
und machtvoll, herrlich, stolz ihr in das Auge blickte -
rief sie begeistert: "Komm, mit oder auf dem Schild!"

Doch als sie bluten sah ihn in dem Schlachtgetriebe -
da losch der Freudenstrahl im ruhmesstolzen Blick,
und, ganz Entsetzen, rief sie, ganz besorgte Liebe:
"O komm zu mir, o komm! Komm - ohne Schild zurück!"
(S. 77)
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Deinem sinnlos heißen Liebesflehen
schwieg mein Mund . . . Es überlief mich kalt:
in der Ferne sah ich drohend stehen
eine schwarz unheimliche Gestalt.
Mit der Blicke wahnsinnwildem Brande
sah's erbarmlos streng und stumm nach mir -
das Phantom des Falles und der Schande! . . .
Laß mich, laß mich, geh - mir graut's vor dir!
(S. 77)
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Eine junge Hopfenranke strickte
sich um eines alten Eichbaums Rinde.
An den Stamm, den moosbewachsnen, drückte
fest sie sich beim Drang der Frühlingswinde.
In der Lenzensnacht vernahm im Traume
sie der Nachtigallen Liebesklagen
und vertraute dem geliebten Baume
all ihr Sehnen unter süßem Zagen.
Aber Antwort gab dem Liebesflehen
zärtlich nicht der Eichbaum mit den Zweigen -
und die Ranke weinte Tauestränen
und erstarrte in enttäuschtem Schweigen . . .
Flehe nicht, o junge Hopfenranke,
um des Eichbaums Liebe, küsselüstern:
nimmer wird er kosend dir zum Danke
Zaubermärchen in der Mainacht flüstern.
Aber wenn im wilden Blitzgeflamme
wilde Donnerschläge dich umschmettern -
wird er stützen dich mit seinem Stamme
und beschirmen dich mit seinen Blättern.
(S. 77-78)
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Hin ist die Lustnacht. Genug nun des Weins!
Lasset den Vorhang das Fenster verdunkeln!
Ja, ich bedarf nicht des sonnigen Scheins -
denn ich bedarf nur das nächtige Dunkeln.
Hin ist die Lustnacht. Es leuchtet der Tag.
Fern durch die Luft klingt der Glocken Geläute.
Wach wird die Kinderwelt. Finster und zag
flieht nun das Laster die Blicke der Leute.
Mich wird erwärmen das Sonngeglänz nicht -
blenden nur wird's mir die unreinen Blicke!
Ist doch der Lichte nur glücklich im Licht -
ich aber schwelge beim Nachtglanz im Glücke.
(S. 78)
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Ihr Wesen strahlte keusch gleich einem Firn.
Sie predigte der reinen Liebe Lehren -
allein die hehre Schöne ihrer Stirn
rief wach in andern sündiges Begehren.
Sie betete für alle - dennoch mußt
sie ihretwegen Bruderkämpfe sehen,
sie mußte blutig büßen fremde Lust -
und trug die Schuld am blutigen Vergehen.
(S. 79)
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Von Scham überflammt das Gesicht, mit Erbeben,
sprach leis sie das schüchterne, stammelnde Wort:
"Ich lieb dich! Zum erstenmal lieb ich im Leben!
Nimm hin meine Seele: dein ist sie hinfort!
O reiche die Hand mir, die machtvolle Rechte!
Ich werde dir folgen in Lust und in Not,
ich helfe im Kampfe dir gegen das Schlechte
und gehe mit Freuden für dich in den Tod!"
Sie schwieg, und es flehte ihr Blick um Erbarmen . . .
Da kam eine andre, stumm, siegesbewußt,
mit hüllenlos marmorweiß blinkender Brust.
Begehrlich erlohten die treulosen Blicke,
im Blute ward jäh das Verlangen ihm wach -
und willenlos folgte im ahnenden Glücke
als Sklav er ihr blind in den Tod, in die Schmach.
(S. 79-80)
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Sehnend rauschen die alten Pappeln am Wege,
Antwort lispeln die jungen Birken im Haine.
Zwiesprach führen sie gern in lenzwarmen Nächten:
nicht ein Menschenlaut tönt, es schlummern die Vögel.
Weithin recken die alten Pappeln die Äste,
ihre graubemoosten, morschenden Äste,
flehend um der jungen Birken Liebkosung,
und der Tau erblitzt auf den Blättern als Tränen.
Doch es flüstern die jungen Birken zur Antwort:
"Ihr seid Greise, ihr moosbewachsenen Pappeln!
Unsern schneeweißen Stamm umwindet der Hopfen
und umschlingt uns mit Jugendkraft immer fester.
Wenn wir liegen des Nachts in seiner Umarmung,
stammeln wir berauscht und vergehen vor Wonne!"
(S. 80)
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   In der Übersetzung von Friedrich Fiedler (1859-1917)
 

Gedichte und Biographie aus:
Russische Dichterinnen. Ausgewählte Dichtungen übertragen
und mit biographischen Notizen versehen von Friedrich Fiedler.
Leipzig Verlag von Philipp Reclam jun. 1907

 

 

Biographie:

Vera Iwanowna Ruditsch wurde am 4. April /23. März 1872 in Petersburg geboren, erhielt daselbst ihre Bildung am Kolomenschen Gymnasium und absolvierte darauf 1896 am Roten Kreuz den Kursus für Barmherzige Schwestern. Beginn der literarischen Tätigkeit: 1894. Lebt in Petersburg.



 

 


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